OGH 8Ob52/87

OGH8Ob52/8725.6.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner und Dr. Huber als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef H***, Angestellter, Straßhof, Flugfeldstraße 93, vertreten durch Dr. Herbert Stegmüller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Ilona Z***, Angestellte, Wien 3., Bahngasse 6/5/19, und 2.) E*** A*** V***-A***, Wien 1.,

Brandstätte 7-9, beide vertreten durch Dr. Johannes Eltz, Dr. Herbert Gartner, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 356.350,-- s.A., infolge außerordentlicher Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 7. Jänner 1987, GZ 16 R 298/86-16, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 29. August 1986, GZ 6 Cg 760/85-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die im übrigen unberührt bleiben, werden in der Hauptsache und im Kostenpunkt dahin abgeändert, daß das Begehren, wonach die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand schuldig seien, dem Kläger eine monatliche Rente von S 1.500,--, beginnend ab 13. Juni 1986, zu bezahlen, und zwar die bisher fälligen Beträge binnen 14 Tagen, die weiteren Beträge jeweils am Ersten eines jeden Monates im vorhinein,

abgewiesen wird.

Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger an Kosten des Verfahrens erster Instanz S 32.269,42 (darin an Barauslagen S 7.672,07 und an Umsatzsteuer S 2.236,12) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Der Kläger ist schuldig, den Beklagten je zur Hälfte an Kosten des Berufungsverfahrens S 2.953,77 (darin an Barauslagen S 1.009,-- und an Umsatzsteuer S 176,79) und die mit S 8.112,73 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Barauslagen von S 5.000,-- und die Umsatzsteuer von S 282,98) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger wurde am 12. September 1983 als Motorradfahrer bei einem von der Erstbeklagten als Lenkerin eines bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW allein verschuldeten Verkehrsunfall schwer verletzt. Er begehrte von den Beklagten zunächst die Bezahlung von S 256.350,-- s.A. und stellte ein mit S 100.000,-- bewertetes Feststellungsbegehren. Infolge Teilzahlung schränkte er das Leistungsbegehren auf S 220.000,-- s.A. ein. Weiters verlangte er eine monatliche abstrakte Rente von S 1.500,--. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit S 190.000,-- statt, erkannte auch das Feststellungsbegehren als berechtigt und sprach dem Kläger die geltend gemachte abstrakte Rente von S 1.500,-- monatlich, beginnend ab 13. Juni 1986, zu. Das Mehrbegehren wies es ab. Zum allein noch strittig gebliebenen Begehren auf Bezahlung der abstrakten Rente stellte das Erstgericht fest:

Der Kläger erlitt bei dem Verkehrsunfall einen Riß des vorderen Haltebandapparates mit Sprengung der Kreuz-, Darmbeingelenke, Risse des vorderen Kreuzbandes und inneren Seitenbandes im rechten Kniegelenk, eine Rißquetschwunde am rechten Knie, einen Speichenbruch links, zahlreiche Hautabschürfungen und Blutergüsse, vor allem am rechten Unterschenkel. Im derzeitigen Zeitpunkt sind alle Unfallsverletzungen ausgeheilt. Beschwerden nach längerer Belastung treten auf, sind aber in weiterer Zukunft besserungsfähig. Das Kniegelenk ist wieder bandstabil; es besteht eine geringgradige Beugebehinderung, die als Endzustand anzusehen ist. Der Speichenbruch ist geheilt mit einer geringen Fehlstellung, wodurch eine Beweglichkeitsbehinderung im linken Handgelenk besteht. Diesbezüglich ist eine wesentliche Besserung nicht mehr zu erwarten. Da der Speichenbruch mit geringer Verkürzung der Speiche geheilt ist, besteht auch ein geringgradiger Ellenvorschub, dadurch könnten in weiterer Zukunft Verschlechterungen eintreten. Als Dauerfolgen sind eine Beugebehinderung des rechten Kniegelenkes und eine solche im linken Handgelenk mitanzusehen. Spätfolgen können nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Derzeit besteht eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 % nach den Richtsätzen der Sozialversicherung.

Der Kläger war zum Zeitpunkt des Unfalles bei der Prägeanstalt M. S*** in 1050 Wien, Bräuhausgasse Nr. 37 beschäftigt, und zwar vom 16. März 1981 bis 24. Februar 1984. Er war zunächst als Buchdrucker aufgenommen worden und wurde dann speziell für den Betrieb als Präger ausgebildet. Er war zwar bei der Firma als Arbeiter beschäftigt; es bestand jedoch die konkrete Absicht, den Kläger, der nach seiner Einschulung die fachliche Qualifikation aufgewiesen hatte, ins Angestelltenverhältnis als Betriebsleiter zu übernehmen. Darüber war zwischen dem Kläger und der Gesellschafterin der Firma M. S***, Gertrude G***, bereits vor dem Unfall gesprochen worden. Er sollte mit der Übernahme als Abteilungsleiter ein höheres Gehalt, nämlich S 16.500,-- monatlich beziehen. Die Firma M. S*** hatte im Jahre 1983/84 ca. 15 oder 16 Beschäftigte und zwar sowohl Arbeiter als auch Angestellte. Auch in der für den Kläger vorgesehenen Funktion als Abteilungsleiter hätte der Kläger körperliche Arbeiten in etwa der Art zu leisten gehabt, wie er sie vor dem Unfall erbracht hatte. Die Arbeit als Präger ist insoweit schwer, als schwere Rahmen, in denen die Prägeplatten liegen, in die Prägemaschinen hinein- und herausgehoben werden müssen.

