Spruch:
Der Revisionsrekurs wird, soweit er sich gegen die Bestellung des Rechtsanwaltes Dr.Peter Bock zum einstweiligen Sachwalter der Betroffenen für das Verfahren wendet, zurückgewiesen. Im übrigen wird dem Revisionsrekurs Folge gegeben.
Die vorinstanzlichen Beschlüsse werden hinsichtlich der Bestellung des einstweiligen Sachwalters Dr.Peter Bock auch für die Vermögensverwaltung, die Unterbringung der Betroffenen und die Verwaltung ihres Pensionseinkommens behoben.
Text
Begründung
Mit seinem Beschluß ON 6 vom 23.Februar 1988 bestellte das Erstgericht für Maria H***, geboren am 25.November 1922, gemäß § 238 Abs 1 AußStrG den Rechtsanwalt Dr.Peter Bock zum einstweiligen Sachwalter für das Verfahren und gemäß § 238 Abs 2 AußStrG zur Besorgung dringender Angelegenheiten, nämlich die Vermögensverwaltung, die Unterbringung der Betroffenen und die Verwaltung ihres Pensionseinkommens. Zur Begründung führte es aus, die Betroffene habe in zahlreichen Eingaben an das Bezirksgericht Zwettl zu erkennen gegeben, daß sie sich von Angehörigen belästigt und ausgenützt fühle. Auch an das Erstgericht habe sie sich mit einem Hilferuf gewendet. Es sei derzeit zwar noch nicht klar, in welchen Angelegenheiten die Betroffene der Hilfe bedürfe, das von der Betroffenen an das Erstgericht gerichtete Schreiben sei aber "als ein Hinweis eines alten, alleinstehenden Menschen zu verstehen, der mit seiner Umwelt nicht mehr zurecht kommt". Beim Erstgespräch vom 9.Februar 1988 habe die Betroffene einen desorientierten Eindruck gemacht und sei ebenso wie ihre Wohnung vernachlässigt gewesen. Der bestellte einstweilige Sachwalter werde den genauen Sachverhalt zu erheben und festzustellen haben, ob der Betroffenen sinnvoll Beistand geleistet werden könne.
In einer nach Zustellung des Beschlusses ON 6 an das Erstgericht gerichteten Eingabe vom 14.März 1988 (ON 7) erklärte die Betroffene, daß sie "auf einen Sachwalter verzichte, da sich die gegenständliche Angelegenheit erledigt hat".
Das Rekursgericht behandelte die Eingabe als Rekurs und gab diesem nicht Folge. Es verwies darauf, daß die Betroffene mit ihrem weiteren an das Erstgericht gerichteten Schreiben ON 3 vom 14. Jänner 1988 eine Anzeige gegen die sie belästigenden "S***" erstattet habe, welche sich offenbar gegen ihre Verwandten namens "S***" richte und über Befragen erklärt habe, daß diese "Belästiger" in der Nacht kämen und anklopften, daß sie jedoch keine Hilfe benötige, eine Pension beziehe und ein behördliches Einschreiten nicht erforderlich erscheine. Nach den Auskünften der Wohnungsnachbarn sei die Betroffene offenbar geistesgestört. Im Sinne der Feststellungen des Erstrichters im Amtsvermerk ON 4 habe die Betroffene und deren Wohnung bei seinem Besuch einen vernachlässigten Eindruck gemacht, die Räumlichkeiten seien überhitzt, übelriechend und nicht gelüftet gewesen. Die Betroffene sei nach den rekursgerichtlichen Erhebungen durch an Stadtrat Dr.S*** zuletzt im Jahre 1986 gerichtete Eingaben sowie ein Telegramm an den Bundeskanzler in Erscheinung getreten. Sie beziehe mangels eines Pensionsanspruches seit dem Jahre 1983 eine Sozialhilfedauerleistung. Nach diesem bisher gewonnenen Sachverhaltsbild sei "durchaus die Gefährdung wirtschaftlicher Interessen (Sozialhilfebezug)" als auch die Gefahr der persönlichen Verwahrlosung der Betroffenen in einem Ausmaß ableitbar, welches die Bestellung eines einstweiligen Sachwalters erforderlich erscheinen lasse. Ob dieser tatsächlich ein Rechtsanwalt oder zweckmäßigerweise ein Sozialarbeiter bzw. Mitarbeiter des Vereines für Sachwalterschaft sein solle, müsse vom Erstgericht allerdings noch näher geprüft werden.
Rechtliche Beurteilung
Gegen den rekursgerichtlichen Beschluß erhebt die durch den bestellten einstweiligen Sachwalter vertretene Betroffene eine auf den Anfechtungsgrund der offenbaren Gesetzwidrigkeit im Sinne des § 16 AußStrG gestützten rechtzeitigen Revisionsrekurs mit dem Antrag auf Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen und auf Einstellung dieses Sachwalterverfahrens durch das Erstgericht. Die Rekurswerberin rügt, das Rekursgericht habe nicht konkretisiert dargelegt, welche Angelegenheiten Gegenstand der Tätigkeit des Sachwalters sein sollten und aus welchen Gründen die Betroffene nicht selbst in der Lage sei, ihre Angelegenheiten im erforderlichen Ausmaß zu besorgen. Die den Gegenstand der Eingaben der Betroffenen an das Bezirksgericht Zwettl bildende Verlassenschaftsangelegenheit hätte sich nach der eindeutigen Erklärung der Betroffenen "erledigt", aus welchem Grund auch keine solchen Eingaben mehr erfolgt seien. Da andere Angelegenheiten, die die Betroffene nicht selbst besorgen könne, fehlten, sei kein Sachwalter zu bestellen, selbst wenn bei ihr eine psychische Krankheit oder geistige Behinderung vorliege. Auch die Gefahr einer persönlichen Verwahrlosung rechtfertige nicht die Bestellung eines Sachwalters, weil dieser mit rechtlichen Mitteln nicht entgegengewirkt werden könne.
