Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 33.100,30 (darin S 2.827,30 an Umsatzsteuer und S 2.000,-- an Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 20.783,55 (darin S 1.453,05 an Umsatzsteuer und S 4.800,-- an Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin begehrte den Zuspruch von S 544.046,37 s.A. und brachte vor, sie sei Eigentümerin des "Geschäftszentrums Ternitz" und habe der Beklagten in diesem ein Geschäftslokal und eine Wohnung vermietet. Der (wertgesicherte) Nettomietzins für das Geschäftslokal betrage S 18.710,--, jener für die Wohnung S 1.700,-- monatlich. Die Beklagte sei mit Mietzinszahlungen in der Höhe des Klagsbetrages im Rückstand.
Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und wendete ein, sie fechte beide Verträge aus dem Rechtsgrund des veranlaßten Geschäftsirrtums und Wegfalls der Geschäftsgrundlage ex tunc an. Die Klägerin habe der Beklagten zugesagt, es würden alle Geschäftslokale des "Geschäftszentrums" vermietet, die Stadtgemeinde Ternitz werde mit allen Verwaltungsabteilungen in das "Stadtzentrum" übersiedeln, so daß ein frequentiertes und florierendes Geschäftszentrum mit reger Geschäftstätigkeit und regem Kundenzustrom entstehe; nur deswegen sei es zum Abschluß der Mietverträge gekommen. Tatsächlich aber seien nicht alle Geschäftslokale vermietet worden, es seien kaum Geschäfte in Betrieb. Es sei fraglich, ob jemals ein Geschäftszentrum entstehen werde. Dies habe dazu geführt, daß die Umsätze der Beklagten völlig unzureichend seien und nicht einmal die Mietkosten deckten. Die Verträge stellten eine Einheit dar, weil die Wohnung lediglich mitgemietet worden sei, um Mitarbeitern der Beklagten eine Nächtigungsmöglichkeit in Ternitz zu bieten. Die Klägerin erwiderte, sie habe keine über den Inhalt der schriftlichen Mietverträge hinausgehenden Zusagen gemacht. Sie habe die Beklagte lediglich über Einzugsgebiet, Kaufkraft der Bevölkerung sowie Übersiedlungszeitpunkt der Stadtgemeinde in das "Stadtzentrum" aufgeklärt. Es seien nur 9,2 % der Nutzfläche des "Geschäftszentrums" unvermietet. Die Beklagte sei, wenn überhaupt, bloß einem rechtlich bedeutungslosen Motivirrtum unterlegen. Das Erstgericht gab der Klage statt.
Das Berufungsgericht wies die Klage ab, es ging von folgenden Feststellungen aus:
Die Klägerin errichtete in Ternitz auf Grund einer Baubewilligung vom 5. November 1980 ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel ein "Geschäftszentrum". Das Projekt war der Öffentlichkeit im Jahre 1979 vorgestellt worden. Bereits zu diesem Zeitpunkt schloß die Klägerin mit verschiedenen Interessenten Vorverträge über die Miete von Geschäftslokalen. Es kam auch noch in diesem Jahr zwischen der Beklagten (Leopold und Maria L***) und namentlich unbekannt gebliebenen Vertretern der Klägerin zu Kontaktgesprächen, die zum Abschluß eines Vorvertrages über eine abzuschließende Geschäftsraummiete und in der Folge der gegenständlichen Bestandverträge führten. Das Mietverhältnis begann am 24. August 1982.
Im Zuge der schon 1979 geführten Vorgespräche machten die Vertreter der Klägerin der Beklagten folgende Mitteilungen über das "Geschäftszentrum Ternitz":
Es seien Umfragen von der Klägerin, der Firma L*** und einem weiteren Unternehmen gemacht worden, wonach es von der Bevölkerung gut aufgenommen werde, daß ein Geschäftszentrum entstehe; im Einzugsgebiet des Geschäftszentrums lebten in einem Umkreis von 1 km 10.000, von 3 km 18.000, von 5 km 25.000 und von 10 km 45.000 Einwohner; in unmittelbarer Nähe des Geschäftszentrums würden Wohnungen gebaut werden;
es solle ein Geschäftszentrum mit einer möglichst großen Branchenmixtur, mit Wochenmärkten und anderen Festivitäten entstehen;
das Geschäftszentrum werde florieren und gut gehen, der Großteil der Lokale sei bereits vermietet; das Verwaltungszentrum der Stadt Ternitz werde in das gleiche Objekt übersiedeln, auch verschiedene Ämter wie Post und Gendarmerie.
