OGH 7Ob8/95

OGH7Ob8/9522.2.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Dietrich C*****, wider die beklagte Partei G***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr.Stefan Herdey und Dr.Roland Gsellmann, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 137.396,26 s.A. (Revisionsinteresse S 114.409,67 s.A.), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 22.Juni 1994, GZ 1 R 122/94-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 30.März 1994, GZ 25 Cg 264/93z-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und die angefochtene Berufungsentscheidung dahin abgeändert, daß das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 6.337,80 (darin S 1.056,30 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 19.605,-- (darin S 1.267,50 USt und S 12.000,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte ist die Haftpflichtversicherung des Klägers. Der Versicherung liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden (AVBV) zugrunde, deren Punkt I Abs.1 wie folgt lautet:

Der Versicherer gewährt dem Versicherungsnehmer Versicherungsschutz für den Fall, daß er wegen eines bei der Ausübung der in der Polizze angegebenen beruflichen Tätigkeit von ihm selbst ... begangenen Verstoßes von einem anderen aufgrund gesetzlicher Haftungsbestimmungen privatrechtlichen Inhalts für einen Vermögensschaden verantwortlich gemacht wird ...

Der Kläger vertrat Valentin F***** in einem von dessen ehemaligem Schwager Johann V***** geführten Prozeß um letztlich S 42.660,-- zu C 352/89 b des Bezirksgerichtes H*****. V***** begründete seine Klagsforderung mit der Erbringung diverser Arbeitsleistungen für die Almhütte F*****, der nach der Scheidung V***** von der Schwester F***** seine Zusage, V***** könne die Hütte als Urlaubsdomizil benützen, nicht erfüllt habe. F***** wendete ein, V***** habe im Rahmen der Nachbarschaftshilfe zugesagt, die Arbeitsleistungen unentgeltlich zu erbringen. Auch er, F*****, habe für V***** bzw dessen Vater diverse Arbeitsleistungen im Wert von über S 90.000,-- erbracht, die er unter diesen Umständen gegenüber der Klagsforderung compensando geltend mache. Das Bezirksgericht H***** stellte mit Urteil vom 16.3.1992 das Zurechtbestehen der Klagsforderung V***** mit S 42.660,-- und das Zurechtbestehen der eingewendeten Gegenforderung F***** bis zur Höhe dieses Betrages fest und wies das Klagebegehren kostenpflichtig ab. Das Bezirksgericht H***** stellte fest, daß es zwischen den Streitteilen vor dem Beginn der Sanierungsarbeiten auf der E*****alm zu keiner Entgeltvereinbarung über die Mithilfe V***** gekommen ist. Die Streitteile waren vielmehr übereingekommen, daß V***** mit seiner damaligen Gattin, der Schwester des Beklagten, die Almhütte zeitweilig benützen könne. Nach der am 12.12.1988 erfolgten Scheidung V***** von der Schwester des F***** lehnte Letzterer das Ersuchen V***** ab, ihm die Hütte für gewisse Zeiträume zur Verfügung zu stellen. Zur Gegenforderung F***** stellte das Bezirksgericht H***** fest, daß F***** zur Zeit, als die Ehe seiner Schwester mit V***** noch aufrecht war, einerseits am Wohnhaus der beiden sowie andererseits einmal kurzfristig am Haus des Vaters V***** bei der Durchführung von Sanierungsmaßnahmen unentgeltlich mitgewirkt hat. Das Bezirksgericht H***** führte in seiner rechtlichen Begründung aus, daß V***** seine Mitarbeit in Erwartung der zugesagten künftigen Mitbenützung der Almhütte gemacht habe, zu der es aber nunmehr nicht mehr komme. Andererseits habe auch F***** seine Mitarbeit am Hause V***** bzw dessen Vaters in Erwartung der zukünftigen unentgeltlichen Mitarbeit V***** an seiner Almhütte erbracht. Es stünden sohin einander zwei frustrierte Aufwendungsansprüche gegenüber. Der Kläger versäumte es, gegen das Zurechtbestehen der Klagsforderung V***** eine Berufung zu erheben, vielmehr erstattete er erst nach Ablauf der Berufungsfrist eine Berufungsbeantwortung zur Berufung V***** (mit der dieser das Zurechtbestehen der eingewendeten Gegenforderung bekämpfte), in der er sich über den dreigliedrigen Urteilsspruch des Erstgerichtes beschwerte und den Standpunkt vertrat, daß mangels Entgeltlichkeit der Vereinbarung das Klagebegehren ohne Ausspruch über den Bestand einer Forderung und einer Gegenforderung (in dem Sinn, daß keiner der beiden Ansprüche zu Recht bestehe) abzuweisen gewesen wäre. Das Berufungsgericht änderte über Berufung V***** die Entscheidung des Erstgerichtes in eine Klagsstattgebung ab und sprach aus, daß zwar die geltend gemachte Forderung, nicht aber die Gegenforderung F***** zu Recht bestehe. Mangels Bekämpfung der Klagsforderung durch F***** zufolge unterlassener Berufung müsse vom Zurechtbestehen der Klagsforderung ausgegangen werden. Die Gegenforderung F***** aber bestehe nicht zu Recht, weil dessen Arbeitsleistungen nicht V*****, sondern dessen geschiedener Gattin zugutegekommen seien.

