OGH 7Ob87/20z

OGH7Ob87/20z24.6.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei S* T*, vertreten durch pfletschinger.renzl, Rechtsanwalts-Partnerschaft in Wien, gegen den Gegner der gefährdeten Partei D* M*, vertreten durch tws Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen einstweiliger Verfügung gemäß §§ 382b, 382e EO, über den Revisionsrekurs der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 19. Februar 2020, GZ 23 R 66/20h‑15, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Waidhofen an der Ybbs vom 23. Jänner 2020, GZ 1 C 1/20g‑9, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E128440

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss wie folgt zu lauten hat:

„A. I. Dem Gegner der gefährdeten Partei wird jeweils für die Dauer von sechs Monaten

1. das Verlassen der Wohnung *, und deren unmittelbaren Umgebung aufgetragen,

2. die Rückkehr in die Wohnung *, und deren unmittelbare Umgebung verboten, und

3. aufgetragen, das Zusammentreffen mit der Antragstellerin zu vermeiden.

III. Die Sicherheitsbehörden werden mit dem Vollzug der einstweiligen Verfügung beauftragt. Diese haben über Ersuchen der gefährdeten Partei den der einstweiligen Verfügung entsprechenden Zustand durch unmittelbare Befehls- und Zwangsgewalt herzustellen und dem Gericht darüber zu berichten.

B. Hingegen werden die Mehrbegehren, dem Gegner der gefährdeten Partei

I. aufzutragen, das Zusammentreffen mit der Antragstellerin für weitere 6 Monate zu vermeiden und

II. jeweils für die Dauer von einem Jahr

1. den Aufenthalt auf den EZ 23 und 24, * zu verbieten, und

2. aufzutragen, jegliche Kontaktaufnahme mit der gefährdeten Partei zu vermeiden,

abgewiesen.“

C. Die Vertretungskosten aller drei Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.

 

Begründung:

Die gefährdete Partei (fortan: Antragstellerin) und der Gegner der gefährdeten Partei (fortan: Antragsgegner) sind seit 2000 verheiratet. In einem anhängigen Scheidungsprozess haben sie ewiges Ruhen vereinbart. Die Antragstellerin plant neuerlich eine Scheidungsklage gegen den Antragsgegner einzubringen sowie eine weitere Klage, in welcher eine kurz nach der Eheschließung erfolgte Schenkung an den Antragsgegner im Ausmaß von 49 % der Anteile an der bäuerlichen Liegenschaft der Antragsstellerin wegen groben Undanks angefochten werden soll. Die Antragstellerin hat die ihr gehörenden 51 %‑Anteile bereits an ihren Sohn übertragen.

Die Antragstellerin und der Antragsgegner wohnen gemeinsam am landwirtschaftlichen Anwesen (Haus Nr 39), wobei zum landwirtschaftlichen Betrieb auch das Haus Nr 38, gehört, welches hauptsächlich als Wirtschaftsgebäude genutzt wird.

Am 26. 12. 2019 war vereinbart, dass der Antragsgegner sich um das Mittagessen kümmere. Er erschien jedoch mit ca zweistündiger Verspätung, weswegen es zwischen den Parteien zum Streit kam. Der Antragsgegner hatte das Gefühl, dass sich die Antragstellerin derzeit in einer „manischen Phase“ befinde. Zur Vermeidung von Streitigkeiten sperrte der Antragsgegner die Antragstellerin für einen Zeitraum zwischen zehn Minuten und eineinhalb Stunden (Genaueres steht nicht fest) in die im Erdgeschoß gelegene und mit vergitterten Fenstern versehene Bauernstube des gemeinsamen Wohnhauses ein. Der Antragsgegner verließ, nachdem er die Antragstellerin wieder freigelassen hat, das Wohnhaus, um seiner Arbeit nachzugehen.

Es steht nicht fest, dass der Antragsgegner sich mit dem Rücken auf den Boden fallen hat lassen und mit seinem Kopf mehrfach gegen den Boden geschlagen hat, dass der Antragsgegner im Wohnhaus randaliert, insbesondere „ob“ er die Telefonkabeln herausgerissen oder die Kommode umgeworfen hat, dass die Antragstellerin Angst vor dem Antragsgegner hat und befürchtet, dass es zu aggressiven Übergriffen des Antragsgegners kommt.

