Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind als weitere Kosten des Berufungsverfahrens zu behandeln.
Text
Begründung
Die am 1.12.1981 geborene Klägerin wurde am 19.4.1984 von einem vom Beklagten gehaltenen Schäferhund im Gesicht verletzt. Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte sie aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes zuletzt die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung eines Betrages von S 60.000,- s.A. (Schmerzengeld, Verunstaltungsentschädigung); überdies stellte sie ein auf Feststellung der Haftung des Beklagten für künftige Schadenersatzansprüche aus diesem Ereignis gerichtetes Feststellungsbegehren.
Die Klägerin stützte ihr Begehren dem Grunde nach im wesentlichen darauf, daß sie am 19.4.1984 vom Wohnhaus ihrer Großeltern zum allgemein zugänglichen Hof des Beklagten gegangen sei, um dort mit der vierjährigen Antonia K*** zu spielen. Während des Spielens sei sie vom Hund des Beklagten angesprungen und verletzt worden. Der Beklagte hafte gemäß § 1320 ABGB für die Folgen. Sein Hund habe die Eigenart gehabt, den im Hofbereich abgestellten PKW des Bruders des Beklagten zu bewachen. Der Beklagte hätte dafür Sorge tragen müssen, daß sich die spielenden Kinder diesem PKW nicht näherten; er hätte auch seinen Hund entsprechend verwahren müssen. Der Beklagte habe die Gefährlichkeit seines Hundes gekannt. Wenn sich auf seinem Hof fremde Personen befunden hätten, sei der Hund angeleint und mit einem Beißkorb versehen gewesen. Bei Schäferhunden handle es sich um unberechenbare Tiere, die immer wieder Kinder anfielen.
Der Beklagte wendete dem Grunde nach im wesentlichen ein, daß die Klägerin allein auf der öffentlichen Gemeindestraße vom Anwesen ihrer Großeltern zu der etwa 100 m entfernten Landwirtschaft des Beklagten gekommen sei. Sie sei zuerst in das Haus des Beklagten gegangen, von dort wiederum herausgekommen und habe sich noch einige Minuten am Parkplatz in der Nähe seines PKW aufgehalten. Sein Hund habe sich während dieser Zeit auf einer Bank an der an den Parkplatz angrenzenden Hausmauer befunden; er sei dann von dieser Bank und über einen dort befindlichen Zaun auf den Parkplatz gesprungen. Es sei möglich, daß das Kind in die Sprungrichtung des Hundes hineingelaufen sei. Es stehe auch nicht fest, daß der Hund das Kind gebissen habe; bei den Verletzungen der Klägerin handle es sich um Kratzwunden, die beim Zusammenprall mit dem Hund entstanden seien. Dieser habe die Klägerin vom Vorbeigehen auf der Straße und dergleichen gekannt. Bei solchen Begegnungen habe es nie Anstände gegeben. Es habe auch nie Schwierigkeiten mit anderen Kindern gegeben, die sich als Gäste am Hof des Beklagten aufgehalten hätten. Der Hund sei gutmütig gewesen; er habe auch nicht den PKW bewacht. Der Beklagte habe für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung seines Hundes gesorgt. Es sei in Mariapfarr üblich, daß Hunde in landwirtschaftlichen Anwesen ohne Beißkorb und unangekettet im Hofbereich und auf den Parkplätzen gehalten würden. Der Vorfall mit der Klägerin hätte sich genauso abspielen können, wenn der Hund angekettet gewesen wäre.
Das Erstgericht verurteilte den Beklagten zur Zahlung eines Betrages von S 42.000,- s.A.; das auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 18.000,- gerichtete Mehrbegehren wies es ab. Dem Feststellungsbegehren der Klägerin gab es statt.
Das Erstgericht stellte im wesentlichen folgenden für die Frage der Haftung des Beklagten dem Grunde nach bedeutsamen Sachverhalt fest:
Der Schäferrüde Arko des Beklagten wurde im Februar 1983 geworfen. Er ist als reinrassig anzusehen, hat aber keinen Stammbaum. Der Beklagte hat ihn im Alter von sechs oder sieben Wochen bekommen und hat ihn selbst aufgezogen; der Hund genoß aber keine spezielle Ausbildung. Der Beklagte hält ihn ohne Einschränkung der Bewegungsfreiheit frei vor seinem Hof.