Die Vertreter der Beklagten gewannen auf Grund dieser Äußerungen den Eindruck, daß sie ein Lokal in einem belebten Geschäftszentrum mieten würden.
Als die Vertreter der Beklagten das Geschäftszentrum im Jahre 1979 besichtigten, befand sich dieses im Bau. Die Beklagte war eine der ersten Mieter im "Geschäftszentrum". Die Firma L***, die einen Großteil der gesamten Geschäftsfläche gemietet hat, war bei Abschluß des Mietvertrages zwischen den Streitteilen bereits Mieterin.
Die Mietverträge hinsichtlich der Geschäftsräumlichkeiten und der Wohnung wurden für eine Mindestdauer von 10 Jahren abgeschlossen. Die Wohnung wurde von der Beklagten nur gemietet, um eine Wohnmöglichkeit für ihre Angestellten zu haben. Das Stadtzentrum Ternitz - als Überbegriff des Verwaltungszentrums Ternitz und des im Eigentum der Klägerin stehenden Geschäftszentrums Ternitz - wurde neu auf unverbautem Gebiet errichtet. Nach der Entwicklungsplanung der Stadt Ternitz ist um das neue Stadtzentrum eine Verdichtungszone mit starker Konzentration von Wohnungen vorgesehen. Derzeit ist das infrastrukturelle Leitungssystem allerdings noch vorwiegend auf die bestehenden Versorgungsstandorte orientiert. Für die Geschäftslokale des neuen Stadtzentrums wird noch eine standörtliche Isoliertheit und Störanfälligkeit wirksam, die vom zeitbezogenen Auslastungsgrad und von der Redundanz (alternative Versorgungswege) abhängig ist. Es kann angenommen werden, daß eine langsame aber stetige Verbesserung der Standorte im Bereich des neuen Stadtzentrums eintritt, weil durch Wohnhausneubauten eine erhöhte Nachfrage besteht und weil mit der Verlegung der Kommunalverwaltung langsam auch eine Verlagerung des Kommunikationssystems eintreten wird.
In planerischer Hinsicht ist beim "Geschäftszentrum Ternitz" nicht von einem Geschäftszentrum als solchem zu sprechen. Die Stadt Ternitz hat in den "fünfziger und sechziger Jahren" durch die Errichtung einer Hauptschule, einer Stadthalle und einer neuen Kirche eine Entwicklung gefördert, deren Zentrum "um die Roedlstraße" gelegen war; dieses Zentrum wurde durch eine jederzeit befahrbare Brücke über die Südbahn mit den im Bereich der Hauptstraße liegenden Lokalen verbunden. Dort hat sich "an sich" das Zentrum der Stadt Ternitz ergeben. Durch die Eingemeindung von Pottschach wurde das ursprüngliche Planungskonzept verlassen; um die beiden Orte miteinander zu verbinden, wurde der unverbaute Teil etwa in der Mitte zwischen Pottschach und Ternitz als Zentrum ausersehen und dort die Verwaltung der Stadt Ternitz situiert. Die Stadtgemeinde Ternitz hat das neue Verwaltungszentrum, das eine bauliche Einheit mit dem Geschäftszentrum darstellt, am 20. Februar 1984 bezogen.
Im April 1984 war der erste Bauabschnitt des "Stadtzentrums" bis auf einen Wohnblock vollendet; der zweite Bauabschnitt - das Geschäfts- und Verwaltungszentrum - wurde am 29. April 1984 offiziell eröffnet; der dritte Bauabschnitt war im April 1984 bereits begonnen, ein Wohnblock war bereits bezogen. Derzeit wird ein geringer Teil der Geschäftsräumlichkeiten in Wohnungen umgebaut; von der gesamten Nutzfläche sind 9,2 % unvermietet.