Diesen Ausführungen kommt teilweise Berechtigung zu. Gemäß § 273 Abs 1 ABGB ist in dem Falle, als eine Person, die an einer psychischen Krankheit leidet oder geistig behindert ist, alle oder einzelne ihre Angelegenheiten nicht ohne Gefahr eines Nachteiles für sich selbst zu besorgen vermag, auf ihren Antrag oder von Amts wegen ein Sachwalter zu bestellen. Die in dieser Gesetzesstelle genannten Angelegenheiten sind in einem sehr umfassenden Sinn zu verstehen; darunter fallen nicht nur Rechtsgeschäfte und Rechtshandlungen sondern auch - vergleiche § 282, zweiter Satz ABGB - die Fürsorge für die eigene Person (SZ 58/61).
Vorliegendenfalls haben die Vorinstanzen bei der Betroffenen eine Desorientierung und eine Vernachlässigung ihrer Person und ihrer Wohnung festgestellt, hierin begründete Anhaltspunkte für die allfällige Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters für sie erblickt und die Fortsetzung des Sachwalterschaftsverfahrens im Sinne des § 238 Abs 1 AußStrG für erforderlich gehalten. Zur Beurteilung der Frage, ob begründete Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung und somit für die Fortsetzung des Verfahrens gegeben sind, enthält das Gesetz keine Regelung (6 Ob 581, 582/85, 7 Ob 651/85, 1 Ob 532/86 ua). Mangels einer Regelung kann aber darin, daß das Erstgericht das Verfahren fortsetzte und mit Billigung des Rekursgerichtes der Betroffenen, die keinen gesetzlichen oder selbst gewählten Vertreter hat, nach § 238 Abs 1 AußStrG für das weitere Verfahren einen einstweiligen Sachwalter bestellte, keine offenbare Gesetzwidrigkeit erblickt werden. Eine solche setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, daß die angefochtene Entscheidung gegen eine klare und ausdrückliche gesetzliche Regelung verstößt. Somit liegt dieser Anfechtungsgrund hinsichtlich der Bestellung des Rechtsanwaltes Dr.Peter Bock zum einstweiligen Sachwalter für das Verfahren (§ 238 Abs 1 AußStrG) nicht vor.
Der Revisionsrekurs war daher insoweit zurückzuweisen. Nach der Bestimmung des § 238 Abs 2 AußStrG hat das Gericht dem Betroffenen auch zur Besorgung "sonstiger dringender Angelegenheiten" einen einstweiligen Sachwalter zu bestellen, wenn dies sein Wohl erfordert. Eine solche Bestellung setzt also voraus, daß "sonstige dringende Angelegenheiten" des Betroffenen von diesem selbst nicht in hinlänglicher Weise wahrgenommen werden können; nur dann ist deren Erledigung durch den einstweiligen Sachwalter im Interesse des Betroffenen geboten.
Der von den Tatsacheninstanzen diesbezüglich zugrundegelegte Sachverhalt enthält keine konkreten Anhaltspunkte dafür, daß die Betroffene durch die Art der Verwaltung ihres Vermögens und ihres Einkommens aus Sozialhilfebezug sowie im Hinblick auf ihre derzeitige Unterbringung ihre Interessen in erheblicher Weise gefährde. Die Frage, ob sie im Hinblick auf die Vernachlässigung ihrer Person zur entsprechenden Fürsorge für sich selbst nicht (mehr) geeignet erscheint und der Hilfe im Sinne des § 273 Abs 1 ABGB bedarf, steht mit jener der Vermögensverwaltung in keinem Zusammenhang. Auch die Tatsache einer zur Winterszeit überheizten, schlecht gelüfteten und insgesamt vernachlässigt wirkenden Wohnung erfordert grundsätzlich noch nicht eine anderwärtige Unterbringung eines Menschen. Die Vorinstanzen haben diese Umstände auch nicht zur Begründung ihrer Entscheidungen herangezogen, sondern für die Bestellung des einstweiligen Sachwalters für dringende Angelegenheiten der Betroffenen überhaupt keine konkrete Begründung gegeben. Das Rekursgericht verwies lediglich auf eine Gefährdung des "Sozialhilfedauerbezuges" der Betroffenen, ohne hiefür irgendeine Grundlage im Sachverhalt anzugeben. Insbesondere hat es das Gericht zweiter Instanz aber unterlassen, Erwägungen zur Frage des von der Bestimmung des § 238 Abs 2 AußStrG ausdrücklich vorausgesetzten Wohles der Bestellung des einstweiligen Sachwalters für die Betroffene anzustellen und in diesem Sinne zu entscheiden. Somit mangelt es vorliegendenfalls aber an der von der vorgenannten Bestimmung geforderten Voraussetzung, daß überhaupt Umstände erwiesen sind, aus welchen sich ableiten ließe, daß das Wohl der Betroffenen die Bestellung des einstweiligen Sachwalters zu diesem Zwecke erfordere und daß vom Rekursgericht Erwägungen zu diesem Wohl angestellt wurden. Die angefochtene Entscheidung widerspricht daher offenbar der vom Gesetz für die Sachwalterbestellung getroffenen Regelung. Demgemäß waren in teilweiser Stattgebung des Revisionsrekurses die vorinstanzlichen Entscheidungen insoweit zu beheben.
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