Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes ON 87 wiederhergestellt wird.
Text
Begründung
Marianne H***, geboren am 20.4.1943, und Johann
A***, geboren am 17.5.1940, haben am 10.10.1964 die Ehe geschlossen. Obwohl die Ehe, der die am 29.11.1966 geborene Sonja A*** entstammt, am 4.11.1968 geschieden wurde, lebten die früheren Ehegatten weiterhin etwa 10 Jahre lang zusammen. Dieser Beziehung entstammen die am 6.4.1976 geborene Sandra und die am 8.4.1977 geborene Corinna. Zur Vormünderin der Kinder Sandra und Corinna wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Linz vom 23.2.1978 Marianne A*** bestellt; die Vertretung und Vermögensverwaltung hinsichtlich Sonja wurde mit Beschluß desselben Gerichtes vom 28.4.1980 Johann A*** übertragen.
Am 1.9.1981 übersiedelte Marianne A***, die bis dahin in Linz gewohnt hatte, mit Sandra und Corinna nach Peuerbach, Roßanger. Marianne A*** hatte, nachdem sie wegen eines Nervenleidens dreimal, und zwar 1979, 1980 und 1981, in stationärer Behandlung des Wagner-Jauregg-Krankenhauses Linz gewesen war, wegen ihrer nervlichen Beschwerden 1981 die Arbeit aufgeben müssen und befindet sich seither in Pension. Als sich Marianne A*** im Juni 1986 neuerlich Untersuchungen, die mit einem längeren stationären Krankenhausaufenthalt verbunden waren, unterziehen mußte, brachte sie, nachdem sie sich mit ihren Kindern seit März 1986 - wie auch schon früher zeitweise - bei ihrer Mutter Franziska H***, Peuerbach, Kastlingeredt, aufgehalten hatte, Sandra zu ihrer Schwester Pauline D*** nach Peuerbach, Achleiten 13, während Corinna zunächst bei ihrer Großmutter blieb. In der Folge kam es über den Verbleib der Kinder zu erheblichen Spannungen zwischen Marianne A***, Franziska H*** und Pauline D***,
die zunächst damit beendet wurden, daß Pauline S***, eine Tochter der Pauline D***, die Kinder in ihre Familie in Altschwendt, Rödham (nahe Peuerbach), aufnahm und das Erstgericht für die Zeit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den endgültigen Verbleib der Kinder es der Mutter verbot, die Kinder zu sich zu nehmen (ON 41). Ein dem Verfahren beigezogener ärztlicher Sachverständiger befürwortete die weitere Unterbringung der Kinder bei Pauline S***; die Eignung der mit ihrer Mutter, aber auch mit ihren anderen Verwandten zerstrittenen Kindesmutter als Pflege- und Erziehungsperson sei anzuzweifeln, wenn nicht abzulehnen, da sie durch ihr Verhalten und Einwirken das Kindeswohl gefährde und schädige (ON 44).
Mit Beschluß vom 18.8.1986 ordnete das Erstgericht hinsichtlich Sandra und Corinna die gerichtliche Erziehungshilfe (§§ 9, 26 JWG) an. Die Kindermutter sei schon physisch nicht in der Lage, sich ausreichend um die Kinder zu sorgen. Die Erziehung der Kinder durch die Mutter sei zumindest unzulänglich. Die Kinder lebten ständig im Spannungsfeld, das zwischen ihrer Mutter, ihrer Großmutter und der Schwester ihrer Mutter, Pauline D***, bestehe und zu einem die Minderjährigen schädigenden Abhängigkeitsverhältnis geführt habe (ON 48).
Am 25.8.1986 brachten Pauline D*** und der Mann der Pauline S*** dem Erstgericht zur Kenntnis, daß es immer wieder Schwierigkeiten gebe, wenn die Kinder in Kontakt mit ihrer Mutter und Großmutter kommen. Die Kinder hielten sich zur Zeit bei ihrer Großmutter auf, bei der sich auch ihre Mutter wieder befinde, hätten jedoch den Wunsch, zu Schulbeginn wieder zu Pauline S*** zurückzukehren. Pauline S*** und ihr Mann könnten diese Situation nicht mehr verkraften. Sie wollten deshalb die Kinder nicht mehr behalten.
Die Kinder blieben aus diesem Grund gemeinsam mit
ihrer - ständig bettlägerigen - Mutter bei ihrer Großmutter, die jedoch nach Berichten der Jugendwohlfahrtaußenstelle P*** keine geeignete Erzieherin für die Kinder war und mit der Mutter der Kinder immer wieder stritt (ON 53 und 61).
