OGH 7Ob724/88

OGH7Ob724/8819.1.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz, Dr.Warta, Dr.Egermann und Dr.Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anna S***,

Pensionistin, Scharnstein, Viechtwang 243, vertreten durch den Sachwalter Hermann S***, Baumeister, Wilhering,

Höf Nr. 5, dieser vertreten durch Dr.Hans-Peter Just, Rechtsanwalt in Eferding, wider die beklagte Partei Maria S***,

Hausfrau, Scharnstein, Dorfbühel 7, vertreten durch Dr.Johannes Kirschner, Rechtsanwalt in Wels, wegen Duldung (Streitwert 30.000 S), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wels als Berufungsgerichtes vom 7.September 1988, GZ R 1181/87-38, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Gmunden vom 10.März 1986, GZ 3 C 429/85-17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird dahin Folge gegeben, daß das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt wird.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit 6.087,68 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 553,43 S Umsatzsteuer) und die mit 4.329,75 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.500 S Barauslagen und 257,25 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte und Hermann S*** sind je zur Hälfte

Eigentümer der Liegenschaft EZ 5 KG Dorf. Mit Übergabsvertrag vom 5. März 1966 wurde der Klägerin und ihrem inzwischen verstorbenen Ehegatten Johann S*** die Dienstbarkeit des Gebrauchs der Wohnung an der ebenerdig gelegenen Wohnstube und an den daran anschließenden Schlafraum in dem auf der Liegenschaft stehenden Haus eingeräumt.

Im November 1978 zogen die Klägerin und ihr Gatte zu einer Familie K***, weil es zu Differenzen zwischen der Beklagten und dem Gatten der Klägerin gekommen war. Zu den Kindern der Beklagten hatte die Klägerin jedoch stets ein gutes Verhältnis. Diese besuchten die Klägerin regelmäßig. Am öftesten kam Gerhard S*** der Lieblingsenkel der Klägerin.

Franz und Gerhard S***, zwei Kinder der Beklagten,

ersuchten einmal den Gatten der Klägerin um Überlassung eines Zimmers der vorgenannten Wohnung an sie. Dieser erklärte jedoch, die Zimmer nicht so schnell herzugeben.

Nach dem Tode des Gatten der Klägerin im Oktober 1984 fragte Gerhard S*** im November oder Dezember 1984 die Klägerin, ob er die Zimmer der Auszugswohnung benützen könne. Nach einigem Zögern gab die Klägerin Gerhard S*** die Schlüssel für die Wohnung, damit sich "die Kinder hineinlegen können". Sie sagte zunächst, Gerhard S*** könne nur das vordere Zimmer haben, er solle sich jedoch "um das rückwärtige umschauen". Nach einiger Zeit legte sich auch ein zweiter Sohn der Beklagten, Franz S***, zu seinem Bruder in das Zimmer. Als jedoch Gerhard S*** nicht mehr zusammen mit seinem Bruder schlafen wollte und er dies der Klägerin mitteilte, gab ihm diese zur Antwort, er könne sich in das rückwärtige Zimmer legen, weil sie ohnehin nicht mehr in das Haus zurückkommen werde. Es gehe ihr bei der Familie K*** recht gut. Wenn sie dort nicht mehr wohnen wollte, gehe sie in ein Altersheim.

Nachdem der Gatte der Klägerin gestorben war, übergab diese den Eheleuten K*** einen Baugrund, wofür sie in deren Haus ein Wohnungsrecht eingeräumt erhielt.

Die Ehegatten K*** und Bekannte der Klägerin hatten dieser bereits vorgeschlagen, die Auszugswohnung den Kindern der Beklagten zu überlassen.