Der Kläger begehrt von der beklagten Haftpflichtversicherung letztlich die Bezahlung des der Höhe nach unbestrittenen Betrages von S 114.409,67 an Valentin F*****, dies sei der Schaden, den sein Mandant durch die unterlassene Erhebung der Berufung erlitten habe.

Die beklagte Partei wendete ein, daß auch bei Erhebung einer Berufung durch den Kläger das Berufungsgericht dieser nicht Folge gegeben hätte und es trotzdem zu einer vollen Stattgebung des Begehrens V***** gekommen wäre.

Das Erstgericht gab dem Begehren des Klägers Folge und stellte über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus noch fest, daß einer Berufung F***** gegen den Ausspruch des Zurechtbestehens der Klagsforderung V***** mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Folge gegeben und dessen Begehren abgewiesen worden wäre. Die Feststellung des Bezirksgerichtes H*****, daß V***** seine Arbeitsleistung nur im Hinblick auf die Zusage F*****, die Almhütte im Urlaub bewohnen zu dürfen, gemacht habe, finde im Beweisverfahren keine Deckung. Eine entsprechende Bekämpfung hätte daher zu einer anderen Urteilsgrundlage, nämlich zu der, daß V***** seine Mithilfe im Rahmen der Nachbarschaftshilfe unentgeltlich erbracht habe, geführt. Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß der hypothetische Nachvollzug des Prozesses C 352/89 des Bezirksgerichtes H***** unter Ausklammerung des Fehlers des haftpflichtigen Klägers und unter Zugrundelegung der richtigen Vorgangsweise, nämlich durch Erhebung einer Berufung mit der entsprechenden Beweisrüge, zum Ergebnis führe, daß die unterlassene Erhebung einer Berufung gegen das Zurechtbestehen der Klagsforderung V***** allein zum Prozeßverlust F***** geführt habe.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung in eine Klagsabweisung ab und erklärte die Revision für unzulässig. Die Beweiswürdigung des Erstgerichtes sei unbedenklich, der bekämpften Feststellung, daß das strittige Verfahren bei Erhebung einer Berufung durch den Kläger zu einem Prozeßerfolg F***** geführt hätte, komme aber keine rechtliche Bedeutung zu. Rechtsanwälte schuldeten dem Mandanten keinen bestimmten Erfolg, sondern lediglich fachgemäße Beratung und Vertretung. Der Kläger habe daher die Nichterfüllung einer Sorgfaltsverbindlichkeit als Ursache des seinem Mandanten entstandenen Schadens zu beweisen, das heiße im vorliegenden Fall, daß die Einlegung des unterlassenen Rechtsmittels zum Prozeßerfolg des Mandanten geführt hätte. Bei einer Beweisführung über die Kausalität eines derartigen Sorgfaltsverstoßes müsse allerdings nur die Wahrscheinlichkeit des Tatsachenzusammenhanges unter Beweis gestellt werden. Die Gegenpartei könne dann den als wahrscheinlich angenommenen typischen Geschehensablauf in Zweifel ziehen, indem sie einen anderen Tatsachenzusammenhang gleich wahrscheinlich mache oder eine andere ernstlich in Betracht zu ziehende Möglichkeit des Geschehensablaufes aufzeige. Es sei nicht zweifelhaft, daß der Kläger im vorliegenden Fall einen Sorgfaltsverstoß zu vertreten habe; er wäre aber verhalten gewesen, bestimmt anzugeben, daß die Berufung - unter Anführung und Ausführung der in Betracht kommenden Anfechtungsgründe - mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erfolgreich gewesen wäre. Dadurch wäre der Beklagten die Möglichkeit eröffnet worden, einen anderen gleich wahrscheinlichen oder wahrscheinlicheren Ausgang des Berufungsverfahrens aufzuzeigen und vorzubringen, daß auch eine ordnungsgemäß ausgeführte Berufung keinen Erfolg gehabt hätte. Erst danach hätte das Erstgericht den hypothetischen Ablauf nachvollziehen und beurteilen müssen, wie der Prozeß mit überwiegender Wahrscheinlichkeit geendet hätte.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Berufung erhobene Revision des Klägers ist berechtigt.

