OGH 7Ob89/08a

OGH7Ob89/08a23.4.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Maximilian Ellinger und Dr. Günter Ellmerer, Rechtsanwälte in Kufstein, gegen die beklagte Partei T*****gesellschaft m.b.H., *****, wegen 36.000 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 29. Jänner 2008, GZ 3 R 182/07s‑9, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 6. Juli 2007, GZ 2 Cg 285/06v‑5, infolge Berufung der beklagten Partei aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2008:0070OB00089.08A.0423.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.959,48 EUR (darin enthalten 326,58 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

 

Über Auftrag der Klägerin, einer österreichischen GmbH, die mit Chemikalien handelt, führte die beklagte österreichische Speditionsgesellschaft einen Transport von Kühlgut von Deutschland nach Tschechien durch. Die Beklagte übergab dem Empfänger der Chemikalien nicht nur den Lieferschein der Klägerin, sondern auch weitere Dokumente, die die Bezugsquelle der Klägerin offen legten. Im der Beklagten von der Klägerin übermittelten schriftlichen Transportauftrag (ein „teilweise ausgefülltes Formblatt") findet sich der Hinweis, dass die Auslieferung beim tschechischen Kunden nur mit beiliegendem Lieferschein im Namen der Klägerin erfolgen dürfe. Ein Postskriptum („PS") zum Transportauftrag lautet:

„Bezahlung Ihrer Rechnung nur nach Vorlage des Original‑Frachtbriefes mit Übernahmebestätigung. Bei nachgewiesener Neutralitätsverletzung sind wir berechtigt, Ihnen den vollen Warenwert dieser Lieferung in Rechnung zu stellen und verzichten Sie außerdem zur Gänze auf die Bezahlung ihrer Frachtrechnung!"

Die Klägerin begehrtvon der Beklagten eine Konventionalstrafe von 36.000 EUR mit der Behauptung, aufgrund des schriftlichen Transportvertrags sei die Beklagte gehalten gewesen, die Anlieferung „streng neutral" - ohne Bekanntgabe des (sozusagen ein Betriebsgeheimnis darstellenden) Lieferanten der Klägerin - durchzuführen. Zufolge der der Beklagten anzulastenden „Neutralitätsverletzung" sei die Klägerin berechtigt, eine im Transportauftrag (dessen Bestimmungen Vertragsinhalt geworden seien) vorgesehene Konventionalstrafe in Höhe des Warenwerts von 95.760 EUR zu verrechnen; davon werde „vorerst" nur ein Teilbetrag geltend gemacht.

Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, eine Neutralitätsverpflichtung und eine Vertragsstrafe seien nicht vereinbart worden. Die betreffende Passage im Transportauftrag sei erst nach der Unterschriftszeile in einem „PS" „versteckt" worden und ihrem Disponenten erst nach Abwicklung des Transports aufgefallen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Parteien hätten die neutrale Ausführung des Transportauftrags und die Vertragsstrafe wirksam vereinbart. Die Voraussetzungen der §§ 864a und 879 Abs 3 ABGB lägen nicht vor. Eine Mäßigung der Vertragsstrafe komme nach § 348 HGB nicht in Betracht.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und trug dem Erstgericht eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Qualifiziere man den Transportauftrag als „formularmäßig vorgegebenen Vertrag" im Sinn des § 864a ABGB, führe eine nach dieser Gesetzesstelle durchgeführte Geltungskontrolle zum Ergebnis, dass jedenfalls die Bestimmung über die Vertragsstrafe nicht Vertragsinhalt geworden sei, weil sich die Klausel an einer nicht vermuteten Stelle „versteckt" finde. Ob der Transportauftrag ein „Vertragsformblatt" nach § 864a ABGB darstelle, hänge von fünf Voraussetzungen ab: Es müsse sich 1. um Vertragsbedingungen handeln, die 2. für eine Vielzahl von Fällen 3. im Voraus formuliert und 4. einer Vertragspartei „gestellt" worden seien. Auch dürfe 5. die Bedingung nicht im Einzelnen ausgehandelt worden sein. Die Bedingungen 1., 2., 4. und 5. lägen nach dem (eigenen) Vorbringen der Klägerin vor. Eine „Vorformulierung" (3.) setze voraus, dass die betreffenden Teile des Vertragsangebots des Verwenders von diesem nicht ad hoc für den konkreten Vertragsschluss entworfen, sondern als Grundlage oder Rahmen für gleichartige Rechtsverhältnisse mit verschiedenen Kunden aufgestellt worden seien. Vorformuliert seien auch Klauseln, die der Verwender oder sein Vertreter „im Kopf gespeichert" habe und erst bei Vertragsabschluss schriftlich fixiere. Das Vorbringen der Klägerin, nur zu den in Rede stehenden Vertragsbedingungen zu kontrahieren, sei auch ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen eines Lebenssachverhalts, der dem Kriterium der „Vorformulierung" im Sinn der zuvor wiedergegebenen Definition subsumierbar sei.