Im März oder April 1985 besuchte die Klägerin ihren Enkel, der krank war. In Anwesenheit der Beklagten und deren Mutter erklärte sie, daß sie einen Wald an die Familie K*** verkauft habe und jedes der vier Kinder der Beklagten davon 100.000 S bekomme. Außerdem habe sie die Wohnung den Kindern "gegeben". Gegenüber Gerhard S*** erwähnte die Klägerin nie, daß dieser die Wohnung nur vorübergehend benützen dürfe. Vielmehr erklärte sie ihm sowie seinen Geschwistern gegenüber immer wieder, sie habe den Kindern die Wohnung "geschenkt" oder "gegeben" oder daß die Kinder "die Zimmer haben können". Sie erklärte auch stets, daß sie in das Haus nicht mehr zurückgehen werde. Sollte sie von der Familie K*** weggehen, gehe sie in ein Altersheim.

Ende Mai 1985 zog die Klägerin zu ihrem Sohn Hermann S***. Seit 1.Juli 1985 ist sie im Altersheim Scharnstein. Als bereits die Rede davon war, daß die Klägerin ins Altersheim gehe, bot ihr Gerhard S*** an, ihre Möbel mit einem Traktor zu holen und im Haus Dorf 5 einzustellen. Er stellte der Klägerin frei, die Möbel in die Garage oder in den Dachboden zu stellen. Die Klägerin verlangte nicht, daß die Möbel in ihre frühere Wohnung kommen. Erst später verlangten sie und Hermann S*** ein Abstellen der Möbel in der Auszugswohnung, was jedoch sowohl von der Beklagten als auch von deren Kindern abgelehnt wurde. Ein Versuch des Abstellens der Möbel in der Wohnung wurde von den Kindern der Beklagten verhindert.

Mit der Behauptung, sie hätte die Wohnung im Hause Dorf 5 den Kindern der Beklagten lediglich gegen jederzeitigen Widerruf überlassen, verlangt die Klägerin die Beklagte schuldig zu erkennen, das Einbringen von Möbeln in diese Wohnung zu dulden. Das Erstgericht hat das Klagebegehren mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe zwar nicht endgültig auf ihr Wohnrecht verzichtet, jedoch Kindern der Beklagten ein obligatorisches Benützungsrecht auf unbestimmte Zeit eingeräumt. Dies berechtigte die Beklagte, als Vertreterin des mj. Gerhard S***, das Einstellen der Möbel zu verweigern.

Im Zuge der amtswegigen Überprüfung der Prozeßfähigkeit der Beklagten gelangte das Berufungsgericht zur Überzeugung, daß die Klägerin bereits zum Zeitpunkt der Erklärung, daß sie die Wohnung ihren Enkeln überlasse, bezüglich ihrer Handlungsfähigkeit mit einem Kind von unter sieben Jahren vergleichbar gewesen wäre. Der diesbezüglich abgeschlossene Vertrag sei demnach nichtig, weshalb die Enkel der Klägerin kein deren Wohnrecht entgegenstehendes Benützungsrecht erlangt hätten. Dieser Umstand müsse vom Berufungsgericht, ungeachtet der Nichtgeltendmachung in erster Instanz, von Amts wegen wahrgenommen werden. Das führe aber zur Stattgebung der Klage.

Das Berufungsgericht hat ausgesprochen, daß der Wert des Streitgegenstandes 15.000 S, nicht aber 300.000 S übersteigt und die Revision für zulässig erklärt.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Beklagten gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist gerechtfertigt.

Ein Vorbringen, das irgendwelche Zweifel an der Geschäftsfähigkeit der Klägerin vor Einbringung der vorliegenden Klage rechtfertigen könnte, wurde im Verfahren erster Instanz nicht erstattet. Diesbezüglich sind auch keinerlei Verfahrensergebnisse hervorgekommen. Erst das Berufungsgericht hatte Bedenken gegen die Prozeßfähigkeit der Klägerin und hat diesbezüglich von Amts wegen eine Überprüfung eingeleitet. Erst aufgrund dieser Überprüfung kam es zu der Überzeugung, daß die Klägerin bereits zu jenem Zeitpunkt, zu dem sie nach den erstrichterlichen Feststellungen, die vom Berufungsgericht übernommen wurden, die Wohnung an ihre Enkel überlassen hat, nicht mehr voll handlungsfähig war. Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes durfte dieser Umstand jedoch von ihm nicht mehr wahrgenommen werden.

