Spruch:
Die Haftung für die mangelhafte Beschaffenheit der zu einem Weg gehörigen Anlagen (hier: Stützmauer zwischen einer öffentlichen Straße und einem Hauszugang trifft unabhängig davon, ob der Schaden bei Benützung des einen oder anderen Weges entstanden ist, denjenigen, der die Kosten ihrer Errichtung und Erhaltung trägt und der hierüber die Verfügungsgewalt hat
OGH 1. März 1979, 7 Ob 766/78 (KG Wels, 3 R 313/78; BG Gmunden 2 C 577/77)
Text
Die Beklagte ist Eigentümerin der Liegenschaft Sch 140, die westseitig an den 3 m breiten, ein öffentliches Gut darstellenden Ortschaftsweg "B" angrenzt. Am 19. Feber 1977 stürzte die auf diesem Ortschaftsweg gehende Klägerin, als sie einem PKW-Lenker nach links auswich, auf den zirka 50 cm unter dem Straßenniveau gelegenen Zugangsweg zum Haus der Beklagten und verletzte sich dabei schwer. Es ist nicht auszuschließen, daß die Verletzungen der Klägerin Dauerfolgen hinterlassen werden.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten unter Anerkennung eines 50%igen Mitverschuldens ein Schmerzengeld von 50 000 S (daher 25 000 S) und beantragt die Feststellung, daß ihr die Beklagte zur Hälfte für alle ihre künftigen Ansprüche aus dem Unfall vom 19. Feber 1977 zu haften habe. Die Beklagte treffe ein mindestens 50%iges Mitverschulden an dem Unfall der Klägerin, weil sie den vor ihrem Haus befindlichen Lichtschacht (Zugangsweg) nicht abgesichert habe. Die Beklagte beantragt Klagsabweisung und behauptet, daß der zu ihrem Haus führende Weg ursprünglich mit der vorbeiführenden Straße niveaugleich gewesen sei. Erst im Laufe der Zeit sei die Straße ständig beschottert worden, wodurch sich ihr Niveau gehoben habe. Da die derzeitige örtliche Situation schon seit unvordenklichen Zeiten bestehe, habe die Beklagte keine Veranlassung gehabt, diese zu ändern. Sie treffe daher keinerlei Verschulden an dem Sturz der ortskundigen Klägerin, die diesen bei einiger Vorsicht hätte vermeiden können.
Das Erstgericht entschied im Sinne des Klagebegehrens. Nach seinen Feststellungen ist der dem Hause der Beklagten vorgelagerte Garten durch einen von der Gemeindestraße 1.5 m entfernten Zaun begrenzt. Am Anschluß an diesen führt ein 114 cm breiter, durch Stufen erreichbarer Zugang zu dem unter dem Straßenniveau gelegenen Erdgeschoß des Hauses der Klägerin. Dieser Zugang ist durch eine zirka 43 cm breite und 50 cm hohe Stützmauer abgesichert, die sich vom Straßenniveau im Anschluß an ein zirka 50 cm breites, mit Gras bewachsenes Bankett nur wenige Zentimeter abhebt. Am Ende dieses Zuganges rückt der Garten der Beklagten bis an die Straße heran und liegt dann mit der Stützmauer in einer Fluchtlinie. Im näheren Umkreis des tiefer gelegenen Zuganges zum Haus der Beklagten befindet sich keine künstliche Beleuchtung. Der (jetzt unter dem Straßenniveau liegende) Zugang wurde durch mehr als dreißig Jahre zurückliegende Aufschüttungen geschaffen und ist seit dieser Zeit in keiner Weise abgesichert. Trotz der fehlenden Absicherung und der bei Dunkelheit schweren Erkennbarkeit des einen Schacht bildenden Zuganges, ist es mit Ausnahme des in Rede stehenden Ereignisses noch nie zu einem Unfall gekommen. Der Zugang und die Stützmauer befinden sich im Eigentum der Beklagten. Am 19. Feber 1977 um zirka 19 Uhr ging die nur 200 bis 300 m von der Unfallsstelle entfernt wohnende 76jährige Klägerin auf dem Ortschaftsweg