Spruch:
Die mit dem Vorkaufsrecht belastete Liegenschaft kann dem Vorkaufsberechtigten auch noch nach der bücherlichen Übertragung an einen anderen Erwerber angeboten werden.
Entscheidung vom 15. Oktober 1963, 8 Ob 255/63.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Der Kläger begehrte die Feststellung, daß das dem Beklagten an den 3/16 Anteilen der Anna P., des Friedrich P., des Kurt P. und der Elfriede L. an der Liegenschaft EZ. 409 Katastralgemeinde Sp., bestehend aus den Grundstücken 636 Bauareal, 635/1 Garten und 637 Garten, zustehende Vorkaufsrecht erloschen sei.
Das Erstgericht hat dem Klagebegehren stattgegeben. Es ist von folgenden Feststellungen ausgegangen: Der Beklagte sei zu drei Sechzehntel, die vier oben genannten Personen zu je drei Vierundsechzigstel Miteigentümer der Liegenschaft EZ. 409 Katastralgemeinde Sp., der Beklagte habe an den ihm nicht gehörenden Liegenschaftsanteilen ein Vorkaufsrecht. Der Kläger habe mit Kaufvertrag vom 12. Juni 1962 die je drei Vierundsechzigstel Anteile der Anna P., des Friedrich P., des Kurt P. und der Elfriede L. um 50.000 S gekauft. Als Nebenverpflichtung habe er es übernommen, das Haus nicht abreißen, sondern renovieren zu lassen, die im Hause wohnenden Verkäufer hinsichtlich jeder daraus entstehenden Mietzinserhöhung schad- und klaglos zu halten und die Benützungsverhältnisse im Garten des Hauses so zu belassen, wie sie der Anna P. und der Elfriede L. zustanden. Diese Nebenabreden seien aus Gebührengrunden und mangels grundbücherlicher Erheblichkeit nicht in die dem Grundbuchgerichte bzw. dem Finanzamt eingereichte Vertragsurkunde aufgenommen worden. Die Einverleibung des Eigentumsrechtes des Klägers sei trotz des aufrechten Vorkaufsrechtes des Beklagten bewilligt worden. Der Beklagte habe einen Rekurs dagegen eingebracht und zugleich beim öffentlichen Notar Dr. I. treuhändig den Kaufpreis von 50.000 S erlegt. Mit Schreiben vom 10. Juli 1962 habe er davon dem Klagevertreter, der auch die Veräußerer vertreten habe, Mitteilung gemacht und gleichzeitig erklärt, in den Kaufvertrag einzutreten. Der Klagevertreter habe mit Schreiben vom 17. Juli 1962 namens des Klägers und der Veräußerer erklärt, daß er gegen die zweifellos stattgebende Rekursentscheidung kein Rechtsmittel ergreifen werde und er habe dem Beklagten in diesem Briefe die Einlösung des Kaufvertrages angeboten. Hiebei habe er dem Beklagten auch die in der Tabularurkunde nicht enthaltenen Nebenabreden, betreffend Renovierung, Zins und Gartenbenützung, mitgeteilt. Der Beklagte habe mit Schreiben vom 27. Juli 1962 die Erfüllung der weiteren Vertragspflichten abgelehnt. Er habe in der Folge gegen die Verkäufer eine Klage auf Abschluß des Kaufvertrages und Einwilligung in die Einverleibung seines Eigentumsrechtes und gegen den Käufer (den jetzigen Kläger) eine Klage auf Herausgabe (Übergabe) der Liegenschaftsanteile eingebracht. Beide Verfahren seien noch anhängig. In rechtlicher Hinsicht bejahte das Erstgericht das Feststellungsinteresse des Klägers, da er ohne ein das Erlöschen des Vorkaufsrechtes feststellendes Urteil die Einverleibung seines Eigentumsrechtes nicht erwirken könne. Es führte ferner aus, das Anbot vom 17. Juli 1962 sei rechtzeitig gewesen und habe die Frist des § 1075 ABGB. in Lauf gesetzt. Der Beklagte wäre gegenüber dem Veräußerer zur Erfüllung aller Vertragsbedingungen, die sie mit dem Kläger vereinbart hätten, verpflichtet gewesen. Er habe aber diese volle Erfüllung durch 30 Tage hindurch nicht einmal angeboten. Das Vorkaufsrecht sei daher erloschen.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Oberste Gerichtshof hatte sich zunächst von Amts wegen mit der Frage der Zulässigkeit einer Feststellungsklage zu befassen (SZ. XXVI 116, SZ. XXIV 267 u. v. a.).
