Spruch:
Das Versprechen der Zurückstellung der Sache an den Zurückbehaltungsberechtigten verhindert nicht das Erlöschen des Zurückbehaltungsrechtes bei Herausgabe der Sache.
Entscheidung vom 8. Jänner 1963, 8 Ob 358/62.
I. Instanz: Landesgericht Innsbruck; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.
Text
Der Baumeister Ing. Heinrich H. kaufte im September 1959 einen Kraftwagen gegen ein Anzahlung von 6600 S vom Autohaus V. in X., das sich das Eigentumsrecht bis zur Bezahlung des Kaufpreises vorbehielt. Den Kauf finanzierte die Klägerin, die die Restkaufpreisforderung des Autohauses V. gemäß § 1422 ABGB. einlöste und sich das Eigentumsrecht an dem Kraftwagen übertragen ließ. Ing. H. hat die Restkaufpreisforderung noch nicht zur Gänze beglichen.
Die Klägerin begehrt mit der am 12. September 1961 erhobenen Klage als Eigentümerin die Herausgabe des Kraftwagens vom Beklagten. Ing. H. habe diesen beim Beklagten verwahrt, für Garagierungskosten sei ein Betrag von 750 S angemessen, zu dessen Bezahlung sie sich bereit erkläre. Sie begehre daher die Herausgabe des Kraftwagens Zug um Zug gegen Bezahlung der Garagierungskosten von 750 S.
Der Beklagte beantragt Abweisung des Klagebegehrens. Er sei nicht Verwahrer des Kraftwagens, er habe ihn vielmehr repariert, weshalb ihm wegen der Reparaturkosten ein Zurückbehaltungsrecht zustehe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, jedoch nur Zug um Zug gegen Bezahlung der Reparaturkosten in der Höhe von 10.389 S 60 g.
Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest: Ing. H. habe am 18. November 1960 einen Unfall gehabt, bei dem der gegenständliche PKW. beschädigt worden sei. Der Beklagte habe über seinen Auftrag das Fahrzeug abgeschleppt und zur Reparatur übernommen, jedoch erst, als Ing. H. ihm erklärt habe, daß die Versicherungsgesellschaft K., bei der der Wagen vollkaskoversichert sei, die Kosten der Reparatur zur Bezahlung übernehme. Die Reparatur sei Ende Dezember 1960 fertiggestellt gewesen. Schon vorher habe Ing. H. erfahren, daß die Versicherungsgesellschaft K. lediglich einen Abfindungsbetrag von 5000 S bezahlen wolle, womit er nicht einverstanden gewesen sei. Da er das Kraftfahrzeug für sein Geschäft dringend benötigt habe, habe er den Beklagten ersucht, ihm den PKW. zu "borgen". Der Beklagte habe dem Ing. H. das Kraftfahrzeug ausgefolgt, nachdem vorher vereinbart worden sei, daß Ing. H. es sofort wieder zurückzustellen habe, sobald die Verhandlungen mit der Versicherungsgesellschaft abgeschlossen seien und diese die Bezahlung der Reparatur ablehnen sollte. Nach Ausfolgung des Fahrzeuges habe der Beklagte die Reparaturrechnung in der Höhe von 10.389 S 60 g ausgestellt, die bisher nicht beglichen sei. Einige Zeit nach Ausfolgung des PKWs habe der Beklagte den Ing. H. wegen Begleichung der Rechnung gemahnt, worauf dieser ihm erklärt habe, die Verhandlungen mit der Versicherungsgesellschaft zögen sich immer noch hin. Mitte März 1961 sei über das Vermögen des Ing. H. der Konkurs eröffnet worden. Er sei vom Masseverwalter aufgefordert worden, den Kraftwagen abzumelden und irgendwo einzustellen. Tatsächlich habe er ihn zum Beklagten gebracht und diesem gesagt, er bringe den PKW. entsprechend der seinerzeitigen Vereinbarung zurück, es sei nunmehr bei ihm ohnehin alles aus. Seither befinde sich das Fahrzeug beim Beklagten, der keine Garagierungskosten verrechne, sondern den PKW. mit den übrigen reparierten Fahrzeugen abgestellt habe. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergebe sich, daß der Beklagte klar zum Ausdruck gebracht habe, daß er das ihm vom Gesetz eingeräumte Zurückbehaltungsrecht nicht aufgegeben habe. Er habe die nur an die vorbehaltslose Rückgabe einer Sache geknüpfte Vermutung der Aufgabe des Zurückbehaltungsrechtes eindeutig widerlegt. Er habe durch die vorübergehende Gebrauchsüberlassung des Kraftwagens an Ing. H. sein Zurückbehaltungsrecht nicht verloren. Die von ihm erhobene Einrede führe aber nicht zur Klagsabweisung sondern zur Klagsstattgebung, jedoch nur Zug um Zug gegen Bezahlung der Reparaturkosten.
Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 10.000 S übersteige.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin Folge und änderte die Urteile der Untergerichte dahin ab, daß der Beklagte schuldig sei, der Klägerin den Kraftwagen Zug um Zug gegen Bezahlung von 750 S binnen 14 Tagen herauszugeben.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Untergerichte haben nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes die Frage, ob durch eine vorübergehende Gebrauchsüberlassung der Sache, auf welche der Aufwand gemacht wurde, das gesetzliche Zurückbehaltungsrecht erlischt, unrichtig gelöst. Wenn § 471 ABGB. bestimmt, daß derjenige, der zur Herausgabe der Sache verpflichtet ist, sie zur Sicherung seiner fälligen Forderungen wegen des für die Sache gemachten Aufwandes oder des durch die Sache ihm verursachten Schadens zurückbehalten kann, so sind schon nach der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang (§ 6 ABGB.) darunter nur die Forderungen zu verstehen, die während des Zeitraumes der letzten Innehabung entstanden sind. Wer eine Sache, auf die er einen Aufwand macht, vor dessen Bezahlung freiwillig herausgibt, verliert die Möglichkeit und damit das Recht, die Sache zurückzubehalten. Das gesetzliche Zurückbehaltungsrecht, das an die Innehabung der Sache geknüpft ist, geht mit der freiwilligen Herausgabe der Sache verloren. Es lebt auch nicht wieder auf, wenn die Sache neuerlich in die Gewahrsame desjenigen gelangt, der seinerzeit den Aufwand gemacht hat (SZ. XIV 73, SZ. XXXI 6). Dem steht nicht entgegen, daß ein Wiederaufleben des Zurückbehaltungsrechtes vereinbart werden kann. Diese Begründung des Zurückbehaltungsrechtes durch Rechtsgeschäft, ist ohne die Voraussetzungen des § 471 ABGB. möglich. In einem solchen Fall könnte der Schuldner vor Bezahlung der Gegenleistung die Herausgabe der Sache nicht verlangen, die wieder in die Gewahrsame des Gläubigers gekommen ist. Dieser könnte sogar auf Grund der Vereinbarung gegen den Schuldner einen klagbaren Anspruch auf Verschaffung der Gewahrsame der Sache haben. Daraus folgt, daß durch die Herausgabe der Sache, selbst unter dem Vorbehalt, das Zurückbehaltungsrecht für die, während der letzten Innehabung entstandenen Forderungen nach dem Wiedererlangen die Gewahrsame auszuüben, das gesetzliche Zurückbehaltungsrecht erlischt, aber als vertragsmäßiges Zurückbehaltungsrecht gilt, das nur inter partes, jedoch nicht gegenüber einem herausgabeberechtigten Dritten wirkt, dem ein solches Zurückbehaltungsrecht daher nicht mit Erfolg entgegengehalten werden kann. Nach den Feststellungen der Untergerichte hat der Beklagte das Kraftfahrzeug dem Ing. H. herausgegeben, weil dieser es für sein Geschäft dringend benötigte und versprach, es zurückzustellen, sobald sich herausstelle, daß die Versicherungsgesellschaft K. die Bezahlung der Reparatur ablehne. Daß in dem Versprechen des Schuldners, die Sache nach Ablauf der bewilligten Benutzungszeit zurückzustellen, die Vereinbarung eines vertragsmäßigen Zurückbehaltungsrechtes liegt, hat der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung SZ. XX 190 ausgesprochen. Bei dieser Sach- und Rechtslage war es verfehlt, wenn die Untergerichte den Untergang des gesetzlichen Zurückbehaltungsrechtes davon abhängig gemacht haben, daß der Zurückbehaltungsberechtigte, der die Sache freiwillig herausgibt, hiebei ausdrücklich oder konkludent auf die Sicherung seiner Forderung verzichtet. Soweit der Beklagte in der Revisionsbeantwortung unter Hinweis auf die Entscheidung SZ. XX 190 darzutun versucht, daß eine vorübergehende Überlassung der Sache den aufrechten Bestand des gesetzlichen Zurückbehaltungsrechtes unberührt lasse, übersieht er, daß es sich bei dieser Entscheidung um einen anders gelagerten Sachverhalt handelt, weil dort dem Schuldner diese Sache nur ganz kurzfristig, nämlich einen Tag, zum Gebrauch überlassen wurde und der Oberste Gerichtshof Überlegungen, unter welchen Umständen und in welchem Umfang ein gesetzliches Zurückbehaltungsrecht bestand bzw. weiterbestand, bei Annahme eines vertragsmäßig bestehenden Zurückbehaltungsrechtes für überflüssig hielt.
Diese rechtlichen Erwägungen führen in Abänderung der Urteile der Untergerichte zur Stattgebung des Klagebegehrens. Der Beklagte hat daher der Klägerin im Sinne ihres Klagebegehrens das Kraftfahrzeug Zug um Zug gegen Bezahlung von 750 S herauszugeben. Wenn die Klägerin in der Revision die Abänderung der Urteile der Untergerichte im Sinne der Verurteilung des Beklagten zur Herausgabe des Kraftfahrzeuges ohne die Zug-um-Zug-Leistung von 750 S begehrt, so liegt hierin eine unzulässige Klagserweiterung, denn dieses Begehren stellt gegenüber dem Klagebegehren ein Mehrbegehren dar (RZ. 1956 S. 159). Das Klagebegehren kann aber - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmefällen abgesehen - im Rechtsmittelverfahren nicht geändert werden (§§ 483 (3), 513 ZPO).
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