an der Liegenschaft der Beklagten vorbei. In diesem Augenblick kam ihr ein PKW mit großer Geschwindigkeit entgegen, der sie so stark blendete, daß sie den Zugang zum Haus der Beklagten nicht wahrnahm. Die Klägerin fürchtete, von dem PKW niedergestoßen zu werden, und versuchte daher, nach links weiter auszuweichen. Dabei stolperte sie, nachdem sie zwei bis drei Schritte nach links gemacht hatte, über die sich geringfügig vom Straßenbankett abhebende Stützmauer und stürzte in den Schacht (Zugangsweg zum Haus der Beklagten). Die Stützmauer war für die Klägerin nicht erkennbar, weil es bereits finster war und ein Teil des Banketts und die Stützmauer mit Schnee bedeckt waren. Das Erstgericht war der Ansicht, daß die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, auf der Stützmauer ein Geländer anbringen zu lassen, um ein Abstürzen von Fußgehern in den zum Haus der Beklagten führenden tiefer gelegenen Zugangsweg zu verhindern. Die Beklagte treffe daher ein mindestens 50%iges Verschulden an den von der Klägerin erlittenen Verletzungen.
Das Berufungsgericht hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurück. Es ging davon aus, daß die Bestimmungen des § 1319a ABGB über die Schadenersatzpflicht bei Unfällen, die durch den mangelhaften Zustand eines Weges entstanden sind, anzuwenden seien. Auch ein notwendiges Geländer gehöre nämlich zu dem Zugangsweg zum Hause der Beklagten, weshalb sich dessen Fehlen als mangelhafter Zustand des Weges darstelle. Bei der Bestimmung des § 1319a ABGB handle es sich um eine Sonderregelung, nach der der Halter des Weges nur dann zu haften habe, wenn dessen mangelhafter Zustand von ihm oder seinen Leuten vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet worden sei. Fehle es an den Voraussetzungen für eine Schadenersatzpflicht nach dieser Gesetzesstelle, so könne auf die allgemeinen Bestimmungen des Schadenersatzrechtes nicht zurückgegriffen und deren strengerer Maßstab für die Ersatzpflicht des Wegehalters nicht herangezogen werden. Das Erstgericht werde daher zunächst zu klären haben, ob die Stützmauer zur Liegenschaft der Beklagten oder zum öffentlichen Gut (Straßengrundstück) gehöre sowie wann und von wem die Stützmauer errichtet worden sei. Die erstgerichtliche Feststellung, daß die Stützmauer im Eigentum der Beklagten stehe, sei durch die Beweisergebnisse nicht zweifelsfrei gedeckt. Erst nach Durchführung der ihm aufgetragenen Verfahrensergänzung werde das Erstgericht beurteilen können, wen die Wegsicherungspflicht in Ansehung der Stützmauer und damit eine allfällige Schadenersatzpflicht gegenüber der Klägerin treffe.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß für die Beurteilung der Schadenersatzpflicht der Beklagten die am 1. Jänner 1976 in Kraft getretene Sondernorm des § 1319a ABGB heranzuziehen sei, ist beizupflichten. Diese Gesetzesbestimmung regelt die Ersatzpflicht, wenn durch den mangelhaften Zustand eines Weges ein Mensch getötet, an seinem Körper verletzt oder eine Sache beschädigt wird, dahin, daß für den Ersatz des Schadens der für den ordnungsgemäßen Zustand des Weges Verantwortliche als Halter zu haften hat (§ 1319a Abs. 1 erster Satz ABGB). Zu einem Weg gehören aber auch die in seinem Zuge befindlichen und dem Verkehr dienenden Anlagen, wie Brücken, Stützmauer, Feuermauern, Durchlässe, Gräben und Pflanzungen (§ 1319a Abs. 2 erster Satz ABGB).
