OGH 8Ob651/89

OGH8Ob651/897.9.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Huber, Dr. Schwarz und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) Kurt Q***, und

2) Leopoldine Q***, beide Angestellte, Dürnauerstraße 68, 4840 Vöcklabruck, vertreten durch Dr. Erich Aichinger und Dr. Harald Fahrner, Rechtsanwälte in Vöcklabruck, wider die beklagte Partei Oswald S***, Dachdeckermeister, Hasnerstraße 5, 4020 Linz, vertreten durch Dr. Alfred Haslinger, DDr. Heinz Mück und Dr. Peter Wagner, Rechtsanwälte in Linz, wegen S 218.180,50 sA, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 12. Dezember 1988, GZ. 1 R 214/88-25, womit infolge Berufung aller Parteien das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 13. Mai 1988, GZ. 9 Cg 5/86-19, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit S 9.513,90 (darin enthalten S 1.585,65 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger betrauten die Franz K*** KG (folgend kurz: K*** KG) mit der Dacheindeckung und den Spenglerarbeiten bei dem von ihnen im Jahr 1980 in Vöcklabruck, Stülzerstraße 12, errichteten Neubau. Sie bezahlten jedoch der K*** KG den nach einer Anzahlung noch ausstehenden Rechnungsbetrag von S 259.757,43 sA mit der Begründung nicht, daß die Dacheindeckung vollkommen unsachgemäß durchgeführt worden sei, wodurch es zu Wassereintritt zwischen Mauerwerk und Dacheindeckung gekommen sei.

Daraufhin klagte sie die K*** KG zu 4 Cg 540/82 des Kreisgerichtes Wels auf Zahlung dieses Rechnungsbetrages. In diesem Verfahren wurde der Beklagte von Amts wegen zum Sachverständigen (aus dem Dachdeckergewerbe) bestellt und mit der Gutachtenserstattung über das widerstreitende Parteienvorbringen zur Ursache und Zuordnung des Wassereintritts bestellt. Nach Befundaufnahme an Ort und Stelle erstattete der Beklagte als Sachverständiger in der Verhandlungstagsatzung vom 29. Feber 1984

vor dem Kreisgericht Wels, in welcher zunächst ausführliche Vergleichsgespräche zwischen den Streitteilen gescheitert waren, eine als "Vorbefund und Vorgutachten" bezeichnete Stellungnahme mit folgendem wesentlichen Inhalt: "Mängel sind an der Dacheindeckung nicht erkennbar. Einziger Mangel ist eine beschädigte bzw. gesprungene Wellplatte im Kaminbereich. Die Wassereinbrüche ins Bauwerkinnere sind nach Meinung des Sachverständigen darauf zurückzuführen, daß innerhalb der Einlegerinnen auf eine Rinnenheizung vergessen wurde. Dadurch konnte abfließendes Regenwasser bzw. Schmelzwasser über das Bauwerk hinaus nicht abfließen und in den Bereichen, wo Frostbildung war, sich Eis bilden, Eis ansammeln, so daß das Regenwasser nicht abfließen konnte, innerhalb der Einlegerinnen sich aufstaute und dadurch ins Bauwerkinnere eindringen konnte.

Die Anbringung solch einer Rinnenheizung obliegt nicht dem Dachdeckermeister, sondern muß von einem konzessionierten Elektrounternehmen durchgeführt werden. Diese Rinnenheizung hätte vom planenden Architekten oder Baumeister mitgeplant werden müssen und auch von diesem beauftragt werden (müssen), daß diese Ausführung durchgeführt wird." Hierauf schlossen die Streitteile nach Erörterung der Sach- und Rechtslage einen (der Submission nahekommenden) Vergleich, in welchem sich die nun klagenden Ehegatten Q*** zur ungeteilten Hand zur Zahlung eines Betrages von S 260.000,-- bis 2. März 1984 und eines Betrages von S 30.000,-- bis 5. Mai 1984 verpflichteten.