Im österreichischen Rechtsmittelverfahren herrscht grundsätzlich das Neuerungsverbot. Unter Neuerungen fällt jeder Entscheidungsstoff, der im Prozeß vor dem Untergericht noch nicht vorgetragen oder erörtert wurde (Fasching Zivilprozeßrecht Rz 1721). Das Neuerungsverbot umfaßt alle neuen Tatsachen und Beweismittel (Fasching aaO Rz 1725). § 498 ZPO legt die Grundlagen der Berufungsentscheidung fest. Ihre Grenzen werden durch die Berufungsanträge und durch das Neuerungsverbot der §§ 482, 483 ZPO gezogen (Fasching IV, 219). Das Berufungsgericht darf also nur diejenigen Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes überprüfen, die durch die Berufungsgründe berührt sind. Führt deren Prüfung zur Bekräftigung der erstrichterlichen Tatsachenfeststellungen, dann sind diese dem Berufungsurteil zugrundezulegen (Fasching aaO, 222). Das ergibt aber, daß das Berufungsgericht im Berufungsverfahren nicht von Amts wegen eine neue Sachgrundlage für seine Entscheidung schaffen darf. Es kann lediglich den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt im Rahmen einer ordnungsgemäß ausgeführten Beweisrüge anders feststellen, nicht aber von Amts wegen im erstgerichtlichen Verfahren gar nicht behauptete Tatsachen, die in eine Richtung zielen, in die der Prozeß nicht geführt worden war, feststellen. Dies gilt auch für die Frage, ob ein Vertrag, der Gegenstand des Prozesses ist, infolge eingeschränkter Handlungsfähigkeit eines der Vertragspartner rechtswirksam zustandegekommen ist oder nicht. Die Beweislast bezüglich der Nichtigkeit eines solchen Vertrages trifft denjenigen, der die Nichtigkeit des Geschäftes wegen Handlungsunfähigkeit behauptet (JBl 1977, 538 Arb 7550, JBl 1962, 500 ua). Dies setzt aber voraus, daß der Beweispflichtige auch jene Tatsachen behauptet, die er unter Beweis stellen muß. Wenn daher eine Partei im Prozeß von der Nichtigkeit eines Rechtsgeschäftes ausgehen will, so muß sie jene Umstände behaupten, aus denen diese Nichtigkeit abzuleiten ist. Inwieweit bei Fehlen einer solchen ausdrücklichen Behauptung das erstgerichtliche Verfahren allenfalls mangelhaft sein könnte, weil der Richter trotz Hervorkommens entsprechender Umstände diese Frage nicht erörtert und eine Partei zum Aufstellen von Behauptungen daher nicht angeleitet hat, muß hier nicht untersucht werden, weil im erstgerichtlichen Verfahren nicht einmal andeutungsweise Anhaltspunkte für eine Handlungsunfähigkeit der Klägerin zum Zeitpunkt der vom Erstgericht festgestellten Erklärungen hervorgekommen sind. Demnach hat das Berufungsgericht durch das Aufgreifen von Umständen betreffend die Handlungsunfähigkeit der Klägerin sowohl gegen das Neuerungsverbot als auch gegen die ihm vom Gesetz durch die Berufungsausführungen gesetzten Grenzen verstoßen.

Aus der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung (SZ 38/217) kann Gegenteiliges nicht abgeleitet werden, weil dort jene Umstände, aus denen letzten Endes auf die Handlungsunfähigkeit geschlossen werden konnte, bereits im Verfahren erster Instanz bekannt waren. Die erwähnte Entscheidung spricht nur für einen solchen Fall die amtswegige Wahrnehmung der Handlungsunfähigkeit aus, bezieht diese Ausführungen aber nicht auf die amtswegige Wahrnehmung durch ein Berufungsgericht im Falle des Fehlens von Anhaltspunkten im Verfahren erster Instanz.

