OGH 8Ob51/78

OGH8Ob51/7829.3.1978

SZ 51/35

Normen

ABGB §914
ABGB §1489
ABGB §1494
ABGB §1497
Luftverkehrsgesetz §25
ABGB §914
ABGB §1489
ABGB §1494
ABGB §1497
Luftverkehrsgesetz §25

 

Spruch:

Die durch § 25 Abs. 2 LuftverkG geregelte Hemmung der Verjährung normiert nicht eine Ablaufhemmung, wie sie § 1494 ABGB vorsieht, sondern stellt eine Fortlaufhemmung dar. Nach Wegfall des Hemmungsgrundes muß der noch nicht abgelaufene Teil der Verjährungsfrist abgelaufen sein, um Verjährung herbeizuführen Schweben zwischen Ersatzpflichtigen und Ersatzberechtigten Verhandlungen über den Schadenersatz, dann ist nach dieser Bestimmung die Verjährung so lange gehemmt, bis ein Teil die Fortsetzung der Verhandlungen ablehnt

OGH 29. März 1978, 8 Ob 51/78 (OLG Innsbruck 1 R 314/77; LG Innsbruck 10 Cg III/77)

Text

Am 28. Juli 1970 kam es im Hangaufwindgebiet der sogenannte "Schanzer Wände" des "Zahmen Kaisers" bei Kufstein zu einem Zusammenstoß der von Zweitkläger und vom Zweitbeklagten gesteuerten Segelflugzeuge. Dieser Zusammenstoß hatte eine schwere Verletzung des Zweitklägers und die Beschädigung beider Segelflugzeuge zur Folge. Halter des vom Zweitkläger gesteuerten Segelflugzeuges ist der Aero Club L (erstklagende Partei); der Fliegerclub Sch (erstbeklagte Partei) ist Halter des vom Zweitbeklagten gesteuerten Segelflugzeuges.

Die Beklagten haben ihre Haftung zu 50% dem Gründe nach außer Streit gestellt.

Die Kläger, die bei Klageerhebung (17. Mai 1973) von einem Alleinverschulden des Zweitbeklagten ausgegangen waren, schränkten nach Erledigung des Vorprozesses 25 Cg 768/75 des Landesgerichtes Innsbruck, in dem sich die beiden Fliegerclubs schon als Streitteile gegenüberstanden, ihr Klagebegehren auf die Hälfte ein und machten schließlich gegen die Beklagten als Solidarschuldner (Haftung des Zweitbeklagten nach ABGB, Haftung der Erstbeklagten nach § 19 Abs. 1 Luftverkehrsgesetz) folgende Ansprüche geltend:

Erstklägerin: Schaden am Segelflugzeug

.............................. 4 300.00 DM

Zweitkläger: Sachschaden ...........................................

295.40 DM Verdienstentgang ......................................

3 640.42 DM Schmerzengeld .........................................

50 000.00 DM

Feststellung der Haftung beider Beklagter (zur ungeteilten Hand) für die künftigen Schäden im Rahmen der vertraglich festgesetzten Haftungsgrenzen im Ausmaß von 50%.

Die Beklagten beantragten Klagsabweisung. Sie erhoben gegen alle Ansprüche der Kläger u. a. die Verjährungseinrede. Sie beriefen sich dabei insbesondere auf die zweijährige Frist des § 25 LuftVerkG. Der Höhe nach stellten sie den von der Erstklägerin geltend gemachten

Schaden am Segelflugzeug und den vom Zweitkläger geltend gemachten

Schaden am Segelflugzeug und den vom Zweitkläger geltend gemachten Anspruch auf Ersatz der Sachschäden außer Streit.

Der Verjährungseinrede traten die Kläger insbesondere mit der Behauptung entgegen, daß bis über den 21. April 1972 hinaus Vergleichsgespräche mit dem Haftpflichtversicherer der Erstbeklagten geführt worden seien.

Das Erstgericht erkannte mit Teilurteil, daß der Zweitbeklagte schuldig sei, der Erstklägerin 4300 DM samt Anhang (im Schillinggegenwert) und dem Zweitkläger 295.40 DM samt Anhang (im Schillinggegenwert) zu bezahlen, wies hingegen das Klagebegehren beider Kläger gegenüber der Erstbeklagten wegen Verjährung ab.

