OGH 8Ob37/86

OGH8Ob37/866.6.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Vogel, Dr.Kropfitsch und Dr.Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Günther O***, Arbeiter, Seeboden,

Alte Straße 16, vertreten durch Dr.Thaddäus Kleisinger, Rechtsanwalt

in Wien, wider die beklagte Partei F*** DER

V*** Österreichs, Wien 3.,

Schwarzenbergplatz 7, vertreten durch Dr.Hans Kreinhöfner, Rechtsanwalt in Wien, wegen 42.000 S s.A., infolge der Rekurse beider Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 27.Dezember 1985, GZ16 R 292/85-26, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 21.August 1985, GZ27 Cg 766/83-21, aufgehoben wurde,

1.) zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Soweit sich der Rekurs der Beklagten gegen die Entscheidung über einen Klagsbetrag von 21.000 S samt 4 % Zinsen ab 4.3.1981 richtet, wird ihm Folge gegeben.

In diesem Umfang wird die Entscheidung des Erstgerichtes als Teilurteil wiederhergestellt.

2.) den Beschluß

gefaßt:

a) Soweit sich der Rekurs der Beklagten gegen die Entscheidung über den restlichen Klagsbetrag von 21.000 S samt 4 % Zinsen ab 4.3.1981 und gegen den Kostenpunkt richtet, wird ihm nicht Folge gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekurses der Beklagten und der Rekursbeantwortung des Klägers bleiben der Endentscheidung vorbehalten.

b) Der Rekurs des Kläger wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrt den Zuspruch von 42.000 S s.A. mit der Begründung, er sei als Fußgänger vom Lenker eines PKW niedergestoßen und hiebei verletzt worden. Der schuldtragende Lenker habe nicht ausgeforscht werden können. Durch den Unfall seien dem Kläger Schäden von insgesamt 63.000 S erwachsen. Unter Berücksichtigung eines allfälligen geringen Mitverschuldens des Klägers werde nur der Betrag von 42.000 S geltend gemacht.

Das Erstgericht hat das Klagebegehren unter Annahme des Alleinverschuldens des Klägers zur Gänze abgewiesen. Hiebei ging es von folgenden wesentlichen Feststellungen aus:

Der mj.Kläger war am 4.12.1980 gegen 18 Uhr 15 mit drei Freunden als Krampus verkleidet in der Umgebung von Seeboden unterwegs. Er trug neben der schweren Verkleidung auch eine Maske, die seine Sicht behinderte, weshalb er beim Überqueren der Fahrbahn den Verkehr nur durch eine Drehung seines Körpers beobachten hätte können. Nachdem die drei Freunde des Klägers die Bundesstraße 98 trampelnd und hüpfend überquert hatten und nun auch der Kläger, ohne genügende Beobachtung der Fahrbahn, diese überqueren wollte, kam aus Richtung Seeboden ein von einem unbekannten Mann gelenkter PKW und erfaßte den Kläger, der das herannahende Fahrzeug nicht gesehen hatte. Die Unfallstelle befindet sich auf einer übersichtlichen Straße. Es war zwar nicht mehr hell, aber es befand sich dort eine Straßenbeleuchtung. Es war nicht eisig und hat nicht geschneit. Der Lenker des PKW stieg aus seinem Fahrzeug und fragte den Kläger, ob ihm etwas passiert sei. Der Kläger verneinte und sagte, der Unbekannte könne ruhig weiterfahren, was diese auch tat. Erst nachdem sich der Autofahrer entfernt hatte, bemerkte der Kläger Schmerzen. Eine unbekannte Autofahrerin brachte ihn nach Hause. Anschließend wurden bei ihm ein Bruch des 4. und 5. Mittelfußknochens rechts sowie eine Bänderzerrung am rechten Sprunggelenk festgestellt.

