European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00083.23S.1121.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Der Kläger kaufte am 21. Oktober 2016 ein Wohnmobil Knaus R22 Sun Ti 650 MEG Platinum um 78.700 EUR. Die Erstbeklagte ist die Herstellerin dieses Fahrzeugs; die Zweitbeklagte hatte jedenfalls mit der Herstellung des Motors zu tun.
[2] Der Kläger wirft den Beklagten vor, der im Fahrzeug verbaute Dieselmotor sei vom Abgasmanipulationsskandal betroffen, sodass die Stickoxidwerte die Grenzwerte im normalen Fahrbetrieb beträchtlich überschreiten würden und das Fahrzeug nicht einmal den Mindeststandards – der Euro-Abgasnorm 6 – entspreche. Die Beklagten hätten unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut und damit vorsätzlich und rechtswidrig Fahrzeuge in Verkehr gebracht, die im Auslieferungszeitpunkt weder typengenehmigungs- noch zulassungsfähig gewesen seien. Der Kläger sei davon ausgegangen, ein wertstabiles und technisch einwandfreies Fahrzeug zu erwerben. Hätte der Kläger bei Ankauf von den gesetzwidrigen Manipulationen gewusst, hätte er das Fahrzeug nicht um diesen Kaufpreis erworben. Der Schaden liege im Erwerb eines überteuerten Fahrzeugs. Er hätte bei Kenntnis für das Fahrzeug 30 % weniger als den Kaufpreis bezahlt, was auch dem objektiven Minderwert entspreche, der – bei Offenlegung der Manipulation – für das Fahrzeug zum Ankaufszeitpunkt bezahlt worden wäre. Die Beklagten hätten arglistig und sittenwidrig gehandelt und darüber hinaus auch gegen Art 5 VO (EG) 715/2007 als Schutzgesetz verstoßen.
[3] Die Erstbeklagte wendete unter anderem ein, im klagsgegenständlichen Fahrzeug sei keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut; sämtliche Grenzwerte seien eingehalten. Der Kläger habe im Übrigen auch keinen von ihm tatsächlich erlittenen Schaden dargestellt. Die VO (EG) 715/2007 diene nicht dem Schutz individueller Käuferinteressen.
[4] DieZweitbeklagte wendete ein, sie habe mit der Motorsoftware überhaupt nichts zu tun; sämtliche hier beanstandete Programmierungen lägen nicht in ihrem Verantwortungsbereich. Da sie nicht die Herstellerin des Fahrzeugs sei, sei sie auch nicht am Zulassungsverfahren beteiligt und habe insbesondere nicht die EU‑Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt.
[5] Das Erstgerichtgab dem Klagebegehren gegen beide Beklagte statt. Die Beklagten hätten bewusst und gewollt unzulässige Abschalteinrichtungen im verfahrensgegenständlichen Fahrzeug verbaut; das führe zu einer 20%igen Wertminderung, die dem Kläger im Rahmen des Schadenersatzes zustehe.
[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung beider Beklagter Folge und hob das Ersturteil gegen beide Beklagte zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung auf. Das Ersturteil enthalte keinerlei Feststellungen zur Kausalität der den Beklagten vorgeworfenen Pflichtverletzungen; insbesondere stehe nicht fest, ob der Kläger das Fahrzeug bei Kenntnis der Manipulationen um einen entsprechend reduzierten Preis gekauft hätte.
[7] Das Berufungsgericht ließ denRekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil noch keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Rechtsfrage vorliege, inwieweit der Käufer wegen eines (behauptetermaßen) mit einer „unzulässigen Abschalteinrichtung“ ausgestatteten Fahrzeugs Schadenersatzansprüche gegen dessen Hersteller auf deliktischen Schadenersatz wegen arglistiger Verleitung zum Vertragsabschluss und wegen Inverkehrbringens eines „gesetzwidrigen“ Fahrzeugs stützen könne.
[8] Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Klägers.
[9] Beide Beklagte beantragen in ihren Rekursbeantwortungen, den Rekurs als unzulässig zurückzuweisen, in eventu, ihm nicht Folge zu geben.
[10] Der Rekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[11] 1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[12] 2. Der Kläger wirft den Beklagten stark zusammengefasst vor, im Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen implementiert zu haben, die einerseits für eine Abschaltung der Abgasrückführung nach 22 Minuten Fahrzeit sorgen und anderseits ein sogenanntes „Thermofenster“ beinhalten würden, das ua eine Reduktion der Abgasrückführung bei unter 20 Grad Celsius der Außentemperatur bewirke.
