Spruch:
Zur Frage der allfälligen Sittenwidrigkeit einer Vereinbarung nach § 7 Abs 1 MG
OGH 11. 5. 1971, 8 Ob 256/70 (LGZ Graz 3 R 200/70; BGZ Graz 24 C 53/70)
Text
Die Kläger als Vermieter begehren von der Beklagten als Mieterin einen Betrag von S 2939.44 als einmalige Leistung neben dem Mietzins von S 15.- für den Monat Jänner 1970 auf Grund einer Vereinbarung gem § 7 Abs 1 MG, die ohne Zustimmung der Beklagten getroffen wurde.
Das Erstgericht hat das Klagebegehren abgewiesen.
Das Berufungsgericht hat das erstgerichtliche Urteil aufgehoben und die Rechtssache unter Rechtskraftvorbehalt an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der beklagten Partei gegen diesen berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluß nicht Folge und sprach aus, daß die Rekurskosten als weitere Verfahrenskosten zu behandeln seien.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Oberste Gerichtshof hatte Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der hier anzuwendenden Bestimmung des § 7 Abs 1 MG und hat sich daher vor der Entscheidung über den Rekurs der Beklagten gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes an den Verfassungsgerichtshof mit dem Antrag gewendet, die angeführte Bestimmung als verfassungswidrig aufzuheben. Der Verfassungsgerichtshof hat jedoch diesem Antrag mit Entscheidung vom 3. 3. 1971, G 11, 29/70, keine Folge gegeben. Es ist daher nunmehr über den Rekurs der Beklagten gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes unter Zugrundelegung der angeführten Gesetzesstelle zu entscheiden.
Die vom Erstgericht vertretene Ansicht, eine Vereinbarung nach § 7 Abs 1 MG sei für den nicht zustimmenden Mieter nur dann verbindlich, wenn sie den Vorschriften des Mietengesetzes über Zinsbildung entspreche und der nicht zustimmende Mieter dadurch nicht wesentlich schlechter gestellt werde als durch eine vom Gericht gemäß § 7 Abs 2 MG beschlossene Zinserhöhung, findet, wie der Oberste Gerichtshof bereits im Beschluß vom 1. 12. 1970, 8 Ob 256/70, ausgeführt hat, in dieser allgemeinen Form weder im Wortlaut noch im Sinn der durch das Mietrechtsänderungsgesetz novellierten Bestimmung des § 7 Abs 1 MG eine Stütze. Die Überprüfung der Vereinbarung durch das Gericht hat sich darauf zu beziehen, ob sie den Voraussetzungen des § 7 Abs 1 MG entspricht (siehe hiezu die in diesem Punkt ausführlich begrundete Entscheidung des OGH 5 Ob 73/70 = EvBl 1970/295) und nicht an einem nach den allgemeinen Bestimmungen des Privatrechtes zu beurteilenden, der Gültigkeit entgegenstehenden Mangel leidet.
Auf Grund der Tatsache allein, daß die Beklagte nach der Vereinbarung den gesamten auf sie entfallenden Mehrbetrag von S 2939.44 innerhalb eines Monates zu leisten hat, während das Gericht in einer nach § 7 Abs 2 MG zu fällenden Entscheidung bei größeren Instandhaltungsarbeiten die Zahlungsfrist je nach der wirtschaftlichen Lage des Vermieters und der Gesamtheit der Mieter innerhalb eines vorgesehenen Spielraumes nach billigem Ermessen festzusetzen hat, kann daher die Vereinbarung noch nicht als für die Beklagte unverbindlich angesehen werden.
Was den Einwand der Sittenwidrigkeit der Vereinbarung anlangt, so kann gleichfalls aus der dem erstgerichtlichen Urteil zugrunde liegenden Feststellung allein, daß hiedurch der Beklagten für den Monat Jänner 1970 neben dem Mietzins von S 15.- eine einmalige Leistung in Höhe von S 2939.44 auferlegt wurde, die den Rentenbezug der Beklagten von rund S 1400.- monatlich um das Doppelte übersteigt, noch nicht eine die Ungültigkeit der Vereinbarung nach sich ziehende Sittenwidrigkeit abgeleitet werden. Gegen die guten Sitten verstoßt, was offenbar, geradezu widerrechtlich ist, ohne gegen ein ausdrückliches gesetzliches Verbot zu verstoßen (vgl Klang Komm[2] IV 181). Eine solche offenbare Widerrechtlichkeit kann aus dem Mißverhältnis zwischen dem von der Beklagten zu leistenden Beitrag zu den Auslagen für die ordnungsgemäße Erhaltung des Hauses und dem Renteneinkommen der Beklagten allein noch nicht gefolgert werden.