Auf der Fahrbahn befand sich eine 21,20 m lange Bremsspur. Das Strafverfahren gegen unbekannte Täter wurde gemäß § 412 StPO abgebrochen, weil der PKW-Fahrer nicht ermittelt werden konnte. Das Berufungsgericht hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es übernahm die erstrichterlichen Feststellungen, billigte auch die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß den Kläger ein überwiegendes Verschulden treffe, doch bestehe eine Haftung auch nach dem EKHG. Ein Entastungsbeweis im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG sei vom Beklagten nicht erbracht worden. Aus diesem Grunde müssen gemäß § 7 EKHG die Grundsätze des § 1304 ABGB angewendet werden. Unter Berücksichtigung des jedenfalls überwiegenden Verschuldens des Klägers und demnach der geringeren Bewertung der Gefährdungshaftung des unbekannten Lenkers sei eine Schadensteilung im Verhältnis von 2 : 1 zu Lasten des Klägers anzunehmen. Da jedoch die Höhe des klägerischen Anspruches nicht geprüft worden sei, erweise sich die Sache als noch nicht spruchreif. Der vom Kläger gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobene Rekurs ist nicht zulässig.

Gemäß § 519 Abs 2 ZPO darf das Berufungsgericht einen Rechtskraftvorbehalt nur aussprechen, wenn die Voraussetzungen des § 502 Abs 4 ZPO vorliegen. Nach dieser Bestimmung ist ein Rechtsmittel, falls der Streitwert 300.000 S nicht übersteigt, nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist.

Das Berufungsgericht hat den Rechtskraftvorbehalt nur damit begründet, daß zur Frage, ob sich die Ersatzpflicht des Fachverbandes der V*** nach dem Verkehrsopfergesetz zur Gänze nach den Bestimmungen über die Halterhaftung im Sinne des EKHG richtet, noch keine oberstgerichtliche Judikatur vorliegt. Mit Recht hat es hier die Frage der Haftungsaufteilung nicht erwähnt. Bei der Wertung eines Verschuldensanteiles handelt es sich um eine vom Berufungsgericht ohne wesentliche Verkennung der Rechtslage gelöste Frage des Einzelfalles, die einen Rechtszug nach § 502 Abs 4 ZPO nicht rechtfertigt (8 Ob 1008/84, 8 Ob 1001/84, 8 Ob 1021/84, 2 Ob 1019/84 u. a.).

Da sich der Rekurs des Klägers ausschließlich gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Schadensteilung richtet, erweist sich dieses Rechtsmittel als nicht zulässig.

Dem Beklagten gebühren für seine Rekursbeantwortung keine Kosten, weil er auf den Zurückweisungsgrund nicht hingewiesen und auch nicht die Zurückweisung des Rekurses des Klägers beantragt hat.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Beklagten ist teilweise gerechtfertigt. Grundsätzlich entspricht es ständiger Judikatur (ZVR 1984/332, ZVR 1984/240, ZVR 1984/51 u.a.), daß beim Zusammentreffen der Gefährdungshaftung mit der Verschuldenshaftung die Bestimmung des § 1304 ABGB zur Anwendung kommt. Das vom Berufungsgericht angenommene Verhältnis der beiden Haftungen im konkreten Fall zueinander kann im allgemeinen, wie bereits im Rekurs des Klägers dargelegt wurde, falls der Streitwert 300.000 S nicht übersteigt, nicht an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden. Der Rekurs des Beklagten enthält diesbezüglich auch mit Recht keine Ausführungen, weshalb der Oberste Gerichtshof zu dieser Frage nicht Stellung zu nehmen, vielmehr von einer Aufteilung des beiderseitigen Haftungsverhältnisses von 2 : 1 zu Lasten des Klägers auszugehen hat. Daraus ergibt sich aber, daß das Klagebegehren zumindest in jenem Umfang nicht gerechtfertigt ist, der zwei Drittel der vom Kläger behaupteten Schäden entspricht. Der Kläger behauptet in der Klage Schäden von 63.000 S, so daß er im Hinblick auf die Haftungsaufteilung höchstens mit 21.000 S Erfolg haben kann. Auf Grund des Rekurses des Beklagten war daher mittels Teilurteiles das 21.000 S übersteigende Mehrbegehren des Klägers als spruchreif abzuweisen (§ 519 Abs 2 ZPO).