Es kam zwischen den Parteien immer wieder zu Streitigkeiten, insbesondere im Hinblick darauf, dass der Antragsgegner sich wie ein Leibeigener behandelt fühlte, weil ein Großteil der auf der Liegenschaft anfallenden Arbeiten von ihm erledigt wird. Zudem kam es auch immer wieder zu Streitigkeiten über das Verhalten und den Charakter der Kinder der Antragsstellerin.

Im Zuge von Auseinandersetzungen sagte der Antragsgegner zur Antragstellerin, „dass man kaputt machen soll, was einen kaputt macht“ und, dass sie noch sehen werde, was sie davon habe. Die Antragstellerin hat sich an den Umgangston des Antragsgegners mit ihr gewöhnt. Es steht nicht fest, ob die Antragstellerin diese Aussagen als bedrohlich empfunden hat. Der Antragsgegner wurde gegenüber der Antragstellerin bislang noch nie gewalttätig und hat diese auch noch nie gefährlich mit einer Waffe bedroht.

Die Wohnung dient der Antragstellerin zur Befriedigung ihres dringenden Wohnbedürfnisses. Eine Abtrennung der Lebensbereiche der Antragstellerin und des Antragsgegners innerhalb der Wohnung ist nicht möglich.

Der Antragsgegner bezieht sein Einkommen aus der Bewirtschaftung der Landwirtschaft.

Die Antragstellerin begehrte die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß §§ 382b, 382e EO, mit welcher über den Antragsgegner ein Aufenthalts- und Rückkehrverbot hinsichtlich der Ehewohnung für die Dauer von sechs Monaten sowie ein Aufenthaltsverbot auf der gemeinsamen Land- und Forstwirtschaft und ein Kontaktaufnahmeverbot für die Dauer eines Jahres verhängt werden sollte.

Der Antragsgegner beantragte die Abweisung der Sicherungsanträge, weil diese nach den Geschehnissen nicht gerechtfertigt seien und seine Interessen schwerwiegend beeinträchtigen würden.

Das Erstgericht wies die Sicherungsanträge ab. Es war rechtlich der Ansicht, dass die Antragstellerin weder einen körperlichen Angriff des Antragsgegners noch eine Drohung mit einem solchen habe bescheinigen können. Die Äußerungen des Antragsgegners seien milieubedingte Unmutsbekundungen. Es lägen insgesamt die Voraussetzungen für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach §§ 382b, 382e EO nicht vor. Gegen letztere würden auch die schwerwiegenden, gegenläufigen Interessen des Antragsgegners sprechen.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es führte rechtlich im Wesentlichen aus, dass der Vorfall am 26. 12. 2019 einmalig gewesen und dabei auch die Motivation des Antragsgegners zu berücksichtigen sei, eine Weiterführung des Streits mit möglicher Eskalation samt weiterer Aufregung der Antragstellerin zu vermeiden. Die Erlassung einer einstweiligen Verfügung sei deshalb nicht gerechtfertigt.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil vorrangig Tatfragen des Einzelfalls maßgeblich gewesen seien.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Erlassung der begehrten einstweiligen Verfügungen. Hilfsweise stellt die Antragstellerin auch einen Aufhebungsantrag.

Der Antragsgegner erstattete eine – ihm freigestellte – Revisionsrekursbeantwortung mit dem Antrag, den Revisionsrekurs nicht zuzulassen, hilfsweise diesem keine Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und teilweise auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1.1. Nach § 382b Abs 1 EO hat das Gericht einer Person, die einer anderen Person durch einen körperlichen Angriff, eine Drohung mit einem solchen oder ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten das weitere Zusammenleben unzumutbar macht, auf deren Antrag, 1. das Verlassen der Wohnung und deren unmittelbarer Umgebung aufzutragen und 2. die Rückkehr in die Wohnung und deren unmittelbare Umgebung zu verbieten, wenn die Wohnung der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Antragstellers dient.