Durch spätere Begutachtungen kam hervor, daß von der K*** KG zwar die Dachdeckerarbeiten ordnungsgemäß ausgeführt worden waren, nicht hingegen in mehreren dargestellten Punkten die Spenglerarbeiten, deren Mangelhaftigkeit für den Wassereintritt in das Innere des Bauwerkes auch ursächlich war. Der Beklagte hatte diese Mängel der Spenglerarbeiten jedoch auf Grund seiner diesbezüglich fehlenden Ausbildung und Sachkunde nicht feststellen können und in seinem Gutachten auch nicht als mögliche weitere Mangelursache genannt oder zumindest offen gelassen. Auf Grund des vom Beklagten erstatteten Gutachtens gingen die Kläger von der sachgemäßen Ausführung auch der Spenglerarbeiten durch die K*** KG aus und schlossen letztlich den für sie nachteiligen Submissionsvergleich. Wäre (durch das Gutachten des Beklagten oder auf Grund einer entsprechenden Anregung seinerseits durch das Gutachten eines Sachverständigen aus dem Fach der Dachspenglerei) im Vorprozeß die Mangelhaftigkeit der Werkleistung der Firma K*** hervorgekommen, hätten die Kläger (dortigen Beklagten) im Prozeß obsiegt und jedenfalls nicht den für sie nachteiligen Vergleich geschlossen. Die gesamten von ihnen aufgewendeten Prozeßkosten (einschließlich Anwaltskosten) und die Kosten der Mangelbehebung im Gesamtbetrag des zuletzt gestellten Klagebegehrens hätten sie dann nicht zu tragen gehabt. Mit der vorliegenden Klage fordern die Kläger vom Beklagten den Ersatz ihres Schadens, den sie wegen der Erstattung eines unvollständigen und damit unrichtigen Gutachtens des Beklagten im Vorprozeß erlitten hätten; den Beklagten treffe deshalb ein Verschulden an seinem Fehlgutachten, weil er die Grenzen seiner Fachkunde bei der Gutachtenerstattung nicht entsprechend aufgezeigt und dadurch überschritten hätte, daß er als einzige Mangelursache das Fehlen einer Rinnenheizung nannte, deren Planung und Ausführung nicht in das Fachgebiet der K*** KG gefallen sei. Den Mangel der Grundkenntnisse auf dem Gebiet der Dachspenglerei habe der Beklagte aber zu vertreten.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, er habe dem Prozeßvorbringen und Gutachtensauftrag im Vorprozeß entsprechend über sein Fachgebiet der Dachdeckerei ein richtiges Gutachten erstattet; Spenglerarbeiten habe er weder zu begutachten gehabt, noch begutachten können und auch nicht begutachtet. Die Kläger hätten im Vorprozeß die Erörterung seines Gutachtens beantragen und selbst die Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Spenglergewerbe beantragen können.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Hälfte statt. Es führte aus, der Beklagte habe in seinem Gutachten nicht nur Ausführungen über die (als mängelfrei befundene) Dacheindeckung, sondern auch über den Wassereintritt im Bereich der Einlegerinne (Dachrinne) gemacht, die über seine Fachkompetenz hinausgegangen seien. Sein Verschulden liege darin, daß er die Parteien im Vorprozeß nicht darüber aufgeklärt habe, daß er nur für das Dachdeckergewerbe und nicht für die Beurteilung von Spenglerarbeiten sachverständig sei. Dies wäre ihm umsomehr zuzumuten gewesen, weil er gewußt habe, daß Deckdecker und Spengler zwei verschiedene Berufe mit verschiedenen Ausbildungen und Prüfungen seien. Er hätte daher im Vorprozeß von sich aus die Parteien darauf hinweisen müssen, daß zur endgültigen Abklärung der Ursachen des Wassereintrittes eventuell noch ein Sachverständiger aus dem Bereich des Spenglergewerbes