Die Firma M. S*** hatte nach dem Unfall des Klägers ein halbes Jahr lang darauf gewartet, daß dieser wieder in die Firma zurückkehrt. Der Kläger arbeitete dann auch noch tatsächlich einige Tage in der Firma M. S***. Es stellte sich jedoch heraus, daß es dem Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich war, die von der Firma S*** geforderten Arbeiten zu erbringen. Der Kläger ist nunmehr seit 21. Februar 1985 in dem Druckereiunternehmen L*** als Buchdrucker beschäftigt. Dieser Betrieb umfaßt nur 7 Leute, davon einen Abteilungsleiter, wobei dieser Posten besetzt ist. Es besteht für den Kläger unter diesen Umständen keine Möglichkeit, jemals ins Angestelltenverhältnis als Betriebsleiter übernommen zu werden; er hat lediglich die Möglichkeit, weiterhin als Buchdrucker tätig zu sein. Der Kläger hatte zunächst bei Antritt seines Dienstverhältnisses bei der Firma L*** von seinem Unfall und der daraus resultierenden Behinderung keine Mitteilung gemacht. Durch ein Schreiben der AUVA ist allerdings dem Arbeitgeber nunmehr diese Behinderung bekannt. Der Kläger hatte sich nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei der Firma S*** bewußt eine Firma gesucht, die seinen körperlichen Beeinträchtigungen arbeitsgemäß entgegen kommt. Die von ihm nunmehr ausgeübte Tätigkeit im Rahmen der Druckerei L*** bietet ihm die Möglichkeit, auch weniger schwere körperliche Arbeit zu leisten, als dies bei der Firma M. S*** der Fall war; insbesondere hat er auch die Möglichkeit, bei größeren Aufträgen die Überwachung der Maschine sitzend durchzuführen.

Der Kläger bezieht bei der Firma L*** einen Bruttolohn von S 15.124,-- + S 800,-- Prämie, was netto S 10.928,-- ergibt. Bei der Firma S*** hatte er im wesentlichen denselben Verdienst gehabt. Einen Verdienstausfall erleidet der Kläger derzeit nicht. Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß dem Kläger die geltend gemachte abstrakte Rente gebühre. Er habe eine dauernde Minderung der Erwerbsfähigkeit erlitten und müsse sich vermehrt anstrengen, um seine frühere Arbeit zu leisten, wodurch seine Arbeitskraft einem erhöhten Verschleiß ausgesetzt sei. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Das Gericht zweiter Instanz vertrat die Auffassung, daß sowohl die Ausgleichs- als auch die Sicherungsfunktion der abstrakten Rente gegeben seien. Es sei richtig, daß der Kläger Kündigungsschutz nach dem Invalideneinstellungsgesetz genieße, "doch wäre es unrichtig, anzunehmen, ein begünstigter Invalide hätte einen der Pragmatisierung vergleichbaren gesicherten Arbeitsplatz". Da das Berufungsgericht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes folge, sei die Revision nicht zuzulassen.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten insoweit, als dem Kläger eine abstrakte Rente von monatlich S 1.500,-- zugesprochen wurde. Beantragt wird die Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahin, daß das Begehren auf Bezahlung der abstrakten Rente abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, deren Erstattung ihm anheimgestellt wurde, der außerordentlichen Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht die nachangeführte Judikatur des Obersten Gerichtshofes nicht berücksichtigte. Sie ist auch berechtigt:

