Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 35.654,80 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin S 40,-- Barauslagen und S 5.935,80 Umsatzsteuer) sowie die mit S 34.625,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 13.250,-- Barauslagen und S 3.562,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte ist Eigentümerin der EZ 127, GB B*****, mit den Grundstücksnummern 105/44 Baufläche (Gebäude), GstNr 144 und GstNr 105/45, Grundstücksadresse G*****gasse 6. Der Kläger ist Mieter der Geschäftsräume des Hauses Wien 14, G*****gasse 6, Parterre, Tür 1. Gemäß § 11 des Mietvertrages ist er berechtigt, durch die Garage in den Hof zu fahren, Ladetätigkeiten im Hof durchzuführen und ständig ein Kraftfahrzeug im Hof zu parken. Er betreibt in diesem Mietobjekt ein Druckereiunternehmen.
Mit Bescheid des Bundesministeriums für öffentliche Wirtschaft und Verkehr vom 29.6.1994, Zl 221.225/1-II/2/94, wurde die Beklagte bezüglich einer Teilfläche von 75 m2 des Grundstückes Nr 105/45 durch Einräumung von Servituten enteignet. Bezüglich einer Teilfläche (Teilfläche 1) erfolgte die Einräumung einer Servitut auf Dauer zur Duldung der Errichtung, des Bestandes und der Benützung eines U-Bahn-Stationswerkes, sowie zur Duldung des Baues und des Betriebes der U-Bahn (Linie U 3); zur Duldung der Durchführung aller zum Ausbau des genannten U-Bahnbauwerkes notwendigen ober- und unterirdischen Baumaßnahmen erfolgte bezüglich der Teilfläche 2 von 99 m2 die Einräumung einer Servitut auf Baudauer, somit voraussichtlich für drei Jahre; schließlich erfolgte noch die Enteignung durch Abtretung und Abruch einer Garage der Beklagten zwecks Herstellung des U-Bahnbauwerkes. Im Verfahren 2 Nc 133/94z des BG Hietzing wurde auf Antrag der Stadt Wien über die Festsetzung einer Entschädigung gemäß § 22 Eisenbahnenteignungsgesetz 1954 verhandelt. In diesem Verfahren verkündete die Beklagte als Antragsgegnerin dem Kläger den Streit und forderte ihn auf, dem Verfahren auf ihrer Seite beizutreten und seine Ansprüche wahrzunehmen, da er als Bestandnehmer in dem Verfahren teilnahmeberechtigt sei und seine Ansprüche gegen den Enteigner nicht direkt geltend machen könne. Daraufhin trat der Kläger dem genannten Verfahren als Nebenintervenient auf seiten der Antragsgegnerin bei und brachte vor, daß durch die Enteignung ein Teil seines Gewerbebetriebes unbenützbar werde. Des weiteren sei sein Betrieb durch die aufgrund der Enteignung nicht mehr vorhandene Zufahrtsmöglichkeit in den Hof schwer beeinträchtigt. Durch die Bauarbeiten seien weitere schwere Beeinträchtigungen zu erwarten, insbesondere da er mit hochsensiblen Geräten arbeite. Eine genaue Angabe des ihm zustehenden Schadenersatzbetrages behalte er sich vor.
In diesem Verfahren wurde wegen der mangelnden Zufahrtsmöglichkeit eine Mietminderung im Betrag S 1.500,-- monatlich für die voraussichtliche Bauzeit von 30 Monaten, sohin von insgesamt S 45.000--, als angemessen festgestellt. Das Verfahren wurde durch einen Vergleich zwischen der Stadt Wien und der Beklagten abgeschlossen, in welchem sich die Parteien darüber einigten, daß die Stadt Wien für die Enteignung der Rechte der Beklagten einen Pauschalbetrag von S 775.000,-- zuzüglich USt, für die durch die Enteignung eingeschränkten Mietrechte des Klägers einen Pauschalbetrag von S 50.000,-- inklusive USt und für die Kosten des Enteignungsverfahrens einen Pauschalbetrag von S 136.000,-- an die Beklagte zu leisten hatte.
Nach Erhalt dieser Beträge überwies die Beklagte dem Kläger von S 50.000,--. Der Kläger verweigerte jedoch die Annahme und retournierte das Geld an die beklagte Partei, welche sodann die gerichtliche Hinterlegung beantragte.