Über Antrag der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen (ON 61) ordnete das Erstgericht mit Beschluß vom 19.11.1986 die gerichtliche Erziehungshilfe in Form der anderweitigen Unterbringung (§ 9 Abs 1 JWG) an (ON 63). Marianne A*** war mit einer Unterbringung der Kinder bei einer Pflegefamilie - in Aussicht genommen war zunächst eine Familie nahe Salzburg - und mit einer Übernahme der Vormundschaft über die Kinder durch das Jugendamt P*** einverstanden (ON 66). Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 27.11.1986 wurde dementsprechend die Bezirkshauptmannschaft G***, Jugendwohlfahrtaußenstelle P***, zum Vormund der Kinder bestellt (ON 67).
Sandra und Corinna wurden daraufhin bei einer Pflegefamilie in Niederösterreich, Königstetten, untergebracht, bei der sie sich gut einlebten, obwohl es durch fast tägliche Anrufe der Kindesmutter zu großen psychischen Belastungen der Kinder kam (ON 81). Während der zehntägigen Osterferien 1987 befanden sich die Kinder bei ihren Verwandten, und zwar Sandra bei Pauline D***, Corinna bei ihrer Großmutter. Diese hatte die Kinder gemeinsam mit ihrem Sohn von der Pflegefamilie abgeholt und behauptet, das Jugendamt (als Vormund) habe es erlaubt, obwohl eine solche Erlaubnis nicht vorlag. Bei einem Besuch bei ihrer Mutter - die sich wieder in ihrer eigenen Wohnung aufhielt - wurden die Kinder von dieser bedrängt, bei ihr zu bleiben, sonst kämen sie in ein Erziehungsheim, so daß sie Angst bekamen und von ihr wegliefen (ON 82).
Am 15.7.1987 stellte die Großmutter Franziska H*** den Antrag, daß die Kinder sie "zu den hohen Festen und mindestens drei Wochen während der großen Schulferien" besuchen dürfen. Die Kinder sollten dann in ihrem Haus wohnen, und auch die Mutter Marianne A*** hätte die Möglichkeit, sie dort zu besuchen, um nicht gänzlich den Kontakt mit ihnen zu verlieren (ON 85). Das Erstgericht wies den Antrag der Großmutter ab. Gemäß § 148 Abs 2 ABGB hätten auch die Großeltern das Recht, mit dem Kind persönlich zu verkehren, doch habe das Gericht die Ausübung dieses Rechts in einer dem Wohl des Kindes gemäßen Weise zu regeln und nötigenfalls ganz zu untersagen. Ein Besuchsrecht der Großmutter hätte für die Kinder negative Folgen und würde sogar deren Verbleib bei der Pflegefamilie in Frage stellen. Dies würde für die Kinder eine besondere Härte bedeuten. Das begehrte Besuchsrecht sei daher abzulehnen.
Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes hinsichtlich der Abweisung eines Besuchsrechtes während der großen Schulferien 1987, hob sie aber im übrigen zur neuen Entscheidung nach Verfahrensergänzung durch das Erstgericht auf. Das Recht der Großeltern auf persönlichen Verkehr mit den Enkelkindern sei schwächer als das der Eltern. Für die Frage der Gewährung eines derartigen Besuchsrechtes sei das Wohl der Kinder von entscheidender Bedeutung. Für die Entscheidung hinsichtlich des Besuchsrechtes (zu den "hohen Festtagen") sei eine Befragung der Großmutter vor allem über eine datumsmäßige Eingrenzung, über ihr derzeitiges Verhältnis zur Kindesmutter und darüber erforderlich, ob Gewähr gegeben sei, daß sich unliebsame Vorfälle wie zu Ostern 1987 nicht wiederholen können. Es seien auch die nunmehr 10-jährigen Minderjährigen und die betroffenen Pflegeeltern anzuhören, und schließlich sei das Ergebnis dem Vormund (Jugendamt P***) zur abschließenden Stellungnahme zur Kenntnis zu bringen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist berechtigt.
Ob und inwiefern den Großeltern ein Besuchsrecht iS des § 148 ABGB zusteht, hängt in erster Linie vom Wohl des Kindes ab. Darüber hinaus aber darf durch das Besuchsrecht der Großeltern auch nicht die Ehe oder das Familienleben der Eltern (eines Elternteiles) oder deren Beziehungen zum Kind gestört werden; hiebei ist ein objektiver Maßstab anzulegen (EvBl 1979/32, EFSlg 33.527, EFSlg 45.783).
