Spruch:
Zur Parteifähigkeit und Vertretung der Pfarrgemeinden
Entscheidung vom 25. Mai 1965, 8 Ob 61/65
I. Instanz: Landesgericht Innsbruck; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck
Text
Die klagende Partei begehrte gegenüber der beklagten Partei Pfarrgemeinde H.
1. die Feststellung, daß sie Eigentümerin der Liegenschaft EZ. 64 II Kat.-Gem. Th. und jenes Hälfteanteiles der Liegenschaft EZ. 70 II Kat.-Gem. Th. sei, auf welchem das Eigentum für die Pfarrgemeinde A. der Ortsgemeinde W. einverleibt sei;
2. die Verurteilung der beklagten Partei, in die Einverleibung des Eigentumsrechtes der klagenden Partei auf den zu 1. genannten Liegenschaften einzuwilligen.
Das Erstgericht hat beide Klagebegehren abgewiesen.
Das Berufungsgericht hat das erstgerichtliche Urteil abgeändert und dem Klagebegehren Folge gegeben.
Der Oberste Gerichtshof stellte von Amts wegen die Bezeichnung der beklagten Partei richtig in "Pfarrgemeinde A., richtig: Vermögen der ehemaligen Pfarrgemeinde A.", gab der Revision der beklagten Partei Folge, hob das Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
1. Der Oberste Gerichtshof hatte sich zunächst mit der Frage der Parteifähigkeit der beklagten Partei zu befassen, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist (SZ. XXXIV 122). Die Pfarrgemeinde ist durch § 35 des Gesetzes vom 7. Mai 1874, RGBl. Nr. 50, über die äußeren Rechtsverhältnisse der katholischen Kirche (Katholikengesetz) als die Gesamtheit der in einem Pfarrbezirk wohnhaften Katholiken desselben Ritus geschaffen worden. Dieses Gesetz ist durch das Zusatzprotokoll zum Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich vom 5. Juni 1933, BGBl. Nr. 2/1934, II. Teil, das als integrierender Bestandteil des Konkordates zu gelten hat, aufgehoben worden (Zusatz zu Art. XXII (3)). Aus dieser Aufhebung ist trotz der Bestimmung des Zusatzprotokolles zu Art. XIV, daß die im Gebiete der Republik Österreich in betreff der Herstellung und Erhaltung der Kirchen- und Pfrundengebäude sowie in betreff der finanziellen Bestreitung der sonstigen Kirchenerfordernisse bestehende Normen einschließlich des Gesetzes vom 31. Dezember 1894, RGBl. Nr. 7/1895, mit den sich aus diesem Konkordat ergebenden Modifikationen bis zu einer im Einvernehmen zwischen der Kirchen- und Staatsgewalt getroffenen Neuregelung aufrecht bleiben sollen, sowohl von der Lehre (Schnizer, Schuldrechtliche Verträge der katholischen Kirche in Österreich, S. 46, Schima jun. in ÖJZ. 1962, S. 203 ff.) als auch von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (E. vom 24. November 1937, Nr. 1670 A) geschlossen worden, daß die Rechtspersönlichkeit der Pfarrgemeinde mit dem Inkrafttreten des Konkordates zu bestehen aufgehört habe. Der Oberste Gerichtshof ist allerdings mit seiner Entscheidung EvBl. 1961, Nr. 377, S. 487 (siehe auch bei Schima, a. a. O., S. 208 f.), aber ohne das Problem näher zu erörtern, von dem weiteren Bestande der Pfarrgemeinde ausgegangen. Dieser Entscheidung kann sich aber der erkennende Senat nicht anschließen. Die Kirche hat die Rechtsfähigkeit der Pfarrgemeinden nie anerkannt, sie vielmehr heftig bekämpft (Schnizer a. a. O.), Der Staat hat sich im Konkordat 1933 mit dem Wegfall der rechtlichen Grundlagen der Pfarrgemeinden einverstanden erklärt, indem er der ausdrücklichen Aufhebung des Katholikengesetzes zugestimmt hat, wobei die betreffende Bestimmung (Zusatz zu Art. XXII (3)) noch besonders hervorgehoben hat, daß das Gesetz in seinem ganzen Umfang außer Kraft trete. Damit hat für das staatliche Recht die Pfarrgemeinde aufgehört zu existieren.