Die Beklagte ist mit dem Klagebetrag an Miete und Betriebskosten in Rückstand.
Der Geschäftsgang war für die Beklagte schlecht, sie machte nur einen monatlichen Umsatz von S 20.000,-- bis S 25.000,--. Seit Anfang August 1984 ist das Geschäft der Beklagten geschlossen. In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Berufungsgericht aus, die Klägerin habe der Beklagten im Zuge der Gespräche, die zum Abschluß des Vorvertrages und der Mietverträge führten, ein Geschäftslokal in einem "Geschäftszentrum" mit zu erwartendem gutem Kundenzustrom angepriesen; dies habe die Beklagte zu den Vertragsabschlüssen bewogen. Tatsächlich jedoch könne schon in planerischer Hinsicht beim "Geschäftszentrum" nicht von einem Geschäftszentrum "als solchem" gesprochen werden. Es sei auch in die Infrastruktur noch nicht voll eingebunden; eine standörtliche Isoliertheit und Störanfälligkeit sei wirksam. Das infrastrukturelle Leitungssystem sei noch auf die bestehenden Versorgungsstandorte orientiert. Die Beklagte habe sohin zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses eine unrichtige Vorstellung von der Wirklichkeit insoferne gehabt, als sie unrichtigerweise angenommen habe, ein Geschäftslokal in einem Geschäftszentrum mit regem Kundenzustrom zu mieten. Sie sei daher in einem Irrtum verfangen gewesen. Es handle sich nicht nur um einen Motiv-, sondern um einen Geschäftsirrtum; der Standort des Bestandlokals bedinge nämlich ganz eindeutig dessen Eigenschaften, da er die Beschaffenheit des Lokals mitbestimme. Der Irrtum der Beklagten sei von Vertretern der Klägerin veranlaßt worden und betreffe nicht bloß einen Nebenumstand, sondern die Hauptsache, da die Beklagte Lokalitäten in einem Geschäftszentrum im Sinne eines Einkaufszentrums habe mieten wollen und daher mit einem regen Geschäftsgang gerechnet habe. Eigenes Verschulden der Beklagten an der Fehleinschätzung der infrastrukturellen Lage des Geschäftszentrums beeinträchtige nicht das Anfechtungsrecht. Die Klägerin bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision aus den Revisionsgründen des § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO und beantragt, es dahin abzuändern, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Wesentlich für die Entscheidung des Rechtsstreites ist, ob sich die Beklagte bei Vertragsabschluß in einem beachtlichen Geschäftsirrtum oder in einem unbeachtlichen Motivirrtum befunden hat.
Die Grenzen zwischen Motivirrtum und dem Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften einer Sache, der Geschäftsirrtum ist, sind manchmal schwer zu ziehen. Psychologisch gesehen liegen beide Fälle häufig gleich (Koziol-Welser, Grundriß 7 I 114; iglS Rummel in Rummel, ABGB, Rdz 10 zu § 871, und Gschnitzer in Klang 2 IV/1, 117). Erst durch Vertragsauslegung kann festgestellt werden, ob der Umstand, über den geirrt wurde, zum Geschäft selbst gehört (Koziol-Welser aaO).
Die Klägerin hat der Beklagten das dieser in der Folge vermietete Geschäftslokal unter anderem damit angepriesen, daß das "Geschäftszentrum" flosieren und gut gehen werde. Die Vertreter der Beklagten gewannen auf Grund dieser Äußerungen den Eindruck, daß sie ein Lokal in einem belebten Geschäftszentrum mieten würden (Feststellungen AS 218).
