OGH 8Ob520/88

OGH8Ob520/8825.2.1988

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Dr. Huber, Dr. Petrag und Dr. Schwarz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Otto B***, geboren am 16. September 1930 in Bad Vöslau, praktischer Arzt, 3100 St. Pölten, Franz Jonas Straße 7, vertreten durch Dr. Alfred Lukesch, Dr. Eduard Prantz und Dr. Oswin Lukesch, Rechtsanwälte in St. Pölten, wider die beklagte Partei Ingeborg B*** geborene S***, geboren am 23. Mai 1941 in St. Pölten, Diplomröntgenassistentin, 3100 St. Pölten, Franz Jonas Straße 7, vertreten durch Dr. Adolf Kriegler, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 6. Oktober 1987, GZ 11 R 140/87-26, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 29. Dezember 1986, GZ 3 Cg 288/85-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat der Beklagten die mit S 3.397,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 308,85 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrt die Scheidung der am 8. September 1965 geschlossenen Ehe der Streitteile mit der Begründung, die Beklagte unterhalte seit einiger Zeit ehebrecherische und ehestörende Beziehungen zu einem anderen Mann, sei öfters nicht daheim und vernachlässige den Haushalt, auch beschimpfe sie den Kläger. Die Beklagte beantragte Klagsabweisung und für den Fall der Scheidung den Ausspruch, daß den Kläger das überwiegende Verschulden hieran treffe. Der Kläger verbringe seit Jahren seine Freizeit ohne die Familie und habe nichts dagegen eingewendet, daß sie als Alpenvereinsmitglied am Wochenende öfters Ausflüge mit dem Vereinskollegen Johann G*** mache. Von einer Ehestörung könne nicht die Rede sein. In den letzten Jahren sei es zwischen den Streitteilen auch zu Auseinandersetzungen gekommen, weil der Kläger geizig und kleinlich sei, die Finanzierung der erforderlichen Haushaltsausgaben abgelehnt, der Beklagten Vorwürfe gemacht und sie beschimpft habe. Für sich tätige er teure Anschaffungen und unternehme teure Reisen, während er ihr und dem ehelichen Sohn keinen Urlaub bezahle. Obwohl sie berufstätig sei, habe sie den Haushalt niemals vernachlässigt und in der Ordination des Klägers Arbeiten verrichtet. Zwischen den Streitteilen sei es seit Jahren zu keinem ehelichen Geschlechtsverkehr mehr gekommen, weil der Kläger die Beklagte immer zurückgewiesen und erklärt habe, er brauche sie nicht. Auch habe er sie geschlagen. Schließlich brachte die Beklagte noch vor, der Kläger unterhalte ehewidrige Beziehungen zu Durdica P***.

Das Erstgericht traf hinsichtlich des Verlaufes der Ehe, welcher der am 23. August 1969 geborene mj. Otto entstammt, die auf den Seiten 6 bis 12 der Urteilsausfertigung enthaltenen Sachverhaltsfeststellungen. Es schied die Ehe und sprach aus, daß das überwiegende Verschulden an der Scheidung den Kläger treffe. Das von beiden Streitteilen angerufene Berufungsgericht gab keiner der Berufungen Folge. Es faßte den entscheidungserheblichen Sachverhalt dahin zusammen, daß zwischen den Streitteilen schon nach wenigen Ehejahren eine Entfremdung entstand, die vor allem darauf zurückzuführen war, daß der Kläger wenig Interesse an der Familie zeigte und sich in der Freizeit hauptsächlich seinen persönlichen Interessen, insbesondere der Jagd, widmete. Auch um den Sohn kümmerte er sich schon in dessen Kindheit kaum und nahm weder an der Erstkommunion noch an der Firmung teil. Der Kläger ist der Ansicht, daß die Beklagte den Sohn schlecht erzogen habe. Ab dem Jahre 1979 bezahlte der Kläger der Beklagten für ihre Tätigkeit in seiner Ordination monatlich S 7.500,-- und gab ihr ein wöchentliches Haushaltsgeld von S 1.000,--. Außerordentliche Aufwendungen machte er für sie in den letzten 10 Jahren nicht, er schenkte ihr z.B. auch keinen Schmuck und zahlte ihr keine Urlaubsreise. Wiederholt kam es zu Auseinandersetzungen, weil der Kläger verschiedene, nach Ansicht der Beklagten erforderliche Anschaffungen für die Wohnung und ihre Forderung nach mehr Haushaltsgeld mit der Begründung ablehnte, er habe kein Geld. Selbst leistete er sich allerdings mehrere teure Jagdreisen und zwar drei Safaris nach Afrika und zwei Jagdreisen nach Polen. Im Jahre 1983 kaufte er sich einen gebrauchten PKW Audi Quattro, wofür er S 234.000,-- und einen PKW in Zahlung gab. Wiederholt brach der Kläger auch durch abfällige und zynische Bemerkungen gegenüber der Beklagten Auseinandersetzungen vom Zaun, auf welche die Beklagte temperamentvoll reagierte. Er zeigte sich öfters jähzornig, bei Streitigkeiten kam es zu gegenseitigen Beschimpfungen. In den letzten Jahren gab es zwischen den Streitteilen nur mehr wenig Gemeinsamkeiten, seit dem Jahre 1981 hatten sie auch keinen ehelichen Geschlechtsverkehr mehr. Während der Woche pflegt der Kläger unmittelbar nach dem Abendessen zu Bett zu gehen. Die Wochenenden verbringt er allein in einem gemieteten Forsthaus im Waldviertel, wo er ein Jagdausübungsrecht besitzt. Die Beklagte unternahm in den letzten zwei bis drei Jahren wiederholt Ausflüge mit Johann G***, der Mitglied der gleichen Alpenvereinssektion wie sie ist. Sie ging mit ihm auch öfters Abendessen und hielt sich danach zumindest zweimal spät nachts längere Zeit mit ihm auf einem Feldweg bzw. in der ehelichen Wohnung auf. Nicht als erwiesen nahm das Erstgericht an, daß der Kläger zu Durdica P*** ehewidrige oder ehebrecherische Beziehungen unterhalte. Diese suchte wegen eines Rheumaleidens häufig die Ordination des Klägers auf und verweilte lange in der Ordination, weil sie auch eheliche Schwierigkeiten mit dem Kläger besprach. Seit März 1986 ist sie abends als Bedienerin des Klägers in dessen Ordination tätig. Am 21. April 1986 kam es wegen Durdica P*** in der Ordination des Klägers zwischen diesem und der Beklagten zu einer tätlichen Auseinandersetzung, bald darauf auch in der ehelichen Wohnung. Am 25. Juli 1986 erklärte der Kläger einer Patientin, seine Frau sei die "größte Hure vom Pielachtal" und schickte ersterer und einem gemeinsamen Bekannten Kopien des von ihm eingeholten Detektivberichts betreffend ihre Zusammenkünfte mit Johann G***.