Nach Lehre und ständiger Rechtsprechung ist eine Feststellungsklage dann unzulässig, wenn eine Leistungsklage eingebracht werden kann und das mögliche Leistungsbegehren all das bietet, was mit dem Feststellungsbegehren angestrebt wird. Geht aber die Feststellungsklage inhaltlich über eine mögliche Leistungsklage hinaus, dann ist die Feststellungsklage das geeignete Mittel, um die durch die Ungewißheit der Rechtslage hervorgerufene Gefährdung des Klägers zu beseitigen (Fasching, Komm. zu den ZP.-Gesetzen, zu § 228 ZPO., Anm. 25). Im vorliegenden Falle kann nach der Sachlage ein Prozeß wegen Schadenersatz oder Herausgabe von Früchten gegen den heutigen Kläger nicht ausgeschlossen werden; dann müßte die Frage des Bestehens oder Nichtbestehens des Vorkaufsrechtes des Beklagten als Vorfrage entschieden werden. Aus dieser Überlegung kommt daher der Oberste Gerichtshof zur Bejahung des Interesses des Klägers an der von ihm begehrten Feststellung des Erlöschens des Vorkaufsrechtes des Beklagten und damit zur Zulässigkeit der Feststellungsklage.
Zum Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung führt der Beklagte aus, aus § 1079 ABGB. ergebe sich, daß nach Kaufvertragsabschluß oder gar nach, wenn auch nicht rechtskräftiger, Einverleibung der bücherlichen Rechte des Erwerbers eine Anbietung nicht mehr möglich sei. Er will daraus ableiten, daß das Schreiben des Klagevertreters vom I7. Juli 1962 die 30tägige Frist des § 1075 ABGB. daher nicht mehr in Lauf setzen konnte. Dieser Ansicht kann nicht zugestimmt werden. Schon das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, daß nach übereinstimmender Lehre der Verkaufsverpflichtete dem Berechtigten die Einlösung anzubieten hat, wenn er die vom Vorkaufsrecht betroffene Sache anderweitig verkauft hat oder sie verkaufen will und ein bindendes Kaufangebot erhalten hat (Bettelheim in Klang, Komm.[2], II/2, § 1072, II, S. 1020, Ehrenzweig, Recht der Schuldverhältnisse[2], § 356, III, S. 419), das heißt das Anbot kann vor oder auch nach Abschluß des Kaufvertrages gestellt werden. Im vorliegenden Falle ist der Kaufvertrag bereits abgeschlossen gewesen, ja der Erwerber wurde sogar im Grundbuch bereits als Eigentümer, allerdings noch nicht rechtskräftig, eingetragen. Der Beklagte will aus der Bestimmung des § 1079 ABGB. den Schluß ziehen, daß er in einem solchen Falle nur mehr das Recht habe, die veräußerte Sache dem Erwerber abzufordern. Dieser Ansicht kann nicht zugestimmt werden. § 1079 ABGB. gibt dem Berechtigten aus einem dinglichen Vorkaufsrecht, wenn der Vorkaufspflichtige ihm die Einlösung nicht angeboten hat, nicht nur das Recht, die veräußerte Sache dem Dritten abzufordern, sondern auch das Recht, vom Vorkaufspflichtigen Schadenersatz zu verlangen. Dieser Schadenersatzanspruch geht wie jeder andere Schadenersatzanspruch primär auf Naturalersatz, das heißt anderweitige Verschaffung der Möglichkeit des Erwerbes des mit dem Vorkaufsrecht belasteten Objektes (SZ. XXXII 14). Kann aber der Vorkaufspflichtige bei Unterlassung des Anbotes auf Verschaffung der Möglichkeit des Erwerbes der Liegenschaft, die mit dem Vorkaufsrecht belastet war, geklagt werden, dann muß ihm auch das Recht zugebilligt werden, dem Vorkaufsberechtigten diese Erwerbsmöglichkeit anzubieten, ohne die Klage abzuwarten. Wie er dieses Anbot erfüllen zu können glaubt, etwa dadurch, daß er dem dritten Erwerber eine Abstandszahlung leistet oder ihn sonst veranlaßt zugunsten des zunächst übergangenen Vorkaufsberechtigten vom Vertrage abzustehen, ist für den Vorkaufsberechtigten belanglos. Wenn es also im vorliegenden Falle auch zweifellos zutrifft, daß die Veräußerer dem Beklagten das Kaufangebot, auf das er kraft seines Vorkaufsrechtes Anspruch hatte, später gemacht haben, als sie es hätten tun sollen, so haben sie es doch gültig gemacht und damit die Frist des § 1075 ABGB. in Lauf gesetzt.
Da die Untergerichte festgestellt haben, daß die im Schreiben des Klagevertreters vom 17. Juli 1962 dem Beklagten mitgeteilten Bedingungen des Kaufvertrages zwischen den Veräußerern und dem Kläger tatsächlich vereinbart worden sind und daß der Beklagte innerhalb der 30tägigen Frist nach Empfang des Anbotes dieses nicht angenommen hat, war nach zutreffender Rechtsansicht der Untergerichte das Vorkaufsrecht des Beklagten erloschen. Auf die Frage der Einverleibung des Eigentumsrechtes des Erwerbers und deren Rechtskraft war daher gar nicht einzugehen.
Der Revision war somit nicht Folge zu geben.
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