European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00531.85.0523.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit S 3.053,50 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Barauslagen S 100,‑, die USt. S 268,50) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile schlossen am 1. 8. 1959 ihre Ehe. Sie haben keine Kinder. Beide sind österreichische Staatsbürger.
Der Kläger begehrte die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden der Beklagten. Er warf der Beklagten eine Vielzahl von Eheverfehlungen vor.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie stellte im Berufungsverfahren des zweiten Rechtsganges hilfsweise einen Mitschuldantrag, da den Kläger das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe.
Das Erstgericht wies ebenso wie im ersten Rechtsgang auch im zweiten Rechtsgang das Scheidungsbegehren ab. Es traf folgende Feststellungen:
Die Streitteile waren etwa ein Jahr verheiratet. Der Kläger grüßte eine Frau, mit der die Beklagte kurz vorher einen Streit hatte. Er kannte die Leute im Haus nicht und grüßte daher jeden. Die Beklagte bedachte den Kläger mit den ordinärsten Schimpfworten „du bist kein Mann, du Arschloch, du hältst nicht zu mir“. Es war so arg, daß der Kläger einen Schock erlitt und in den Park ging, um sich zu erholen. Er weinte dabei. Dann ging es einige Monate wieder gut. Die Beklagte beschimpfte in Abständen von einigen Wochen oder Monaten immer wieder den Kläger mit Ausdrücken wie „du Gfrast, du Hund, du Arschloch und auch glatzertes Arschloch“. Das ging so weiter, bis er im Jänner 1979 aus der ehelichen Wohnung auszog und mit Gertrude S* ein eheähnliches Verhältnis einging. Zuerst beschimpfte der Kläger die Beklagte nicht, dann aber schimpfte auch er als Reaktion auf das Verhalten der Beklagten.
Als beide fünf oder acht Jahre verheiratet waren, hatte die Beklagte mit ihrem Bruder und ihrer Schwägerin im Waldviertel einen Streit. Als sie zurückfuhren, hatten die Streitteile eine Debatte. Da der Kläger nicht ganz der Meinung der Beklagten war, griff die Beklagte ‑ beide fuhren in einem kleinen Steyr Puch 500 ‑ von hinten in das Lenkrad und wollte den Wagen verreißen. Der Kläger konnte aber die Spur halten.
Beide Streitteile haben bei Krems ein Häuschen. Dort warf die Beklagte einmal dem Kläger das Werkzeug nach. Und vor etwa 18 Jahren, als die beiden noch in Pötzleinsdorf wohnten, warf sie dem Kläger das Gewand nach und sagte zu ihm, er solle verschwinden, das sei ihre Wohnung.
Die Beklagte begann vor etwa 15 Jahren, dem Kläger Gegenstände nachzuwerfen. Drei bis vier Jahre bevor er auszog, warf sie ihm eine Uhr nach. Einmal warf die Beklagte dem Kläger auch Nachtkasteln nach.
Im März 1978 sagte die Beklagte dem Kläger, sie hätte einen Mann gefunden, mit dem sie alles besprechen könne. Sie war drei Monate lang fast jeden Tag bei diesem drogensüchtigen Mann und kam jeweils um 22.00 Uhr nach Hause. Sie ließ den Kläger damals zu Weihnachten und zu Sylvester allein. Der Kläger gab eine Annonce in die Zeitung auf, mit welcher er eine Kameradin suchte. Er lernte Frau S* kennen und zog im Jänner 1979 in deren Wohnung nach Greifenstein. Er lebte dort mit dieser drei Jahre lang. Die Beklagte hatte mit dem drogensüchtigen Mann kein Verhältnis, sie pflegte ihn nur, weil sie Heimhelferin ist. Sie wollte den Kläger ärgern und erzählte ihm, dieser Mann hätte sich sogar ihre „Tage“ aufgeschrieben, weil er wisse, daß der Kläger gereizt sei. Der Kläger wußte, daß das nicht stimme. Die Beklagte sagte, sie sei froh, wenn sie den Kläger loswerde. S* solle ihn ruhig nehmen.
Dem Kläger gegenüber schimpfte die Beklagte über seine Mutter. Sie bezeichnet sie mit „alten Geizkragen, das Rabenvieh“. Die Beklagte bewirtete aber auch seine Mutter, wenn sie auf Besuch kam.
3 bis 4 Jahre vor dem Auszug aus der ehelichen Wohnung sagte die Beklagte zum Kläger, sie bringe ihn am liebsten um, es wäre ihr schönster Tag, wenn er nach einem Unfall im Rollwagerl fahren müßte.
