OGH 8Ob106/22d

OGH8Ob106/22d24.10.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn und die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Erlagssache der Erlegerin P* AG, *, vertreten durch die Kronberger Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die Erlagsgegnerin O* GmbH, *, vertreten durch die DORDA Rechtsanwälte GmbH in Wien, über den Revisionsrekurs der Erlagsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 17. Mai 2022, GZ 44 R 424/21k‑49, mit welchem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 8. Oktober 2021, GZ 83 Nc 37/21p‑23, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0080OB00106.22D.1024.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung lautet:

„Die zu I HMB 177/21 erliegende Masse wird im Teilbetrag von 21.584,82 EUR an die Erlagsgegnerin ausgefolgt.“

Die Erlassung des Ausfolgeauftrags bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

Die Erlegerin ist schuldig der Erlagsgegnerin die mit 1.350,48 EUR (darin 196,08 EUR USt und 174 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens und die mit 1.672,20 EUR (darin 235,20 EUR USt und 261 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Erlegerin hat von der Erlagsgegnerin zwei Bestandobjekte angemietet. In der Generalversammlung vom 26. 3. 2020 wurde ein Beschluss auf Umbestellung der Geschäftsführer der Erlagsgegnerin gefasst. Obwohl Einberufungs- und Ankündigungsmängel behauptet wurden, hat das Oberlandesgericht Wien zu 6 R 80/20h dem Rekurs gegen die Eintragung der neuen Geschäftsführer im Firmenbuch nicht Folge gegeben. Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs wurde vom Obersten Gerichtshof zu 6 Ob 166/20k mit der Begründung zurückgewiesen, dass die bloße Anfechtbarkeit eines Gesellschafterbeschlusses kein Eintragungshindernis darstelle. Es liege kein absolut nichtiger Beschluss vor, weil die Einberufung durch Gesellschafter erfolgt sei, die über eine Mehrheit der Anteile verfügten.

[2] Eine Gesellschafterin der Erlagsgegnerin hat daraufhin zu 16 Cg 15/20k des Handelsgerichts Wien eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit bzw Nichtigerklärung des Generalversammlungsbeschlusses vom 26. 3. 2020 eingebracht. Das Verfahren war im Zeitpunkt der Entscheidung des Erstgerichts nach wie vor anhängig.

[3] Die Erlegerin beantragte den Erlag der laufenden Mietzinse, die sie der Erlagsgegnerin schulde. Die von der Erlagsgegnerin beauftragte Hausverwaltung habe sie angewiesen, die Mietzinse ungeachtet der anhängigen Rechtsstreitigkeiten wie bisher einzuzahlen. Später sei sie von den nunmehr im Firmenbuch eingetragenen Geschäftsführern aufgefordert worden, die Mieten auf das Konto einer anderen Hausverwaltung einzuzahlen. Angesichts der widersprüchlichen Angaben könne die Erlegerin bis zur gerichtlichen Klärung der Vertretungsbefugnis keine Sicherheit erlangen, an welche Hausverwaltung zu zahlen sei.

[4] Das Erstgericht nahm den Erlag zugunsten der Erlagsgegnerin an und sprach aus, dass die Ausfolgung des erlegten Betrags entweder über einvernehmlichen Antrag oder aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über den berechtigten Empfänger des Erlagsbetrags erfolge.

[5] Die Erlagsgegnerin beantragt nunmehr die Ausfolgung der erlegten Mietzinse von 21.584,82 EUR.

[6] Die Erlegerin stimmte der Ausfolgung nicht zu. Die Bestellung der Geschäftsführer sei Gegenstand eines anhängigen Gerichtsverfahrens, wobei eine erfolgreiche Anfechtung des Gesellschafterbeschlusses ex tunc wirken würde.

[7] Das Erstgericht wies den Ausfolgungsantrag ab, weil keine gerichtliche Entscheidung vorliege, aus welcher ersichtlich sei, an wen der Erlagsbetrag auszuzahlen sei.

[8] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Entsprechend dem Antrag der Erlegerin habe das Erstgericht die Ausfolgung vom Vorliegen einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung, aus welcher ersichtlich ist, an wen der Erlagsbetrag auszuzahlen ist, abhängig gemacht. Die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Wien und des Obersten Gerichtshofs würden nur besagen, dass der Generalversammlungsbeschluss bis zu einem der Anfechtungsklage stattgebenden Urteil beachtlich sei. Das Verfahren des Handelsgerichts Wien über die Anfechtungsklage sei aber nach wie vor anhängig, sodass der Generalversammlungsbeschluss im Fall einer Klagsstattgabe ex tunc seine Wirkung verlieren würde und die bisherige Hausverwaltung weiterhin zur Entgegennahme der Mietzinszahlungen berechtigt wäre. Das Rekursgericht ließ die ordentliche Revision nachträglich zur Frage zu, ob die Eintragung im Firmenbuch als gerichtliche Entscheidung über die Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer anzusehen ist.

[9] Die Erlegerin hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist. Er ist dementsprechend auch berechtigt.

[11] 1. Nach ständiger Rechtsprechung kann der Erleger im Verfahren außer Streitsachen Bedingungen für die Ausfolgung des von ihm nach § 1425 ABGB erlegten Geldbetrags setzen (RS0087237). Die Ausfolgung des Geldbetrags kann nur erfolgen, wenn der Erleger und der Erlagsgegner zustimmen oder die Bedingungen, die beim Erlag für die Ausfolgung gesetzt wurden, erfüllt sind (RS0033517). Die Frage, ob der Erleger eine Bedingung mit Recht gesetzt hat, kann im Erlagsverfahren nicht geprüft werden (RS0033602).

[12] 2. Der Oberste Gerichtshof hat bereits zu 4 Ob 11/22d darauf hingewiesen, dass im vorliegenden Fall eine rechtskräftige Entscheidung über die aufrechte Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer der Erlagsgegnerin vorliegt, weil im firmenbuchrechtlichen Verfahren ausgesprochen wurde, dass der Wechsel der Geschäftsführer wirksam ist und die nunmehrigen Geschäftsführer für die Erlagsgegnerin handeln können. Darüber hinaus wurde mittlerweile auch in dem Verfahren, das der Entscheidung 4 Ob 155/21d zugrundeliegt, ausdrücklich bejaht, dass die nunmehrigen Geschäftsführer für die Erlagsgegnerin wirksam Vertretungshandlungen (Erteilung einer Prozessvollmacht) setzen können. Die im Erlagsantrag vermisste Klarheit, wer wirksam als Geschäftsführer handeln kann, ist damit bereits hergestellt. Da die Ausfolgung von einer rechtskräftigen Entscheidung über die Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer abhängig gemacht wurde, kommt es für die Erfüllung dieser Bedingung nicht darauf an, ob die mit dem Generalversammlungsbeschluss verbundene Umbestellung der Geschäftsführer auch der Anfechtungsklage standhalten wird.

[13] 3. Die Entscheidung der Vorinstanzen war deshalb dahin abzuändern, dass dem Ausfolgungsantrag stattgegeben wird, wobei die Erlassung des Ausfolgeauftrags dem Verwahrschaftsgericht vorbehalten bleibt.

[14] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 AußStrG.

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