beizuziehen wäre. Dies habe er jedoch unterlassen und selbst eine Beurteilung über einen Sachbereich abgegeben, den er auf Grund seiner Ausbildung nicht beherrscht habe. Sein Verschulden könne auch nicht durch die auch im Beweissicherungsverfahren bekundete Notwendigkeit einer Rinnenheizung beseitigt werden, weil selbst bei einer solchen Rinnenheizung bei den beschriebenen Mängeln am Unterdach ein Wassereintritt in das Bauinnere nicht ausgeschlossen werden könne. Hätte der Beklagte aber nicht ein über seinen Fachbereich hinausgehendes Gutachten erstattet, sondern die Mangelursache einer Beurteilung durch einen Sachverständigen aus dem Spenglergewerbe anheimgestellt, so hätten die Kläger nicht den für sie nachteiligen Vergleich geschlossen, sondern im Vorprozeß obsiegt. Die Kläger treffe aber ein gleichteiliges Mitverschulden, weil sie durch ergänzende Befragung des Beklagten versuchen hätten können, andere nicht im Bereich der Dachdeckung gelegenen Ursachen für den Wassereintritt herauszufinden und solcherart auf die Notwendigkeit der Begutachtung durch einen Sachverständigen aus dem Spenglergewerbe gestoßen wären.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung des Beklagten nicht, wohl aber jener der Kläger Folge und änderte die Entscheidung des Erstgerichtes im Sinne vollständiger Klagestattgebung ab. Der Beklagte habe durch seine Gutachtenserstattung im Vorprozeß den Eindruck erweckt, daß die K*** KG die Dacharbeiten am Haus der Kläger völlig mängelfrei ausgeführt hätte und der Wassereintritt auf andere Ursachen (Unterlassung einer Rinnenheizung und Fehlplanung) zurückzuführen sei. Damit habe er - für ihn aus dem gesamten Verhandlungsablauf auch klar erkennbar - die Kläger zu einem Submissionsvergleich bewegt, den diese bei Aufzeigung oder Offenlassung anderer Schadensursachen (im Bereich der Spenglerarbeiten der K*** KG) nicht abgeschlossen hätten. Von einem für Dachdeckerarbeiten bestellten Sachverständigen müßten über ein eigentliches Fachgebiet hinausgehende Kenntnisse so weit gefordert werden, daß er auf andere in Betracht kommende Schadensursachen, etwa im Bereich der Dachspenglerarbeiten, zumindest hinweisen könne. Daß für ihn diese andere Schadensursache nicht erkennbar gewesen sei, könne ihn daher nicht entschuldigen, ohne daß die Sorgfaltsanforderung in unzumutbarer Weise überspannt sei. Er hafte - sei es nach § 1299 oder nach § 1300 Satz 1 ABGB - den Klägern jedenfalls für den durch sein Fehlgutachten verursachten Schaden (für den Prozeßaufwand und die Mängelbehebungskosten in Höhe des geltend gemachten Klagebetrages) zur Gänze. Den Klägern sei es nämlich mangels von ihnen zu verlangender Fachkunde nicht zumutbar und daher auch nicht als Verschulden zuzurechnen, angesichts der klaren und als endgültig anzusehenden Gutachtensaussage des Beklagten noch nach weiteren Mangelursachen etwa im Bereich der Spenglerarbeiten zu forschen oder überhaupt das Gutachten des Sachverständigen auf jeden Fall anzuzweifeln, obwohl dieser im Gutachten keine andere Mangelursache dargestellt oder offen gelassen hatte.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu, weil zu den grundsätzlich behandelten Haftungsfragen einhellige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege und es von den Umständen des Einzelfalles abhänge, ob der Beklagte die ihm auferlegte Sorgfalt bei der Erstattung des Gutachtens verletzt habe oder die Kläger ein Mitverschulden treffe.