Im Rahmen seiner Beweiswürdigung stellte das Erstgericht doch verschiedentliche Verhaltensweisen der Beklagten dahin fest, daß sie sehr aggressiv war, oft auf den Kläger mit den Fäusten losging, ihn schlug, dem Kläger anlastete, homosexuell zu sein und ihm sein „Pimperl‑Gehalt“ vorhielt. Andererseits ließ der Kläger die Beklagte an vielen Wochenenden allein und begann so ausgiebig zu basteln, daß sich die Beklagte vernachlässigt fühlte. Schließlich stellte das Erstgericht noch gegenseitige Bosheiten der Streitteile nach dem Auszug des Klägers aus der gemeinsamen Wohnung fest.
Während das Erstgericht das Scheidungsbegehren bei Berücksichtigung der vom Kläger selbst gesetzten Eheverfehlungen als sittlich nicht gerechtfertigt ansah, nahm das Berufungsgericht einen gegenteiligen Standpunkt ein:
Es gab der Berufung des Klägers Folge und schied die Ehe der Streitteile aus deren beiderseitigen Verschulden. Aus den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen sei jedenfalls erkennbar, daß die Eheverfehlungen ein gegenseitiges aggressives Verhalten waren, das in der Streitsucht der Beklagten ihren Ausgang nahm und schließlich im Auszug des Klägers aus der ehelichen Wohnung zu Frau S* ihren Höhepunkt fand. Der Kläger sei berechtigt gewesen, sich auf die unmittelbar vor dem Auszug der ehelichen Wohnung im Jänner 1979 von der Beklagten gesetzten Eheverfehlungen zu stützen, weil der Sechsmonatsfrist zur Geltendmachung des Scheidungsbegehrens durch die Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft gehemmt war. Die Beschimpfungen des Klägers durch die Beklagte mit Ausdrücken wie „Gfrast, du Hund, du Arschloch und du glatzertes Arschloch“ seien nicht verjährt, weshalb gemäß § 59 Abs. 2 EheG die von der Beklagten gesetzten früheren Eheverfehlungen zur Unterstützung der Scheidungsklage herangezogen werden könnten.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Beklagten aus den Anfechtungsgründen des § 503 Abs. 1 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die Beklagte, die in erster Instanz voll obsiegte, weil das Scheidungsbegehren abgewiesen wurde, bekämpft nunmehr mit Revision verschiedentliche Feststellungen des Erstgerichtes. Die Frage, ob sie dazu nach dem Ausbau der Berufungsmitteilung zur Berufungsbeantwortung zur Verbesserung des rechtlichen Gehörs des Berufungsgegners durch die Zivilverfahrensnovelle 1983 berechtigt ist, kann auf sich beruhen. Betrachtet man nämlich jene Feststellungen des Erstgerichtes, die von der Revision nicht bekämpft werden, in ihrem Zusammenhang, reichen diese völlig aus, um das Urteil des Berufungsgerichtes zu bestätigen:
Danach steht fest, daß die Beklagte in Abständen von einigen Wochen oder Monaten immer wieder den Kläger schwerstens beschimpfte und dabei Ausdrücke verwendete, wie sie auf Seite 8 des erstgerichtlichen Urteils wiedergegeben sind. Dies ging ‑ nach den unbekämpft gebliebenen Feststellungen der Vorinstanzen ‑ „so weiter, bis der Kläger im Jänner 1979 aus der ehelichen Wohnung auszog“. Diese zweifellos schweren Eheverfehlungen der Beklagten waren ‑ wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte ‑ demnach bei Einbringung der Scheidungsklage am 10. 7. 1979 gemäß § 57 EheG nicht verjährt. Nach § 59 Abs. 2 EheG konnten daher auch die früheren Eheverfehlungen der Beklagten zur Unterstützung der Scheidungsklage geltend gemacht werden. Davon blieben wiederum ganz wesentliche Feststellungen der Vorinstanzen unbekämpft und zwar:
Die Beschimpfungen des Klägers durch die Beklagte waren so stark, daß er einmal einen Schock erlitt und weinte. Ein anderes Mal griff die Beklagte im Streit von hinten in das Lenkrad des Steyr Puch 500, um den Wagen zu verreißen. In ihrem Haus in Krems warf die Beklagte dem Kläger Werkzeuge nach, hieß ihn auch in einem früheren Fall aus der Wohnung in Pötzleinsdorf verschwinden. Drei bis vier Jahre vor dem Auszug des Klägers warf ihm die Beklagte eine Uhr nach, was ‑ nicht anders können die Feststellungen des Erstgerichtes verstanden werden ‑ seit 15 Jahren zu ihren Gepflogenheiten gehörte. Auch ein Nachtkästchen wurde zu diesem Zweck verwendet. Nicht ganz ein Jahr vor dem Auszug des Klägers aus der ehelichen Wohnung erklärte die Beklagte, sie habe einen Mann gefunden, mit dem sie alles besprechen könne. Sie pflegte ‑ nach den Feststellungen ‑ diesen Mann bloß deshalb, weil er drogensüchtig war und der Hilfe bedürfte, kam aber nichtsdestoweniger drei Monate lang fast jeden Tag erst jeweils um 22.00 Uhr nach Hause und ließ den Kläger damals zu Weihnachten und Sylvester allein. Um den Kläger zu ärgern, erzählte sie ihm, daß dieser Mann sich sogar ihre Tage aufgeschrieben habe. Schließlich erklärte sie, sie sei froh, daß sie Kläger loswerde. Sie beschimpfte auch seine Mutter und sagte schon drei bis vier Jahre vor dem Auszug des Klägers zu diesem, sie bringe ihn am liebsten um, es wäre ihr schönster Tag, wenn er nach einem Unfall im Rollwagen fahren müßte.