Von entscheidender Bedeutung für die Haftungsfrage ist daher, ob die Stützmauer einen Teil des Zugangsweges zum Haus der Beklagten oder des zirka 50 cm höher gelegenen Ortschaftsweges bildet, sowie wer im Zeitpunkte des Sturzes der Rekurswerberin Halter der Stützmauer gewesen ist und daher die nötigen Vorkehrungen zum Schutze der Benützer des vorgenannten Ortschaftsweges (Anbringung eines Geländers) zu treffen hatte. Halter eines Weges (bzw. der zu diesem gehörigen Anlagen) ist, wer die Kosten für die Errichtung und Erhaltung des Weges bzw. der dazugehörigen Anlagen trägt und die Verfügungsgewalt hat, um die entsprechenden Maßnahmen zu setzen (856 BlgNR, XIII. GP, 7; 6 Ob 694/78). Das Erstgericht wird daher zu prüfen haben, ob die Stützmauer im Zuge der Hebung des Niveaus des Ortschaftsweges oder von der Beklagten bzw. ihren Rechtsvorgängern bei einer Sanierung ihres Hauses errichtet worden ist und ob die Stützmauer auf öffentlichem Gut oder noch auf dem Grund der Beklagten steht. Wurde nämlich die Stützmauer vom Straßenerhalter errichtet, so wird, sofern nicht eine gegenteilige Vereinbarung erwiesen werden sollte, davon auszugehen sein, daß ihm auch die Verfügungsgewalt über die Stützmauer zukommt und er daher auch für die Kosten ihrer Erhaltung aufzukommen hat. Ohne Bedeutung für die Haltereigenschaft wäre es hingegen in diesem Falle, wenn die Beklagte Ausbesserungsarbeiten an der Stützmauer vorgenommen haben sollte, weil der Straßenerhalter seiner Instandhaltungspflicht tatsächlich nicht nachgekommen ist. Sollte hingegen die Stützmauer von den Voreigentümern des Hauses der Beklagten errichtet worden sein, so wird diese als ihre Halterin zu betrachten sein.
Nicht ausschlaggebend ist hingegen, daß die Rekurswerberin nicht den Zugangsweg zum Haus der Beklagten benützt hat, sondern auf dem Ortschaftsweg gegangen ist. § 1319a Abs. 1 erster Satz ABGB ("wird durch den mangelhaften Zustand eines Weges .....") stellt nämlich nur darauf ab, ob jemand durch die mangelhafte Beschaffenheit eines Weges oder dessen eingangs erwähnten Anlagen verletzt wird, ohne hervorzuheben, daß die Verletzung bei Benützung des Weges entstanden sein muß. Auch § 1319a Abs. 1 zweiter Satz ABGB spricht nicht für die von der Rekurswerberin angestrebte einschränkende Auslegung der Wegehaftung, weil diese Bestimmung nur einen Haftungsausschluß für den Fall einer unerlaubten oder widmungswidrigen Wegbenützung enthält.
Das Erstgericht wird daher ergänzende Feststellungen im Sinne der vorangehenden Ausführungen zu treffen und hiebei zu beachten haben, daß die Rekurswerberin die Beweislast für die Haltereigenschaft der Beklagten hinsichtlich der Stützmauer trifft. Sollte das Erstgericht im zweiten Rechtsgang zum Ergebnis kommen, daß die Beklagte Halterin der Stützmauer ist, so wird deren Schadenersatzpflicht gegenüber der Rekurswerberin zu bejahen sein, wenn die Beklagte oder ihre Leute die mangelhafte Beschaffenheit der Stützmauer (Fehlen eines Geländers) vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet haben sollten (§ 1319a Abs. 3 ABGB). Ob der Zustand eines Weges (und der zu diesem gehörigen Anlagen) mangelhaft ist, richtet sich danach, was nach der Art des Weges, besonders nach seiner Widmung, für seine Anlage und Betreuung angemessen und zumutbar ist (§ 1319a Abs. 2 zweiter Satz ABGB). Im Falle der Verneinung der Haltereigenschaft der Beklagten hinsichtlich der Stützmauer wird das Klagebegehren abzuweisen sein, weil die Rekurswerberin außer der Wegehaftung keine weiteren Haftungstatbestände geltend gemacht hat.
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