European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00507.850.0619.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die erst‑ und zweitbeklagte Partei haben ihre Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Begründung:
Die Klägerin ist die leibliche eheliche Mutter der beklagten Parteien; ihre Ehe mit deren Vater wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 6. 12. 1976 rechtskräftig geschieden. Während aufrechter Ehe zeigte sie eine Neigung zu Alkohol‑ und Medikamentenmißbrauch und versorgte die Kinder unregelmäßig. Nach 1974 verschlechterte sich der Zustand der Klägerin derart, daß der Vater der Beklagten die Hausarbeit übernahm. Zwischen 1974 und 1982 mußte das Bezirkspolizeikommissariat B***** des öfteren wegen des Geisteszustandes der Klägerin, nämlich Psychopathie, Erregungszuständen und Medikamenten‑ und Alkoholabusus intervenieren. Das Verhältnis zwischen der Klägerin und den Beklagten gestaltete sich schwierig. In der Zeit nach der Scheidung vernachlässigte die Klägerin die Beklagten infolge Medikamenten‑ und Alkoholmißbrauchs derart, daß diese nicht mehr regelmäßig die Schule besuchten. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 21. 2. 1978 wurden Michael, Thomas, Markus und deren Schwester Bettina (geboren am *****) in Pflege und Erziehung des Vaters eingewiesen und diesem die aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten hinsichtlich der genannten Kinder allein zuerkannt. Vom 31. 3. 1978 bis 21. 9. 1978 befand sich die Klägerin in stationärer Pflege des Psychiatrischen Krankenhauses der Stadt *****. Nach ihrer Entlassung war sie voll arbeitsfähig und berufstätig. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 7. 12. 1978 wurde die Klägerin zur Unterhaltszahlung für den Erst‑ und Zweitbeklagten sowie die mj. Bettina verpflichtet. Infolge ihres Rekurses wurde diese Entscheidung aufgehoben und dem Erstgericht eine Verfahrensergänzung aufgetragen. Mit Beschluß vom 22. 5. 1979 wurden dem Erst- und Zweitbeklagten sowie der mj. Bettina Unterhaltsvorschüsse für die Zeit bis 30. 12. 1979 bewilligt, weil die Klägerin ihre Berufstätigkeit mittlerweile aufgegeben hatte und sich der Begutachtung ihrer Arbeitsfähigkeit durch den gerichtlichen Sachverständigen hartnäckig entzogen hatte. Mit Beschluß vom 27. 11. 1981 wurde die Klägerin verpflichtet, dem Zweitbeklagten und der mj. Bettina (für bestimmte Zeitabschnitte und letztlich bis auf weiteres, bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit) Unterhalt zu leisten. Die zwischenweilig gewährten Unterhaltsvorschüsse wurden daraufhin eingestellt. Am 13. 1. 1982 wurden jedoch dem Erstbeklagten, der Zweitbeklagten und der mj. Bettina neuerlich Unterhaltsvorschüsse gewährt, weil die Klägerin bis 31. 12. 1981 keine Zahlungen geleistet hatte. In der Folge versuchte die Klägerin vergeblich, den Erst‑ und Zweitbeklagten und Bettina in Heimerziehung einweisen zu lassen und die Weitergewährung von Unterhaltsvorschüssen zu verhindern. Mit 31. 8. 1982 erlosch die Unterhaltspflicht der Klägerin gegenüber dem Erstbeklagten und mit rechtskräftigem Versäumungsurteil vom 29. 11. 1982 die Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Zweitbeklagten. Derzeit bezieht die Klägerin eine Sozialhilfeunterstützung von monatlich 2.262 S einschließlich Miete als Richtsatzdifferenz für ihren Pensionsvorschuß von 1.570 S monatlich. In der Zeit vom 1. 1. 1983 bis 31. 10. 1983 bezog der Erstbeklagte ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von etwa 3.700 S, der Zweitbeklagte ein solches von ca. 7.300 S, der Drittbeklagte von rund 14.400 S und der Viertbeklagte von etwa 13.300 S.
Mit der am 8. 7. 1983 beim Erstgericht erhobenen Klage begehrte die Klägerin die Verurteilung der beklagten Parteien „zur ungeteilten Hand“, ihr monatlich im Vorhinein einen Unterhaltsbetrag von je 750 S ab 1. 5. 1983 zu bezahlen. Zur Begründung brachte sie vor, daß sie im Zuge des Scheidungsverfahrens gegenüber ihrem Ehemann auf Unterhalt auch für den Fall unverschuldeter Not verzichtet habe und sie seit 1. 2. 1980 beschäftigungslos und seither nicht in der Lage sei, selbst Einkommen zu erlangen. Mit der ihr gewährten Notstandshilfe könne sie nicht einmal die monatlichen Fixausgaben für Miete und Energie bestreiten. Die Beklagten seien daher als ihre leiblichen Söhne verpflichtet, ihr Unterhalt zu gewähren. Zur Deckung ihres notwendigen Lebensunterhaltes würde sie monatlich mindestens 3.000 S benötigen. Auf jeden Beklagten würde daher ein monatlicher Betrag von 750 S entfallen, der deren Einkommensverhältnissen ohne Belastung deren eigenen Lebensunterhaltes entsprechen würde.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Rechtlich ging es davon aus, daß die Kinder gemäß § 143 ABGB zwar ihren Eltern unter Berücksichtigung ihrer eigenen Lebensverhältnisse den Unterhalt schuldeten, soweit der Unterhaltsberechtigte nicht imstande sei, sich selbst zu erhalten und sofern der nunmehr Unterhaltsberechtigte seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind nicht gröblich vernachlässigt habe. Diese zweite negative Voraussetzung nahm das Erstgericht auf Grund des im Detail festgestellten Verhaltens der Mutter gegenüber ihren Söhnen als gegeben an.
Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis eines mängelfreien und unbedenklichen Beweisverfahrens und erachtete auch die von der Klägerin in der Berufung erhobene Rechtsrüge als unberechtigt. Das Berufungsgericht billigte die Annahme einer gröblichen Verletzung der (seinerzeitigen) Unterhaltspflicht der Klägerin gegenüber den Beklagten durch das Erstgericht. Zur Frage, in welchem Ausmaß der Unterhaltsanspruch im Falle einer gröblichen Vernachlässigung der (seinerzeitigen) Unterhaltspflicht gegenüber den Nachkommen verloren ginge, vertrat es die Ansicht, daß unter dem Ausdruck „Unterhalt“ im § 143 Abs. 1 ABGB auch der notwendige und nicht nur der angemessene Unterhalt zu verstehen sei, sodaß bei Vorliegen einer gröblichen Vernachlässigung der eigenen Unterhaltspflicht ein Unterhaltsanspruch der Eltern gegenüber den Kindern verloren wäre. Das vom Erstgericht festgestellte Verhalten der Klägerin einschließlich ihrer Vorgangsweisen um die Entziehung der Unterhaltsvorschüsse und die Streitigkeiten um die Pflege und Erziehung der Kinder hätten bewirkt, daß ihr Unterhaltsanspruch gegenüber den Kinder nicht gegeben sei. Dem Klagebegehren der Mutter sei daher vom Erstgericht zu Recht nicht Folge gegeben worden.
Schließlich vertrat das Berufungsgericht noch die Ansicht, daß das Erstgericht in Anlehnung an das Klagebegehren nicht zur begehrten Haftung zur ungeteilten Hand Stellung genommen habe. § 143 Abs. 2 ABGB normiere nämlich eine anteilige Haftung und keine Haftung zur ungeteilten Hand. Die Klägerin habe auch noch im Berufungsverfahren diese Haftungsform begehrt, weshalb das Berufungsgericht über den gemäß § 58 Abs. 1 JN zu errechnenden Streitwert von 108.000 S zu entscheiden gehabt habe. Da die Entscheidung dieser Rechtssache von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts, nämlich des Unterhaltsverwirkungstatbestandes der gröblichen Unterhaltsvernachlässigung gemäß § 143 Abs. 1 ABGB abhänge, der mangels entsprechender Judikatur zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder auch der weiteren Rechtsentwicklung Bedeutung zukomme, sei die Revision an den Obersten Gerichtshof für zulässig zu erklären gewesen (§ 502 Abs. 4 Z 1 ZPO).
Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern.
Der Erst‑ und Zweitbeklagte beantragten in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.
Die beiden weiteren Beklagten haben sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht zulässig.
Bei Beurteilung der Zulässigkeit der vorliegenden Revision ist davon auszugehen, daß mehrere Kinder für den Unterhalt der Eltern nicht solidarisch haften, sie vielmehr den Unterhalt anteilig nach ihren Kräften zu leisten haben (§ 143 Abs. 2 ABGB), es sich bei ihnen somit um formelle Streitgenossen im Sinne des § 11 Z 2 ZPO handelt. Aus dem gesamten Sachvorbringen der Klägerin ergibt sich, daß die Klägerin eine solidarische Haftung der Beklagten auch gar nicht geltend gemacht hat, sie vielmehr von jedem Kind eine monatliche Unterhaltsleistung von 750 S verlangt und offensichtlich bloß versehentlich in den Urteilsantrag das Begehren einer solidarischen Zahlungspflicht aufgenommen wurde. Ansprüche von und gegen formelle Streitgenossen sind aber nicht zusammenzurechnen (Jud. 56 neu) und für die Frage der Zulässigkeit der Revision gesondert zu beurteilen ( Fasching IV 282). Wenn das Berufungsgericht meint, im Hinblick auf den auf Zahlung zur ungeteilten Hand gerichteten Urteilsantrag den Streitwert, über den es entschieden habe, gemäß § 58 Abs. 1 JN mit 108.000 S errechnen zu müssen, so übersieht es, daß sich – wie bereits erwähnt – dem gesamten Vorbringen der Klägerin überhaupt keine Anhaltspunkte für das Begehren einer solidarischen Haftung der Beklagten ergeben.
Daraus folgt für den vorliegenden Fall, daß der für die Frage der Revisionszulässigkeit maßgebliche Wert des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht entschieden hat, hinsichtlich jedes Beklagten das Dreifache der Jahresleistung, somit 27.000 S beträgt (§ 58 Abs. 1 JN). Bei diesem Streitwert ist aber eine Revision gegen das bestätigende Urteil des Berufungsgerichtes unzulässig (§ 502 Abs. 3 ZPO). Unter diesen Umständen hatte das Berufungsgericht aber nicht die Möglichkeit, seiner das Ersturteil bestätigenden Entscheidung den auf § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO gegründeten Ausspruch anzufügen, daß die Revision an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Dieser unrichtige Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision ist daher als nicht beigesetzt anzusehen ( Petrasch , Das neue Revisions‑[Rekurs‑]Recht, ÖJZ 1983, 201).
Damit erweist sich aber die Revision der Klägerin als unzulässig, weshalb sie zurückzuweisen war.
Da der Erst‑ und Zweitbeklagte in der Revisionsbeantwortung auf die für die Zurückweisung der Revision maßgeblichen Umstände nicht hingewiesen haben, steht auch ihnen kein Anspruch auf Ersatz ihrer Kosten des Revisionsverfahrens zu.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)