OGH 7Ob98/72

OGH7Ob98/7226.4.1972

SZ 45/53

Normen

Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung Art8 Abs1 Z1
ABGB §1307
Strafgesetz §335
Strafgesetz §337 litb
Strafgesetz §337 litc
Strafgesetz §523
ZPO §268
Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung Art8 Abs1 Z1
ABGB §1307
Strafgesetz §335
Strafgesetz §337 litb
Strafgesetz §337 litc
Strafgesetz §523
ZPO §268

 

Spruch:

Aus der rechtskräftigen Verurteilung des Versicherungsnehmers nach § 523 StG in Verbindung mit §§ 335. 337 lit b und c StG ergibt sich gemäß § 268 ZPO für den Zivilrichter bindend die objektive Verletzung der Obliegenheit nach Art 8 Abs 1 Z 1 AKHB. Der Zivilrichter hat aber die subjektive Tatseite der Obliegenheitsverletzung selbständig zu prüfen; dabei trägt der Versicherungsnehmer die Beweislast dafür, daß er seine Obliegenheit weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat

OGH 26. 4. 1972, 7 Ob 98/72 (OLG Graz 1 R 4/72; LGZ Graz 7 Cg 497/71)

Text

Der Kläger als Lenker und Halter eines bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW verursachte mit diesem am 20. 5. 1970 einen Verkehrsunfall, bei welchem ein anderer Verkehrsteilnehmer getötet wurde und Sachschaden entstand. Wegen dieses Unfalles wurde der Kläger zu 11 Vr 1341/70 des LGSt Graz rechtskräftig des Vergehens nach § 523 StG in Beziehung auf §§ 335, 337 lit b und c StG schuldig erkannt.

Im Hinblick auf den vom Strafgericht festgestellten Alkoholisierungsgrad anerkennt der Kläger die Leistungsfreiheit der Beklagten bis zu einem Betrag von S 30.000.- (zufolge Art 6 Abs 2 und 3 AKHB), begehrt jedoch mit der vorliegenden Klage die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihm hinsichtlich des S 30.000.- übersteigenden Betrages Versicherungsschutz zu gewähren, weil er keine weitere Obliegenheitsverletzung begangen habe, insbesondere der Umstand, daß er den PKW erst 130 m nach der Unfallstelle zum Stillstand gebracht habe, weder als vorsätzliche noch als fahrlässige Obliegenheitsverletzung anzusehen sei und überdies auf die Feststellung des Versicherungsfalles oder die Feststellung bzw den Umfang der der Beklagten obliegenden Leistungen keinerlei Einfluß gehabt habe.

Die Beklagte beantragt Klageabweisung mit der Begründung, daß sie zufolge Art 8 Abs 1 Z 1 AKHB leistungsfrei sei; auf Grund des Strafurteiles stehe nämlich bindend fest, daß der Kläger die angeführte Obliegenheitsverletzung vorsätzlich begangen habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte ausschließlich auf Grund der im Strafverfahren ergangenen Urteile des LGSt Graz und des Obersten Gerichtshofes fest, daß der Kläger am 20. 5. 1970 trotz seiner Absicht, auf der Heimfahrt seinen PKW zu lenken, derartige Alkoholmengen konsumierte, daß sein Blutalkoholwert 2.5 Promill betrug und er - zur Zeit des Unfalles - in den Zustand voller Berauschung versetzt wurde, daß er ferner nach einem Frontalzusammenstoß mit dem von Wilhelm S gelenkten Motorroller, wodurch S tödlich verletzt wurde, seine Fahrt fortsetzte, etwa 135 m bergwärts bei einem Gasthaus anhielt, nicht zur Unfallstelle zurückkehrte oder hiezu Anstalten machte und sich daher auch nicht überzeugte, ob der Fahrer des Motorrollers einer Hilfe bedürfe.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, die Beklagte sei bereits auf Grund des gemäß § 268 ZPO für den Zivilrichter bindenden Strafurteiles gänzlich leistungsfrei, weil der Kläger die in Art 8 Abs 1 Z 1 AKHB genannte Obliegenheit "schuldhaft bzw grob fahrlässig verletzt" bzw diese Obliegenheitsverletzung nach dem Strafurteil "vorsätzlich begangen" habe, zumal das Strafverfahren keineswegs ergeben habe, daß der Kläger wegen seiner Volltrunkenheit nicht in der Lage gewesen wäre, den PKW sofort nach dem Unfall anzuhalten, Hilfe zu leisten und die Gendarmerie zu verständigen, oder daß er unter Schockeinfluß gestanden wäre.

