OGH 7Ob79/20y

OGH7Ob79/20y27.5.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. M***** F*****, vertreten durch die Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei A*****-Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 76.500,83 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 24. Jänner 2020, GZ 1 R 51/18v‑13, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 8. August 2018, GZ 19 Cg 42/18z‑6, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 13. August 2018, GZ 19 Cg 42/18z‑7, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00079.20Y.0527.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen .

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.306,16 EUR (darin 384,36 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Klägerin schloss mit dem beklagten Versicherer am 28. 10. 1997 einen Lebensversicherungsvertrag ab 1. 11. 1997 mit einer Laufzeit von 21 Jahren. Die Rücktrittsbelehrung im Versicherungsantrag lautete:

„Ein schriftlich erklärter Rücktritt innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt der Versicherungsurkunde ist möglich.“

In der der Klägerin zugestellten Polizze findet sich unter „Wichtige Hinweise“ folgende Belehrung über das Rücktrittsrecht:

„Sie sind berechtigt innerhalb eines Monats ab Zugang der Versicherungsurkunde vom Vertrag zurückzutreten. Der Rücktritt hat schriftlich zu erfolgen … .“

Nach § 13 der dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden „Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Lebensversicherung mit Kapitalzahlung“ (AVB) sind alle Erklärungen des Versicherungsnehmers gültig, „wenn sie schriftlich erfolgen“.

Die Klägerin zahlte insgesamt 57.255,55 EUR an Versicherungsprämien.

Per 1. 3. 2018 belief sich der Rückkaufswert auf 65.530,95 EUR.

Am 8. 3. 2018 erklärte die Klägerin ihren Rücktritt vom Vertrag wegen fehlerhafter Aufklärung über das Rücktrittsrecht.

Rechtliche Beurteilung

1.  Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (vgl RS0112921, RS0112769). Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt weg, wenn sie durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits vorher geklärt wurde (RS0112921 [T5]).

Die entscheidungswesentlichen Rechtsfragen zum Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG im Zusammenhang mit dem Verlangen des Versicherers nach Schriftlichkeit der Rechtsmittelerklärung des Versicherungsnehmers sind hier durch Entscheidungen des Fachsenats 7 Ob 3/20x, 7 Ob 4/20a und 7 Ob 16/20h bereits beantwortet und daher nicht (mehr) als erheblich einzustufen. Das Rechtsmittel ist daher ungeachtet der Zulassung der ordentlichen Revision durch das Berufungsgericht zurückzuweisen, wobei sich die Entscheidung auf die Darlegung der Zurückweisungsgründe beschränken kann (§ 510 Abs 3 ZPO).

2.  Soweit in den Belehrungen auf den Zugang der Polizze als auslösendes Ereignis für den Beginn der Rücktrittsfrist Bezug genommen wird, hat der Fachsenat bereits wiederholt ausgeführt (7 Ob 78/19z = RS0132887; 7 Ob 6/20p, je mwN), dass dann, wenn der Versicherer ein vom Interessenten an einem ihrer Produkte auszufüllendes und bei ihr einzureichendes Antragsformular verwendet, für den durchschnittlichen, redlichen und vernünftigen Versicherungsnehmer klar ist, dass der Zugang der Polizze die wirksame Annahme des Versicherungsantrags und gleichzeitig die Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags ist, und ihm damit der Zeitpunkt des Zustandekommens des Vertrags und der Beginn der Rücktrittsfrist mit Zugang der Annahme seines Anbots durch den Versicherer klar ist.

3.  Die Rechtsbelehrung über die Dauer der Frist zur Ausübung des Rücktrittsrechts im Antrag entsprach § 165a VersVG (idF BGBl I 1997/6) und den unionsrechtlichen Vorgaben.

Es ist nicht plausibel, wie die später mit der Polizze erteilte Belehrung über eine angeblich längere Frist von einem Monat die Versicherungsnehmerin davon hätte abhalten können, innerhalb der 14‑tägigen gesetzlichen Frist einen Rücktritt zu erklären (vgl 7 Ob 16/20h).

4.1.  Soweit die Klägerin im Antrag, in der Polizze und in den AVB weiters dahin belehrt wurde, dass der Rücktritt schriftlich zu erfolgen habe, stellen sich keine erheblichen Rechtsfragen mehr, weil dazu der Fachsenat mit Bezug auf die Beantwortung der Vorlagefrage 1 durch den EuGH in seinem Urteil vom 19. 12. 2019 in den verbundenen Rechtssachen C‑355/18 bis C‑357/18 und C‑479/18, Rust‑Hackner , bereits wiederholt (RS0132997, 7 Ob 12/20w, 7 Ob 27/20a) dahin Stellung genommen hat, dass aus einer weiteren Belehrung, es sei für die Ausübung des Rücktrittsrechts nach § 165a Abs 1 VersVG die Schriftform erforderlich, keine relevante Erschwernis dieses Rücktrittsrechts folgt.

4.2.  Die Revision spricht dazu keine Argumente an, die der Oberste Gerichtshof nicht bedacht hat. Sie ist daher nicht geeignet, beim erkennenden Senat Bedenken gegen seine Judikatur zu veranlassen; der Revision ist insofern kurz Folgendes zu erwidern:

4.2.1.  Der Weg zum Postkasten/Postamt, die – überschaubaren – Porto‑/Aufzahlungskosten für ein Einschreiben sowie eine – vernachlässigbare – Verkürzung der Frist durch den Postlauf aufgrund des allgemein anzuwendenden Grundsatzes der Zugangserfordernis für alle empfangsbedürftigen Willenserklärungen (§ 862a ABGB) sind in Relation zur Formfreiheit keine in diesem Sinn relevanten Hürden. Wenn die Klägerin meint, für die Einhaltung der Schriftform werde ein Computer und ein Drucker benötigt, wodurch Gruppen von Versicherungsnehmern („zB Handwerker oder Bauarbeiter“) benachteiligt seien, übersieht sie die Möglichkeit, dass ein Rücktrittsschreiben auch einfach und ohne technischen Aufwand handschriftlich verfasst werden kann. „Schriftlichkeit“ erfährt in § 886 ABGB eine Legaldefinition, die auch dem Verständnis des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers entspricht.

Die Belehrung ist nicht intransparent. Der Versicherungsantrag enthält am Ende eines einzigen Blatts mit Hinweisen zum Vertragsinhalt als letzten Hinweis die Rücktrittsbelehrung. In der Beilage zur Polizze findet sich die Belehrung unter der größer gedruckten und unterstrichenen Überschrift „Wichtige Hinweise“ unter einer weiteren, fett gedruckten Überschrift „Rücktrittsrecht“.

4.3.  Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, durch die an sich fehlerhafte Belehrung, das Rücktrittsrecht müsse in Schriftform erklärt werden, werde keine relevante Erschwernis des Rücktrittsrechts nach § 165a VersVG bewirkt und der Rücktritt der Klägerin vom Versicherungsvertrag sei daher verfristet, entspricht der dargelegten Judikatur und ist nicht korrekturbedürftig.

4.4.  Auf die Frage der Belehrung der Klägerin im Zuge der Beendigung einer Prämienfreistellung von 2002 bis 2006 kommt es daher nicht an.

5.  Weitere Fragen nach den Rechtsfolgen eines berechtigt erklärten Rücktritts stellen sich nicht.

6.  Die Revision ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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