Nach ständiger Rechtsprechung bildet die abstrakte Rente eine Ausnahme für jene Härtefälle, in denen der Verletzte trotz eines körperlichen Dauerschadens leer ausgehen müßte, weil ihm zufällig und vorläufig kein ziffernmäßig erfaßbarer Verdienstentgang erwachsen ist. Da der Zuspruch einer solchen Rente seine Grundlage in der Bestimmung des § 1325 ABGB hat, wonach der Schädiger bei Eintritt eines Dauerschadens des Geschädigten diesem auch den künftig entstehenden Verdienstentgang zu ersetzen hat, muß ein innerer Zusammenhang mit einem tatsächlichen Verdienstentgang gewahrt bleiben. Es genügt daher für den Anspruch auf eine solche Rente nicht eine Minderung der Erwerbsfähigkeit schlechthin oder eine bloße Erschwernis der Arbeit. Es muß vielmehr eine Einkommensminderung wegen der unfallbedingten Verletzungen nach den konkreten Umständen des Einzelfalles zu erwarten oder doch wahrscheinlich sein (SZ 40/173; EvBl. 1970/361; 8 Ob 177/76; 8 Ob 166/77; 8 Ob 5/81; 8 Ob 73/83; 8 Ob 44/84 ua). Die abstrakte Rente hat nicht nur eine Ausgleichs-, sondern auch eine Sicherungsfunktion. Sie gebührt daher nicht, wenn sie im Einzelfall nur eine dieser Aufgaben erfüllt, sondern erst, wenn beide Voraussetzungen für den nach Schluß der Verhandlung in erster Instanz liegenden Zeitraum bejaht werden können (8 Ob 8/81; ZVR 1982/270; 8 Ob 73/83; 8 Ob 205/83 ua). Haben die Unfallsfolgen zu keiner Erwerbseinbuße des Geschädigten geführt, dann liegt es an ihm, konkrete Umstände zu behaupten und zu beweisen, die den Verlust seines Arbeitsplatzes und eine damit verbundene Einkommenseinbuße wahrscheinlich machen könnten; eine nicht ausschließbare allgemeine Möglichkeit künftiger Einkommenseinbußen genügt in diesem Zusammenhang nicht (ZVR 1977/232; 8 Ob 166/77; 8 Ob 184/78; 8 Ob 28/79; 8 Ob 5/81; 8 Ob 73/83; 8 Ob 205/83; 8 Ob 44/84 ua). Geht man von diesen rechtlichen Grundsätzen aus, dann ergibt sich, daß die Vorinstanzen dem Begehren des Klägers auf Zahlung einer abstrakten Rente zu Unrecht stattgegeben haben:

Der bereits vorgenommene Wechsel des Arbeitsplatzes durch den Kläger von der Prägeanstalt M. S*** zum Druckereiunternehmen L*** scheidet aus den Erwägungen zur allfälligen Gewährung einer abstrakten Rente aus, weil es sich hiebei selbst im Falle einer dabei erlittenen finanziellen Einbuße nur um einen konkreten Verdienstentgang handeln könnte. Dem Verletzten steht aber nicht die Wahl zu, entweder den konkreten Verdienstentgang ersetzt zu verlangen oder eine abstrakte Rente zu fordern (JBl. 1966, 566; EvBl. 1971/179; 8 Ob 71, 72/79; 8 Ob 99/83; 8 Ob 205/83 ua). Begehrt der Kläger den Zuspruch einer abstrakten Rente, so kommt nach ständiger Rechtsprechung der Zuspruch einer Rente wegen eines konkreten Verdienstentganges nicht in Betracht, weil diese Schadenersatzansprüche auf verschiedenen Rechtsgründen beruhen (JBl. 1966, 566; EvBl. 1971/179; ZVR 1982/140; 8 Ob 99/83; 8 Ob 205/83; 8 Ob 44/84 ua).

Um den Zuspruch einer abstrakten Rente zu begründen, hat der Kläger nicht nur die hier nicht umstrittene Ausgleichsfunktion darzutun, sondern auch - wie schon dargelegt - konkrete Umstände zu behaupten und zu beweisen, die den Verlust seines jetzigen Arbeitsplatzes und eine damit verbundene Einkommenseinbuße wahrscheinlich machen können (8 Ob 8/85; 8 Ob 44/84 ua). Solche Behauptungen hat er aber weder erhoben noch ergeben sich konkrete Anhaltspunkte aus dem festgestellten Sachverhalt dafür, daß der jetzige Arbeitsplatz des Klägers wirklich gefährdet wäre. Damit fehlt es aber gänzlich an jenen Voraussetzungen, die die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes für die Gewährung einer abstrakten Rente als unumgänglich notwendig erachtet. Soweit nur rein allgemein darauf verwiesen wird, daß bei der Aufnahme und dem Beibehalten von Arbeitskräften körperlich gesunde Arbeiter bevorzugt werden, reichen diese Annahmen nicht aus, die von der Judikatur geforderten konkreten Umstände der Wahrscheinlichkeit des Arbeitsplatzverlustes darzutun; die allgemeine Möglichkeit künftiger Einkommenseinbußen genügt in diesem Zusammenhang nicht (8 Ob 8/85 ua).

Da die Vorinstanzen den dargelegten Grundsätzen nicht Rechnung trugen, war der Revision der Beklagten Folge zu geben; die Entscheidungen des Erstgerichtes und des Gerichtes zweiter Instanz waren im Umfang der von ihnen zu Unrecht zuerkannten abstrakten Rente abzuändern und wie im Spruch zu erkennen.

Die Abänderung der Entscheidung der Vorinstanzen hatte zur Folge, daß die Kosten aller drei Instanzen entsprechend dem endgültigen Ergebnis des Verfahrens (neu) zu ermitteln waren (§§ 43 Abs. 1, 50 ZPO).

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