Mit dem angefochtenen Beschluß hob das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichtes infolge Berufung des Klägers unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es vertrat die Auffassung, auf Grund des Strafurteiles stehe einerseits die objektive Verletzung der in Art 8 Abs 1 Z 1 AKHB festgelegten Obliegenheit durch den Kläger bindend fest; andererseits binde das Straferkenntnis wegen Vergehens nach § 523 StG das Zivilgericht auch dahin, daß der Kläger unzurechnungsfähig gewesen sei und ihm daher die genannte Obliegenheitsverletzung nicht als vorsätzlich zugerechnet werden könne. Bei Berücksichtigung der Bestimmung des § 1307 ABGB und des Umstandes, daß sich der Kläger trotz Vorhersehbarkeit des Fahrzeuglenkens selbst in den Zustand voller Berauschung versetzt habe, sei jedoch eine grob fahrlässige Verletzung der angeführten Obliegenheit anzunehmen. Es komme daher darauf an, ob diese Obliegenheitsverletzung auf die Feststellung des Versicherungsfalles oder auf die Feststellung bzw den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistungen Einfluß gehabt habe, was vom Erstgericht nicht erörtert worden sei.

Der Oberste Gerichtshof gab den von beiden Parteien gegen diesen Aufhebungsbeschluß erhobenen Rekursen nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Soweit der Kläger weiterhin das objektive Vorliegen einer Obliegenheitsverletzung iS des Art 8 Abs 1 Z 1 AKHB bestreitet, ist ihm die Tatsache seiner rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung in Beziehung auf die Bestimmung des § 337 lit c StG entgegenzuhalten, aus der sich in Verbindung mit den hiezu vom Strafgericht getroffenen Feststellungen nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanzen zwingend und zufolge § 268 ZPO bindend die objektive Verletzung der angeführten Obliegenheit ergibt. Wie die Beklagte grundsätzlich richtig ausführt, oblag daher dem Kläger der Beweis dafür, diese Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch (grob) fahrlässig begangen zu haben (ebenso VersR 1971, 751, 1135 ua).

Der Oberste Gerichtshof vermag zwar der Auffassung des Berufungsgerichtes, daß bereits auf Grund der Bindungswirkung des Strafurteiles keine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung angenommen werden könne, deshalb nicht zu folgen, weil das Zivilgericht nicht gehindert ist, ein schwereres Verschulden als das Strafgericht anzunehmen (ebenso Fasching III 261; SZ 30/80 ua); die von keiner Partei bekämpfte tatsächliche Feststellung über den Blutalkoholwert beim Kläger zur Zeit des Unfalles - insbesondere die Beklagte berief sich lediglich auf das Strafurteil bzw den Strafakt - rechtfertigt jedoch auch ohne Bindungswirkung die Schlußfolgerung, daß der Kläger sich im Zeitpunkt des Unfalles in einem Rauschzustand befand, welcher die Annahme einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung ausschließt (vgl § 2 lit c StG; die nicht bindende Subsumierung des Sachverhaltes unter die Bestimmung des § 523 StG war somit im konkreten Fall zutreffend). Dieser Beurteilung steht die Verurteilung des Klägers in Beziehung auf § 337 lit c StG schon deshalb nicht entgegen, weil selbst zur Herstellung des Tatbestandes nach dieser Gesetzesstelle bereits unbewußte Fahrlässigkeit ausreicht (ebenso ZVR 1967/243; ZVR 1971/210, 212 ua), also selbst bei einer primär nach der angeführten Gesetzesstelle erfolgten strafgerichtlichen Verurteilung lediglich das Verschulden des Verurteilten, nicht aber eine bestimmte Schuldform feststunde.

Schließlich bietet entgegen der Meinung der Beklagten auch die Bestimmung des § 1307 ABGB, welche gleichfalls lediglich eine Schadenersatzpflicht wegen Verschuldens normiert, keine Handhabe für die generelle Annahme einer bestimmten Schuldform, insbesondere für die generelle Annahme vorsätzlicher Schadenszufügung bei vorsätzlichem Genuß alkoholischer Getränke mit anschließender Sinnesverwirrung (auch in der von der Beklagten zitierten E RZ 1971, 53 wurde kein Vorsatz, sondern lediglich Fahrlässigkeit angenommen und nur im Rahmen der Prüfung des Fahrlässigkeitsgrades ausgeführt, daß der Zustand der Volltrunkenheit gegenüber jenem der Alkoholbeeinträchtigung im Ergebnis nicht begünstigt werden solle).