Anderseits kann aber auch der Ansicht des Berufungsgerichtes, eine den sonstigen Voraussetzungen des § 7 Abs 1 MG entsprechende freie Vereinbarung könne schon deshalb, weil sie vom Gesetzgeber zugelassen sei, nicht als sittenwidrig angesehen werden, in dieser allgemeinen Form nicht beigetreten werden. Auch ein vom Gesetz nicht verbotenes Verhalten kann sittenwidrig sein, wenn es nach den Umständen des Falles als grob rechtswidrig beurteilt werden muß.
Eine Sittenwidrigkeit in diesem Sinn kann hier nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Wohl muß es sich bei einer Vereinbarung im Sinn des § 7 Abs 1 MG um die Bedeckung der zur ordnungsgemäßen Erhaltung des Hauses erforderlichen Auslagen handeln, also um einen Aufwand, der in der Regel der Gesamtheit der Mieter und damit auch dem überstimmten Mieter zugute kommt. Allein solche Erhaltungsauslagen können eine sehr beträchtliche Höhe erreichen, zumal es sich nicht, wie im Fall des § 7 Abs 2 MG, um unbedingt notwendige Erhaltungsauslagen handeln muß. Da nun im Fall des § 7 Abs 1 MG, anders wie im Fall des § 7 Abs 2 MG, eine Bedachtnahme auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesamtheit der Mieter, also auch der der überstimmten Mieter, nicht vorgeschrieben ist und daher auch die Festlegung der sofortigen Zahlungspflicht nicht gegen eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung verstößt, kann es sein, daß der wirtschaftlich schwache überstimmte Mieter auf diese Weise eine der Deckung der Auslagen für langlebige Erhaltungsaufwendungen dienende, sehr beträchtliche und sofort fällige Last auferlegt erhält, die seine Leistungsfähigkeit übersteigt. Wäre er nun außerstande, den ihm solcherart auferlegten Beitrag zum Erhaltungsaufwand innerhalb der festgelegten Frist zu bezahlen, dann würde dadurch der Kündigungsgrund nach § 19 Abs 2 Z 1 MG in der Fassung des Mietrechtsänderungsgesetzes hergestellt. Er würde auf Grund einer solchen Kündigung die Wohnung und damit auch die Möglichkeit verlieren, den Nutzen der Aufwendungen weiter zu genießen, dessen ungeachtet aber unter Umständen weiter für die Bezahlung des ihm auferlegten Beitrages für die in der Zeit des aufrechten Bestandes des Mietverhältnisses gemachten Aufwendungen haften. Jedenfalls könnte mit einer solchen Vereinbarung, ohne gegen ein ausdrückliches gesetzliches Verbot zu verstoßen, die Verpflichtung zur Leistung sehr beträchtlicher Beiträge für langlebige Erhaltungsaufwendungen ohne triftigen Grund allein deshalb sofort fällig gestellt werden, um so einen Kündigungsgrund gegen den wirtschaftlich schwachen Mieter zu erhalten. Ein solches Vorgehen könnte unter Umständen als Verstoß gegen die guten Sitten zu beurteilen sein.
Schon das Vorbringen der Beklagten in erster Instanz enthält nun Behauptungen in dieser Richtung. Das Erstgericht hat zwar auf Grund des Verhaltens der Vermieter und der beide übrigen, der Vereinbarung zustimmenden Mieter, von denen der eine mit der Erstklägerin und der andere mit der Zweitklägerin verheiratet ist, angenommen, daß es die der Vereinbarung zustimmenden Mieter und die Vermieter darauf abgesehen hätten, die Beklagte auf diese Weise aus der Wohnung hinauszubringen. Zu einer verläßlichen Beurteilung des Sachverhaltes im vorangeführten Sinn reichen aber die vorliegenden Tatsachenfeststellungen nicht aus.
Es muß daher bei der Aufhebung des erstgerichtlichen Urteiles durch das Berufungsgericht verbleiben. Außer den notwendigen Ergänzungen in der Richtung, ob die sonstigen Voraussetzungen des § 7 Abs 1 MG vorliegen (siehe die oben zitierte Entscheidung EvBl 1970/295), werden auch die im Sinn der vorstehenden Ausführungen für die Beurteilung der Frage der Sittenwidrigkeit erforderlichen Klarstellungen vorzunehmen sein.
Da der Rekurs zur Klärung der Frage beigetragen hat, worauf sich das fortgesetzte Verfahren zu beziehen haben wird, war die Entscheidung über die Rekurskosten der Endentscheidung vorzubehalten.
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