OGH 7Ob66/99b

OGH7Ob66/99b28.5.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich, Dr. Tittel, Hon-Prof. Dr. Danzl und Dr. Schaumüller als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Margit H*****, vertreten durch Dr. Günther Zeindl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Gertrude H*****, vertreten durch Dr. Walter Heel, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 148.000,-- und Feststellung (Feststellungsinteresse S 100.000,--) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 12. Jänner 1999, GZ 5 R 1/99g-27, mit dem das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 22. Oktober 1998, GZ 6 Cg 149/97s-20, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben und das Urteil des Berufungsgerichtes dahin abgeändert, daß das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegenseitig aufgehoben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei an Kosten des Revisionsverfahrens einen Barkostenbeitrag von S 6.625,-- binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die damals 53jährige Klägerin erlitt am 8. 10. 1996 bei einem Sturz über die Kellerstiege in der von der Beklagten als Jausenstation betriebenen, in 1800 m Seehöhe gelegenen G*****alm im Gemeindegebiet von Z***** schwere Kopfverletzungen. Die Alm ist mit Kraftfahrzeugen erreichbar. Eine Stromzufuhr besteht nicht; im WC brennt ständig ein solarbetriebenes Licht. Der Jausenbetrieb wird von der Beklagten abgewickelt, lediglich der Ehegatte der Beklagten hilft mit. Sämtliche erforderlichen Genehmigungen für den Betrieb der Alm als Jausenstation liegen vor.

Nach dem Betreten der Hütte durch die Eingangstür führt ein ca 1,5 m langer Gang bis zu einem dazu quer verlaufenden Vorraum mit einer Breite von 90 cm, von welchem nach rechts die Tür zum WC und nach links die Tür zum Keller hinunter führt. Beide Türen sind entsprechend beschildert. Die Kellertür war im Unfallszeitpunkt nicht versperrt, weil sich die Beklagte während der Betriebszeit vom Keller ständig die dort gelagerten Vorräte holte. Die Kellerstiege besteht aus Riffelblech und weist neun Stufen mit 20 cm Höhe und 30 cm Breite auf. Die oberste Stufe weist eine Breite von 30 cm, eine Höhe von 26 cm auf; ein Podest unmittelbar nach (hinter) der Kellertüre ist nicht vorhanden. Am Fuß der Stiege befindet sich ostseitig in der Kellermauer ein Fenster, durch welches eine direkte Beleuchtung gegeben ist. Außerdem besteht die Möglichkeit, eine kurze solarbetriebene Neonleuchte einzuschalten. Vorschriften hinsichtlich des Kellerabganges oder der Beleuchtung wurden seitens der zuständigen Behörden gegenüber der Beklagten nicht verfügt. Der Hausgang und der Quergang (= Vorraum zum WC und Kellerabgang) sind durch ein Fenster am Ende dieses Vorraumes und die offene Eingangstüre ausreichend belichtet, sodaß bei entsprechender Gewöhnung der Augen vom gleißenden Sonnenlicht außerhalb nach dem Betreten des Inneren der Almhütte die Aufschriften an den Türen "WC" und "Keller" gut sichtbar waren. Aufgrund des Unfalles der Klägerin wurde der Kellerabgang mittels einer Kette gesichert. Die Klägerin aß auf der G*****alm zu Mittag, wobei sie auch alkoholische Getränke zu sich nahm. Die Klägerin war zum Unfallszeitpunkt schon zum drittenmal auf der G*****alm, hatte aber dort noch nie das WC benützt. Um ca. 15 Uhr/15,15 Uhr beantwortete der Ehegatte der Beklagten die Frage der Klägerin nach der Toilette, daß diese sich nach dem Eingang rechts befinde. Da sie lange ohne Sonnenbrille in der prallen Sonne gesessen war, machte ihr der Lichtunterschied in der Hütte zu schaffen und sie war dadurch in ihrer Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigt. Dennoch ging sie weiter und sah rechts eine Tür. Ohne weiterzuschauen, ob es die richtige Tür ist - das Schild "Keller" nahm sie nicht wahr - öffnete sie die Kellertür und trat ohne sich weiter zu vergewissern hinein, in der Folge stürzte sie über die Kellerstiege ab. Bei diesem Sturz erlitt die Klägerin ein Schädelhirn-Trauma mit einer offenen temporoparietalen Schädelfraktur rechts mit einem diskreten epiduralen Haematom rechts, ferner einen kleinen rechtshaemisphärischen Herdbefund rechts. Die Schädelfraktur ist ohne Beeinträchtigung des Hörvermögens abgeheilt. Es besteht immer noch ein paroxymaler Lagerungsschwindel bei Zustand nach einer Innenohrprellung rechts wegen des Unfallsgeschehens.