Der Kläger führt seinen Betrieb nach wie vor weiter und es konnte nicht festgestellt werden, daß er durch die Bauarbeiten derart beeinträchtigt ist, daß er seinen Betrieb einstellen bzw absiedeln muß. Für die Dauer der Bauarbeiten ist er dadurch beeinträchtigt, daß er nicht durch die Einfahrt in den Hof fahren und dort abladen kann, sondern vor der Vorderfront des Gebäudes halten, abladen und das angelieferte Material händisch in die Druckerei befördern muß. Weiters liefert die vom Kläger eingesetzte Reprokamera aufgrund der mit dem U-Bahnbau verbundenen Erschütterungen fallweise unscharfe Bilder, wodurch dem Kläger ein Schaden von etwa S 5.000,-- entstanden ist. An zwei weiteren von ihm benutzten Druckmaschinen ist bisher kein Schaden entstanden, jedoch könnte es aufgrund der Erschütterungen auch an diesen Maschinen zu Beschädigungen kommen.
Mit der Klage vom 30.5.1995 begehrte der Kläger die Feststellung, daß ihm die Beklagte aufgrund des aufrechten Mietvertrages vom 17.12.1974 für alle im Zuge des U-Bahnbaues der U-Bahnlinie U 3, Bauabschnitt 6, entstehenden Schäden, die aus der Beeinträchtigung der Benutzung der Mietrechte an dem Bestandobjekt 1140 Wien, G*****gasse 6/1 resultieren, hafte. Dieses Begehren begründete er damit, daß die Beklagte als Vermieterin für den vereinbarten und ordnungsgemäßen Gebrauch des Bestandgegenstandes hafte, weshalb er ein rechtliches Interesse an der Feststellung habe, daß die Beklagte eine Verpflichtung zum Ersatz der anfallenden Kosten bezüglich der Betriebsunterbrechung bzw Betriebsstillegung oder Absiedlung treffe. Der Betrieb des Klägers sei beeinträchtigt, weil ihm die laut Mietvertrag zugesicherte Zufahrt zum Hof zur Durchführung von Ladetätigkeiten, sowie die Benützung des Hofes zum Parken eines Kraftfahrzeuges nicht mehr möglich sei; Anlieferungen müßten händisch durch das straßenseitig gelegene Bürogebäude in den Hof getragen werden. Weiters komme es durch die Grabungsarbeiten zu Erschütterungen, die den Betrieb der Maschinen des Klägers stark beeinträchtigten; Maschinen würden beschädigt, Drucksachen müßten wegen zeitweiligen Maschinenausfalles mehrfach hergestellt werden. Die Beklagte hätte für den Kläger, der keinen direkten Anspruch im Enteignungsverfahren habe, in diesem Verfahren einen weit höheren Entschädigungsbetrag erwirken müssen.
Die Beklagte bestritt das Klagsvorbringen und beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, sie habe als Bestandgeberin die aus § 1096 ABGB abzuleitende Pflicht zur Geltendmachung der Ersatzansprüche ihres Bestandnehmers im eigenen Namen bei sonstiger Haftung gegenüber dem Bestandnehmer erfüllt. Da sie dafür gesorgt habe, daß dem Kläger alle im Zuge des U-Bahnbaues entstehenden Schäden aus der Beeinträchtigung der Mietrechte angemessen entschädigt würden, bestehe kein rechtliches Interesse des Klägers an einer solchen Feststellung. Die durch die Bauarbeiten verursachten Immissionen würden das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß nicht überschreiten und die ortsübliche Benutzung von Grundstücken auch nicht wesentlich beeinträchtigen. Insbesondere stehe der Weiterführung des Betriebes des Klägers nichts im Wege.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß der Vergleichsbetrag, über den sich die Beklagte mit der Stadt Wien geeinigt hat, keinen Befriedigungsfonds des Klägers darstelle, sondern jener Teilbetrag von S 50.000,-- lediglich den Schaden der Beklagten durch eine geminderte Vermietungsmöglichkeit des Objektes ausgleichen solle. Der Kläger habe mit dieser Feststellungsklage keine Zinsbefreiung bzw Zinsminderung begehrt. Er könne sich bei Unzufriedenheit bezüglich des Betrages von S 50.000,-- mit einer solchen Klage an die Beklagte wenden. Der Feststellungsanspruch hingegen gründe sich auf Schadenersatzrecht und setze daher ein Verschulden der beklagten Partei voraus. Dieser jedoch könne weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden. Dem Kläger sei durch die verminderte Gebrauchsfähigkeit des Objektes zwar ein Schaden entstanden und es würden ihm in Zukunft möglicherweise auch weitere Schäden entstehen, die Beklagte hafte dafür jedoch mangels Verschuldens nicht, da sie sich gegen die Enteignung zur Wehr gesetzt, eine umfangreich begründete Berufung eingebracht, dem Kläger im Verfahren 2 Nc 133/94z den Streit verkündet und ihn aufgefordert habe, als Nebenintervenient beizutreten; dadurch sei ihm Gelegenheit gegeben worden, selbst an der Festsetzung der Höhe der Entschädigungssumme mitzuwirken. Darüber hinaus könne sich der Kläger mit einer petitorischen Klage direkt gegen die Stadt Wien wenden.