[13] 2.1. Eine Abschalteinrichtung ist nach der Legaldefinition des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird. Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG normiert ein grundsätzliches, von Ausnahmen durchbrochenes Verbot von Abschalteinrichtungen. Nach Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig.
[14] 2.2. Beide vom Kläger behaupteten Mechanismen wären – auch unabhängig von der Motorschutzausnahme (vgl 2 Ob 2/23a Rz 62) – unzulässige Abschalteinrichtungen, weil sie bewirken würden, dass die Emissisonbeschränkungen im normalen Fahrbetrieb (der in der Regel länger als 22 Minuten dauert und auch bei Temperaturen unter 20 Grad Celsius stattfindet) nicht eingehalten würden (vgl insgesamt EuGH C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen).
[15] 2.3. Das Berufungsgericht hat die Tatsachenrüge zu diesem Thema nicht erledigt. Eine Aufhebung und Zurückverweisung an die 2. Instanz aus diesem Grund kann allerdings dennoch unterbleiben, weil das wie immer geartete Ergebnis der Erledigung der Tatsachenrüge aufgrund der grundsätzlichen Strukturierung der erstgerichtlichen Feststellungen jedenfalls für eine rechtliche Beurteilung nicht ausreichend wäre. Ob die behaupteten Abschalteinrichtungen beim streitgegenständlichen Fahrzeug vorliegen, ließe sich aufgrund der ungenauen und teilweise widersprüchlichen Feststellungen – die teils unterschiedliche Ausführungen des Sachverständigen mit rechtlicher Beurteilung („eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen“) vermischen – jedenfalls nicht abschließend beurteilen. Im Sinne der Verfahrensökonomie ist es daher angebracht, die Sache in die 1. Instanz zurückzuverweisen.
[16] 3. Sollte das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren zum Ergebnis kommen, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut wurde, ist bereits jetzt Folgendes auszuführen:
[17] I. Der Kläger begehrt Schadenersatz aus deliktischer Schädigung durch die Beklagten. Gemäß Art 4 Abs 1 der VO 864/2007/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom Ⅱ‑VO) ist – soweit in der Verordnung nichts anderes vorgesehen – auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staats anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind. Da der Kläger die Schädigung durch Erwerb des abgasmanipulierten Fahrzeugs in Österreich behauptet, ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Anwendung österreichischen Schadenersatzrechts nicht zu beanstanden. Auch die Parteien gehen in ihren Rechtsmittelschriften von der Anwendung österreichischen Rechts aus.
II. Zur Erstbeklagten:
[18] II.1. Zu den Voraussetzungen für einen Schadenersatzanspruch gegen den Hersteller eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs hat der Oberste Gerichtshof im Rahmen seiner Entscheidungen zu 10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 und 10 Ob 27/23b vom 28. 9. 2023 ausführlich Stellung genommen:
[19] II.1.1. Aus der Entscheidung des EuGH – insbesondere im Zusammenhang mit dem Ausgangsverfahren (vgl EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 23 u 69) – ergibt sich, dass ein Verstoß gegen Art 5 der VO 715/2007/EG den Hersteller auch dann ersatzpflichtig machen kann, wenn er in keinem Vertragsverhältnis mit dem Käufer steht. Für diesen Schadenersatzanspruch macht der EuGH grundsätzliche Vorgaben dahin, dass die Mitgliedstaaten in einem solchen Fall einen Schadenersatzanspruch zu Gunsten eines Käufers gegenüber dem Hersteller vorzusehen haben, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist. Dabei handelt es sich um einen im nationalen Recht wurzelnden Schadenersatzanspruch, der am unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz zu messen ist, also eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion für den Verstoß darstellen muss. Im Übrigen richten sich die Modalitäten dieses Schadenersatzanspruchs nach nationalem Recht, hier also nach österreichischem Recht. Eine unionsrechtliche Vorgabe eines Schadenersatzanspruchs ist die Bejahung eines Schadens: Der EuGH betont, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs ein Schadenersatzanspruch zusteht, wenn ihm ein Schaden entstanden ist. Als nachteilige Folge – vor der ein Fahrzeugkäufer durch das Unionsrecht geschützt werden soll – sieht der EuGH an, dass durch die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung die Gültigkeit der EG‑Typengenehmigung und daran anschließend die der Übereinstimmungsbescheinigung in Frage gestellt werden, was wiederum (unter anderem) zu einer Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit (Anmeldung, Verkauf oder Inbetriebnahme des Fahrzeugs) und „letztlich“ zu einem Schaden führen kann. Damit stellt der EuGH klar, dass ein deliktischer Schadenersatzanspruch nicht als ein von einem Schadenseintritt losgelöster Akt der privaten Durchsetzung von Emissionsnormen zu sehen ist. Vielmehr geht es um den Ausgleich der objektiven Unsicherheit hinsichtlich der Fahrzeugnutzung, mit der der individuelle Fahrzeugerwerber konfrontiert ist. Der Schadensbegriff des ABGB wird diesen unionsrechtlichen Voraussetzungen gerecht. Als Schaden im Sinn des § 1293 ABGB ist jeder Zustand zu verstehen, der rechtlich als Nachteil aufzufassen ist, an dem also ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen besteht. Im Fall des Erwerbs eines mit einer im Sinn des Art 5 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs besteht dieses geringere rechtliche Interesse – den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechend – in der (objektiv) eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit. Ein Schadenseintritt wäre lediglich dann zu verneinen, wenn das objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Käufers entsprach (vgl das Endurteil 10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 mwN).