Spätfolgen sind nicht auszuschließen. Im Zusammenhang mit den erlittenen Verletzungen hatte die Klägerin 6 Tage dauernde Schmerzen schweren Grades, Schmerzen mittleren Grades als dauernde von 18 bis 20 Tagen und Schmerzen leichten Grades als dauernde von 6 bis 7 Wochen zu ertragen. Die Klägerin war in den ersten 6 Wochen zu 100 % nicht in der Lage sich selbst zu versorgen, in den zweiten 6 Wochen zu 50 % und in den folgenden 4 Wochen zu 25 %. Die Klägerin mußte daher im Haushalt die Hilfe einer Bekannten in Anspruch nehmen, die nicht täglich und nicht bestimmte Stunden aber dennoch in ausreichendem Ausmaß erschien, um den Haushalt aufrecht zu erhalten. Der Ehemann der Klägerin konnte nicht helfen, da er unter der Woche immer auswärts ist.

Die Klägerin begehrt von der beklagten Partei die Bezahlung eines Betrages von S 120.000,-- an Schmerzengeld aufgrund der erlittenen Verletzungen und den Ersatz für eine Haushaltshilfe. Ferner stellte sie das aus dem Spruch ersichtliche Feststellungsbegehren wegen zu erwartender Spätfolgen. Im Inneren des Almgebäudes sei es relativ düster gewesen. Ungeachtet der Beschriftung der beiden Türen habe die Beklagte aufgrund der gegebenen Beleuchtungsverhältnisse sowie des Umstandes, daß die Gäste auch alkoholisiert sein könnten, mit einer Verwechslung der Türen rechnen müssen. Darüberhinaus entspreche die Stiege in den Keller, über welche die Klägerin abgestürzt sei, nicht den technischen Vorschriften bzw Vorschriften nach der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung. Danach dürften Türen zu Stiegen nicht unmittelbar auf die Stiege führen, sondern es müsse ein Podest vorhanden sein. Ferner wäre eine Beleuchtung von mindestens 30 Lux erforderlich gewesen, was gleichfalls nicht der Fall gewesen sei. Die Vorschriften der §§ 22 und 24 AAV seien Schutznormen, die über den Arbeitnehmerkreis hinaus Gültigkeit hätten und solche Unfälle wie den vorliegenden verhindern sollten. Ungeachtet der baulichen Mängel hätte die Beklagte jedenfalls die Tür versperren bzw einen entsprechenden Gefahrenhinweis anbringen müssen.

Dagegen wendete die beklagte Partei ein, daß es sich bei der von ihr betriebenen Jausenstation um eine einfache Almwirtschaft handle, wo es kein elektrisches Licht gebe und auch keine Arbeitnehmer beschäftigt würden. Die Örtlichkeiten seien insgesamt ausreichend beschriftet und beleuchtet gewesen. Das Verschulden am Unfall habe die Klägerin somit allein zu tragen.

Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Bezahlung von S 74.000,-- sA und gab dem Feststellungsbegehren zu 50 % statt; es wies das darüber hinausgehende Leistungs- und Feststellungsbegehren ab. Berücksichtige man, daß Gäste auf die Frage nach dem WC nach dem Hütteneingang nach rechts gewiesen würden und bei Einhaltung dieses Weges direkt zur Kellertür gelangten und daß die WC-Türe erst zu entdecken sei, wenn sich der Gast dort um 180 Grad umdrehe, dann könne das relativ kleine Schild im oberen Bereich der Türe nicht als ausreichende Absicherung gelten. Die Lichtverhältnisse seien bei entsprechender Adaptierung der Augen zwar ausreichend, bei schnellem Durchgehen und bei Nichtadaptierung sei aber immerhin eine Verwechslung möglich. Allerdings habe die Klägerin im Sinne des § 1304 ABGB ein Mitverschulden zu verantworten, denn bei entsprechendem Zuwarten wäre es ihr durchaus möglich gewesen, die Aufschrift Keller zu lesen.

