Spruch:
OGH 11. Dezember 1980, 7 Ob 738/80 (OLG Graz 3 R 132/80, LGZ Graz 23 Cg 90/79)
Begründung
Die Klägerin wollte am 12. Dezember 1976 vom Flughafen Graz-Thalerhof aus mit einer Kursmaschine der AUA nach Zürich fliegen. Auf dem Weg vom Flughafengebäude zur Maschine kam sie zum Sturz und zog sich Verletzungen zu. Sie begehrt den Ersatz ihrer mit 84.062,44 S samt Anhang bewerteten Schaden mit der Behauptung, die Beklagte, die Flughafenbetriebsgesellschaft, habe eine ordnungsgemäße Bestreuung des infolge Glatteises gefährlichen Flugfeldes unterlassen.
Die Beklagte wendete ein, sie habe alles zur Sicherheit der Passagiere Notwendige vorgekehrt.
Das Erstgericht hat das Klagebegehren abgewiesen und hiebei im wesentlichen folgendes festgestellt:
Am 12. Dezember 1976 herrschte Glatteis. Aus diesem Gründe wurden die Rollbahn und das Vorfeld mit Harnstoff bestreut. Eine besondere Sicherung des Zuganges zu der jeweiligen Maschine ist erst nach deren Landung möglich, weil erst dann der genaue Standpunkt bekannt ist. Nachdem das Flugzeug der AUA mit der Destination Zürich aus Wien kommend um 8.37 Uhr gelandet war, wurde eine händische Streuung des Zugangsweges für die Passagiere mit Salz und Sand (oder Splitt) in einer Länge von 20 bis 30 m und in einer Breite von rund 5 m vorgenommen. Um etwa 9 Uhr wurden die Fluggäste aufgerufen und zu der Maschine geführt. Der Abflug erfolgte um 9.10 Uhr. Die Klägerin, die mit Winterstiefeln bekleidet war und in beiden Händen Taschen trug, stürzte auf dem Weg zu der Maschine derart, dass ihr die Füße wegrutschten. Sie schlug mit dem Hinterkopf auf. Als ihr sie begleitender Bruder Hans M. den Sturz der Klägerin bemerkte, wollte er zu ihr eilen, kam jedoch infolge einer Vereisung des Vorfeldes ebenfalls zu Fall.
Rechtlich vertrat das Erstgericht den Standpunkt, die Haftung der Beklagten sei nach § 1319 ABGB zu beurteilen. Nach dieser Bestimmung treffe die Beklagte die Beweispflicht dafür, dass sie alles in ihrer Macht stehende unternommen habe, um Schäden der Passagiere abzuwehren. Von der Beklagten könne man jedoch nur die ihr zumutbaren Maßnahmen verlangen. Diese habe sie durch die Streuung erbracht. Trotz ordnungsgemäßer Streuung komme es immer wieder dazu, dass Personen auf der bestreuten Fläche infolge glatter Stellen zum Sturz kommen. Demnach sei der Beklagten der Beweis ihrer Schuldlosigkeit gelungen.
Das Berufungsgericht hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es übernahm zwar die Rechtsansicht des Erstgerichtes bezüglich einer Beurteilung nach § 1319 ABGB, erachtete jedoch den von der Beklagten erbrachten Beweis für die von ihr gesetzten Maßnahmen nicht als ausreichenden Beweis für ihre Schuldlosigkeit. Demnach sei grundsätzlich von der Haftung der Beklagten für die Unfallsfolgen auszugehen. Es müssen daher die Behauptungen über die entstandenen Schäden geprüft werden.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Nicht gefolgt kann der Rechtsansicht der Vorinstanzen werden, die Rechtssache sei nach § 1319 ABGB zu beurteilen. Hiebei kann unerörtert bleiben, ob es sich bei der Rollbahn und dem dazugehörigen Vorfeld eines Flugplatzes überhaupt um ein Werk im Sinne dieser Gesetzesbestimmung handelt. Der Unfall ist nämlich keineswegs auf das Ablösen von Teilen oder den Einsturz des Werkes zurückzuführen. Vielmehr kam die Klägerin durch auf dem Feld vorhandenes Glatteis zum Sturz.