Die gegen dieses Urteil vom Beklagten erhobene außerordentliche Revision ist zwar zulässig, weil zur entscheidungswesentlichen materiell-rechtlichen Frage der Haftung eines gerichtlich bestellten Sachverständigen für den Schaden, den er einer Prozeßpartei durch eine außerhalb seiner Sachverständigenkompetenz liegende unrichtige Begutachtung zugefügt hat, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliegt. Die Revision ist aber nicht berechtigt. Es geht hier in Wahrheit nicht um die Haftung des beklagten Sachverständigen wegen Fehlens jener Fachkenntnisse, die er aufgrund seiner besonderen Sachkundigkeit als Dachdecker haben müßte, also seiner nach objektivem Sorgfaltsmaßstab zu wertenden Garantiehaftung für die Richtigkeit seiner Aussagen in diesem Fachgebiet (Koziol, Haftpflichtrecht2 II 182 f. mwN), sondern um seine Haftung wegen der Übernahme einer Fachkompetenz außerhalb seines eigenen Zuständigkeitsbereiches - die er nicht beherrscht -, obwohl er wissen mußte, daß es ihm an den dazu erforderlichen Kenntnissen und Fähigkeiten fehlt.

Der Beklagte hätte nach abschließendem (und richtigem) Ausschluß einer Schadensursache in seinem fachlichen Zuständigkeitsbereich (Dachdeckerarbeiten) erkennen müssen, daß die Ursache für den Wassereintritt zwischen Mauerwerk und Dacheindeckung nur außerhalb seines Sachverständigen-Kompetenzbereiches liegen kann, und er hat diese Einsicht auch dadurch, freilich fehlerhaft, ausgedrückt, daß er in seiner Eigenschaft als Sachverständiger vorbehaltlos und mit Bestimmtheit das Fehlen einer Rinnenheizung in den Einlegerinnen als Ursache für den Wassereintritt bezeichnete und diesen Mangel in den Verantwortungsbereich des planenden Architekten oder Baumeisters verwies. Da er diese bestimmte und vorbehaltlose Aussage als Sachverständiger gegenüber dem Prozeßrichter und den Prozeßparteien vornahm, ohne auf die dadurch vorgenommene Überschreitung seiner Sachverständigenkompetenz und konsequenterweise auch darauf hinzuweisen, daß diese mögliche Schadensursache der abschließenden Beurteilung aufgrund einer Befundung und Begutachtung durch einen für diesen Sachbereich zuständigen Sachverständigen vorbehalten bleiben müsse, ist dem Beklagten diese Arrogation einer Fachkompetenz, deren Fehlen ihm bekannt gewesen sein mußte, als Übernahmeverschulden anzulasten (Koziol, Haftpflichtrecht I 332; Reischauer, ZVR 1978, 129, 138; Schwimann/Harrer, ABGB V § 1299 Rz 2; Löwitsch in Staudinger12 Rz 26 zu § 276; SZ 55/185; JBl 1978, 104, 106; JBl 1982, 431; RZ 1972, 14). Er hat durch dieses Verhalten sowohl das Gericht als auch die von seiner Aussage als angeblicher Sachverständiger auch auf dem arrogierten Fachgebiet in ihrer Vermögenssphäre betroffenen Prozeßparteien in jenem Rechtsstreit zu einer Prozeßerledigung veranlaßt, durch die den dort beklagten und hier klagenden Parteien infolge des auf einer dadurch hervorgerufenen unrichtigen Sachverhaltsannahme beruhenden Abschlusses eines Submissionsvergleiches und seiner Erfüllung ein Vermögensschaden in Höhe des nun eingeklagten Betrages entstanden ist.

Das Berufungsgericht hat zutreffend verneint, daß die Kläger ein Mitverschulden an ihrem Schaden im Sinne einer Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten treffe, denn sie durften in Anbetracht der bestimmten und vorbehaltlosen Aussage des Beklagten als gerichtlich bestellter Sachverständiger in jenem Rechtsstreit mit guten Grund annehmen, daß seine Sachkunde und spezielle Berufserfahrung ihn auch zu einem abschließenden und richtigen Urteil über die von ihm angenommene und aufgezeigte (angebliche) Schadensursache befähige. Es war auch nicht ihre und ihres Rechtsvertreters Aufgabe, die Grenzen der Sachkompetenz des Beklagten genau zu prüfen. Es ist vielmehr die Pflicht des Sachverständigen, jene Grenzen zu erkennen und dem Auftraggeber sowie den betroffenen Prozeßparteien klar und unmißverständlich aufzuzeigen. Mit Recht haben deshalb die Vorinstanzen befunden, daß der Beklagte den Klägern den ihnen aus dem Verhalten des Beklagten ursächlich entstandenen - der Höhe nach in der Revision nicht weiter bekämpften - Schaden zu ersetzen hat, uzw. zur Gänze, wie das Berufungsgericht richtig erkannte. Die Revisionskostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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