Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Die Pflegschaftssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Ergänzung des Verfahrens an das Rekursgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung
Die Ehe der Eltern des am 5.9.1984 geborenen mj. Harald wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Wels vom 6.10.1989, GZ 1 C 53/89-8, gemäß § 55 a EheG geschieden. Im zuvor geschlossenen Scheidungsvergleich vereinbarten die Eltern ua., daß die alleinige Obsorge für den Minderjährigen der Mutter zukommen solle. Das Pflegschaftsgericht genehmigte den Scheidungsvergleich in diesem Punkt nicht und sprach nach eingehender Beweisaufnahme aus, daß die Obsorge für den Minderjährigen künftig dem Vater allein zustehe; gleichzeitig verfügte es, daß diese Regelung als einstweilige Maßnahme bis zur Rechtskraft der Obsorgezuteilung gelte und einem Rekurs demnach keine aufschiebende Wirkung zukomme. Seit 23.2.1990 befindet sich der Minderjährige beim Vater. Infolge Rekurses der Mutter änderte das Rekursgericht diesen Beschluß derart ab, daß im Sinn des Scheidungsvergleichs der Mutter die alleinige Obsorge für den Minderjährigen zustehe. Den Revisionsrekurs erklärte es für zulässig.
Im Tatsachenbereich hegt es offenkundig gegen die erstgerichtlichen Feststellungen Bedenken (S 3 f, 9 f), wiederholte oder ergänzte jedoch das Beweisverfahren nicht, sondern meinte in rechtlicher Hinsicht, die Eltern seien an die vergleichsweise Regelung betreffend die Pflege und Erziehung ihres Kindes unter der Einschränkung der sogenannten clausula rebus sic stantibus gebunden; daran ändere auch die Notwendigkeit der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung des Vergleichs nichts. Im vorliegenden Fall habe der Vater trotz der von ihm erhobenen massiven Vorwürfe, insbesondere, es fehle der Mutter die Eignung zur Kindeserziehung, ihr anläßlich der Scheidungsvereinbarung demnach das alleinige Obsorgerecht zugestanden. Nur dann, wenn eine derartige Regelung offenbar dem Kindeswohl widerspreche, soll ihr die Genehmigung versagt werden. Aus den gepflogenen Erhebungen und dem eingeholten Gutachten ergäben sich jedoch keine "zwingenden Schlüsse", die es rechtfertigten, von der vergleichsweisen Regelung im Sinne der Wahrung des Kindeswohles abzugehen. Der ordentliche Revisionsrekurs sei gemäß § 14 Abs. 1 AußStrG zuzulassen, weil der Frage der Bindung an eine Vereinbarung im Sinn des § 55 a EheG im Fall einer nicht wesentlichen Änderung der Verhältnisse erhebliche Bedeutung im Sinn dieser Gesetzesstelle zukomme.
Rechtliche Beurteilung
Der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens erhobene Revisionsrekurs des Vaters ist aus den vom Rekursgericht genannten Gründen zulässig und auch im Sinn der Aufhebung und Rückverweisung an das Rekursgericht berechtigt.
Es trifft wohl zu, daß die Rechtsprechung bereits mehrfach darlegte, die Vereinbarung der Eltern gemäß § 55 a Abs. 2 EheG sei eine Voraussetzung für die einverständliche Scheidung ihrer Ehe und die Notwendigkeit der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung der das Kind betreffenden Punkte ändere nichts daran, daß die Eltern selbst an diesem gerichtlichen Vergleich gebunden seien. Das Pflegschaftsgericht habe zwar zu prüfen, ob die einverständliche Regelung dem Kindeswohl entspreche; die Eltern könnten sich in diesem Verfahren nur auf eine nachträgliche Änderung des Sachverhaltes berufen. In der Frage der Zuweisung der Elternrechte müßten die Änderungen eine Entziehung der Elternrechte im Sinne des § 176 ABGB rechtfertigen (Oberster Gerichtshof in EFSlg. 38.389, ihm folgend zahlreiche zweitinstanzliche E., EFSlg. 48.464, 56.839 ua). Dies hat auch das Erstgericht erkannt und klargestellt, daß ein Elternteil, der mit dem anderen eine Scheidungsvereinbarung geschlossen habe, keinen subjektiven Anspruch auf eine andere Entscheidung des Gerichtes habe; es hat aber wegen gravierender Bedenken gegen diese Regelung (bereits damals im Akt erliegende Stellungnahme des Jugendamtes) auch den Antrag des Vaters zum Anlaß genommen, von Amts wegen weitere Erhebungen zu pflegen, ob der Scheidungsvergleich dem Kindeswohl entspricht.