Auch die deutsche Lehre und Rechtsprechung sieht die im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit begangenen Obliegenheitsverletzungen nicht als vorsätzlich an, sie bejaht allerdings bei Alkoholisierung normalerweise das Vorliegen grober Fahrlässigkeit (vgl Prölss - Martin, VersVG[18], 91 und 758 sowie die dort angeführten Entscheidungen, insbesondere BGH in VersR 1967, 944). Hiebei wird regelmäßig das einleitende Verhalten des Versicherungsnehmers betont, welches zur Alkoholisierung bzw Volltrunkenheit führte.

Auch für den österreichischen Rechtsbereich spricht die Bestimmung des § 1307 ABGB für die Richtigkeit der Auffassung, daß es in derartigen Fällen in erster Linie auf das den Zustand der Sinnesverwirrung herbeiführende einleitende Verhalten des Versicherungsnehmers ankommt. Aus dieser Erwägung schließt sich der Oberste Gerichtshof in der angeführten Frage der zitierten deutschen Auffassung an (sinngemäß kommt dies auch in der E RZ 1971, 53 zum Ausdruck).

Nach diesen Grundsätzen wäre dem Kläger ein weiterer Entlastungsbeweis (in Richtung leichter Fahrlässigkeit) nur möglich gewesen, wenn er Umstände behauptet und unter Beweis gestellt hätte, die sein einleitendes Verhalten in einem milderen Licht hätten erscheinen lassen (etwa in der Richtung, daß er ursprünglich gar nicht beabsichtigt hätte, ein Fahrzeug zu lenken, oder daß aus besonderen Gründen eine bereits unverhältnismäßig geringe Menge Alkohol zu einer vollen Berauschung geführt habe). Seine bloß auf das Verhalten im Zustand voller Berauschung abgestellten Prozeßbehauptungen sind hingegen nach den vorstehenden Ausführungen zu einer weiteren Entlastung des Klägers nicht geeignet, vielmehr ist angesichts seines die Berauschung einleitenden Verhaltens - er betrank sich festgestelltermaßen trotz seiner Absicht, mit dem PKW heimzufahren - mit dem Berufungsgericht davon auszugehen, daß dem Kläger die von ihm gemäß Art 8 Abs 1 Z 1 AKHB begangene Obliegenheitsverletzung als grobe Fahrlässigkeit zuzurechnen ist.

Die Kritik der Beklagten an diesem Ergebnis läßt völlig außer acht, daß nicht die Alkoholisierung als solche, also das Verhalten des Versicherungsnehmers vor dem Eintritt des Versicherungsfalles, zur Debatte steht, dessen nachteilige Folgen durch Art 6 Abs 2 und 3 AKHB geregelt sind - uzw in gleicher Weise bei Alkoholbeeinträchtigung wie bei voller Berauschung -, sondern eine der nach Eintritt des Versicherungsfalles möglichen Obliegenheitsverletzungen des Versicherungsnehmers, bei denen die Rechtsfolge der völligen Leistungsfreiheit des Versicherers unabhängig von ihrem Einfluß auf die dem Versicherer obliegenden Leistungen wegen ihres vertragsstrafenähnlichen Charakters ohnedies eine Begünstigung des Versicherers darstellt.

Soweit schließlich der Kläger in seinem Rekurs inhaltlich zum Ausdruck bringt, es stehe bereits fest, daß seine Obliegenheitsverletzung iS des Art 8 Abs 1 Z 1 AKHB keinen Einfluß auf die Feststellung des Versicherungsfalles oder auf die Feststellung bzw den Umfang der der Beklagten obliegenden Leistungen gehabt hätte, nimmt er einen Sachverhalt vorweg, der vom Erstgericht bisher nicht festgestellt wurde. Wenn das Berufungsgericht diesen Sachverhalt als nicht genügend geklärt ansah, kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, dieser Auffassung nicht entgegentreten (ebenso RZ 1967, 74 uva).

Aus allen diesen Erwägungen war den Rekursen beider Parteien nicht Folge zu geben.

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