OGH 8Ob141/19x

OGH8Ob141/19x24.1.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Antragstellerin mj M* P*, geboren am * 2008, in Unterhaltsangelegenheiten vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Bregenz, 6901 Bregenz, Bahnhofstraße 41, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 7. August 2019, GZ 2 R 170/19v‑33, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Bregenz vom 4. Juni 2019, GZ 9 Pu 315/19d‑28, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127524

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung unter Einschluss der bereits in Rechtskraft erwachsenen Teile insgesamt lautet:

„Der Vater Dr. C* P* wird verpflichtet, für die mj. M* P* in Abänderung seiner bisherigen Unterhaltsverpflichtung für die Zeit vom 1. 2. 2018 bis 31. 12. 2018 einen monatlichen Unterhalt von 540 EUR, vom 1. 1. 2019 bis 31. 3. 2019 einen monatlichen Unterhalt von 610 EUR und ab 1. 4. 2019 bis auf weiteres, längstens jedoch bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit der Minderjährigen, einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 640 EUR zu bezahlen.

Das Mehrbegehren vo m 1. 2. 2018 bis 31. 12. 2018 von monatlich 30 EUR, vom 1. 1. 2019 bis 31. 3. 2019 von monatlich 50 EUR und ab 1. 4. 2019 von monatlich 20 EUR wird abgewiesen.

Die bis zur Rechtskraft dieses Beschlusses fällig gewordenen Beträge sind abzüglich bereits geleisteter Zahlungen binnen 14 Tagen, die hinkünftig fällig werdenden bis zum Ersten eines jeden Monats im Voraus zu Handen des jeweiligen gesetzlichen Vertreters, das ist derzeit die Bezirkshauptmannschaft Bregenz, zu leisten.

Der Unterhaltsherabsetzungsantrag des Vaters wird abgewiesen.“

 

Begründung:

Der Antragsgegner war bisher als Vater der mj Antragstellerin, die im Haushalt der Mutter betreut wird, zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags von 530 EUR verpflichtet. Seit 1. 2. 2018 bezog der Vater, den keine weiteren Sorgepflichten treffen, ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 3.244 EUR.

Die Antragstellerin begehrte die Erhöhung der zuletzt festgesetzten Unterhaltsbeiträge ab 1. 2. 2018 auf 570 EUR und ab 1. 1. 2019 auf 660 EUR monatlich.

Der Vater stellte den Antrag auf Herabsetzung des Unterhalts auf den Regelbedarfssatz von 392 EUR monatlich und Berücksichtigung erbrachter laufender Naturalleistungen, insbesondere der Prämien für eine private Krankenversicherung in Höhe von monatlich 30,68 EUR.

Das Erstgericht gab dem Antrag des Kindes unter Abweisung des Mehrbegehrens und des Herabsetzungsbegehrens des Vaters teilweise statt.

Es setzte den Unterhaltsbeitrag ab 1. 2. 2018 mit 570 EUR und ab 1. 1. 2019 mit 640 EUR fest.

Ab dem Jahr 2019 sei der neu eingeführte „Familienbonus Plus“, den der Vater jedenfalls zur Hälfte lukrieren könne, sowohl als einkommenserhöhend, als auch bei der nach der Rechtsprechung gebotenen steuerlichen Entlastung des Unterhaltspflichtigen als unterhaltserhöhend zu berücksichtigen. Die vom Vater freiwillig bezahlten Versicherungsbeiträge seien nicht unterhaltsmindernd.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters teilweise dahingehend Folge, dass es den Unterhaltsbeitrag ab 1. 2. 2018 mit 540 EUR, vom 1. 1. 2019 bis 31. 3. 2019 mit 550 EUR und ab 1. 4. 2019 bis auf weiteres mit 580 EUR monatlich festsetzte.

