OGH 8Nc21/18g

OGH8Nc21/18g18.12.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj L*****, AZ 16 Pu 86/18w des Bezirksgerichts Floridsdorf, infolge Vorlage zur Genehmigung der Übertragung gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Linz den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0080NC00021.18G.1218.000

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 23. Oktober 2018, GZ 16 Pu 86/18w‑2, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Linz wird nicht genehmigt.

 

Begründung:

Die Minderjährige befindet sich seit 26. 4. 2018 in einer Maßnahme der vollen Erziehung der Stadt Wien und ist derzeit in einer im Sprengel des Bezirksgerichts Linz befindlichen Einrichtung der Stadt Wien untergebracht. Die beiden Eltern wohnen im Sprengel des Bezirksgerichts Floridsdorf. Mit Schreiben vom 19. 10. 2018 beantragte der Magistrat der Stadt Wien als Kinder‑ und Jugendhilfeträger, den Vater ab 26. 4. 2018 zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von 90 EUR zu verpflichten. Beim Bezirksgericht Floridsdorf ist zu AZ 16 Ps 86/18w ein Verfahren zur Übertragung der gesamten Pflege und Erziehung an den Kinder- und Jugendhilfeträger anhängig.

Das Bezirksgericht Floridsdorf übertrug mit seinem (rechtskräftigen) Beschluss vom 23. 10. 2018 die Zuständigkeit zur Führung der Unterhaltssache an das Bezirksgericht Linz und verwies auf den nunmehr ständigen Aufenthaltsort des Kindes in Linz.

Das Bezirksgericht Linz verweigerte die Übernahme der Zuständigkeit. Da dem Magistrat der Stadt Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger Parteistellung zukomme und auch der Vater als Gegenpartei in Wien wohnhaft sei, erscheine es zweckmäßiger, wenn das Bezirksgericht Floridsdorf diese Pflegschaftssache führe.

Das übertragende Gericht legte aufgrund dieser Weigerung den Akt dem Obersten Gerichtshof als gemeinsam übergeordnetem Gericht zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN vor.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Bezirksgericht Floridsdorf verfügte Übertragung an das Bezirksgericht Linz ist nicht gerechtfertigt.

1. Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Minderjährigen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Dafür müssen besondere Gründe vorliegen (RIS‑Justiz RS0046984). Als Ausnahmebestimmung ist § 111 JN restriktiv auszulegen (7 Nc 20/09i ua). Ausschlaggebendes Kriterium einer Zuständigkeitsübertragung nach § 111 Abs 1 JN ist stets das Kindeswohl (RIS‑Justiz RS0047074).

2.1 In der Regel ist dabei zwar das Naheverhältnis zwischen dem Pflegebefohlenen und dem Gericht von wesentlicher Bedeutung, sodass im Allgemeinen das Gericht am besten geeignet ist, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen Wohnsitz oder (gewöhnlichen) Aufenthalt hat (RIS‑Justiz RS0047074 [T7]).

2.2 Eine Zuständigkeitsübertragung an das Wohnsitzgericht setzt aber einen stabilen Aufenthalt des Pflegebefohlenen voraus (6 Nc 22/15k; 10 Nc 5/18v ua). Steht dessen künftiger Aufenthalt –  wie hier bei einer Unterbringung im Rahmen einer vorläufigen Maßnahme  – noch nicht endgültig fest, ist eine Zuständigkeitsverlagerung nach ständiger Rechtsprechung abzulehnen (7 Nc 20/09i; 6 Nc 22/15k; s auch Fucik in Fasching/Konecny 3 § 111 Rz 4 und 7).

3. Nach dem derzeitigen Verfahrensstand ist die Weiterführung (auch) des Unterhaltsverfahrens hinsichtlich der Minderjährigen beim Bezirksgericht Floridsdorf zweckmäßig und entspricht mehr deren Wohl, weil dort auch das (noch offene) Obsorgeverfahren anhängig ist, von dem der endgültige Aufenthalt des Kindes abhängt, und zudem im Unterhaltsverfahren allein keine Verfahrensschritte zu erwarten sind, die durch die örtliche Nähe des erkennenden Gerichts zum aktuellen Aufenthalt des Kindes erleichtert würden.

4. Die Zuständigkeitsübertragung ist daher nicht zu genehmigen.

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