In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Berufungsgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung aus, bei der Beurteilung der Schwere der Eheverfehlungen komme es auf das gesamte Verhalten der Ehegatten im Zusammenhang an und nicht auf eine Gegenüberstellung einzelner Eheverfehlungen. Hiebei sei vor allem maßgebend, wer den ersten Anstoß zur Zerrüttung der Ehe gegeben habe, wer also mit der schuldhaften Zerrüttung den Anfang gemacht habe, und wie weit spätere Eheverfehlungen des einen Gatten die Folge der bereits durch das Verschulden des anderen eingeleiteten Zerrüttung der Ehe gewesen seien. Der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens eines der Ehegatten setze voraus, daß der Unterschied in der Schuld offenkundig und augenscheinlich hervortrete, also ein sehr erheblicher gradueller Unterschied des beiderseitigen Verschuldens gegeben sei. Daß das schuldhafte Verhalten eines Teiles das des anderen nach sich gezogen habe, führe regelmäßig dazu, dem Beitrag des ersteren größeres Gewicht beizumessen. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall zeige sich, daß der Kläger durch sein mangelndes Interesse an der Familie, sein herablassendes und geringschätziges Verhalten gegenüber der Beklagten und durch seine finanzielle Kleinlichkeit die Zerrüttung der Ehe eingeleitet habe. Soweit es im Zuge der darauf beruhenden Streitigkeiten zu Beschimpfungen und Tätlichkeiten gekommen sei, seien diese zwar überwiegend vom Kläger ausgelöst worden, dieses Verhalten der Streitteile sei aber beiden vorzuwerfen. Die Beziehungen der Beklagten zu Johann G*** stellten entgegen der Annahme der Beklagten keine geringfügige Eheverfehlung dar und seien trotz der schon weit fortgeschrittenen Zerrüttung der Ehe vom Kläger offensichtlich auch als die Ehe zerstörend empfunden worden, zumal sie ihn zur Einbringung der Scheidungsklage veranlaßt hätten. Insgesamt komme dem Umstand aber besonderes Gewicht zu, daß der Kläger durch seine mehrfachen Eheverfehlungen die Zerrüttung der Ehe eingeleitet und vertieft und die Beklagte erst dann Kontakt zu einem anderen Mann aufgenommen habe, als dieser Zerrüttungsprozeß bereits weitgehend fortgeschritten gewesen sei, wobei ein Zusammenhang zwischen ihrer Hintansetzung durch den Kläger und ihrer Zuwendung zu einem anderen Mann bestehe. Unter allen diesen Umständen sei der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes zu folgen, wonach den Kläger ein überwiegendes Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe.

In seiner auf den Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO gestützten und auf Ausspruch des überwiegenden Verschuldens der Beklagten an der Scheidung der Ehe gerichteten Revision bringt der Kläger gegen die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes vor, entscheidend für die Zerrüttung der unter dem von den Ehegatten gefundenen "modus vivendi" geführten Ehe sei der Treuebruch der Beklagten gewesen, denn dieser habe erst den Anlaß zur Scheidungsklage gegeben. Die zur anfänglichen Zerrüttung der Ehe führenden, zum Teil gemäß § 57 EheG auch bereits verjährten Eheverfehlungen des Klägers würden durch den Treuebruch der Beklagten mehr als kompensiert, denn dieser habe einen erheblichen Anteil am Scheitern der Ehe gehabt. Auch im übrigen erschienen die Eheverfehlungen der Streitteile ihrem Gewichte nach und als Zerrüttungsursache gleich bedeutend. Insgesamt könne somit aber rechtlich höchstens ein gleichteiliges Verschulden der Streitteile an der Scheidung ihrer Ehe, keinesfalls aber ein überwiegendes Verschulden des Klägers zugrunde gelegt werden.