[20] II.1.2. Neben einem Ersatz in Form der Zug‑um‑Zug-Rückabwicklung (10 Ob 2/23a Rz 35) als Naturalrestitution – die vom Kläger vorliegend nicht begehrt wird – steht dem Käufer, der das Fahrzeug nicht zurückstellen will, aber auch die Geltendmachung eines Minderwerts des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs offen (vgl 10 Ob 27/23b Pkt 2.2.). Zu dessen Höhe hat der Oberste Gerichtshof in dieser Entscheidung (vgl Pkt 6.2.2.) ausgeführt:
„Aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben, wonach die Sanktionen für Verstöße gegen die Vorschriften der VO 715/2007/EG wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen und nationale Vorschriften dem Erwerber die Erlangung eines angemessenen Schadenersatzes nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 90, 93), ist jedenfalls ein angemessener Schadenersatzbetrag zu gewähren, den der Bundesgerichtshof innerhalb einer Bandbreite von 5 % (aus Gründen unionsrechtlicher Effektivität als Untergrenze) und 15 % (aus Gründen unionsrechtlicher Verhältnismäßigkeit als Obergrenze) des Kaufpreises annimmt (BGH 26. Juni 2023, VIa ZR 335/21 Rn 73 ff).“
[21] Innerhalb dieser Bandbreite kann der zu ersetzende Betrag gemäß § 273 Abs 1 ZPO nach freier Überzeugung unter Berücksichtigung der vom Obersten Gerichtshof in 10 Ob 27/23b (vgl Pkt 6.2.2. und 6.2.3.) vorgegebenen Kriterien festgesetzt werden.
[22] Vor diesem Hintergrund wird das Erstgericht gegebenenfalls (vgl 2.4) die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 10 Ob 27/23b mit den Parteien zu erörtern und ihnen Gelegenheit zu geben haben, dazu ergänzendes Vorbringen zu erstatten.
[23] II.2. Zu dem vom Kläger ebenfalls herangezogenen Vorwurf der Arglist, hat das Berufungsgericht bereits ausgeführt, dass dafür Feststellungen erforderlich sind, welchen Einfluss die List auf die Willensbildung des Klägers gehabt hat (RS0014762). List im Sinn des § 870 ABGB ist rechtswidrige, vorsätzliche Täuschung (RS0014821). Das Verhalten des Täuschenden muss für den Irrtum kausal sein (RS0014790; RS0014821 [T3]). Für die Beurteilung dieser Anspruchsgrundlage fehlen derzeit jegliche Feststellungen zu den Vorstellungen des Käufers zum Kaufzeitpunkt und seinem (hypothetischen) Verhalten bei Kenntnis von den Manipulationen, obwohl der Kläger dazu Vorbringen erstattet hat. Auf Fragen zur Schadensberechnung für diese Fälle braucht daher derzeit nicht eingegangen zu werden.
[24] II.3. Die Aufhebung des Ersturteils gegen die Erstbeklagte erweist sich daher im Ergebnis als zutreffend.
III. Zur Zweitbeklagten:
[25] III.1. Der Kläger hat sich auch gegenüber der Zweitbeklagten auf die VO 715/2007/EG als Schutzgesetz berufen. Die Zweitbeklagte hat bereits in ihrer Klagebeantwortung eingewandt, sie habe mit der Motorsoftware nichts zu tun und habe auch die EU‑Übereinstimmungsbescheinigung nicht ausgestellt.