Fanning ist ein Ortsteil von Mariapfarr und liegt am Beginn des Weißpriachtales; es besteht zum Großteil aus Bauerngehöften. Der Hof des Beklagten ist das letzte Gehöft dem Berg zu. Zum Hof führt eine Gemeindestraße, die gleichzeitig auch zwischen diesem Hof und dem Gehöft der Großeltern der Klägerin durchführt. Es ist im Gebiet von Fanning üblich, daß Hunde frei beim Hof gehalten werden. Vor dem Vorfall am 19.4.1984 trat der Hund nie nachteilig in Erscheinung. Die damals etwa zwei Jahre und vier Monate alte Klägerin war mit der Nichte des Beklagten, die auf seinem Hof lebt, befreundet. Die beiden Mädchen hatten wiederholt miteinander gespielt, wobei die Nichte des Beklagten zum anderen Anwesen hinüberkam. Es war nicht üblich, daß die Klägerin sich allein auf den Weg zum Hof des Beklagten machte.
Am 19.4.1984 lief die Klägerin nach dem Mittagessen aus dem Haus. Sie entschloß sich dann erstmals, die Nichte des Beklagten aufzusuchen. Die beiden Anwesen sind nicht eingezäunt. Der Beklagte war in seinem Obstgarten mit Baumschneiden beschäftigt. Sein Schäferhund Arko lag damals, wie sonst üblich, auf der Hausbank vor dem Haus. Der Beklagte hatte keine direkte Sicht auf seinen Hund. Er sah die Klägerin kommen und wunderte sich, daß sich der Hund nicht rührte. Kurz darauf erschienen die beiden Mädchen wieder im Gesichtskreis des Beklagten, als der Hund, ohne zu bellen, plötzlich von der Hausbank und über einen niedrigen etwa 60 cm hohen Zaun, der den Parkplatz vor dem Haus vom Garten trennt, sprang. Dabei stieß er die Klägerin um und verletzte sie im Gesicht. Es kann nicht festgestellt werden, ob es sich um eine Biß- oder Kratzverletzung oder um beides handelt.
Der Beklagte hatte bei der Hausbank eine Kette zum Anhängen des Hundes installiert. Dieser ist praktisch gemeinsam mit der Nichte des Beklagten aufgewachsen. Dem Beklagten war aufgefallen, daß der Hund etwas eifersüchtig auf seine Nichte war. Der Hund hatte auch insofern Kontakt mit anderen kleinen Kindern, als Urlaubsgäste am Hof des Beklagten kleine Kinder mitbrachten. Dabei gab es keine Anstände mit dem Hund. Wenn sich Personen dem Hof näherten, pflegte der Hund diese zu verbellen.
Aus sachverständiger Sicht eines Hundefachmannes läßt sich der Vorfall mit der Klägerin nicht erklären.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß der Beklagte als Halter des Hundes nach § 1320 ABGB für den Schaden der Klägerin verantwortlich sei, da er nicht für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung seines Hundes gesorgt habe. Die Haftung des Tierhalters sei eine verschuldensunabhängige Haftung. Dem Beklagten sei der Beweis nicht gelungen, daß er für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung seines Hundes gesorgt habe. Er habe seinen Hund überhaupt nicht verwahrt, sondern frei herumlaufen lassen. Ein Schäferhund gelte als unberechenbar und müsse daher entsprechend verwahrt werden, auch wenn er noch keinen Schaden angerichtet habe. Auch die Ortsüblichkeit, einen nicht bösartigen Hund in ländlicher Gegend frei herumlaufen zu lassen, befreie den Hundehalter nicht von der besonderen Verwahrungspflicht. Dieses Urteil wird nur vom Beklagten mit Berufung bekämpft. Mit dem angefochtenen Urteil gab das Berufungsgericht diesem Rechtsmittel Folge. Es änderte die Entscheidung des Erstgerichtes im Sinne der vollinhaltlichen Abweisung des Klagebegehrens ab. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 300.000,- nicht übersteigt und daß die Revision zulässig sei.
Das Berufungsgericht stellte nach teilweiser Beweiswiederholung ergänzend fest, daß grundsätzlich ein Schäferhund nicht gefährlicher ist als andere Hunde; es kommt darauf an, aus welcher Zucht der jeweilige Hund stammt. Das Verhalten eines Schäferhundes gegenüber kleinen Kindern ist grundsätzlich so, daß er dem Kind keine wesentliche Bedeutung beimißt, weil er sich größer und überlegen fühlt. Das Vorhandensein des PKW in der Nähe des Hundes hat wenig Bedeutung, da der Hund des Beklagten nicht darauf abgerichtet war, das Fahrzeug zu bewachen.