Was das restliche Begehren des Klägers anlangt, behauptet der Beklagte, er hätte nach dem Verkehrsopfergesetz dann nicht zu haften, wenn die Gegenseite ein Verschulden trifft. Diese Rechtsauffassung findet jedoch im Gesetz keine Deckung. Nach § 1 Abs 2 des Bundesgesetzes vom 2.6.1977 über den erweiterten Schutz der Verkehrsopfer, BGBl. Nr.322/1977, sind die Leistungen durch den Fachverband der Versicherungsunternehmungen, soferne sich aus diesem Bundesgesetz nichts anderes ergibt, unter sinngemäßer Anwendung des EKHG in der jeweils geltenden Fassung so zu erbringen, als ob ihnen ein zivilrechtlicher Schadenersatzanspruch und das Bestehen einer Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung im Rahmen der in den kraftfahrrechtlichen Bestimmungen festgesetzten Versicherungspflicht zugrundeläge. Aus dem Wortlaut dieses Gesetzes ergibt sich, daß das Bestehen einer Versicherungspflicht fingiert wird und daß der Fachverband so einzutreten hat, als ob ein versicherungspflichtiger Fahrzeuglenker den Unfall verursacht hätte. Insbesondere der Hinweis auf das EKHG ist in dieser Hinsicht eindeutig. Soweit es der Natur der Sache nach möglich ist, ist bei der Feststellung des Umfanges der Leistungsverpflichtung von der Fiktion auszugehen, daß der Leistungsanspruch auf Grund zivilrechtlicher Schadenersatzansprüche und des Bestehens einer Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung im Rahmen der Versicherungspflicht gegeben ist. Sieht man von ausdrücklichen gesetzlichen Ausnahmen ab, ist also der Anspruch gegen den Fachverband inhaltlich gleich jenem Anspruch, der gegen einen versicherungspflichtigen Schädiger bestehen würde (XIV GP, Beil.506,4). Daß aber ein solcher Anspruch auch nach dem EKHG ohne Nachweis eines Verschuldens gegeben wäre, der Schädiger in einem solchen Fall nachweisen müßte, daß der Unfall auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und daß das Vorliegen eines Verschuldens des Geschädigten diese Haftung nach dem EKHG nicht notwendig ausschließt, vielmehr die Bestimmungen des § 1304 ABGB auch hier anzuwenden sind, wurde bereits oben dargelegt. Ob dies den ursprünglichen Erwägungen bei der Ausarbeitung des europäischen Übereinkommens über die obligatorische Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge entspricht, muß hier nicht geprüft werden. Eine diesbezügliche Einschränkung hat nämlich nicht Eingang in das Gesetz gefunden. Selbst wenn die Unterzeichnerstaaten in ihrem internationalen Übereinkommen eine einschränkende Auslegung im Auge gehabt haben sollten, würde dies nichts daran ändern, daß nach dem Wortlaut des Verkehrsopfergesetzes dem Verkehrsopfer gegen den Fachverband ein weiterreichender Anspruch zuerkannt wird. Eine Verpflichtung zur Übernahme von über das Übereinkommen hinausgehenden Ansprüchen durch einen Mitgliedstaat könnte keinesfalls einen Verstoß gegen das Übereinkommen bilden. Bei der Beurteilung der Ansprüche des Verkehrsopfers nach dem Verkehrsopfergesetz ist daher ausschließlich von diesem Gesetz auszugehen. Der Wortlaut spricht eindeutig für jene Auslegung, wie sie das Berufungsgericht vorgenommen hat. Auch die oben wiedergegebene Stelle des Motivenberichtes ist so zu verstehen. Geht man von der demnach zutreffenden Rechtsansicht des Berufungsgerichtes aus, so erweist sich die Sache tatsächlich bezüglich eines Betrages von 21.000 S s.A. als noch nicht spruchreif. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 52 und 392 Abs 2 ZPO.

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