1.2. Nach § 382e Abs 1 EO hat das Gericht einer Person, die einer anderen Person durch einen körperlichen Angriff, eine Drohung mit einem solchen oder ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten das weitere Zusammentreffen unzumutbar macht, auf deren Antrag, 1. den Aufenthalt an bestimmt zu bezeichnenden Orten zu verbieten, 2. aufzutragen, das Zusammentreffen sowie die Kontaktaufnahme mit dem Antragsteller zu vermeiden und 3. zu verbieten, sich dem Antragsteller oder bestimmt zu bezeichnenden Orten in einem bestimmten Umkreis anzunähern, soweit dem nicht schwerwiegende Interessen des Antragsgegners zuwiderlaufen.

1.3. Bei Gewalt in der Wohnung steht es der gefährdeten Person frei, ob sie den Gewaltschutz nach § 382b EO (mit Nachweis des dringenden Wohnbedürfnisses) oder nach § 382e EO (mit Interessenabwägung) geltend machen will (RS0127363).

2. Als Verfügungsgrund genügt bereits eine einmalige und ihrer Art nach nicht völlig unbedeutende tätliche Entgleisung, weil das persönliche Recht auf Wahrung der körperlichen Integrität absolut wirkt (RS0110446 [T5, T17]). Die Gründe für die Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens sind verschuldensunabhängig; es kommt nicht auf das Unrechtsbewusstsein oder die Absichten des Antragsgegners an (RS0110446 [T13]).

3.1. Der Entzug der persönlichen Freiheit durch das Einsperren einer Person über einen Zeitraum von zumindest zehn Minuten ist eine massive und nicht tolerierbare Verletzung der persönlichen Integrität, die tatbestandsmäßig nach §§ 382b Abs 1, 382e Abs 1 EO ist. Die angebliche Absicht des Antragsgegners, er habe mit dem Einsperren der Antragstellerin eine weitere Eskalation vermeiden wollen, wäre – ohne persönlichen Übergriff – leicht dadurch erreichbar gewesen, dass er den Ort des Streits verlässt und rechtfertigt daher sein Vorgehen in keiner Weise. Eine Einwilligung der Antragstellerin dazu steht nicht fest, sodass schon dieses Verhalten des Antragsgegners als Verfügungsgrund ausreicht.

3.2. Die Äußerungen des Antragsgegners, dass man kaputt machen soll, was einen kaputt macht, und die Antragstellerin werde noch sehen, was sie davon habe, sind überdies ebenfalls nach den §§ 382b Abs 1, 382e Abs 1 EO einschlägige Drohungen, die jedenfalls bei der Beurteilung des Gesamtverhaltens maßgeblich sind. Darauf, ob diese von der Antragstellerin als bedrohlich erkannt und gesondert einen Verfügungsgrund darstellen würden, kommt es unter diesen Umständen nicht an.

4.1. Das dringende Wohnbedürfnis der Antragstellerin an der genannten Wohnung wird hier vom Antragsgegner nicht bezweifelt. Damit sind die Voraussetzungen für die Bewilligung der einstweiligen Verfügung nach § 382b Abs 1 Z 1 und 2 EO erfüllt.

4.2. Die schwerwiegenden Interessen des Antragsgegners, die einer einstweiligen Verfügung nach § 382e Abs 1 EO entgegen stehen, liegen (nur) insoweit vor, als dieser sein Einkommen aus der Bewirtschaftung der Landwirtschaft bezieht. Dieses Interesse bleibt dadurch gewahrt, dass dem Antragsgegner nur aufgetragen wird, ein (persönliches) Zusammentreffen mit der Antragstellerin zu vermeiden. Demgegenüber bleiben andere Kontaktmöglichkeit, die zur Abstimmung bei der Bewirtschaftung der Landwirtschaft geboten sind, sowie der Aufenthalt am Anwesen – unter Ausschluss der Ehewohnung – bei der derzeit bescheinigten Gefährdungslage zulässig, wobei zur Deeskalation auch für den Auftrag nach § 382e Abs 1 Z 2 EO mit einer Verfügungsfrist von sechs Monaten zur Zeit das Auslangen gefunden werden kann.

5.1. Im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen nach §§ 382b Abs 1 Z 1 und 2 und 382e Abs 1 Z 2 EO ist daher den Sicherungsanträgen teilweise stattzugeben, das Mehrbegehren dagegen abzuweisen.

5.2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 43 Abs 1, 50 ZPO iVm § 393 Abs 2 EO. Beide Parteien waren nur teilweise erfolgreich, wobei ein kostenrechtlich relevantes Obsiegen nicht zu erkennen ist.

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