Spruch:
Die Rechtskraft eines Urteiles, dem Kläger stehe nicht das Recht zu, auf dem Servitutsweg mit schweren Kraftfahrzeugen zu fahren, steht einer neuerlichen, dieses Recht in Anspruch nehmenden Klage nicht unbedingt entgegen.
Entscheidung vom 17. Dezember 1968, 8 Ob 305/68.
I. Instanz: Bezirksgericht Rosegg; II. Instanz: Landesgericht Klagenfurt.
Text
Zugunsten einer der Klägerin gehörigen Liegenschaft ist die Dienstbarkeit des Geh- und Fahrtrechtes über ein dem Beklagten gehöriges Grundstück einverleibt. Die Einverleibung dieser Dienstbarkeit erfolgte nach Durchführung eines Rechtsstreites zwischen den beiderseitigen Rechtsvorgängern der Streitteile im Jahre 1939, der den auf Ersitzung gegrundeten Bestand der Dienstbarkeit zum Gegenstand hatte. In einem weiteren, gleichfalls im Jahre 1939 abgeführten Rechtsstreit, der den Umfang dieser Dienstbarkeit zum Gegenstand hatte, wurde ausgesprochen, daß der Klägerin zwar das Recht zustehe, auf dem Fahrweg mit leichten Kraftfahrzeugen zu fahren, nicht aber das Recht, diesen Weg auch zum Fahren mit schweren Kraftfahrzeugen zu benützen.
Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, daß ihr das Recht zustehe, den Weg nunmehr auch mit schweren Kraftfahrzeugen zu befahren. Sie stützte ihr Begehren darauf, daß es sich bei dem gegenständlichen Weg um den Zugang zu ihrem bereits seit 1903 auf der herrschenden Liegenschaft betriebenen Gemischtwarengeschäft handle. Im Vorprozeß sei für die Entscheidung, daß mit schweren Kraftfahrzeugen auf dem Weg nicht gefahren werden dürfe, maßgebend gewesen, daß es sich damals um einen Wiesenweg ohne feste Unterlage gehandelt habe, der durch schwere Kraftfahrzeuge beschädigt worden wäre, sowie, daß damals die Zufuhr der für das Geschäft benötigten Waren üblicherweise ohnehin nur mit Behelfslieferwagen besorgt worden sei. Mittlerweile hätten sich die Umstände grundlegend geändert. Die Warenzufuhr müsse heute aus Konkurrenzgrunden mit schweren Kraftfahrzeugen erfolgen. Die Gefahr einer Schädigung des Weges durch solche Kraftfahrzeuge sei heute nicht mehr gegeben, weil der Weg inzwischen befestigt und mit einer Asphaltdecke versehen worden sei.
Das Erstgericht wies die Klage zurück. Es hielt die vom Beklagten erhobene Einrede der rechtskräftig entschiedenen Streitsache für begrundet. Es war der Ansicht, daß der mit der vorliegenden Klage geltend gemachte Anspruch in den entscheidenden Belangen mit dem im Jahre 1939 bereits rechtskräftig entschiedenen Anspruch identisch sei. Die behaupteten Änderungen der die Warenzufuhr betreffenden Umstände sowie des Zustandes des Servitutsweges könnten nicht als eine die neuerliche Klagsführung rechtfertigende Änderung des rechtserzeugenden Sachverhaltes angesehen werden.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin Folge. Es hob den Beschluß der ersten Instanz auf und trug dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens auf. Es teilte nicht die Ansicht des Erstgerichtes, daß aus dem Klagsvorbringen eine die neuerliche Klagsführung rechtfertigende Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes nicht abgeleitet werden könne. Bei Dienstbarkeiten seien im Verlauf der Zeit Änderungen des Inhaltes möglich, weshalb bei behaupteten Änderungen der Verhältnisse eine neuerliche Klagsführung grundsätzlich zulässig sei. Die Frage, ob die behaupteten Änderungen eine von der vorangegangenen Entscheidung abweichende Entscheidung rechtfertigen, sei bereits Gegenstand der materiellrechtlichen Prüfung des neuen Sachverhaltes.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Rekurs des Beklagten ist nicht gerechtfertigt.
Daß erst nach Schluß der mündlichen Verhandlung eintretende Änderungen des rechtserzeugenden Tatbestandes durch die Rechtskraft nicht gedeckt sind, entspricht der Lehre (vgl. Fasching Komm. S. 724 zu § 411 Anm. 43) und der Rechtsprechung (vgl. SZ. XXII 167 u. a.). Allerdings wird nicht jede behauptete nachträgliche Änderung schlechtweg als ausreichende Rechtfertigung einer neuen Klagsführung angesehen werden können. Um eine selbständige, neue Klage zu rechtfertigen, muß es sich um eine rechtserhebliche, nachträgliche Tatbestandsänderung handeln. Durch die Behauptung einer rechtlich unerheblichen, nachträglichen Änderung der Umstände könnte die Zulässigkeit einer neuerlichen Klagsführung nicht dargetan werden.
Da bei Dienstbarkeiten, deren Ausmaß durch den Titel, auf dem sie beruhen, nicht eindeutig bestimmt ist, grundsätzlich das jeweilige Bedürfnis des herrschenden Gutes entscheidend ist, soweit dadurch die Servitut nicht unzulässig erweitert wird (§ 484 ABGB.), können nachträgliche, rechtserhebliche Änderungen hinsichtlich der Art und des Umfanges der Servitutsausübung in Betracht kommen, zumal in gerichtlichen Entscheidungen über den Umfang und die Art der Servitutsausübung nicht auf alle möglichen künftigen Änderungen vorweg Bedacht genommen werden kann. Ob es sich um eine der angeführten Gesetzesstelle widersprechende, unzulässige Erweiterung der Dienstbarkeit oder nur um eine zulässige Anpassung an die fortschreitende technische Entwicklung handelt, wie z. B. im Falle der Umstellung von Pferdefuhrwerk auf Lastkraftwagen (vgl, SZ. XXV 304 u. a.), wird sich meist nicht schon auf Grund des Klagsvorbringens, sondern erst nach Prüfung des Sachverhaltes beurteilen lassen.
Im vorliegenden Fall behauptet nun die Klägerin eine Änderung des der Vorentscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes sowohl hinsichtlich der Beschaffenheit des Servitutsweges als auch hinsichtlich der üblichen Art der auf dem Servitutsweg zu bewerkstelligenden Warenzufuhr. Die Rechtserheblichkeit solcher Änderungen kann nicht von vornherein verneint werden. Es kann nicht gesagt werden, daß im Hinblick auf den Inhalt der Vorentscheidung ein Befahren des Weges mit schweren Kraftfahrzeugen trotz der behaupteten, späteren Änderungen des Sachverhaltes keinesfalls als zulässig angesehen werden könne. Durch die Vorentscheidung ist der Umfang der auf Ersitzung beruhenden Wegeservitut nicht, wie der Beklagte meint, ein für allemal eindeutig bestimmt worden. Dem Rekursgericht ist daher darin beizupflichten, daß der vorliegenden Klagsführung nicht die Rechtskraft der Vorentscheidung entgegensteht.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)