OGH 8Ob101/20s

OGH8Ob101/20s3.8.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Insolvenzsache der Schuldnerin S* T*, vertreten durch Hochleitner Rechtsanwälte GmbH in Wels, Insolvenzverwalter Mag. Christopher Schuster, Rechtsanwalt in Linz, über den Revisionsrekurs des Insolvenzverwalters gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 14. September 2020, GZ 2 R 99/20x‑51, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Linz vom 17. Juli 2020, GZ 17 S 66/16d‑45, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132852

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

 

Begründung:

[1] Mit Beschluss des Erstgerichts vom 27. 7. 2016 wurde über das Vermögen der Schuldnerin, die ein Einzelunternehmen betrieben hat, der Konkurs eröffnet.

[2] Die Schuldnerin und deren Halbbruder sind die Begünstigten einer Privatstiftung, deren Zweck (unter anderem) in der Sicherung und Versorgung der Begünstigten aus den Erträgnissen der Stiftung besteht. Bei Ableben eines der aktuellen Begünstigten treten nach der Stiftungsurkunde deren blutsverwandte Deszendenten in gerader Linie an ihre Stelle. Die nach Steuern verbleibenden Nettoerträgnisse des Stiftungsvermögens sind jährlich zu 54,5 % an die Schuldnerin und zu 45,5 % an ihren Halbbruder auszuschütten.

[3] Nach § 6 Abs 8 der Stiftungszusatzurkunde hat der Stiftungsvorstand auf Verlangen eines Begünstigten dessen Begünstigtenstellung jederzeit – auch nur für eine vom Begünstigten im Vorhinein bestimmte Zeitdauer – zu widerrufen.

[4] Scheidet ein Begünstigter aus welchen Gründen immer aus dem Begünstigtenkreis aus, gehen dessen Anteile an der Ausschüttung gemäß § 4 Abs 1 der Stiftungszusatzurkunde auf den oder die anderen Begünstigten anteilig über.

[5] Den Begünstigten steht nach den Bestimmungen der Stiftungszusatzurkunde kein Rechtsanspruch auf Auflösung der Privatstiftung, auf einzelne Teile des Stiftungsvermögens oder auf dessen Teilung, auf Auszahlung von Erträgnissen und Vermögensteilen der Stiftung sowie kein Klagerecht gegenüber der Privatstiftung zu.

[6] Für die Jahre 2016 bis 2018 betrug die an die Schuldnerin gezahlte Ausschüttung aus der Stiftung jeweils 39.512,50 EUR. Aufgrund eines vom Insolvenzverwalter eingeholten Gutachtens einer Wirtschaftstreuhandgesellschaft liegt der indikative Wert der von der Schuldnerin zukünftig zu erwartenden Zuwendungen aus der Stiftung zwischen 2.015.000 bis 2.228.000 EUR.

[7] Mit schriftlicher Erklärung vom 11. 7. 2017 stimmte die Schuldnerin ausdrücklich und unwiderruflich einer Verwertung ihrer Begünstigtenstellung unter der Voraussetzung zu, dass vom Insolvenzverwalter eine schriftliche Stellungnahme zu den steuerlichen Auswirkungen eingeholt und die Zulässigkeit einer Verwertung an Dritte geprüft werde. Diese Prüfungen sind erfolgt. Das vom Insolvenzverwalter eingeholte Rechtsgutachten kam zu dem Ergebnis, dass die Begünstigtenstellung der Schuldnerin als solche nicht veräußert werden könne, aber ein entgeltlicher Verzicht auf diese Stellung oder eine Abtretung der einzelnen aus der Begünstigtenstellung resultierenden Ansprüche auf künftige jährliche Zuwendungen grundsätzlich möglich und zulässig seien.

[8] Der Halbbruder der Schuldnerin hat gegenüber dem Insolvenzverwalter ein Anbot in Höhe von 1.700.000 EUR für einen Verzicht auf die Begünstigtenstellung der Schuldnerin gestellt.

[9] Die Schuldnerin sprach sich in der Folge gegen die geplante Verwertung der Begünstigtenstellung aus und bestritt die Massezugehörigkeit der Ansprüche.

[10] Das Erstgericht sprach über Antrag des Insolvenzverwalters mit Beschluss aus, dass 1. die Zuwendungen an die Schuldnerin aus ihrer Begünstigtenstellung ab Insolvenzeröffnung, 2. das Recht der Schuldnerin auf künftige Zuwendungen aus ihrer Begünstigtenstellung sowie 3. das Recht der Schuldnerin auf einen (entgeltlichen) Verzicht auf ihre Begünstigtenstellung jeweils Teil der Insolvenzmasse und damit der freien Verfügung der Schuldnerin entzogen und vom Insolvenzverwalter zu vereinnahmen und zu verwerten seien.