Alle diese Feststellungen des Erstgerichtes blieben von der Beklagten auch im Revisionsverfahren unbekämpft. Sie wandte sich hier zwar ausführlich, aber im Kern lediglich dagegen, daß dem Benehmen des Klägers auf seinem Arbeitsplatz in der Sternwarte und dem dortigen angeblichen homosexuellen Klima zu wenig Beachtung geschenkt worden sei. Die Vorwürfe homosexueller Beziehungen seien nach Ansicht der Beklagten durchaus gerechtfertigt gewesen. Weiters verwies die Beklagte darauf, daß sie sich wegen des Mannes als Heimhelferin ein kärgliches Einkommen verschaffen mußte und Jahre nach dem Auszug des Klägers aus der gemeinsamen Wohnung bei einer Erkrankung von ihm weder betreut noch gepflegt wurde. Der Kläger habe sie die Prozesse mit den Nachbarn in Imbach allein austragen lassen. Sie habe rostiges Eisen und Drähte, die der Kläger ‑ offenbar aus seiner Bastelleidenschaft ‑ in das Haus geschafft habe, auf Klage eines Nachbarn wegschaffen müssen. Schließlich habe sie der Kläger wissentlich ehewidriger Beziehungen bezichtigt.
Der Beklagten ist jedoch zu all dem entgegenzuhalten, daß ‑ selbst unter der Annahme der Richtigkeit ihrer Ausführungen ‑ damit ihre eigenen schweren Eheverfehlungen nicht aus der Welt geschafft werden. Die Vielzahl und Schwere der Verstöße gegen ein harmonisches Zusammenleben in der Ehe ist im Vergleich mit dem durchaus als Reaktion darauf zu sehenden Auszug des Klägers aus der gemeinsamen Wohnung und Hinwendung zu einer anderen Frau weder zu übersehen noch zu vernachlässigen. Fraglich könnte daher nur sein, ob das Verschulden eines der beiden Streitteile überwiegt. Zu dieser Beurteilung ist aber einerseits das Gesamtverhalten der Ehegatten zueinander maßgebend und andererseits zu beachten, daß der Ausspruch nach § 60 Abs. 2 ABGB über das Überwiegen der Schuld eines Ehegatten nur zulässig ist, wenn dessen Verschulden „erheblich schwerer“ ist als das des anderen Ehegatten (EFSlg. 34.042; Schwind Kommentar zum Österreichischen Eherecht2 251). Es muß das Verschulden des anderen Teiles fast völlig in den Hintergrund treten (EFSlg. 34.044; 8 Ob 516, 517/84 u.z.a.; Schwind in Klang 2 I/1 837). Dies kann aber im vorliegenden Fall für die Beklagte, wie schon ausgeführt wurde, selbst bei Annahme der Richtigkeit der von ihr im Revisionsverfahren erhobenen Behauptungen, nicht gesagt werden.
Soweit die Beklagte dem Berufungsgericht vorwirft, von den Feststellungen des Erstgerichtes deshalb abgegangen zu sein, weil das Gericht zweiter Instanz die erstgerichtlichen Feststellungen in einem chronologischen Zusammenhalt sah, vermag die bloß ordnende Zusammenfassung der im übrigen unbelassen gebliebenen Feststellungen des Erstgerichtes durch das Berufungsgericht die Berechtigung des Vorwurfes der Beklagten nicht darzutun. Im übrigen räumt die Beklagte selbst ein, daß die Ärzte vermeinen, für ihre Gehirnblutung könnten auch andere Möglichkeiten als eine aggressive Behandlungsweise durch den Kläger in Frage kommen. Wenngleich schließlich zusammenfassend der Beklagten zuzustimmen ist, daß die Untreue eines Ehegatten gegenüber dem anderen eine überaus schwere Eheverfehlung darstellt, kann im vorliegenden Fall nicht übersehen werden, daß auch das Verhältnis der Beklagten zu dem drogensüchtigen Mann, der sich nach ihrer Darstellung sogar um ihre Regeltage kümmerte, mit den übrigen Begleiterscheinungen dieser Pflege eine schwere Eheverfehlung darstellte. Die bereits oben zusammengefaßten Argumente der Beklagten vermögen demgegenüber nicht zu überzeugen. Ihrer Revision war somit der Erfolg zu versagen.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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