Zu prüfen war sohin, ob es sich bei dem Zugang zur Maschine um einen Weg im Sinne des § 1319a ABGB handelt, in welchem Falle die Beklagte nur wegen grober Fahrlässigkeit haften würde. Diese von der Beklagten vertretene Auffassung ist jedoch abzulehnen. Gemäß § 1319a Abs 2 ABGB ist ein Weg im Sinne des Abs 1 dieser Bestimmung eine Landfläche, die von jedermann unter den gleichen Bedingungen für den Verkehr jeder Art oder für bestimmte Arten des Verkehrs benützt werden darf, auch wenn sie nur für einen eingeschränkten Benützerkreis bestimmt ist. Der Begriff "Weg" im Sinne dieser Bestimmung sichert einen sehr weiten Anwendungsbereich der diesbezüglichen Haftpflichtbestimmung. Dieser Anwendungsbereich findet jedoch seine Grenze dort, wo das Merkmal des "Rechtes der Benützung durch jedermann unter den gleichen Bedingungen" fehlt. Dieses Merkmal ist ja die innere Rechtfertigung der durch den § 1319a ABGB vorgesehenen Sonderregelung. Die in einem abgezäunten Grundstück befindlichen Wege, wie etwa die in einem Fabriks-, Krankenhaus- oder Eisenbahngelände angelegten Verkehrsflächen fallen daher ebenso aus dem Anwendungsbereich der Bestimmung heraus wie die der Öffentlichkeit nicht, auch nicht gegen Zahlung einer Eintrittsgebühr, zugänglichen Wege in einem privaten Garten, Park oder Wald. Bei solchen Verkehrsflächen fehlt die sachliche Rechtfertigung einer haftpflichtrechtlichen Sonderbehandlung, nämlich das den Verantwortlichen besonders belastende Merkmal der "Zulässigkeit der allgemeinen Benützung" des Weges; es muss daher bei den allgemeinen Grundsätzen über den Schadenersatz bleiben (AB 1678 BlgNr XIII GP zum § 1319a Art I, 2. b).
Im vorliegenden Fall kann von einem "Recht der Benützung durch jedermann unter den gleichen Bedingungen" bezüglich des Zugangsstreifens zur Maschine keine Rede sein. Nur Passagiere, die ein Recht zur Benützung der Maschine erlangt hatten, konnten diesen ad hoc bezeichneten Streifen unter Führung des Personals benützen. Es handelte sich dabei nicht um eine bestimmte Landfläche, die von jedermann benützt werden konnte; auch nicht von jedermann, der einen Flugschein für irgendeinen beliebigen Flug erworben hatte. Vielmehr wurde die Fläche nur für einen Einzelfall festgelegt, und zwar für die Passagiere eines ganz bestimmten Fluges an einem bestimmten Tag. Eine solche, nur für eine einmalige Benützung durch einen durch Erwerb eines Flugscheines für einen bestimmten Flug individualisierten Personenkreis festgelegte Landfläche ist kein Weg im Sinne des § 1319a ABGB.