Der mit 1. 1. 2019 eingeführte „Familienbonus Plus“, den der Vater zu 50 % beziehen könne, sei bei der Unterhaltsbemessung dadurch zu berücksichtigen, dass sich das monatliche Nettoeinkommen um diesen Betrag erhöhe. An der nach ständiger Rechtsprechung gebotenen Steuerentlastung durch Anrechnung der Transferleistungen sei hingegen unverändert festzuhalten, um eine doppelte Begünstigung zu vermeiden. Nach der Formel „Unterhalt = Prozentunterhalt – (Prozentunterhalt x Grenzsteuersatz x 0,004) + Unterhaltsabsetzbetrag“ errechne sich der ab 1. 1. 2019 gebührende monatliche Unterhalt mit 580 EUR.

Die Leistung eines privaten Krankenversicherungsbeitrags von monatlich 30,68 EUR sei bis 31. 3. 2019 in Abzug zu bringen. Eine derartige Versicherung gehöre nach der Rechtsprechung bei überdurchschnittlichen Lebensverhältnissen zum Lebensstandard. Ab 1. 4. 2019 sei die Anrechnung einzustellen, weil die Obsorgeberechtigte die weitere Naturalleistung ausdrücklich abgelehnt habe.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil der „Familienbonus Plus“ eine wesentliche Änderung der Rechtslage darstelle, zu deren unterhaltsrechtlichen Auswirkungen noch keine gefestigte höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.

In ihrem Revisionsrekurs stebt die Antragstellerin die Festsetzung des Unterhaltsbeitrags mit monatlich 640 EUR ab 1. 1. 2019 an.

Der Vater hat keine Rechtmittelbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Entscheidungen der Vorinstanzen mit der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur unterhaltsrechtlichen Wirkung des „Familienbonus Plus“ nicht im Einklang stehen. Der Revisionsrekurs ist teilweise auch berechtigt.

1. Die Antragstellerin vertritt den Standpunkt, dass die Einführung des „Familienbonus Plus“ dazu führe, dass bei den gegebenen Einkommensverhältnissen für eine Kürzung des Unterhalts aus steuerlichen Gründen kein Raum mehr bleibe. Die in der Rechtsprechung entwickelte Formel der steuerlichen Anrechnung sei daher um die Hinzurechnung des halben bzw vollen „Familienbonus Plus“ zu ergänzen.

2. Nach der nunmehr ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs handelt es sich beim „Familienbonus Plus“ um einen echten Steuerabsetzbetrag, den der Gesetzgeber mit der Zielsetzung eingeführt hat, zusammen mit dem Unterhaltsabsetzbetrag die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung der Geldunterhaltspflichtigen herbeizuführen. Dadurch findet eine Entkoppelung von Unterhalts- und Steuerrecht statt.

Der „Familienbonus Plus“ ist nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen; auch eine Anrechnung von Transferleistungen findet nicht mehr statt. „Familienbonus Plus“ und Unterhaltsabsetzbetrag bleiben damit in Hinkunft unterhaltsrechtlich neutral (4 Ob 150/19s; 8 Ob 80/19a ua).

3. Im Anlassfall beträgt der monatliche Unterhaltsbeitrag nach der Prozentmethode 20 % des festgestellten durchschnittlichen Nettoeinkommens des Vaters von 3.244 EUR, dies sind gerundet 650 EUR.

Der im Revisionsrekurs nur mehr begehrte Unterhaltsbeitrag von 640 EUR findet darin Deckung.

4. Ungeachtet der formal weitergehenden Anfechtungserklärung wird die vom Rekursgericht gebilligte Anrechnung eines Naturalunterhalts von monatlich 30 EUR bis 31. 3. 2019 im Revisionsrekurs inhaltlich nicht bekämpft.

Mangels gesetzmäßiger Ausführung des Rechtsmittels in diesem Punkt hat es für den Zeitraum vom 1. 1. 2019 bis 31. 3. 2019 bei dem Abzug von monatlich 30 EUR zu bleiben. Der Unterhaltsbeitrag reduziert sich daher in diesem Zeitraum auf 640 – 30 = 610 EUR monatlich.

Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben und die Entscheidungen der Vorinstanzen spruchgemäß abzuändern.

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