In dieser Vorgangsweise des Erstgerichtes liegt keine unrichtige Anwendung des Verfahrensrechts, wie das Rekursgericht meint. Da der Vater nichts vorbrachte, das als nachträgliche wesentliche Änderung des Sachverhalts beurteilt werden könnte - er hat bereits vorher gleiche oder ähnliche Vorwürfe gegen die Mutter, daß sie unfähig sei, den Sohn zu erziehen, erhoben -, hat er keinen Rechtsanspruch auf Nichtgenehmigung des Vergleichs und Zuweisung der Obsorgerechte an ihn. Sein Antrag kann nur als unverbindliche Anregung an das Gericht gewertet werden, zu prüfen, ob die getroffene Vereinbarung wirklich dem Kindeswohl entspricht. Das Erstgericht durfte - und mußte sogar aus seiner Sicht - diese Anregung zum Anlaß weitergehender Erhebungen machen, zumal es gegen die getroffene Vereinbarung ohnedies bereits nach der Aktenlage gravierende Bedenken hatte. Die Auswahl der geeigneten Erhebungen zur Beurteilung der Frage, welche Regelung am besten dem Wohl des Kindes entspricht, insbesondere ob nicht in diesem speziellen Fall die Einholung eines Sachverständigengutachtens notwendig ist, lag im pflichtgemäßen Ermessen des Erstgerichts und kann - wie offenbar das Rekursgericht meint (S 9, 10) - kein Verfahrensfehler sein. Kam das Erstgericht nach diesen Beweisaufnahmen zum Ergebnis, daß das Kindeswohl bei Genehmigung des Scheidungsvergleichs gefährdet ist, kann diese Entscheidung zutreffend oder falsch sein. Sie kann aber nichtallein mit dem Hinweis darauf abgeändert werden, daß die Versagung der Genehmigung unzulässig sei, weil der Vater im Scheidungsvergleich der Regelung zugestimmt habe und seitdem keine wesentliche Änderung eingetreten sei.
Wenn das Rekursgericht meinte, das Erstgericht habe keine dezitierten Feststellungen getroffen, hätte es nicht die Beweisergebnisse ignorieren dürfen, sondern hätte konsequenterweise den angefochtenen Beschluß aufheben und die Sache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Beschlußfassung an das Erstgericht zurückverweisen müssen. Hatte es aber gegen die getroffenen Feststellungen Bedenken, hätte es diese durch Beweiswiederholung oder Ergänzung selbst ausräumen müssen. Die Rekursentscheidung leidet daher an einem Verfahrensmangel, der auf der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache in einer erheblichen Rechtsfrage beruht.
Ergänzend ist zur Rekurslegitimation noch klarzustellen: Steht nach dem bisherigen Stand des Verfahrens fest, daß die Genehmigung des Scheidungsvergleichs das Kindeswohl gefährden kann, muß dem Vater ein Rekursrecht gegen die Genehmigung des Scheidungsvergleichs im Rekursverfahren eingeräumt werden, auch wenn er in erster Instanz kein subjektives Recht auf Nichtgenehmigung des gerichtlichen Vergleichs hatte, weil anderenfalls - mangels sonstiger Rekurslegitimation - eine Entscheidung in Rechtskraft erwachsen würde, die das Kindeswohl gefährden könnte.
In Stattgebung des Rekurses des Vaters ist daher der angefochtene Beschluß aufzuheben und die Pflegschaftssache zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Ergänzung des Verfahrens an das Rekursgericht zurückzuverweisen.
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