Lässt man sohin die Bestimmungen der §§ 1319 und 1319a ABGB außer Betracht, erweist sich die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes im Ergebnis als zutreffend. Grundsätzlich treffen nämlich jedermann, der eine vertragliche Verpflichtung übernimmt, auch Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber den Vertragspartnern dahin, dass diesen durch die Vertragserfüllung keine Schäden erwachsen dürfen. Im vorliegenden Fall wurde allerdings nicht erörtert, ob zwischen der Klägerin und der Beklagten direkte vertragliche Beziehungen bestehen oder ob die vertraglichen Beziehungen der Klägerin nur die Fluggesellschaft berühren. Selbst wenn letzteres der Fall sein sollte, müsste von den vertraglichen Beziehungen zwischen der Beklagten und der Fluggesellschaft ausgegangen werden. Schutz- und Sorgfaltspflichten bestehen nicht nur zwischen den Vertragspartnern, sondern auch gegenüber bestimmten dritten Personen, die zwar aus dem Vertrag nicht unmittelbar berechtigt sind, aber der vertraglichen Leistung nahestehen. Begünstigte Personen in diesem Sinne sind Dritte, deren Kontakt mit der vertraglichen Hauptleistung beim Vertragsabschluss voraussehbar war und die der Vertragspartner entweder erkennbar durch Zuwendung der Hauptleistung begünstigte oder an denen er ein sichtbares eigenes Interesse hat oder denen er selbst offensichtlich rechtlich zur Fürsorge verpflichtet ist. In diesen Fällen wird den dritten Personen die Geltendmachung eines eigenen Schadens aus fremdem Vertrag zuerkannt (EvBl 1977/205; JBl 1978, 479; MietSlg 29.205 ua). Gemäß § 1298 ABGB besteht bezüglich der Verletzung von Schutz- und Sorgfaltspflichten eine Beweislastumkehr derart, dass der Schädiger zu beweisen hat, er habe alles in seiner Macht Stehende zur Abwehr des Schadens unternommen (ZVR 1977/105 ua).
Die Zurverfügungstellung des Flughafengeländes an die Fluggesellschaft dient der Abwicklung des Flugverkehrs. Die Fluggesellschaft steht in vertraglichen Beziehungen zu ihren Passagieren, denen gegenüber sie Schutz- und Sorgfaltspflichten hat. Dies ist für die Flughafengesellschaft klar erkennbar. Demnach sind die Passagiere der Fluggesellschaft Dritte, auf die sich auch die Schutz- und Sorgfaltspflichten der Flughafengesellschaft erstrecken.
Ob allfällige Haftungsbeschränkungen betreffend die Fluggesellschaft auch im Verhältnis zwischen Passagieren und Flughafengesellschaft wirksam sein können, musste nicht geprüft werden, weil sowohl die im Luftverkehrsgesetz als auch die im sogenannten Warschauer Abkommen festgesetzten Haftungshöchstbeträge weit über dem Klagsbetrag liegen.
Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Klägerin infolge Vereisung des Vorfeldes zum Sturz gekommen ist. Die Beklagte ihrerseits hat eine Bestreuung des für den Zugang der Passagiere vorgesehenen Streifens über das Vorfeld bewiesen. Da nun aber die an die Erfüllung der Schutz- und Sorgfaltspflichten zu stellenden Anforderungen nicht überspitzt werden dürfen, mag es fraglich erscheinen, ob die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, die Beklagte hätte für eine gänzliche Entfernung des Eises sorgen müssen, richtig ist. Durch den bloßen Beweis des Bestreuens einer bestimmten Fläche wird jedoch nicht der Beweis dafür, dass alles Zumutbare unternommen worden ist, erbracht. Es darf nämlich nicht übersehen werden, dass die Bestreuung einer Fläche auf sehr unterschiedliche Weise erfolgen kann. Bleibt aber der geringste Zweifel darüber offen, ob die Bestreuung wirklich auf die beste zumutbare Art vorgenommen worden ist, so muss dies zu Lasten des Beweispflichtigen, hier also der Beklagten, gehen. Mit Recht hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang zur Stützung seiner Zweifel auf den Sturz des Bruders der Klägerin verwiesen.
Zutreffend wurde demnach die grundsätzliche Haftung der Beklagten für die Schäden der Klägerin bejaht. Aus diesem Gründe erweist sich eine Verfahrensergänzung zur Feststellung der der Klägerin erwachsenen Schäden als notwendig.
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