Gewiß gehören Eigenschaften, die im abgeschlossenen Geschäft wertbildend und also für die Bestimmung der Gegenleistung maßgebend waren, zum Inhalt des Geschäfts. Ein Irrtum darüber ist daher ein Geschäftsirrtum (Koziol-Welser aaO 114). Erwartete allerdings die Beklagte einen guten Geschäftsgang und hat sie sich in dieser Erwartung getäuscht, befand sie sich in einem Irrtum über Zukünftiges. Zwar kann im Rahmen der Geschäftsgrundlage auch ein Geschäftsirrtum über Zukünftiges vorliegen, der Beachtung verdient. Andererseits aber sind künftige Entwicklungen häufig nicht vorhersehbar, weshalb jeder über sie auf eigenes Risiko disponieren muß. Die Beachtlichkeit jedes Irrtums über Zukünftiges würde zu größten Unsicherheiten im Verkehr führen (Koziol-Welser aaO b22, iglS Rummel aaO Rdz 9 zu § 871).
Zu prüfen ist deshalb, ob der erwartete, aber nicht eingetretene gute Geschäftsgang Geschäftsgrundlage der Verträge zwischen den Parteien war. Zu unterscheiden sind dabei die geschäftstypischen Voraussetzungen, daß sind jene, die jedermann mit einem bestimmten Geschäft verbindet und die nicht erst einer Vereinbarung bedürfen, und die individuellen Voraussetzungen, die unter die Unbeachtlichkeitsregel des § 901 Satz 2 ABGB fallen und nur dann berücksichtigt werden können, wenn sie ausdrücklich (= hinreichend deutlich; Rummel aaO Rdz 2 zu § 901 mwN; auch
stillschweigend - Gschnitzer aaO 337) zur Bedingung gemacht werden. Die Erzielung eines bestimmten wirtschaftlichen Erfolges wird keineswegs stets und von jedermann einem Bestandvertrag über ein noch dazu erst zu errichtendes Geschäftslokal - wie im vorliegenden Fall - zugrundegelegt werden (vgl. dagegen den Fall einer Unternehmensverpachtung in der Entscheiduns SZ 54/88), wie nicht erst näher erörtert werden muß. Ein derartiger Erfolg bildet daher keine geschäftstypische Voraussetzung, dessen Wegfall von den Vertragspflichten befreit (vgl. JBl 1976, 145). Darüber hinaus kann sich auch auf die Änderung einer typischen Geschäftsgrundlage eine Partei nicht berufen, wenn diese Änderung vorhergesehen werden konnte, wenn mit der Möglichkeit einer Änderung gerechnet werden mußte. Wer angesichts einer solchen Möglichkeit vorbehaltlos ein Güschäft schließt, trägt das Risiko des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (Koziol-Welser aaO 124, Gschnitzer aao 339, Rummel aaO Rdz 4 zu § 901, Larenz, Schuldrecht I AT 13 , 303; JBl 1979, 651).
Liegt aber ein individuelles Motiv vor, ist dieses nur beachtlich, wenn es durch die Parteien einvernehmlich zum Inhalt des Vertrages gemacht wurde (so daß eigentlich ein Geschäftsirrtum vorliegt, der nach den §§ 871 ff ABGB zu beurteilen ist). Hiefür genügt es allerdings nicht, daß ein Teil dem anderen sein Motiv bekanntgibt; vielmehr ist erforderlich, daß es der andere auch als Vertragsinhalt akzeptiert (Koziol-Welser aaO 117, Dilcher in Staudinger, BGB 12 I Rdz 69, auch 47, zu § 119; Kramer in Münchener Komm. 2 Rdz 103 zu § 119 BGB).
Daß ein "guter Geschäftsgang" zumindest konkludent
Vertragsinhalt gewesen sei, wurde nicht festgestellt. Es wurde von der Beklagten auch gar nicht behauptet. Nicht geltend gemacht wurde auch, daß die Klägerin arglistig vorgegangen sei, den (Motiv-)Irrtum der Beklagten arglistig herbeigeführt oder ausgenützt habe (vgl. Koziol-Welser aaO).
Es ergibt sich sohin, daß bei Abschluß des Mietvertrages über Räumlichkeiten im "Geschäftszentrum Ternitz" lediglich ein unbeachtlicher Motivirrtum der Beklagten vorlag, da die Erzielung eines bestimmten wirtschaftlichen Erfolges der Beklagten nicht zum Vertragsinhalt gemacht wurde.
Der Revision der Klägerin war deshalb Folge zu geben und das stattgebende Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen. Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.
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