Rechtlich führte das Berufungsgericht im wesentlichen aus, gleichgültig, ob man die Tierhalterhaftung nach § 1320 ABGB als Verschuldenshaftung mit Umkehr der Beweislast oder als verschuldensunabhängige Erfolgs- (Gefährdungs-)haftung deute, habe der Tierhalter dann für den von vom Tier herbeigeführten Schaden nicht einzustehen, wenn ihm der Beweis gelinge, daß er für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung des Tieres gesorgt habe. Dies sei nach objektiven Kriterien zu beurteilen. Welche Verwahrung und Beaufsichtigung des Tieres erforderlich sei, hänge von den besonderen Umständen des Einzelfalles ab; dies richte sich nach der Gattung des Tieres, nach seinen Eigenschaften bzw. Eigenheiten, nach seiner Verwendung, seinem gesamten Verhalten und nach seiner Umgebung. Die Vorkehrungen müßten dem Tierhalter zumutbar sein; die Anforderungen an seine Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht dürften nicht überspannt werden. Die Anlegung eines derart strengen Maßstabes an die Verwahrungspflicht des Tierhalters, die diesem die Haltung gutmütiger Haustiere unmöglich mache und einer Erfolgshaftung nahekäme, könne nicht verlangt werden. Die Verwahrungspflicht erstrecke sich daher auf jene Maßnahmen, die nach den dem Tierhalter bekannten oder doch erkennbaren Eigenschaften des Tieres erforderlich seien und nach der Verkehrsauffassung vernünftigerweise erwartet werden könnten. Je größer die Schadensmöglichkeit durch das Tier sei, um so strengere Anforderungen müßten gestellt werden. Eine wesentliche Rolle spiele auch, ob das Tier mit Kindern in Kontakt kommen könne, die durch ihre eigene Unberechenbarkeit und mangelnde Einsicht die von einem Tier ausgehende typische Gefahr noch zusätzlich vergrößern könnten. Auch gutmütige Tiere könnten durch ihre von Trieben und Instinkten gelenkten Bewegungen, die nicht durch Vernunft kontrolliert würden, Schaden stiften. Die aus der Größe und Kraft eines Hundes entspringende Gefährlichkeit sei nicht das einzige Kriterium für die erforderliche Verwahrung. Gutmütige Hunde dürften zwar grundsätzlich in Haus und Hof frei herumlaufen; in der Nähe von kleinen Kindern sei aber auch bei gutmütigen Hunden besondere Vorsicht geboten, da durch einen unbeaufsichtigten Hund stets eine Gefährdung von Kindern gegeben sei, weil das Verhalten der Kinder Tieren gegenüber ebenso unberechenbar sei wie die Reaktion der Tiere darauf. Dem Beklagten sei der Beweis für die im konkreten Fall erforderliche Beaufsichtigung und Verwahrung seines Schäferhundes gelungen. Entscheidend sei,daß sein Hund mit seiner kleinen Nichte aufgewachsen sei und schon Kontakt mit anderen Kindern gehabt habe, ohne daß es je Anstände gegeben habe, sodaß von der Gutmütigkeit des Hundes bis zum Vorfall am 19.4.1984 ausgegangen werden müsse. Der Beklagte habe seinen Hund daher nach Maßgabe der Ortsüblichkeit in seinem Haus und Hof frei herumlaufen lassen dürfen, ohne damit eine Beaufsichtigungs- und Verwahrungspflicht zu verletzen. Der Beklagte habe die damals etwa zwei Jahre und vier Monate alte Klägerin zu seinem Haus kommen gesehen und er habe gewußt, daß sein Hund auf der Hausbank vor dem Haus gelegen sei. Er sei selbst im Obstgarten mit dem Baumschneiden beschäftigt gewesen und die Klägerin sei in Begleitung seiner Nichte, die mit seinem Hund aufgewachsen sei, in sein Blickfeld gekommen, als der Hund, ohne zu bellen, von der Hausbank und über den etwa 60 cm hohen Zaun zwischen Garten und Parkplatz gesprungen sei und dabei die Klägerin umgestoßen und im Gesicht verletzt habe. Bei den Besonderheiten dieses Einzelfalles - der Beklagte habe ja die beiden Kinder in seinem Gesichtsfeld gehabt - hätte der Beklagte sofort eingreifen können, wenn sich die Kinder dem Hund genähert hätten und damit ein unberechenbares Verhalten der Kinder gegenüber dem Hund oder eine entsprechende Reaktion des Hundes zu erwarten gewesen wäre. Man würde die Anforderungen an seine Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht überspannen, wenn man verlangte, daß er schon beim Erscheinen der Klägerin oder dann beim Wiedererscheinen der beiden Mädchen den Hund anketten oder mit einem Beißkorb versehen hätte müssen. Von einer Verletzung der erforderlichen Verwahrung könnte allenfalls dann gesprochen werden, wenn der Hund beim Erscheinen der Klägerin oder der beiden Mädchen unruhig geworden wäre oder sich die Mädchen dem Hund genähert hätten. Dies sei aber nicht der Fall gewesen. Im vorliegenden Fall sei die Haftung des Beklagten als Tierhalter für Schäden der Klägerin zu verneinen, weil er die im konkreten Fall erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung seines Hundes nachgewiesen habe. Seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision begründete das Berufungsgericht damit, daß die Rechtsprechung über das Maß der Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht von Haustieren nur aus beispielhaften Einzelfällen gebildet werden könne.
Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin. Sie bekämpft sie aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Der Beklagte hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, allenfalls ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen der in der Revisionsbeantwortung des Beklagten vertretenen Rechtsmeinung zulässig. Bei der Rechtsfrage, ob in der bloßen Anwesenheit des Beklagten in der Nähe der Kinder und des Hundes ohne weitere Zugriffsmöglichkeit eine Verwahrung oder Beaufsichtigung des Tieres im Sinne des § 1320 zweiter Satz ABGB gesehen werden kann, handelt es sich um eine solche im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO.
Auch sachlich kann der Revision Berechtigung nicht abgesprochen werden.
Nach § 1320 zweiter Satz ABGB ist der Tierhalter für den durch das Tier angerichteten Schaden verantwortlich, wenn er nicht beweist, daß er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung gesorgt hat. Die Bestimmung des Maßes der erforderlichen Beaufsichtigung und Verwahrung hat in den Umständen des Einzelfalles Rechnung tragender Weise zu erfolgen. Maßgebend dafür ist insbesondere die Gefährlichkeit des Tieres nach seiner Art und Individualität, die Möglichkeit der Schädigung durch das spezifische Tierverhalten und die Abwägung der Interessen (SZ 55/62; JBl 1982,150; 1 Ob 513/86 ua.). Dabei spielt eine wesentliche Rolle, in welchen besonderen Verhältnissen sich das Tier befindet, insbesondere etwa, ob es mit anderen Menschen in Kontakt kommt oder kommen kann und ob sich darunter auch Kinder befinden, die durch ihre eigene Unberechenbarkeit und mangelnde Einsicht die von einem Tier ausgehende typische Gefahr noch zusätzlich vergrößern können (JBl 1982,150; 1 Ob 513/86). In der Nähe von kleinen Kindern ist auch bezüglich gutmütiger Hunde für den Halter besondere Vorsicht geboten (Reischauer in Rummel, ABGB, § 1320 Rz 18 mwN). Wenn auch nach den gegebenen Umständen ansonsten keine besondere Verwahrung eines Tieres erforderlich ist, wie etwa bei einem gutmütigen Hund im ländlichen Raum innerhalb eines Anwesens (SZ 25/278 ua), so bedeutet dies nicht die Entbindung des Halters von jeder Verwahrungspflicht (JBl 1985,679).