Das Erstgericht legte seiner Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrunde:

Wegen dieses Segelflugunfalles wurde gegen den Zweitbeklagten J P beim Bezirksgericht Kufstein zu U 1674/70 ein Strafverfahren wegen Verdachtes der Übertretung nach § 335 StG eingeleitet. Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Kufstein vom 11. April 1972 wurde J P freigesprochen. Mit Schreiben vom 20. Oktober 1970 an die Erstbeklagte teilte W L, der deutsche Rechtsanwalt der Kläger, diesen mit, daß er ihr gegenüber die ziffernmäßig noch nicht präzisierten Schadenersatzansprüche der beiden Kläger geltend machen werde. Die Erstbeklagte hat. Dieses Schreiben ihrer Haftpflichtversicherung, der I-Versicherungsgesellschaft AG, Innsbruck, weitergeleitet, die dazu am 30. Oktober 1970 gegenüber W L wie folgt Stellung nahm:

"Bezugnehmend auf Ihr Schreiben vom 20. Oktober 1970, gerichtet an die Segelfluggruppe Sch, teilen wir Ihnen mit, daß wir als Haftpflichtversicherer dieses Risikos für die Bearbeitung zuständig sind. Das Schadensereignis vom 28. Juli 1970

Strafverfahrens, das noch nicht zum Abschluß gekommen ist. Für die Beurteilung der von Ihnen erhobenen zivilrechtlichen Ansprüche dem Gründe nach ist die strafrechtliche Entscheidung Voraussetzung, weshalb wir es Ihnen vorerst lediglich freistellen können, die Ansprüche Ihrer beiden Mandanten durch Vorlage entsprechender Belege näher zu spezifizieren. Teilen Sie uns vor allem mit, welche Maßnahmen Sie in Bezug auf die Beweissicherung hinsichtlich des Schadens am Flugzeug getroffen haben bzw. an welchem Standort allenfalls eine Besichtigung durch uns unverbindlich vorgenommen werden kann. Wir bitten einstweilen um gefällige Kenntnisnahme und zeichnen mit vorzüglicher Hochachtung".

Mit Schreiben vom 11. Feber 1971 an die I-Versicherungsgesellschaft präzisierte W L die Schadensersatzansprüche der beiden Kläger und vertrat die Ansicht, daß es für die Beurteilung der zivilrechtlichen Ansprüche und die Regulierung derselben nicht auf den Ausgang des Strafverfahrens ankomme.

Mit Schreiben vom 8. März 1971 lehnte die I-Versicherungsgesellschaft wiederum eine Stellungnahme zu den Ansprüchen der Kläger dem Gründe nach ab, da das anhängige Strafverfahren noch nicht abgeschlossen sei, und forderte W L u. a. auf, zur Höhe der Ansprüche nähere Unterlagen beizuschaffen und mittlerweile den Beweis für eine Haftung der Beklagten anzutreten, damit die I-Versicherungsgesellschaft nach Abschluß des Strafverfahrens meritorisch Stellung nehmen könne.

Mit Schreiben vom 3. Mai 1971 an die I-Versicherungsgesellschaft vertrat W L wiederum den Standpunkt, daß der Ausgang des Strafverfahrens nicht maßgebend sei, und forderte die Versicherung auf, die Schadenersatzansprüche der Kläger zu regulieren. Am 14. Mai 1971 antwortete die I-Versicherungsgesellschaft, daß sie eine Stellungnahme dem Gründe nach nicht abgeben könne, da das Strafverfahren noch immer im Gange sei, dessen Ausgang sehr wohl Auswirkungen auf die zivilrechtliche Beurteilung des Falles haben werde.

Mit Schreiben vom 16. August 1971 forderte W L die I-Versicherungsgesellschaft neuerlich auf, den Schaden zu regulieren, ansonsten er Klage erheben müsse; einen ähnlichen Inhalt hat sein Schreiben vom 1 l. April 1972 ebenfalls an die I-Versicherungsgesellschaft. Daraufhin richtete die I-Versicherungsgesellschaft am 21. April 1972 an W L ein Schreiben mit folgendem Inhalt:

"Unter Bezugnahme auf Ihr Schreiben vom 11. April 1972 teilen wir Ihnen mit, daß wir jetzt auch dem Gründe nach zur Stellungnahme in der Lage sind. Bei dem am 11. April 1972 beim Bezirksgericht Kufstein gegen unseren Versicherungsnehmer J P wegen Übertretung nach § 335 StG durchgeführten Strafverfahren zur Geschäftszahl U 1674/70 ist ein Freispruch ergangen, der in Rechtskraft erwuchs, nachdem die Staatsanwaltschaft auf ein Rechtsmittel ausdrücklich verzichtet hat. Das Beweisergebnis wird Ihnen bereits in allen Einzelheiten bekannt sein. Im Hinblick auf diesen Ausgang des Strafprozesses sehen wir uns nicht in der Lage, namens unseres Versicherungsnehmers ein Grundanerkenntnis abzugeben, weshalb wir die erhobenen Schadenersatzansprüche als rechtlich unbegrundet zurückweisen müssen".

