Spruch:
Nach § 381 Z. 2 EO. kann durch einstweilige Verfügung auch ein gewaltsamer Eingriff behoben werden
Entscheidung vom 14. September 1965, 8 Ob 233/65
I. Instanz: Bezirksgericht Innsbruck; II. Instanz: Landesgericht Innsbruck
Text
Die Klägerin begehrt mit der von ihr am 17. März 1965 beim Erstgericht eingebrachten Klage, den Beklagten schuldig zu erkennen, das von ihm an der Tür der von der Klägerin im Hause des Beklagten gemieteten Wohnung angebrachte Vorhängeschloß sofort zu entfernen.
Das Erstgericht erließ mit Beschluß vom 31. Mai 1965 auf Antrag der Klägerin eine einstweilige Verfügung, mit der zur Sicherung des Anspruches der Klägerin auf Abnahme des Vorhängeschlosses von der Wohnungstür dem Beklagten geboten wurde, das vorbezeichnete Vorhängeschloß sofort zu entfernen, und ihm gleichzeitig verboten wurde, die oben näher bezeichnete Wohnung der Klägerin neuerdings zu versperren. Die einstweilige Verfügung wurde bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Klägerin ihren Anspruch durch Zwangsvollstreckung wird geltend machen können, längstens aber bis 31. Dezember 1965, bewilligt. Der Nichtvollzug bzw. die Aufhebung der Verfügung wurde vom Erlag eines Betrages von 30.000 S durch den Beklagten abhängig gemacht.
Das Rekursgericht änderte den Beschluß des Erstgerichtes dahin ab, daß es den Antrag der Klägerin auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung abwies.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der klagenden Partei Folge und stellte den erstgerichtlichen Beschluß wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Das Erstgericht stellte den Antrag der Klägerin auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung dem Beklagten mit der Aufforderung zur Stellungnahme binnen acht Tagen zu. Dieser Vorgang entspricht der Bestimmung des § 55 (1) EO., die gemäß § 402 EO. im Verfahren über einstweilige Verfügungen anzuwenden ist. Aus der vom Beklagten erstatteten Äußerung geht hervor, daß der Beklagte die von der Klägerin gemietete Wohnung aufgekundigt und als Aufkündigungsgrund § 19 (2) Z. 13 MietG. geltend gemacht hat. Aus der Äußerung des Beklagten ergibt sich weiter, daß der Beklagte das Vorhängeschloß an der Wohnungstür der Klägerin angebracht hat. Damit hat der Beklagte zugestanden, daß die Klägerin Mieterin der oben näher bezeichneten Wohnung ist. Aus dem Mietverhältnis fließt die Verpflichtung des Vermieters, den Mieter in dem bedungenen Gebrauche oder Genusse des Mietobjektes nicht zu stören (§ 1096 ABGB.). Eine solche Störung liegt vor, wenn der Vermieter den Mieter oder andere Personen, denen der Mieter den Zugang zu seiner Wohnung gestattet, am Zutritt zur Wohnung hindert oder diesen Zutritt erschwert. Der Anspruch der Klägerin auf Entfernung des vom Beklagten an ihrer Wohnungstür angebrachten Vorhängeschlosses ist daher berechtigt. Die Maßnahme des Beklagten wird auch nicht durch die Besorgnis gerechtfertigt, daß bestimmte Personen gegen den Willen des Beklagten die Wohnung betreten könnten. Es ist Sache der Klägerin dafür Sorge zu tragen, daß eine vertragswidrige Wohnungsbenützung durch unerwünschte Personen ausgeschlossen wird. Wer im Rahmen einer üblichen Wohnungsmiete die Wohnung des Mieters aufsuchen darf, hat nicht der Hauseigentümer, sondern der Mieter zu bestimmen. Dem Beklagten steht daher vor allem auch nicht das Recht zu, von einer Person, die sich mit dem Willen der Klägerin im Besitze eines Schlüssels zur Wohnung der Klägerin befindet, den Nachweis zu verlangen, daß diese Person von der Klägerin ermächtigt sei, die Wohnung zu betreten, und von der Erbringung eines solchen Nachweises die Ausfolgung des Schlüssels zum Vorhängeschloß an der Wohnungstür abhängig zu machen. Das Gebrauchsrecht des Mieters kann auch nicht mit der Begründung, eingeschränkt werden, daß sich der Mieter im Ausland aufhalte, nicht mehr die Absicht habe, ins Inland zurückzukehren, und das Mitverhältnis nur deshalb aufrechterhalte, um die Wohnung Verwandten zu überlassen. Eigene Vertragsverletzungen kann der Vermieter nicht damit entschuldigen, daß er behauptet, es bestehe die Gefahr, der Mieter wolle, obwohl er kein dringendes Wohnungsbedürfnis habe, die Wohnung gegen die guten Sitten anderen Personen überlassen. Die Erhebung des gegenständlichen Klagsanspruches, der seine Grundlage in der Bestimmung des § 1096 ABGB. hat, stellt auch keine Umgehung des Mietengesetzes dar. Die Anbringung des Vorhängeschlosses durch den Beklagten ist ein eigenmächtiger Eingriff in das Mietrecht der Klägerin, dessen Beseitigung nach § 381 Z. 2 EO. im Wege der einstweiligen Verfügung von der in ihrem Recht verletzten Mieterin begehrt werden kann. Der Rechtssatz, daß eine einstweilige Verfügung der endgültigen Entscheidung nicht vorgreifen dürfe und insbesondere im Wege der einstweiligen Verfügung nicht das bewilligt werden dürfe, was die gefährdete Partei erst seinerzeit im Wege der Exekution auf Grund eines ihr günstigen Urteiles erzwingen könnte, gilt nur für jene einstweiligen Verfügungen, welche der Sicherung der Prozeßführung oder des Exekutionsobjektes dienen, somit für einstweilige Verfügungen zur Sicherung von Geldforderungen (§ 379 EO.) und zur Sicherung anderer Ansprüche nach § 381 Z. 1 EO. Er gilt aber nicht für einstweilige Verfügungen nach § 381 Z. 2 EO. In diesen Fällen kann im Wege der einstweiligen Verfügung auch das bewilligt werden, was die gefährdete Partei erst im Wege der Exekution auf Grund eines ihr günstigen Urteiles erreichen kann. § 381 Z. 2 EO. ist ferner dahin auszulegen, daß einstweilige Verfügungen nicht nur zur Verhütung drohender Gewalt, sondern auch in Fällen, in denen ein Recht durch einen gewaltsamen Eingriff bereits verletzt wurde und ein Anspruch der gefährdeten Partei auf Behebung des durch diese Rechtsverletzung herbeigeführten Zustandes entstanden ist, zwecks Wiederherstellung des vor dem gewaltsamen Eingriff bestandenen Zustandes bewilligt werden können. Die wörtliche Auslegung der Bestimmung des § 381 Z. 2 EO. würde sonst dazu führen, daß nur der drohenden Gewalt begegnet werden könnte, der gewaltsame Eingriff aber hingenommen werden müßte.
Aus diesen Erwägungen war wie im Spruch zu entscheiden.
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