[11] Das Rekursgericht gab dem von der Schuldnerin erhobenen Rechtsmittel teilweise Folge. Es bestätigte die Spruchpunkte 1. und 2. des angefochtenen Beschlusses und änderte ihn im Spruchpunkt 3. dahin ab, dass das Recht der Schuldnerin auf einen Verzicht auf die Begünstigtenstellung nicht zur Insolvenzmasse gehöre und nicht der Verwertung durch den Insolvenzverwalter unterliege.

[12] In seiner Begründung führte es aus, der Anspruch auf Zuwendungen aus der Stiftung bilde einen zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögensgegenstand. Dieser umfasse sowohl die während des Insolvenzverfahrens tatsächlich zugeflossenen als auch die künftig vom Stiftungsvorstand beschlossenen Zuwendungen.

[13] Die Verwertung der Begünstigtenstellung durch einen entgeltlichen Verzicht der Schuldnerin, wodurch ihr Halbbruder zum Alleinbegünstigten würde, sei bei gebotener wirtschaftlicher Betrachtung einem Verkauf der Begünstigtenstellung gleichzuhalten. Nach einhelliger Meinung handle es sich bei der Begünstigtenstellung aber um eine höchstpersönliche und unübertragbare Rechtsposition, deren Veräußerung unzulässig sei. Die Möglichkeit der Ausübung des entgeltlichen Verzichts auf die Begünstigtenstellung sei daher kein zur Insolvenzmasse gehörender Vermögensgegenstand.

[14] Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs bei einem 30.000 EUR übersteigenden Entscheidungsgegenstand hinsichtlich des abändernden Teils seiner Entscheidung gemäß § 252 IO, § 528 Abs 1 ZPO für zulässig, weil zu der im abändernden Teil seines Beschlusses dargelegten Rechtsfrage noch keine höchstgerichtliche Judikatur bestehe.

[15] Der Revisionsrekurs des Insolvenzverwalters, der eine Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts anstrebt, ist aus den vom Rekursgericht dargelegten Erwägungen zulässig.

[16] Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[17] 1. Die Stiftungszusatzurkunde der verfahrensgegenständlichen Privatstiftung sieht vor, dass der Stiftungsvorstand auf Verlangen eines Begünstigten dessen Begünstigtenstellung jederzeit ganz oder für eine vom Begünstigten im Vorhinein bestimmte Zeitdauer zu widerrufen hat.

[18] 2. Die Begünstigtenstellung ist grundsätzlich höchstpersönlich. Nach § 5 PSG ist Begünstigter, wer entweder in der Stiftungserklärung namentlich oder individualisierbar bezeichnet wurde, oder durch die Entscheidung einer vom Stifter dazu berufenen Stelle festgestellt wurde. Die Stellung als Begünstigter ist daher nach herrschender Auffassung weder vererblich noch durch Rechtsgeschäft des Begünstigten unter Lebenden an Dritte übertragbar (6 Ob 145/16s; Löffler in Doralt/Nowotny/Kalss[Hrsg], PSG, § 5 Rz 22; Größ in Doralt/Kalss[Hrsg], Aktuelle Fragen des Privatstiftungsrechts, 226; Arnold, Privatstiftungsgesetz – Kommentar3 § 5 Rz 54; Zollner, Die eigennützige Privatstiftung aus dem Blickwinkel der Stiftungsbeteiligten, 272).

[19] 3. Es steht dem Stifter aber frei, in der Stiftungserklärung Bestimmungen aufzunehmen, die einer Vererblichkeit gleichkommen, etwa den Eintritt von bestimmten Nachkommen von Begünstigten nach deren Ableben. Auch in diesem Fall ist die Rechtsgrundlage für das Erlangen der Begünstigung nicht das Erbrecht, sondern die Bestimmung des Nachfolgers in der Stiftungserklärung (6 Ob 24/21d; Arnold aaO § 5 PSG Rz 54).

[20] 4. Der Stifter kann auch Begünstigten die Möglichkeit eröffnen, sich durch einseitigen Willensentschluss der Begünstigtenstellung zu entledigen (Arnold aaO § 5 Rz 15). Dabei kann er auch regeln, ob die Zuwendungen, die an den verzichtenden Begünstigten geleistet worden wären, künftig wegfallen, oder ob sie an einen iSd § 5 PSG zu bestimmenden Nachfolger übergehen oder – wie hier – den übrigen aktuellen Begünstigten anteilig zuwachsen sollen.