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und erklärte die Revision für unzulässig, da die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht vorlägen. Die Beklagte habe im Entschädigungsfestsetzungsverfahren die Interessen des Klägers nicht gewahrt, da sie unter Außerachtlassung der vom Kläger geltend gemachten Beeinträchtigungen einen Vergleich über die Entschädigungssumme geschlossen habe. Damit sei sie der ihr aufgrund des Bestandvertrages obliegenden Verpflichtung, die von ihrem Bestandnehmer herangetragenen Ersatzforderungen geltend zu machen, nicht nachgekommen, wobei im Sinne der geltenden Beweislastumkehr der Beklagten ein Entlastungsbeweis bezüglich ihres Verschuldens nicht gelungen sei. Es bestünde auch ein Feststellungsinteresse des Klägers, da die Ermittlung des bisher eingetretenen Schadens der Höhe nach noch nicht möglich sei und auch künftig Schäden auftreten könnten. Darüber hinaus sei die Feststellungsklage grundsätzlich überall dort zuzulassen, wo mit der Leistungsklage nur einzelne, aus dem Dauerschuldverhältnis resultierende Ansprüche geltend gemacht werden können, das Begehren auf Feststellung aber geeignet sei, die rechtliche Beziehung zwischen den Parteien ein für allemal klarzustellen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es abzuändern und das Klagebegehren abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die außerordentliche Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Da das Berufungsgericht, wie nachfolgenden Ausführungen zu entnehmen sein wird, von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abwich, liegt eine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO vor, sodaß die Revision der beklagten Partei zulässig und aus folgenden Gründen auch berechtigt ist.
In ihrer Revision führt die Beklagte aus, das Berufungsgericht stelle einen unzulässigen Zusammenhang zwischen Enteignungsentschädigung und Schädigung durch den Bau der U-Bahn her. Nach ständiger Rechtsprechung seien im Rahmen der Enteignungsentschädigung nur die unmittelbar durch die Enteignung entstehenden Nachteile, nicht jedoch die etwa durch Bauführung entstandenen weiteren Nachteile, wie zB aufgrund von Immissionen, zu ersetzen. Dem Bestandnehmer stehe darüber hinaus eine Unterlassungsklage gegen den Störer sowie ein Ausgleichsanspruch in direkter oder analoger Anwendung des § 364a ABGB zu. Soweit Unternehmensschäden im streitigen Verfahren erfolgreich geltend gemacht werden könnten, liege kein entschädigungsrelevanter Nachteil im Rahmen des Enteignungsfalles mehr vor. Die Haftung der Beklagten sei überdies schon deshalb zu verneinen, da sie kein Verschulden treffe.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 1096 Abs 1 ABGB ist der Vermieter verpflichtet, den Bestandgegenstand auf eigene Kosten in brauchbarem Stande zu übergeben und zu erhalten und die Bestandinhaber in dem bedungenen Gebrauche oder Genusse nicht zu stören. Diese Verpflichtung umfaßt auch den Schutz vor Beeinträchtigungen durch Dritte. Selbst wenn dem Bestandnehmer unmittelbare Ansprüche gegen den Störer eingeräumt sind, kann ihn der Bestandgeber nicht darauf verweisen, sondern muß auf Aufforderung des Bestandnehmers Ersatz- und Ausgleichsansprüche erheben (Würth in Rummel, ABGB I2, § 1096 Rz 9). Kommt der Bestandgeber dieser Verpflichtung nicht nach, so tritt verschuldensunabhängig Zinsbefreiung bzw -minderung als Gewährleistungsfolge besonderer Art ex lege ein. Darüberhinaus haftet der Bestandgeber bei Verschulden für jeden durch Vernachlässigung seiner Verpflichtung zur Gebrauchsgewährung verursachten Schaden.
