OGH 7Ob774/78

OGH7Ob774/7815.3.1979

SZ 52/43

Normen

JN §28
JN §93
ZPO §11
JN §28
JN §93
ZPO §11

 

Spruch:

Der Gerichtsstand des § 93 JN setzt materielle Streitgenossenschaft voraus. - Die Inanspruchnahme mehrerer Schädiger wegen Zufügung desselben Schadens, jedoch aus verschiedenen tatsächlichen und rechtlichen Gründen, begrundet selbst bei Solidarhaftung bloß formelle Streitgenossenschaft. Daher kann der ausländische Erzeuger einer schadenstiftenden Ware nicht am Gerichtsstand des inländischen Verkäufers und des Importeurs geklagt werden.

OGH 15. März 1979, 7 Ob 774/78 (OLG Linz 2 R 146/78; LG Salzburg 10 Cg 402/77)

Text

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Erstrichter verwarf die von der Drittbeklagten erhobene Einrede der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit, das Rekursgericht gab ihr statt und wies die Klage hinsichtlich dieser Beklagten unter Nichtigerklärung des Verfahrens zurück.

Strittig ist, ob die Drittbeklagte, die ihren Sitz im Ausland hat, wegen der Schutzwirkungen zugunsten Dritter (des Klägers) aus dem mit der Zweitbeklagen geschlossenen Liefervertrag oder aus dem Titel der Deliktshaftung vor dem inländischen Gericht der Streitgenossenschaft nach § 93 JN geklagt werden kann.

Soweit die Rekurswerberin im Einklang mit dem Erstgericht die inländische Gerichtsbarkeit schon deshalb in Anspruch nehmen will, weil diese nach einem Teil der Rechtssprechung immer dann gegeben sei, wenn sie nicht durch positive Vorschrift, Völkerrechtsnorm oder nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen ausgeschlossen sei (EvBl. 1976/110 u. a.), kann ihr nicht gefolgt werden. Der OGH vertritt nunmehr unter eingehender Berücksichtigung der Rechtslehre den Standpunkt, daß in vermögensrechtlichen Streitigkeiten das Fehlen eines örtlichen Zuständigkeitstatbestandes grundsätzlich auch zur Verneinung der inländischen Gerichtsbarkeit führt, so daß diese nur in Ausnahmefällen besteht, wie bei der Übernahme der internationalen Zuständigkeit durch Staatsvertrag, einer echten Gesetzeslücke (z.B. Amtshaftungsansprüche) oder bei Vorliegen eines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses für die Rechtsverfolgung im Inland (EvBl. 1978/10; EvBl. 1978/131). Der erkennende Senat vertritt denselben Standpunkt (7 Nd 502/78).

Da die Rechtsverfolgung im Heimatstaat der Drittbeklagten (Großbritannien) nicht unzumutbar oder unverhältnismäßig erschwert und auch die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen gesichert ist (BGBl. 224/1962), kommt somit zur Begründung der inländischen Gerichtsbarkeit nur der vom Rekurswerber in Anspruch genommene Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach § 93 JN in Betracht; die erstmals in Revisionsrekurs aufgestellte Behauptung, daß der Gerichtsstand des Vermögens des Drittbeklagten im Inland gegeben sei, ist eine im Rechtsmitteverfahren unzulässige und daher unbeachtliche Neuerung.

Der Rekurswerber tritt der zutreffenden Rechtsansicht der zweiten Instanz nicht entgegen, daß der Gerichtsstand des § 93 JN das Bestehen einer materiellen Streitgenossenschaft im Sinne des § 11 Z. 1 ZPO voraussetzt; nur bei solchen Streitgenossen ist der tatsächliche und rechtliche Zusammenhang bereits vor der Klagseinbringung gegeben, während die formellen Streitgenossen erst durch die Klage, für die nach § 11 Z. 2 ZPO die Zuständigkeit des Gerichtes hinsichtlich jedes einzelnen Beklagten begrundet sein muß, zu Streitgenossen werden (Fasching I, 457 und II, 186; ZVR 1963/277 u. a.).

Dem Kläger kann aber nicht dahin gefolgt werden, daß materielle Streitgenossenschaft hier vorliege. Das Rekursgericht hat vielmehr zutreffend erkannt, daß die drei Beklagten weder in Ansehung des Streitgegenstandes in Rechtsgemeinschaft stehen, noch aus demselben tatsächlichen und rechtlichen Gründe verpflichtet sind. Dies würde voraussetzen, daß der Kläger sein Recht aus einem gegen alle Beklagten einheitlich zu beurteilenden Sachverhalt ableitet (Fasching II, 181; ZVR 1963/277 u. a.), ohne daß für einen Streitgenossen noch weitere rechtserzeugende Tatsachen hinzutreten (2 Ob 244/70). Hier wird aber jedem der Streitgenossen die Verletzung eines eigenen Vertrages und ein besonderes deliktisches Verhalten vorgeworfen, indem der Drittbeklagte als Produzent der angeblich schadensstiftenden Ware, der Zweitbeklagte als deren Importeur und Zwischenhändler und der Erstbeklagte als unmittelbarer Verkäufer wegen Verletzung der jeweils durch ein besonderes Veräußerungsgeschäft (teils mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter) und wegen Verletzung der pflichtgemäßen Sorgfalt bei der Erzeugung oder bei der Einfuhr oder beim Verkauf in Anspruch genommen werden. Bei dieser Sach- und Rechtslage vermag der erkennende Senat der unveröffentlichten Entscheidung 6 Ob 151/74 nicht zu folgen, die wegen des Vorliegens einer Mehrheit von Schädigern im Sinne des § 1304 ABGB eine materielle Streitgenossenschaft angenommen hat. Die Inanspruchnahme mehrerer Schädiger wegen Zufügung desselben Schadens, jedoch aus verschiedenen tatsächlichen und rechtlichen Gründen, ist nämlich nach herrschender Ansicht selbst bei Solidarhaftung, wenn es sich nicht um Mittäter handelt, ein Fall bloß formeller Streitgenossenschaft (Fasching II, 185; GlUNF 4650; EvBl. 1960/277).

Entgegen der Meinung des Rekurswerbers ergibt sich die inländische Gerichtsbarkeit für einen Rechtsstreit des Verbrauchers gegen den ausländischen Produzenten auch keineswegs notwendigerweise aus der den Produzenten nach materiellem Recht treffenden Schutzpflicht gegenüber dem Verbraucher. Ein gleicher rechtlicher und tatsächlicher Anspruchsgrund ist nicht schon daraus abzuleiten, daß der Verbraucher durch eine Vertragskette mit dem Produzenten verbunden ist. Auch die Billigkeitserwägung, daß für den inländischen Verbraucher das Risiko eines gegen den Produzenten im Ausland geführten Prozesses nicht überschaubar sei, kann nicht als rechtserheblich anerkannt werden. Das gleiche gilt für die Behauptung, daß im vorliegenden Fall inlandsbezogene Tatbestandsmerkmale überwiegen. Für den Rekurswerber ist auch daraus nichts zu gewinnen, daß die Drittbeklagte die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes zurückgezogen hat, weil sie doch die Einrede des Mangels der inländischen Gerichtsbarkeit ausdrücklich aufrecht hielt.

Der vom Rekursgericht aufgeworfenen Frage, ob der Gerichtsstand des § 93 JN in bezug auf einen Ausländer durch den Schlußhalbsatz des Abs. 1 ausgeschlossen wird, ist nicht mehr von entscheidender Bedeutung.

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