Das Berufungsgericht hat in Erledigung der Beweisrüge der beklagten Partei die Beweiswürdigung des Erstgerichtes als unbedenklich beurteilt. Es hat damit die Feststellung, daß eine rechtzeitige Berufung F***** gegen den Ausspruch des Zurechtbestehens der Klagsforderung V***** mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erfolgreich gewesen wäre, übernommen. Diese Feststellung ist wesentlich, weil sich aus dem Vorbringen und dem Rechtsstandpunkt des Klägers ergibt, daß im Vorprozeß keine der beiden Parteien einen Entgeltsanspruch gegen die andere gehabt hätte und daß daher eine Berufung F***** denknotwendig eine Beweisrüge zu enthalten gehabt hätte, mit der die Glaubwürdigkeit der Aussage V***** bekämpft hätte werden müssen und der letztlich ein Rechtsmittelerfolg zugekommen wäre.

Richtig ist, daß der Kläger nur andeutungsweise vorgebracht hat, welchen Inhalt die von ihm nicht erhobene Berufung hätte haben sollen, und zwar im vorbereitenden Schriftsatz ON 3 AS 29: "Es konnte kein außervertraglicher Entgeltanspruch des Herrn V***** entstehen, weil seine erheblichen Leistungen für Herrn F***** eine Gegengefälligkeit für dessen seinerzeitigen erheblichen Leistungen für Herrn V***** darstellen." Allerdings war die Ausführung der Beweisrüge vom Prozeßverlauf her vorgegeben. F***** sagte im Verfahren vor dem Bezirksgericht H***** stets aus, daß beide Streitteile einander unentgeltliche Nachbarschaftshilfe zugesagt und dann auch geleistet hätten. Die Zusage einer Gegenleistung in Form des vorübergehenden Bewohnens der Almhütte ist in dieser Bestimmtheit nur der Aussage V***** zu entnehmen, der aber über den Vorhalt der gegenteiligen Aussage des F***** nur sehr unsicher entgegnete. Geht man wie das Erstgericht davon aus, daß die Aussage V***** unlogisch und nicht glaubhaft war und die Beweiswürdigung des Bezirksgerichtes H***** einer Überprüfung durch das Berufungsgericht nicht standgehalten hätte, so geht daraus eindeutig hervor, daß nur die Erhebung einer Beweisrüge F***** höchstwahrscheinlich zu einem Prozeßerfolg geführt hätte, d.h. die einzige Bekämpfungsmöglichkeit war von allem Anfang an klar. Die Ausführungen der beklagten Partei, daß es ihr bei genauer Kenntnis des Berufungsinhaltes möglich gewesen wäre, zu beweisen, daß diese Berufung ohnedies keinen Erfolg gehabt hätte, gehen von einer fehlerhaften Berufungserhebung durch den Kläger aus, was aber nur den gleichen haftungsbegründenden Verstoß wie die unterlassene Erhebung einer Berufung beinhaltet. Weder die Einwendungen der beklagten Partei gegen die vorliegende Klage, noch ihre Berufungsausführungen lassen erkennen, welchen anderen hypothetischen Ablauf des Verfahrens vor dem Bezirksgericht H***** die beklagte Partei überhaupt noch für möglich hält. Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt das fehlende Vorbringen des Klägers, so erkennt man, daß ein derartiges Vorbringen zum Inhalt der von ihm zu erhebenden, jedoch unterlassenen Berufung ohnedies klar ableitbar war, d.h., die behauptete Rechtsfolge läßt sich aus seinem Vorbringen sehr wohl ableiten (vgl JBl 1992, 649). Es liegen sohin überschießende Feststellungen des Erstgerichtes vor, die im Rahmen des geltend gemachten Klagsgrundes liegen und von der bisherigen Rechtsprechung in einem derartig gelagerten Fall auch stets berücksichtigt worden sind (vgl ÖBl 1976, 27 uva).

Da die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes, auf die, um Wiederholungen zu vermeiden, verwiesen wird (§ 510 Abs.3 ZPO), zutrifft, war der Revision des Klägers Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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