Nach diesem Zeitpunkt fand keinerlei Korrespondenz zwischen den Streitteilen bzw. ihren Vertretern oder der I-Versicherungsgesellschaft statt. Lediglich am 9. Mai 1972 telefonierte W L in dieser Angelegenheit noch einmal mit der I-Versicherungsgesellschaft in Innsbruck, wobei er dieselbe ablehnende Auskunft wie im Schreiben vom 21. April 1972 erhielt. W L verfaßte daraufhin einen Aktenvermerk: "Telefonat am 9. Mai 1972, muß geklagt werden". Mit Schreiben vom 28. Juni 1972 beauftragte W L den Klagsvertreter zur Einbringung der Widerklage, nachdem der Fliegerclub Sch bereits zu 25 Cg 768/75 beim Landesgericht Innsbruck Klage erhoben hatte.

Die gegenständliche Klage wurde am 17. Mai 1973 beim Landesgericht Innsbruck überreicht. Auf Antrag beider Parteien wurde dieses Verfahren mit Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 3. September 1973 bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens 25 Cg 216/72 (jetzt 25 Cg 768/75) des Landesgerichtes Innsbruck gemäß § 190 ZPO unterbrochen. Das Verfahren 25 Cg 768/75 mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 7. Dezember 1976 rechtskräftig beendet. Dieses Urteil wurde dem Klagevertreter am 2. März 1977 zugestellt. Am 7. März 1977 beantragte er die Fortsetzung des gegenständlichen Verfahrens.

Rechtlich kam das Erstgericht zum Ergebnis, daß die von den Beklagten erhobene Verjährungseinrede hinsichtlich des Zweitbeklagten (Pilot des Segelflugzeuges) nicht durchschlage, weil seine Haftung nach ABGB einer dreijährigen Frist unterliege. Diese Frist sei bei Klageerhebung noch nicht abgelaufen gewesen (Unfall 28. Juli 1970; Klageerhebung 17. Mai 1973).

Hingegen seien die Ansprüche der Kläger gegenüber der Erstbeklagten als Halter verjährt, weil nach § 25 Abs. 1 LuftverkG eine Verjährungsfrist von zwei Jahren Platz greife, die Klage aber nach Ablauf dieser zweijährigen Frist erhoben worden sei. Was den Hemmungstatbestand anlange, müsse davon ausgegangen werden, daß die Vergleichsverhandlungen zwischen den Betroffenen durch das Schreiben der Haftpflichtversicherung der Beklagten vom 21. April 1972 beendet worden seien. Die Kläger seien daher gehalten gewesen, die Klage unverzüglich einzubringen, da die Dauer der Vergleichsverhandlungen weder eine Unterbrechung der Verjährung, noch eine Fortlaufhemmung, sondern vielmehr einen von der Rechtsprechung herausgebildeten besonderen Fall einer Ablaufhemmung (§§ 7, 863, 914, 1494 f. ABGB) darstelle. Die am 17. Mai 1973 bei Gericht überreichte Klage sei daher gegenüber der Erstbeklagten verjährt.

Infolge Berufung der Kläger und des Zweitbeklagten änderte das Berufungsgericht das Ersturteil teilweise dahin ab, daß es die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig erkannte, der Erstklägerin den Betrag von 4300 DM samt Anhang (im Schillinggegenwert) und dem Zweitkläger den Betrag von 295.40 DM samt Anhang (im Schillinggegenwert) zu bezahlen.

Ausgehend von den erstrichterlichen Feststellungen billigte das Berufungsgericht die Ansicht des Erstgerichtes, daß gegenüber dem Zweitbeklagten die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB zu gelten habe. Hinsichtlich der Erstbeklagten trat das Berufungsgericht der Auffassung des Erstgerichtes bei, daß die Korrespondenz der Beteiligten vom 20. Oktober 1970 bis 21. April 1972 als Vergleichsverhandlungen anzusehen seien. Abweichend von der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, daß die Bestimmung des § 25 Abs. 2 LuftverkG eine Fortlaufhemmung darstelle. Hieraus ergebe sich für den vorliegenden Fall, daß zwischen dem Zeitpunkt des Unfalles (28. Juli 1970), an dem frühestens die Verjährungsfrist angelaufen sei, und dem Zeitpunkt der Klagseinbringung am 17. Mai 1973, rechnerisch nicht ganz zwei Jahre und zehn Monate verstrichen seien. Von dieser Zeitspanne sei der Hemmungszeitraum vom 20. Oktober 1970 bis 21. April 1972, d. s. nicht ganz 1 1/2 Jahre, in Abzug zu bringen, so daß der Verjährungseinrede keine Berechtigung zukomme.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Erstbeklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß mit dem

