OGH 8Nc44/11d

OGH8Nc44/11d15.9.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Kinder 1.) M***** H*****, geboren am *****, und 2.) A***** ***** H*****, geboren am *****, beide wohnhaft in ***** des Bezirksgerichts Enns, infolge Vorlage zur Genehmigung der Übertragung gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Waidhofen an der Ybbs, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Enns vom 7. Juli 2011, GZ *****, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Waidhofen an der Ybbs wird genehmigt.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Obsorge für beide minderjährige Kinder wurde dem Vater übertragen, bei dem sie seit Ende Oktober 2008 leben. Der Vater zog im September 2010 mit beiden Kindern in den Sprengel des Bezirksgerichts Enns, sodass das bis dahin zuständige Bezirksgericht Waidhofen an der Ybbs seine Zuständigkeit gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Enns übertrug, das seine Zuständigkeit auch annahm.

In weiterer Folge beantragte die Mutter die Übertragung der Obsorge für zunächst beide Kinder, später dann nur mehr für das jüngere der beiden Kinder an sich. Das Bezirksgericht Enns holte Stellungnahmen des Vaters und der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land ein. Die Jugendhilfe der Stadt St. Pölten teilte mit, dass die Mutter auf der Suche nach einer größeren Wohnung sei und bis dahin den Antrag auf Übertragung der Obsorge „ruhen“ lassen wolle, sodass eine Überprüfung der Wohnverhältnisse nicht vorgenommen werde. Die Mutter bestätigte gegenüber dem Gericht, dass sie mit ihrem Lebensgefährten eine neue, größere Wohnung in St. Pölten beziehen wolle. Sie erklärte sich damit einverstanden, dass eine Stellungnahme der Jugendhilfe der Stadt St. Pölten erst nach Bezug der neuen Wohnung, den sie dem Gericht bekannt geben werde, eingeholt werde. Im Hinblick darauf unternahm das Bezirksgericht Enns zunächst keine weiteren Verfahrensschritte.

In diesem Verfahrensstadium teilte die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land dem Bezirksgericht Enns mit, dass der Vater mit beiden Kindern wiederum in den Sprengel des Bezirksgerichts Waidhofen an der Ybbs verzogen sei. Die Mutter gab dem Bezirksgericht Enns über Nachfrage bekannt, dass der Antrag auf Übertragung der Obsorge betreffend das jüngere der beiden Kinder aufrecht bleibe.

Das Bezirksgericht Enns übertrug mit seinem den Parteien zugestellten Beschluss vom 7. Juli 2011 die Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Waidhofen an der Ybbs, das die Übernahme der Zuständigkeit mit Beschluss vom 25. 7. 2011 verweigerte.

Das übertragende Gericht legte aufgrund dieser Weigerung den Akt dem Obersten Gerichtshof als gemeinsam übergeordnetem Gericht zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN vor.

Die Übertragung ist berechtigt.

Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Minderjährigen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Nach § 111 Abs 2 JN ist die Übertragung nur dann wirksam, wenn das andere Gericht die Zuständigkeit übernimmt oder im Falle der Weigerung des anderen Gerichts eine Genehmigung durch das den beiden Gerichten zunächst übergeordnete gemeinsame höhere Gericht - hier der Oberste Gerichtshof - erfolgt.

Ausschlaggebendes Kriterium für die Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache für Minderjährige ist immer das Kindeswohl (RIS-Justiz RS0047074). Nach ständiger Rechtsprechung wird der pflegschaftsgerichtliche Schutz in der Regel am besten durch das Gericht gewährleistet, in dessen Sprengel sich das Kind aufhält (RIS-Justiz RS0047300 uva). Offene Anträge sprechen im Allgemeinen nicht gegen eine Zuständigkeitsübertragung, sofern nicht dem übertragenden Gericht für die ausstehende Entscheidung besondere Sachkenntnis zukommt oder es jedenfalls in der Lage ist, sich diese Kenntnisse leichter zu verschaffen als das andere Gericht (RIS-Justiz RS0047032). Eine derartige „besondere Sachkenntnis“ des übertragenden Gerichts, die der Zuständigkeitsübertragung an das Gericht des Aufenthaltsorts des vom noch offenen Antrag betroffenen Kindes entgegenstehen würde, ist unter den gegebenen Umständen nicht zu erkennen. Ebenso wenig kann angesichts der noch ausstehenden Erhebungen über die Lebens- und Wohnverhältnisse der in St. Pölten wohnhaften Mutter gesagt werden, dass sich das übertragende Gericht die notwendige Sachkenntnis leichter verschaffen könnte, als das Gericht des Aufenthaltsorts des Kindes. Damit ist aber die Übertragung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht des Aufenthaltsorts der Kinder zu genehmigen.

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