Wenn im vorliegenden Fall der Beklagte seinen gutmütigen Hund innerhalb seines Anwesens üblicherweise frei umherlaufen ließ, so mag dies nach den dargestellten Grundsätzen keinen Verstoß gegen seine Verwahrungspflicht bedeuten, solange nicht besondere Verhältnisse eine andere Vorgangsweise erforderten. Solche besondere Verhältnisse lagen aber vor, als die damals noch nicht einmal dreijährige Klägerin allein im Anwesen des Beklagten erschien und sich zusammen mit der Nichte des Beklagten - gleichfalls einem Kleinkind - in die Nähe des frei auf der Hausbank liegenden Schäferhundes begab. Abgesehen davon, daß nach den dargestellten rechtlichen Grundsätzen auch für den Halter eines gutmütigen Hundes ganz allgemein besondere Vorsicht erforderlich ist, wenn sich Kleinkinder in seiner Nähe aufhalten, war dem Beklagten nach den Feststellungen der Vorinstanzen auch aufgefallen, daß der Hund auf seine Nichte etwas eifersüchtig war. Beim Hund des Beklagten handelte es sich der Rasse nach um ein Tier, das bei aller Gutmütigkeit durchaus in der Lage war, schon auf Grund seiner Größe und seiner Kraft kleine Kinder zu gefährden. Unter diesen besonderen Umständen kann nicht mehr davon ausgegangen werden, daß der Beklagte seiner Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht im Sinne des § 1320 ABGB schon dadurch genügt hätte, daß er seinen gutmütigen Hund innerhalb seines Anwesens frei umherlaufen ließ, mag dies auch im ländlichen Raum durchaus üblich sein. Der Beklagte war vielmehr unter den gegebenen Umständen gehalten, dafür Sorge zu tragen, daß die beiden Kinder durch den Hund nicht gefährdet werden konnten. Verwahrung und Beaufsichtigung im Sinne des § 1320 ABGB setzt eine konkrete Möglichkeit des Halters voraus, auf das Verhalten seines Tieres einzuwirken. Dies mag durch vorsorgliche Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Tieres (Einsperren, Anleinen), durch vorbeugende Maßnahmen gegen Bißverletzungen (Verwendung eines Maulkorbes), unter Umständen auch bei entsprechenden Eigenschaften des Tieres dadurch geschehen, daß sich der Tierhalter in solcher Nähe des Tieres aufhält, daß er sofort tätlich eingreifen oder das Verhalten des Tieres durch Befehle beeinflussen kann, von denen er weiß, daß ihnen das Tier auch gehorcht. In irgendeiner Weise muß sich aber der Halter eine konkrete Möglichkeit vorbehalten oder schaffen, das Verhalten seines Tieres wirkungsvoll zu beeinflussen, wenn er dem Begriff der Verwahrung oder Beaufsichtigung im Sinne des § 1320 ABGB gerecht werden will.
Davon war aber im vorliegenden Fall nach dem festgestellten Verhalten des Beklagten keine Rede. Es spielt dabei keine Rolle, ob der Beklagte direkte Sicht auf die Kinder und den Hund hatte oder ob er beim Baumschneiden auf dem Erdboden oder auf einem Baum stand. Entscheidend ist, daß der Beklagte wußte, daß sich zwei Kleinkinder in der Nähe seines in seiner Bewegungsfreiheit nicht beschränkten und mit keinem Maulkorb versehenen Hundes befanden, ohne irgendwelche Maßnahmen im aufgezeigten Sinn zu ergreifen, um damit sicherzustellen, daß eine Gefährdung der beiden Kleinkinder durch den Hund unterblieb. Er hatte keine Möglichkeit, die Verletzung der Klägerin durch den Hund durch tätliches Eingreifen zu vermeiden und hat nicht einmal versucht, das Verhalten seines Hundes, das zur Verletzung der Klägerin führte, durch irgendwelche Befehle zu beeinflussen.
Unter diesen Umständen kann aber entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes keine Rede davon sein, daß der Beklagte im Sinne des § 1320 ABGB den Beweis erbracht hätte, für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung seines Hundes gesorgt zu haben. Auf Grund der beim Beklagten vorauszusetzenden Einsicht (§§ 1297, 1299 ABGB) in die mit der Hundehaltung verbundenen Gefahren ist ihm das Unterlassen erforderlicher Maßnahmen auch subjektiv vorzuwerfen, sodaß es keines Eingehens auf die Frage bedarf, ob der Halter eines Tieres auch dann haftet, wenn die erforderlichen Maßnahmen schuldlos unterbleiben (siehe dazu Koziol-Welser, Grundriß7 I 421 FN 198 mwN; JBl 1982,150; 1 Ob 513/86).
Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes ist somit die Haftung des Beklagten für die Folgen der Verletzung der Klägerin durch seinen Hund am 19.4.1984 dem Grunde nach zu bejahen. Da das Berufungsgericht, ausgehend von seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht, zur Berufung des Beklagten nicht Stellung genommen hat, soweit sie die Berechtigung und Höhe der einzelnen Leistungsansprüche und das Feststellungsinteresse betrifft, war in Stattgebung der Revision der Klägerin das angefochtene Urteil aufzuheben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung des Beklagten aufzutragen.
Der Vorbehalt der Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.
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