OGH 8Ob112/22m

OGH8Ob112/22m24.10.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn und die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart in der Pflegschaftssache der mj P*, geboren * 2018, wegen Anerkennung einer ausländischen Entscheidung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Kindesmutter V*, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in Bregenz, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 24. Juni 2022, GZ 1 R 129/22f‑66, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0080OB00112.22M.1024.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

 

Begründung:

[1] Die Minderjährige ist sowohl österreichische als auch amerikanische Staatsbürgerin und lebte mit ihren Eltern in Kalifornien. Im Sommer 2021 entschloss sich die Kindesmutter während eines Aufenthalts in Österreich, mit der Minderjährigen gegen den Willen des Kindesvaters dauerhaft in Österreich zu bleiben. Das Erstgericht ordnete mit Beschluss vom 7. 2. 2022 die Rückführung der Minderjährigen in die USA an, weil es das Verhalten der Kindesmutter als widerrechtliches Zurückhalten des Kindes nach Art 3 HKÜ qualifizierte. Mit Beschluss vom 26. 4. 2022 veranlasste das Erstgericht die Vollstreckung der Rückführungsanordnung. Mit Entscheidung des Superior Court Los Angeles vom 28. 4. 2022 wurde dem Kindesvater die vorläufige alleinige Obsorge übertragen.

[2] Mit dem angefochtenen Beschluss sprach das Erstgericht aus, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der Entscheidung des Superior Courts des Staates Kalifornien vorliegen. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung.

Rechtliche Beurteilung

[3] Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf.

[4] 1. Die Kindesmutter macht mit ihrer außerordentlichen Revision geltend, dass die Entscheidung des Superior Courts nicht anzuerkennen sei, weil die Minderjährige damals ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich gehabt habe. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine klare, das heißt eindeutige Regelung trifft (RIS‑Justiz RS0042656).

[5] 2. Nach § 115 iVm § 113 Abs 1 Z 4 AußStrG ist die Anerkennung einer gerichtlichen Entscheidung über die Regelung der Obsorge zu verweigern, wenn das erkennende Gericht bei Anwendung österreichischen Rechts für die Entscheidung international nicht zuständig gewesen wäre. Dies erfordert eine spiegelbildliche Anwendung des eigenen (internationalen) Zuständigkeitsrechts (RS0002369 [T1, T2]). Nach § 110 Abs 1 JN ist die inländische Gerichtsbarkeit in Obsorgeangelegenheiten gegeben, wenn der Minderjährige österreichischer Staatsbürger ist. Die spiegelbildliche Anwendung dieser Regelung führt angesichts der amerikanischen Staatsbürgerschaft der Minderjährigen zur internationalen Zuständigkeit des Superior Courts.

[6] 3. Da die Anerkennung von Entscheidungen, die in einem Drittstaat ergangen sind, nicht unter das Unionsrecht fällt, haben die Zuständigkeitsnormen der Brüssel IIa‑VO nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs insoweit außer Betracht zu bleiben (1 Ob 21/17w; 6 Ob 115/19h; vgl gegenteilig jedoch im Zusammenhang mit Ehescheidung Nademleinsky, Internationales Ehe‑, Scheidungs‑ und Güterrecht2 Rn 158; Nademleinsky/Neumayr, Internationales Familienrecht2 Rn 05.130; Garber, Anm zu 1 Ob 21/17w, EF‑Z 2017/127 und Frohner in Schneider/Verweijen, §§ 97‑100 AußStrG Rz 59). Aber selbst bei Anwendung des Unionsrechts wäre im vorliegenden Fall die spiegelbildliche internationale Zuständigkeit des Superior Courts nach Art 10 Brüssel IIa‑VO zu bejahen, weil das Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichen Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in den USA hatte.

[7] 4. Soweit sich die Kindesmutter auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu C‑572/21 beruft, ist für sie schon deshalb nichts gewonnen, weil diese Entscheidung die Anwendung des KSÜ betrifft, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt während des Verfahrens rechtmäßig in einen Drittstaat verlegt, was hier aber nicht der Fall war.

[8] 5. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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