[21] 5. Der Auffassung des Rekursgerichts, dass die Inanspruchnahme einer in der Stiftungserklärung vorgesehenen Möglichkeit des Begünstigten, den Widerruf seiner Begünstigtenstellung durch den Stiftungsvorstand willentlich herbeizuführen, einer Veräußerung der Begünstigung gleichkomme, wenn sie gegen Entgelt erfolgt, kann nicht beigetreten werden.

[22] Wenn das Ausscheiden des verzichtenden Begünstigten nach den vom Stifter festgelegten Bedingungen dazu führt, dass Mitbegünstigte oder Dritte an seine Stelle „nachrücken“, erwerben diese ihre Position nicht durch ein Rechtsgeschäft mit dem Weichenden. Sie treten nicht wie ein Käufer als Singularsukzessoren in die Position des Verkäufers ein. Die Nachfolger treten nicht in die Rechtsstellung des Weichenden ein, sondern erwerben ein eigenes Recht aufgrund des Stifterwillens. Diese Situation unterscheidet sich insoweit nicht von einer vom Stifter geregelten Nachfolge bei Ableben eines Begünstigten. Der Personenkreis entspricht dem Willen des Stifters.

[23] 6. Eine Entgeltvereinbarung zwischen dem alten und dem nachfolgenden Begünstigten für die Verzichtserklärung erfolgt aus Sicht der Stiftung unter Dritten und hat ihr gegenüber keine rechtliche Wirkung. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die Stiftungserklärung allenfalls Vereinbarungen dieser Art als unerwünscht verbieten oder als Grund für einen Widerruf der Begünstigung normieren könnte, weil derartige Beschränkungen hier nicht festgestellt sind.

[24] Der Umstand, dass die Stiftungszusatzurkunde die Option eines befristeten oder unbefristeten Verzichts auf die Begünstigtenstellung ausdrücklich vorsieht, könnte im Gegenteil als Indiz dafür gesehen werden, dass Abreden und entgeltliche Verwertungsvereinbarungen innerhalb des Kreises der Begünstigten bewusst ermöglicht werden sollten.

[25] Andere Motive, die einen Begünstigten dazu bewegen könnten, auf frei verwendbare jährliche Zuwendungen in erheblicher Höhe mit Wirkung zu Gunsten seiner Mitbegünstigten zu verzichten, liegen zumindest nicht auf der Hand.

[26] 7. Entgegen der vergleichenden Argumentation des Rekursgerichts gilt eine rechtsgeschäftliche Veräußerung der Begünstigtenstellung nicht wegen eines vom Gesetzgeber verpönten wirtschaftlichen Ergebnisses als unzulässig. Sie ist vielmehr rechtlich unmöglich, weil ein Begünstigter nicht in der Lage ist, sein höchstpersönliches Recht mit Wirkung für die Stiftung auf einen anderen zu übertragen. Wer Begünstigter wird, stellen nach § 5 PSG nur die Stiftungserklärung, eine vom Stifter bestimmte Stelle und sonst der Stiftungsvorstand fest.

[27] Ein Begünstigter ist aber nicht gehindert, eine ihm in der Stiftungserklärung selbst eingeräumte Option zum Ausscheiden aus dem Kreis der Begünstigten in der vom Stifter geregelten Weise wahrzunehmen. Für diese Erklärung kann er im Rahmen der Vertragsfreiheit auch eine Entgeltvereinbarung mit jemandem treffen, dem dieses freiwillige Ausscheiden aufgrund der für diesen Fall vom Stifter vorgesehenen Nachfolgeregelung wirtschaftlich zum Vorteil gereicht. Eine solche Vereinbarung könnte die Interessen und Zwecke der Stiftung allenfalls dann berühren, wenn der Abschluss solcher Geschäfte in der Stiftungserklärung als unerwünscht untersagt wäre.

[28] 8. Ist die Möglichkeit, die Begünstigtenstellung aufzugeben, wirtschaftlich werthaltig, weil es einen zur Entgeltzahlung bereiten Interessenten gibt, handelt es sich dabei um einen Vermögensbestandteil, der im Konkurs des Begünstigten in die Masse fällt (vgl 6 Ob 235/08i zur Ausübung des Widerrufsrechts eines Stifters durch den Masseverwalter; Oberndorfer, Verzicht des Insolvenzverwalters auf die Begünstigtenstellung aus einer Privatstiftung, ZFS 2020, 75).

[29] Der Insolvenzverwalter ist zur Verwertung dieses Vermögensbestandteils berechtigt und kann zugunsten der Masse die dafür notwendige Erklärung an Stelle der Schuldnerin ausüben (vgl zur Ausübung von Stifterrechten im Konkurs: 6 Ob 235/08i = RS0118046 [T7]; RS0120752 zur Exekution nach §§ 331 ff EO).

[30] 9. Dem Rekurs des Insolvenzverwalters war daher Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

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