Die aufgeworfene Frage hat im übrigen mit der Verpflichtung des Berufungsgerichtes zur amtswegigen Überprüfung der Prozeßfähigkeit nichts zu tun. Eine Bindung an die Ergebnisse dieser Überprüfung besteht für das Gericht nur im prozessualen Bereich, nicht jedoch in materiellrechtlicher Richtung. Demnach kann das Ergebnis einer solchen Überprüfung nicht dazu führen, daß das Berufungsgericht vom Amts wegen Umstände aufgreift, die lange vor Einleitung des Prozesses liegen.

Geht man von dem vom Erstgericht festgestellten und vom Berufungsgericht übernommenen Sachverhalt aus, so erweist sich die erstgerichtliche Entscheidung als richtig.

Nach den Feststellungen hat die Klägerin immer wieder erklärt, sie habe ihre Wohnung ihren Enkeln "geschenkt", "gegeben" bzw. die Kinder könnten die Zimmer haben. Hiebei handelte es sich nicht um eine einmalige spontane Erklärung, sondern um immer wieder zum Ausdruck gebrachte Willensbekundungen der Klägerin nach vorangegangenem Zögern. Die Klägerin hat diese ihre Kundgebungen auch plausibel damit erklärt, daß sie schließlich nunmehr über eine Wohnung bei einer anderen Familie verfüge, sich mit dieser anderen Familie gut verstehe und daß sie, falls sie dort ausziehe, in ein Altersheim gehen werde. Dieses gesamte, über Jahre dauernde Verhalten der Klägerin konnten die Beklagte und deren Kinder nur dahin verstehen, daß die Klägerin den Kindern der Beklagten die Wohnung nicht nur gegen jederzeitigen Widerruf überlassen, sondern diesen auch ein Recht einräumen wolle. Bei der Auslegung von Verträgen ist nämlich grundsätzlich die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht (§ 914 ABGB). Bei Meinungsverschiedenheiten über die Bedeutung eines Ausdruckes ist dieser so zu verstehen, wie ihn der Empfänger der Erklärung verstehen mußte (MietSlg. 30.125, RZ 1966, 148 ua). Im Zusammenhang mit den immer wieder gemachte Äußerungen, aus denen klar zu schließen war, daß die Klägerin die Wohnung nie mehr brauchen oder beanspruchen werde, konnten jedenfalls die die Überlassung betreffenden Äußerungen nicht dahin verstanden werden, daß die Kinder der Beklagten die Wohnung gegen jederzeitigen Widerruf räumen müßten. Vielmehr war davon auszugehen, daß ihnen nach dem zum Ausdruck gebrachten Willen der Klägerin ein vertragliches Benützungsrecht eingeräumt werden sollte. Welcher Natur dieses Recht ist, muß nicht erörtert werden. Selbst wenn es sich hiebei nicht um eine endgültige Überlassung handeln sollte, wäre es zumindest ein Benützungsrecht auf unbestimmte Dauer, das nur durch gehörige Aufkündigung erlöschen könnte. Dies dürfte auch die Klägerin, wie ihre Berufungsausführungen zeigen, nunmehr einsehen. Entgegen den Berufungsausführungen kann aber von einer Aufkündigung nicht ausgegangen werden, weil im Verfahren erster Instanz lediglich eine titellose Benützung, nicht aber eine Beendigung des Benützungsrechtes infolge Aufkündigung behauptet worden ist. Da sohin nach den getroffenen Feststellungen von einem den Kindern der Beklagten eingeräumten Benützungsrecht (ob es sich hiebei um eine endgültige Überlassung oder nur um ein auf unbestimmte Zeit eingeräumtes Benützungsrecht handelt, muß hier nicht untersucht werden) auszugehen ist und eine Kündigung dieses Benützungsrechtes nicht behauptet wurde, erweist sich die erstgerichtliche Entscheidung als zutreffend.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO, doch waren der Beklagten für die Bekanntgabe ihres Vertreters im Berufungsverfahren nur Kosten nach Tarifpost 1 zuzusprechen.

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