Diese Revisionsausführungen werden in der Revisionsbeantwortung der Beklagten als nicht stichhältig bezeichnet. Sie beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Daß der Kläger den ehewidrigen Umgang der Beklagten mit Johann G*** zum Anlaß für die Einbringung der Scheidungsklage nahm besagt entgegen seiner in der Revision vertretenen Ansicht noch nicht, daß dieses ehewidrige Verhalten die maßgebliche Ursache für der Zerrüttung der Ehe der Streitteile war. Für die diesbezügliche Beurteilung ist vielmehr entscheidend, ob die Ehe der Streitteile vorher noch im wesentlichen intakt war, die Ehegatten also noch eine dem Wesen der Ehe entsprechende, von rechter ehelicher Gesinnung getragene Gemeinschaft führten oder ob der Kläger, wie die Vorinstanzen zugrundelegten, seinerseits bereits vorher ein die Zerrüttung der Ehe bewirkendes Verhalten gesetzt hatte, welches auch das nachfolgende Fehlverhalten der Beklagten mitbedingte und dieses solcherart gegenüber seinen Verfehlungen in einem milderen Lichte erscheinen läßt. Dabei kommt es nicht darauf an, daß dem Kläger selbst die von ihm herbeigeführte Art und Weise des Ehe- und Familienlebens zusagte, sondern darauf, wie die Situation von der Beklagten empfunden werden mußte und inwieweit sie durch diese und eine hiedurch bewirkte weitgehende Entfremdung der Ehegatten zu ihren Verfehlungen kam. Unter diesen Gesichtspunkten ist aber beim gegebenen Sachverhalt dem Kläger der weitaus größere Beitrag zur Zerrüttung der Ehe und das überwiegende Verschulden an der Scheidung anzulasten:

Bereits nach den ersten Ehejahren hat der Kläger eine Entfremdung zwischen den Ehegatten dadurch bewirkt, daß er wenig Interesse an seiner Familie zeigte und in erster Linie seinen persönlichen Interessen nachging. Dabei wendete er in der Folge für seine eigenen Vergnügungen erhebliche Geldmittel auf. So unternahm er allein teure Jagdreisen ins Ausland, wogegen er der Beklagten in den letzten 10 Jahren keinen einzigen Urlaub bezahlte, ihr z.B. auch keinen Schmuck schenkte und überhaupt keinerlei außerordentliche Aufwendungen für sie tätigte. Der Ablauf des Ehe- und Familienlebens in der Freizeit war derart, daß der Kläger während der Woche bereits unmittelbar nach dem Abendessen zu Bett ging und die Wochenenden sodann allein im Waldviertel verbrachte, wo er ein Forsthaus gemietet hatte und der Jagd nachging. Solcherart gab es in den letzten Jahren zwischen den Streitteilen zwangsläufig nur noch wenig Gemeinsamkeiten, auch ein ehelicher Geschlechtsverkehr fand nicht mehr statt.

Durch dieses Verhalten in seiner Gesamtheit hat der Kläger aber gegenüber der Beklagten eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß ihm an einer echten Partnerschaft mit ihr nicht gelegen und er zu der für eine eheliche Lebensgemeinschaft erforderlichen vollen inneren und äußeren Zuwendung zum Ehepartner nicht bereit ist. Diese Mißachtung der Beklagten als Ehefrau und Persönlichkeit durch den Kläger verstärkte ganz offenbar die schon nach einigen Ehejahren gegebene Entfremdung zwischen den Ehegatten, sodaß es zwischen ihnen in den letzten Jahren festgestelltermaßen kaum noch Gemeinsamkeiten gab. Wenn die Beklagte in dieser Situation einer im geistig-seelischen Bereich weitgehend inhaltslos gewordenen und insoweit somit nur noch äußerlichen Eheführung zu einer über eine reine Sportkameradschaft hinausgehenden, ehewidrigen Kontaktnahme zu einem Vereinskollegen kam, so kann hierin nicht die für die Zerrüttung der Ehe der Streitteile maßgebliche Ursache gesehen werden. Vielmehr war es primär das langjährige ehewidrige Verhalten des Klägers, welches offenbar allmählich zum Zerfall auch der ehelichen Gesinnung der Beklagten führte, und letztlich zu ihrer im wesentlichen einzigen gewichtigen Eheverfehlung beitrug. In der vorinstanzlichen Zurechnung des überwiegenden Verschuldens des Klägers an der Scheidung der Ehe der Streitteile kann demgemäß aber keine unrichtige rechtliche Beurteilung erkannt werden.

Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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