Das Berufungsgericht gab der gegen die Teilabweisung von der Klägerin erhobenen Berufung keine Folge, gab aber der gegen den Teilzuspruch von der Beklagten erhobenen Berufung Folge und wies das gesamte Klagebegehren ab. Es bewertete den Streitgegenstand als mit S 260.000 übersteigend, sprach aber aus, daß die Erhebung der ordentlichen Revision unzulässig sei. Der Gastwirt habe aufgrund des Gastaufnahmevertrages für die gefahrlose Benützung der seinen Gästen zugänglichen Räume und Einrichtungen zu sorgen. Komme ein Gast infolge eines Mangels dieser Einrichtungen zu Schaden, so obliege dem Vertragspartner der Beweis, daß ihn kein Verschulden treffe. Das Vorliegen einer baubehördlichen oder sonstigen Genehmigung entschuldige den Gastwirt nicht, wenn er die Gefahrenquelle kannte und er dennoch mögliche und zumutbare Maßnahmen zu deren Beseitigung unterlassen habe. Der räumliche Bereich, auf dem sich diese vertragliche Schutzpflicht des Gast- und Herbergswirtes erstrecke, umschließe nicht nur die für die Verwendung durch die Gäste bestimmten Räumlichkeiten wie etwa Gastlokal, WC, Wohnzimmer, Bad und Flur, sondern auch jene Teile der Betriebsliegenschaft, mit deren Betreten durch die Gäste nach den besonderen Umständen des Falles gerechnet werden müsse. Die Vorschriften der Allgemeinen Arbeitnehmerschutz VO seien nicht als Schutznormen zugunsten der Gäste der beklagten Gastwirtin im Sinne des § 1311 ABGB zu interpretieren. Sowohl bei Verletzung einer Vertragspflicht als auch ohne eine solche hafte derjenige, der Schutznormen des Arbeitnehmerschutzes verletze, (nur) gegenüber solchen Personen, für die dieses Schutzgesetz gedacht sei. Auch bezogen auf die in der Berufung zitierte Bestimmung des § 11 Abs 1 der TBV sei auf den Verwendungszweck der Treppe abzustellen, wovon die Klägerin aber gleichfalls nicht betroffen gewesen sei. Denn mit der Benützung der Treppe durch Gäste habe die Beklagte - vor allem wegen der gegebenen Beschriftung - nicht rechnen müssen. Abzustellen sei darauf, ob von der Beklagten bei vorausschauender Betrachtungsweise damit zu rechnen war, daß der Keller (und damit die Kellertreppe) auch vom Gästepublikum benützt werde bzw eine solche Benützung durch irgendwelche Umstände, wenn auch entgegen der Widmung dieser Räumlichkeiten, begünstigt werde. Dies sei im Hinblick auf die ausreichende Beschriftung der Kellertür zu verneinen. Habe die Beklagte mit einer solchen Benützung nicht rechnen müssen, käme eine Haftung dann in Frage, wenn aufgrund ungünstiger oder unklarer räumlicher Verhältnisse dennoch die Möglichkeit bestand, daß sich ein Gast beim Gang auf das WC in den Keller verirrt. Auch diese Möglichkeit sei bei einer Betrachtung "ex ante" und aus der Sicht der Beklagten zu verneinen. Die Klägerin habe die ihr erteilte Auskunft über den Weg zum WC an sich nicht richtig befolgt, mußte sie doch beim ersten Nach-Rechts-Gehen in den Gang zwischen WC und Keller gelangen und habe sie dann ausgehend von einer Position, in der sie rechterhand die Tür zum WC hatte und linkerhand jene zum Keller, gerade die falsche Tür aufgemacht. Die Beklagte habe von einem durchschnittlich sorgfältigen Verhalten der Klägerin ausgehen dürfen, insbesondere davon, daß sie als Fußgängerin beim Gehen vor die Füße schaut und der einzuschlagenden Wegstrecke entsprechende Aufmerksamkeit zuwendet.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung von der Klägerin erhobene außerordentliche Revision ist teilweise berechtigt.