Das Besuchsrecht darf dementsprechend auch nicht die Beziehungen
der Pflegeeltern zu dem Kind stören.
Um beurteilen zu können, ob das hier beantragte
Besuchsrecht - derzeit - dem Wohl der Kinder entspricht und ob es die Beziehungen der Pflegeeltern zu den Kindern stört, bedarf es nicht der vom Rekursgericht aufgetragenen Erhebungen. Über den Inhalt der von der zweiten Instanz vermißten Stellungnahmen sowohl der Pflegeeltern - die im Hinblick auf die anläßlich des Besuches der Kinder zu Ostern 1987 gemachten Erfahrungen befürchten, dem massiven Druck und den Auseinandersetzungen mit den Verwandten im Fall eines weiteren Besuches nicht mehr standhalten zu können - als auch der Großmutter kann nach dem Akteninhalt kein Zweifel bestehen.
Eine Stellungnahme der Jugendwohlfahrtaußenstelle P*** liegt vor (ON 86).
Ein zumindest 10-jähriges Kind ist nach § 148 Abs 1, zweiter Satz, ABGB bei Regelung des Besuchsrechtes nur "tunlichst" zu hören. Die Pflicht zur Anhörung des mindestens 10 Jahre alten Kindes ist daher keine unbedingte. Von einer Anhörung ist insbesondere dann Abstand zu nehmen, wenn sie dem Kindeswohl widersprechen würde, was vor allem dann der Fall sein kann, wenn das Kind hiebei unter starkem psychologischem Druck steht (EvBl 1986/97), sei es durch Beeinflussungsversuche irgendwelcher Art, sei es auch durch ein Gefühl der Verpflichtung zu einer bestimmten Verhaltensweise (vgl. den Bericht ON 53), ohne daß diesem Gefühl ein echter Wunsch entspräche. Dazu kommt, daß zwar auch einem unmündigen Kind die Fähigkeit, einen eigenen Willen zu bekunden, keineswegs abgesprochen werden kann, daß es ihm aber doch an der nötigen Einsicht für eine Entscheidung fehlt, ob und inwieweit eine Besuchsrechtsregelung seinem Wohl und seinen Interessen förderlich ist (EvBl 1975/42). Es würde im vorliegenden Fall für beide Kinder eine echte Überforderung bedeuten, die Vor- und Nachteile eines Besuchsrechts abzuschätzen, den Wunsch, die Großmutter zu sehen, und die Gefahr, neuerlich in Verwirrung und Unsicherheit gebracht zu werden, gegeneinander abzuwägen, zumal von ihnen die erforderliche Festigkeit gegenüber Beeinflussungsversuchen verschiedenster Art auch während allfälliger Besuche noch nicht erwartet werden kann.
Das eigenmächtige Vorgehen der Großmutter zu Ostern 1987 hat mit aller Deutlichkeit gezeigt, daß einerseits die Kinder bei einem Aufenthalt bei ihren Verwandten - zufolge der räumlichen Nähe, in der die Mutter der Kinder, die Großmutter und weitere Angehörige, wie Pauline D*** und Pauline S***, wohnen, hat ein Besuch der Kinder bei ihrer Großmutter in unvermeidbarer Weise gleichzeitigen Kontakt auch mit anderen Verwandten zur Folge - sofort in die zwischen diesen immer wieder entstehenden Streitigkeiten hineingezogen werden, zumal deren Objekt nicht zuletzt sie selbst sind, und daß andererseits die Beziehungen der Kinder zu ihren Pflegeeltern nach einem solchen Aufenthalt durch Wochen hindurch in einem Ausmaß gestört sind, das den Verbleib der beiden Mädchen bei ihrer Pflegefamilie gefährdet. Es kann unter diesen Umständen nicht gesagt werden, daß das angestrebte Besuchsrecht derzeit dem Wohl der Kinder entspricht. Mag auch eine längere Trennung voneinander eine gewisse Härte nicht nur für die Großmutter, sondern auch für die Kinder bedeuten, steht diese doch in keinem Verhältnis zu den negativen Folgen, die Besuche unweigerlich nach sich ziehen würden, und zwar bis hin zum Verlust des Pflegeplatzes, der den Mädchen, die durch Jahre unstabile Bindungen durchleben mußten, die für sie besonders wichtigen ständigen und stetigen Bezugspersonen gebracht hat. Es war deshalb dem Revisionsrekurs Folge zu geben und in Abänderung des angefochtenen Beschlusses die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)