Eine Bestimmung, auf wen das Vermögen der Pfarrgemeinde als deren Rechtsnachfolger überzugehen hatte, ist weder im Konkordat 1933 noch im Zusatzprotokoll dazu getroffen worden. Solange aber eine solche Vermögensmasse besteht, kann sie klagen und geklagt werden. Wenn daher als beklagte Partei die nicht mehr bestehende "Pfarrgemeinde A." bezeichnet wurde, so ist damit die noch vorhandene Vermögensmasse der ehemaligen Pfarrgemeinde A. gemeint gewesen, die nur unrichtig bezeichnet wurde. Diese unrichtige Bezeichnung kann aber jederzeit von Amts wegen richtiggestellt werden (EvBl. 1957, Nr. 2, S. 12).
2. Die klagende Partei hat im Verfahren erster Instanz unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes EvBl. 1961, Nr. 377, S. 487, daß der Pfarrkirchenrat nicht legitimiert sei, die Pfarrgemeinde zu vertreten, beantragt, für die beklagte Partei einen Kurator zu bestellen. Dieser Antrag ist dann mit Rücksicht auf eine Verordnung des auch für diesen Teil des Bundeslandes Tirol zuständigen erzbischöflichen Ordinariats Salzburg vom 12. März 1961, Zl. 1674 (Verordnungsblatt der Erzdiözese Salzburg Nr. 10/1961), daß, soweit auf den Namen Pfarrgemeinde oder Pfarre ein Vermögen vorhanden ist, der Pfarrkirchenrat als gesetzlicher Vertreter und Verwalter berufen und bestellt werde, zurückgezogen worden.
Es ist daher zu untersuchen, ob durch diese Anordnung der kirchlichen Behörde die Vertretungsbefugnis des Pfarrkirchenrates für das Vermögen der Pfarrgemeinde auch nach staatlichem Recht gültig festgestellt werden konnte.
Mit Verordnung vom 31. Dezember 1877, RGBl. Nr. 5/1878, wurde bestimmt, daß die Pfarrgemeinden bis zur Erlassung des im § 37 Katholikengesetz, RGBl. Nr. 50/1874, in Aussicht gestellten Gesetzes durch die Ortsgemeinden vertreten werden. Diese Verordnung ist durch das Konkordat 1933 zwar nicht ausdrücklich aufgehoben worden, sie hat aber wohl durch die Aufhebung des Katholikengesetzes auch ihre Rechtsgrundlage verloren. Nun ist durch den Erlaß des Ministers für innere und kulturelle Angelegenheiten vom 4. Februar 1939. Z. IV- 3.305.157, betreffend die Außerkraftsetzung der staatlichen Vorschriften über die Vertretung der katholischen Pfarrgemeinden (Pfarrverbände), Verordnungsblatt Nr. 21/1939, bestimmt worden, daß das Recht und die Pflicht der (Orts-)Gemeindevertretungen und der kirchlichen Konkurrenzkomitees (Ausschüsse) zur Repräsentierung der Pfarrverbände und zur Besorgung ihrer Angelegenheiten nach Maßgabe der Spruchpraxis und eventueller gesetzlicher Bestimmungen ein Ende zu finden hat und daß die bisherigen Vertretungen der Pfarrverbände durch eigene Organe derselben zu ersetzen sein werden; es stehe hier eine Angelegenheit in Frage, deren Regelung in den Wirkungskreis der Diözesanbehörden falle. Dieser Erlaß stellt sich als Verordnung dar, da er sich an einen Adressatenkreis richtet, der nur nach Gattungsmerkmalen umschrieben ist (vgl. hiezu E. des Verfassungsgerichtshofes vom 21. März 1950, Sammlung 1908 u. a.). Gemäß § 2 des Rechtsüberleitungsgesetzes vom 1. Mai 1945, StGBl. Nr. 6, besitzt diese Verordnung noch Gültigkeit. Die Anordnungen der zuständigen kirchlichen Behörden über die Vertretung der Pfarrgemeinden bzw. des auf eine Pfarrgemeinde lautenden Vermögens, die im Jahre 1961 getroffen wurden, sind daher auch nach staatlichem Recht wirksam. Der Pfarrkirchenrat von A. ist daher der befugte Vertreter des Vermögens der ehemaligen Pfarrgemeinden.
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