Auf die Anwendbarkeit der Arbeitnehmerschutzverordnung (=

Bauarbeiterschutzverord- nung 1954 = Allgemeine

Dienstnehmerschutzverordnung) als Schutzgesetz im Sinne des § 1311 ABGB kommt es vorliegendenfalls nicht an, weil sich diese Norm auf den Schutz der am Bau eingesetzten Arbeitskräfte bzw der mit dem Baugeschehen befaßten Personen bezieht (vgl MGA ABGB35 § 1311/167 ff), wozu die Klägerin zweifellos nicht gehörte. Richtig wäre, daß es sich aber bei der Bauordnung für Tirol und den damit im Zusammenhang stehenden technischen Bauvorschriften um Schutznormen im Sinne des § 1311 ABGB handelt (vgl aaO 153 ff). Der festgestellte Sachverhalt läßt aber nur den Schluß zu, daß auch ein Podest beim Stiegenabgang den Unfall nicht verhindert hätte, weil die Klägerin beim Öffnen der Kellertüre sichtlich immer noch sehbehindert in der Annahme, es handle sich um das WC, ohne weitere Überprüfung der Örtlichkeit "blind" weitergegangen ist. Unfallsursache war sohin die Verwechslung der unversperrten und als solcher von der Klägerin nicht erkannten Kellertür mit der unmittelbar dazu visavis liegenden WC-Türe infolge einer unpräzisen Einweisung durch den Gatten der Beklagten und der von der Klägerin nicht abgewarteten Anpassung ihrer Sehfähigkeit vom auf der Terrasse vor der Alm herrschenden gleißenden Sonnenlicht auf die erheblich weniger lichtintensive aber immer noch für eine Orientierung ausreichende Belichtungssituation im Vorzimmer von WC und Kellertür der Almhütte. Die Verkehrssicherungspflicht eines Gastwirtes umfaßt die Pflicht, den Gast im gesamten Bereich seines Betriebes vor Gefahren für Leib und Gut zu bewahren (vgl JBl 1991, 48 mwN). Jeder Gastwirt, der allein durch den Betrieb seines Lokales einen Verkehr eröffnet, hat daher alles vorzukehren, um die Sicherheit des Betriebes und der damit im Zusammenhang stehenden Wege und Flächen zu gewährleisten. Vom Gastwirt ist die Anwendung besonderer Sorgfalt zu verlangen (vgl MGA ABGB35 § 1295/359 ff). Diese Verkehrssicherungspflicht darf allerdings nicht überspannt werden und ist an den Grenzen der Zumutbarkeit von Sicherungsmaßnahmen zu messen. Geht man davon aus, daß Unfallsursache die Verwechslung der unversperrten und als solcher nicht erkannten Kellertür mit der unmittelbar visavis liegenden WC-Tür infolge einer unpräzisen Einweisung der Klägerin durch den Gatten der Beklagten und durch die nicht abgewartete Anpassung der Sehfähigkeit vom auf der Terrasse herrschenden Sonnenlicht auf die erheblich weniger lichtintensive aber doch ausreichende Beleuchtungssituation im Vorzimmer der G*****alm durch die Klägerin war, so muß trotz des sich daraus ergebenden Eigenverschuldens der Klägerin am Zustandekommen des Unfalls der Beklagten vorgeworfen werden, mit einer unversperrten Türe in einen Kellerabgang in unmittelbarer Nähe des WCs bei für die meisten WC-Besucher doch schwierigen Beleuchtungsverhältnissen eine beachtliche Gefahrenquelle eröffnet zu haben, die durch das Versperren dieser Türe leicht beseitigt hätte werden können. Auch die hochalpine Lage der G*****alm entband die Beklagte nicht von dieser relativ einfachen und daher zumutbaren Verpflichtung, um dadurch Gästen, die noch vom gleißenden Sonnenlicht auf der Terrasse geblendet sind, und die das WC aufsuchen müssen, einen gesicherten Zugang zu letzterem zu gewährleisten. Das unmittelbare Nebeneinanderliegen von offener Keller- und offener WC-Türe schuf somit eine Gefahrenquelle, die trotz des Eigenverschuldens der Klägerin zumutbar beseitigt hätte werden müssen, weil die Beklagte nicht nur mit von den Lichtverhältnissen, sondern auch vom Alkohol irritierten Gästen rechnen mußte. Die vom Erstgericht ausgemittelte Verschuldensaufteilung entspricht daher der Sachlage. Gegen die Ausmittlung des Schmerzengeldbetrages und der unfallsbedingten Kosten für eine Haushaltshilfe durch das Erstgericht bestehen ebenfalls keine Bedenken. Das Berufungsurteil war daher im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteiles abzuändern und der Revision der Klägerin teilweise Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung hinsichtlich des Berufungs- und Revisionsverfahrens gründet sich auf § 43 Abs 2 und 50 ZPO.

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