Inkrafttreten des Luftfahrtgesetzes vom 2. Dezember 1957, BGBl. 253/

1957, die für die gegenständliche Beurteilung maßgebenden

Bestimmungen des zweiten Abschnittes des Luftverkehrsgesetzes vom

21. August 1936 (RGBl. I, S. 653) weitergelten und die vorliegenden

Ansprüche nach dessen Vorschriften in der im Unfallszeitpunkt

maßgebenden Fassung zu beurteilen sind. Die durch § 25 Abs. 2

LuftverkG geregelte Hemmung der Verjährung normiert nicht etwa eine

Ablaufhemmung, wie sie die Spezialbestimmung des § 1494 ABGB

vorsieht (8 Ob 26/76), sondern stellt - wie das Berufungsgericht

richtig erkannt hat - nach ihrem klaren Wortsinn eine

Fortlaufhemmung dar (vgl. hiezu Sörgel - Siebert[10], BGB I, S. 951

und 955 zu den gleichlautenden Regelungen des § 14 Abs. 2 dStVG, §

39 Abs. 2 dLuftVG, § 6 Abs. 2 dSHaftpflichtG; Wussow, Das

Unfallhaftpflichtrecht[12] zu dem gleichlautenden § 39 Abs. 2

dLuftVG, demzufolge die Verjährung gehemmt ist. Solange

Verhandlungen zwischen den Beteiligten schweben). Ist aber die

Bestimmung des § 25 Abs. 2 LuftverkG als Fortlaufhemmung zu

beurteilen, dann ist der Zeitraum, währenddessen die Verjährung

gehemmt ist, in die Verjährungsfrist nicht einzurechnen; vielmehr

muß nach dem Fortfall des Hemmungsgrundes der noch nicht abgelaufene

Teil der Verjährungszeit abgelaufen sein, um die Verjährung

herbeizuführen (8 Ob 26/76; 8 Ob 6/76 u. a.). Da im vorliegenden

Fall der Unfall am 28. Juli 1970 erfolgte und der Hemmungszeitraum

vom 20. Oktober 1970 bis 21. April 1972 in die Verjährungsfrist

nicht einzurechnen ist, war im Zeitpunkt der Klagseinbringung am 17.

Mai 1973 die zweijährige Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 LuftverkG noch nicht abgelaufen.

Die weitwendigen Revisionsausführungen, mit denen die Erstbeklagte das Vorliegen von Vergleichsverhandlungen in Zweifel ziehen zu können vermeint, gehen am Wortsinn des § 25 Abs. 2 LuftverkG vorbei. Schweben zwischen dem Ersatzpflichtigen und dem Ersatzberechtigten Verhandlungen über den Schadenersatz, so ist nach dieser Bestimmung die Verjährung so lange gehemmt, bis ein Teil die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert. Wie die deutsche Lehre zu dem gleichlautenden § 14 Abs. 2 dStVO ausführt, ist jeder Meinungsaustausch zwischen dem Ersatzberechtigten und dem Ersatzpflichtigen (oder dessen Versicherer) über den Schadensfall als Verhandlung über den Schadenersatz anzusehen, sofern der Ersatzpflichtige oder dessen Versicherer nicht sofort mitteilt, daß er jeden Schadenersatz ablehne (Müller, Straßenverkehrsrecht[22] I, 412). Diese Auffassung hat auch im vorliegenden Fall zu gelten. Lassen sich aber hier die Stellungnahmen der Versicherung der Erstbeklagten auf das Forderungsschreiben der Kläger vom 20. Oktober 1970 und die Folgekorrespondenz dahin zusammenfassen, daß die Versicherung eine abschließende Stellungnahme erst nach Beendigung des Strafverfahrens gegen ihren Versicherten für möglich erachtete, dann ist dem Berufungsgericht beizupflichten, daß die schwebenden Verhandlungen im Sinne des § 25 Abs. 2 LuftverkG erst durch das Schreiben der Versicherung der Erstbeklagten vom 21. April 1972 beendet erscheinen, mit dem diese im Hinblick auf den Freispruch ihres Versicherten die Haftung ablehnte.

Das Berufungsgericht hat daher mit Recht eine Verjährung der Ansprüche gegenüber der Erstbeklagten nach § 25 LuftverkG verneint.

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