Im Anlaßfall stützt der Kläger sein Feststellungsbegehren auf einen aus der Verletzung der sich aus § 1096 ABGB ergebenden Bestandgeberpflichten resultierenden Schadenersatzanspruch, da die Beklagte die Ansprüche des Klägers gemäß § 5 EisbEG im Enteignungsentschädigungsverfahren nicht ausreichend gewahrt habe. Diese Norm ordnet an, daß bei der Ermittlung der dem enteigneten Eigentümer zu leistenden Entschädigung auch auf die Nachteile Rücksicht zu nehmen ist, die Nutzungsberechtigte, Gebrauchsberechtigte oder Bestandnehmer durch die Enteignung erleiden, und deren Vergütung dem Enteigneten obliegt, sofern der als Ersatz für den Gegenstand der Enteignung zu leistende Betrag nicht zur Befriedigung der gegen den Enteigneten zustehenden Entschädigungsansprüche zu dienen hat. Die damit gemeinte Enteignungsentschädigung gemäß § 4 Abs 1 EisbEG wiederum umfaßt die "durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile", womit nach ständiger Rechtsprechung nur jene Schäden erfaßt sind, die sich unmittelbar aus der Enteignung, also aus dem erzwungenen Eigentumswechsel, ergeben. Hingegen sind Folgeschäden, insbesondere die sogenannten Unternehmensschäden, nämlich solche, die durch den Bau und Betrieb jenes "Unternehmens", zu dessen Errichtung die Enteignung erfolgte, nicht von dieser Entschädigungspflicht umfaßt (Brunner, Zum Begriff des Enteignungsschadens, ÖJZ 1972, 477;
Korinek/Pauger/ Rummel, Handbuch des Enteignungsrechtes 1994, 259;
Brunner, Die Enteignungs- und Entschädigungsbestimmungen von Eisenbahnenteignungsgesetz, Bundesstraßengesetz und Landesstraßengesetzen: Ein Überblick und Vergleich, ÖJZ 1993, 681; SZ 50/158; SZ 63/48; SZ 68/121). Daraus ergibt sich für den Anlaßfall, daß die vom Kläger behauptete Haftung der Beklagten für jene Schäden, die durch die bei der Bauführung erfolgenden Immissionen verursacht werden, keinesfalls bejaht werden kann, da derartige Ansprüche im Enteignungsentschädigungsverfahren gar nicht geltend gemacht hätten werden können. Durch die Bauführung verursachte Beeinträchtigungen durch Immissionen sind dem Bestandnehmer vom Verursacher - unabhängig von einer Enteignung - abzugelten (JBl 1992, 641), soferne sie nicht durch die Enteignung eines Teiles des Bestandgegenstandes herbeigeführt wurden.
Im Enteignungsverfahren ist nur der dinglich Berechtigte zur Geltendmachung der den Bestandnehmern verursachten Nachteile legitimiert. Die Schadloshaltung der obligatorisch berechtigten Bestandnehmer obliegt dem Enteigneten, der die materiell den Enteigner treffende und nach den Enteignungsgesetzen zu bemessende Sonderentschädigung dieser Nebenberechtigten gegen den Enteigner geltend zu machen und sie sodann den Nebenberechtigten zu überlassen hat (SZ 52/26; SZ 53/51 = JBl 1981, 271; SZ 55/175). Aber auch mit dieser Sonderentschädigung sind den obligatorisch Berechtigten nur die unmittelbar durch die Enteignung verursachten Nachteile zu ersetzen (SZ 52/26).
Das undifferenziert auf den Ersatz sämtlicher aus dem U-Bahnbau resultierender Schäden gerichtete und damit auch die jeden anderen - nicht unmittelbar von der Enteignung betroffenen Anrainer treffenden Nachteile umfassende Klagebegehren ist daher unberechtigt.
Der außerordentlichen Revision war daher im Sinne der Wiederherstellung des Urteiles des Erstgerichtes Folge zu geben.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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