[26] III.1.1. Der Oberste Gerichtshof hat den Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem geltend gemachten Schaden und den übertretenen unionsrechtlichen Normen bejaht, wenn der Käufer eines PKW gegen die Herstellerin eines – behauptetermaßen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten – Fahrzeugs einen Schadenersatzanspruch stellt. Grundlage dieser Bejahung des Rechtswidrigkeitszusammenhangs war die Entscheidung C‑100/21 , QB gegen Mercedes Benz Group AG des EuGH, in der der EuGH den Schutzzweck von Art 18 Abs 1, Art 26 Abs 1 und Art 46 der Richtlinie 2007/46/EG in Verbindung mit Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG dahin ausgelegt hat, dass sie neben allgemeinen Rechtsgütern die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller schützen, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn von Art 5 Abs 2 dieser Verordnung ausgestattet ist. Das wird maßgeblich aus den Bestimmungen über die Übereinstimmungsbescheinigung abgeleitet, weil ein individueller Käufer, der ein Fahrzeug erwirbt, das zur Serie eines genehmigten Fahrzeugtyps gehört und somit mit einer Übereinstimmungsbescheinigung versehen ist, somit vernünftiger Weise erwarten kann, dass die VO 715/2007/EG und insbesondere Art 5 bei diesem Fahrzeug eingehalten werden (vgl EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes Benz Group AG, Rz 78 ff). Aus Art 18 Abs 1 und Art 26 Abs 1 sowie Art 46 der Rahmen‑RL ergebe sich daher eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Automobilhersteller und dem individuellen Käufer eines Kraftfahrzeugs und ermögliche diese Bescheinigung insbesondere, den Käufer davor zu schützen, dass der Hersteller seine Pflicht, im Einklang mit dieser Bestimmung stehende Fahrzeuge auf den Markt zu bringen, nicht einhält (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes Benz Group AG, Rz 82).
[27] III.1.2. Hersteller ist die Person oder Stelle, die gegenüber der Typengenehmigungsbehörde für alle Belange des Typengenehmigungs- oder Autorisierungsverfahrens sowie für die Sicherstellung der Übereinstimmung der Produktion verantwortlich ist (Art 3 Z 27 Richtlinie 2007/46/EG ); die vom Kläger gegen die Zweitbeklagte geltend gemachten deliktischen Schadenersatzansprüche könnten nur dann erfolgreich auf die (bloß schuldhafte) Verletzung des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG gestützt werden, wenn die Zweitbeklagte auch gemäß Art 18 Abs 1 der Richtlinie 2007/46/EG „in ihrer Eigenschaft als Inhaber einer EG‑Typengenehmigung“ gemäß Art 18 Abs 1 Richtlinie 2007/46/EG zur Beilegung der Übereinstimmungsbescheinigung verpflichtet gewesen wäre. Diesen Umstand hat die Zweitbeklagte bestritten, während der Kläger weiterhin auf dem Standpunkt steht, beide Beklagte hätten im Zusammenhang mit unzulässigen Abschalteinrichtungen maßgebliche Rollen gespielt. Das Erstgericht ist darauf nicht eingegangen.
[28] 2. Der Kläger hat sein Klagebegehren auch gegen die Zweitbeklagte auf das Vorliegen von Arglist gestützt. Die Zweitbeklagte hat dazu vorgebracht, sie sei für die Software des Motors weder verantwortlich noch zuständig gewesen, sondern habe lediglich mechanische Komponenten des Motors an die – mit ihr nicht konzernverbundene – Erstbeklagte geliefert. Sie habe daher bereits deshalb keine sittenwidrige oder vorsätzliche Schädigung im Zusammenhang mit einer allenfalls vorhandenen unzulässigen Abschalteinrichtung zu verantworten, was der Kläger bestreitet (vgl zur möglichen deliktischen Haftung der Motorenherstellerin 3 Ob 40/23p [ErwGr 5.3]). Auch mit diesem Einwand hat sich das Erstgericht nicht auseinandergesetzt.
[29] 3. Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren Feststellungen zur Rolle der Zweitbeklagten sowohl im Typengenehmigungsverfahren als auch im Hinblick auf die Installierung einer – allenfalls unzulässigen – Abschalteinrichtung zu treffen haben.
[30] 4. Die Aufhebung des Ersturteils erweist sich daher auch gegen die Zweitbeklagte im Ergebnis als zutreffend.
[31] 5. Dem Rekurs war daher insgesamt hinsichtlich beider Beklagter nicht Folge zu geben.
[32] 6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO. Der Rekurs hat zur Klarstellung der Rechtslage beigetragen (vgl RS0035976; RS0036035).
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