Das erstinstanzliche Verfahren sei insofern mangelhaft geblieben, als das Erstgericht seine „Feststellung", der Transportauftrag sei ein Einzelvertrag mit je gesonderten Bedingungen, wie sie eben einem Einzelvertrag eigen seien und es handle sich hiebei um keine Vertragsformblätter, nur unzureichend begründet habe. Aus dem Vorbringen der Klägerin gehe nicht entsprechend deutlich hervor, ob sie den Transportauftrag formularmäßig verfasst habe. Im fortzusetzenden Verfahren werde die Klägerin daher zur Verdeutlichung ihres Vorbringens aufzufordern sein. Das Erstgericht werde dann zu prüfen haben, inwieweit die Tatsachenbehauptungen der Parteien immer noch voneinander abwichen und daher einer Klärung in einem Beweisverfahren bedürften.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil keine höchstgerichtliche Judikatur vorliege, ob auch Klauseln, die der Verwender im Kopf „gespeichert" habe und erst bei Vertragsabschluss schriftlich fixiere, das Kriterium der „Vorformulierung" nach der Definition eines Vertragsformblatts im Sinn des § 864a ABGB erfüllten.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der Klägerin, die Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass das Ersturteil wiederhergestellt werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in der Rekursbeantwortung, das Rechtsmittel ihrer Prozessgegnerin entweder als unzulässig zurückzuweisen oder ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Klägerin ist mangels oberstgerichtlicher Judikatur zu der vom Berufungsgericht aufgeworfenen Frage der „Vorformulierung" zwar zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Gemäß § 864a ABGB werden Bestimmungen ungewöhnlichen Inhalts in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern, die ein Vertragsteil verwendet hat, nicht Vertragsbestandteil, wenn sie dem anderen Teil nachteilig sind und er mit ihnen auch nach den Umständen, vor allem nach dem äußeren Erscheinungsbild der Urkunde, nicht zu rechnen brauchte; es sei denn, der eine Vertragsteil hat den anderen besonders darauf hingewiesen. Was unter den (auch noch in den §§ 879 Abs 3 ABGB und 28 KSchG verwendeten) Begriffen „Allgemeine Geschäftsbedingungen" und „Vertragsformblätter" zu verstehen ist, hat der Gesetzgeber nicht definiert. Im Hinblick auf eine teleologische Verwandtschaft zwischen dem Anliegen des deutschen AGBG einerseits und dem KSchG andererseits wird nach herrschender Meinung eine Orientierung an § 305 BGB (ehemals § 1 AGBG) für angezeigt erachtet (7 Ob 207/04y, RZ 2005/15 = ÖBA 2005/1260; vgl auch 7 Ob 170/98w, SZ 72/12; Rummel in Rummel 3, § 864a Rz 1; Krejci in Krejci, HB KSchG, 100; ders in Rummel3, §§ 28 bis 30 KSchG Rz 7; Apathy/Riedler in Schwimann, ABGB3 IV, § 864a Rz 1). Danach sind Allgemeine Geschäftsbedingungen „alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt. Gleichgültig ist, ob die Bestimmungen einen äußerlich gesonderten Bestandteil des Vertrags bilden oder in die Vertragsurkunde selbst aufgenommen werden, welchen Umfang sie haben, in welcher Schriftart sie verfasst sind und welche Form der Vertrag hat. Allgemeine Geschäftsbedingungen liegen nicht vor, soweit die Vertragsbedingungen zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt sind. Diese Definition deckt wohl auch den Begriff der „Vertragsformblätter" ab; eine Differenzierung zwischen diesen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist auch entbehrlich, da die rechtlichen Konsequenzen der Verwendung gesetzwidriger Klauseln völlig gleich sind, ob das betreffende Gestaltungsmodell nun als Allgemeine Geschäftsbedingungen oder Vertragsformular zu bezeichnen ist, die vom Gesetzgeber stets nur gemeinsam - als Begriffspaar - genannt werden (7 Ob 207/04y mwN).

Die Definition des Begriffs „Vertragsformblätter" des Berufungsgerichts entspricht demnach der herrschenden Ansicht. Da das Berufungsgericht allerdings das betreffende Vorbringen der Klägerin für widersprüchlich beziehungsweise nicht eindeutig erachtete, hat es diesbezüglich eine Erörterung und - je nachdem, ob sich das Vorbringen der Parteien dann (noch) widerspricht - auch eine ergänzende Beweisaufnahme für erforderlich erachtet. Ob diese dem Erstgericht aufgetragene Verfahrensergänzung zur Verbreiterung der Sachverhaltsbasis notwendig ist, kann vom Obersten Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht überprüft werden. Zweck des Rekurses ist nur die Überprüfung der Rechtsansicht der zweiten Instanz durch den Obersten Gerichtshof; ist die dem Aufhebungsbeschluss zugrundeliegende Rechtsansicht richtig - was hier sowohl hinsichtlich der Kriterien eines Vertragsformblatts als auch hinsichtlich der Bejahung der Ungewöhnlichkeit der Vertragsstrafen‑Klausel im Sinn des § 864a ABGB aufgrund der Stellung dieser Klausel im Gesamtgefüge des Transportauftrags zutrifft -, kann der Oberste Gerichtshof nicht überprüfen, ob die Verfahrensergänzung tatsächlich notwendig ist (RIS‑Justiz RS0042179; RS0113643 [T2]; Kodek in Rechberger3 § 519 ZPO Rz 26 mwN).

Das Berufungsgericht hat auch die zum Kriterium der „Vorformulierung" aufgeworfene Frage zutreffend beantwortet. Es macht keinen Unterschied, ob ein Verwender eine Klausel, die Teil eines Vertragsformblatts ist, etwa EDV‑mäßig speichert oder immer wieder bloß aus dem Gedächtnis reproduziert. Die - deutsche Judikatur und Lehre (BGH NJW 1988, 410; Heinrichs in Palandt 66 § 305 BGB Rz 8; Basedow in MünchKomm § 305 Rz 13 ua) folgende ‑ Ansicht des Berufungsgerichts, es genüge, dass eine Klausel in diesem Sinn „im Kopf des Verwenders gespeichert" sei, ist demnach richtig.

Die von der Rekurswerberin behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, die darin erblickt wird, dass das Berufungsgericht „unzulässige Neuerungen in der Berufung verwertet" habe, liegt, wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat (§ 510 Abs 3 dritter Satz ZPO iVm § 528a ZPO) nicht vor.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte