OGH 7Ob646/84

OGH7Ob646/8411.10.1984

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach dem am ***** verstorbenen H*****, vertreten durch den erbserklärten mj H*****, dieser vertreten durch Dr. Walter Kausel, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Ing. H*****, vertreten durch Dr. Walter Schuppich, Dr. Werner Sporn, Dr. Michael Winischhofer und Dr. Martin Schuppich, Rechtsanwälte in Wien, wegen Abberufung des Beklagten als Geschäftsführer (Streitwert 2.000.000 S) infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 13. August 1984, GZ 5 Nc 3784‑18, womit der Antrag der Klägerin auf Vorlage des Akts AZ 3 A 669/80 des Bezirksgerichts Döbling an das Handelsgericht Wien zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00646.840.1011.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Oberlandesgericht Wien zurückverwiesen.

Die Kosten des Rekurses sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Der Beklagte beantragte zum Beweis für von ihm aufgestellte Prozessbehauptungen die Beischaffung des Akts AZ 3 A 669/80 des Bezirksgerichts Döbling. Das Erstgericht erstreckte zwecks Beischaffung dieses Akts die Verhandlung. Das Bezirksgericht Döbling weigerte sich jedoch, dem Ersuchen um Übersendung des Akts zu entsprechen, wobei es einerseits ausführte, es benötige den Akt selbst und andererseits darauf verwies, dass dem Beklagten im vorliegenden Verfahren vom Bezirksgericht Döbling die Einsicht in den erwähnten Verlassenschaftsakt rechtskräftig verweigert worden sei, weshalb es nicht angehe, dass er auf dem Umweg einer Übersendung dieses Akts an das Handelsgericht Wien die Möglichkeit der Akteneinsicht erlange.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht Wien den von der Klägerin beim Handelsgericht Wien gestellten Antrag auf Vorlage des Akts zur Entscheidung über die vom Bezirksgericht Döbling verweigerte Aktenübersendung mit der Begründung zurückgewiesen, § 40 JN sehe ein Einschreiten des Oberlandesgerichts nur im Falle der Verweigerung einer Rechtshilfe zugunsten einer ausländischen Behörde vor. Hingegen sei eine derartige Entscheidung in § 37 JN, der Rechtshilfeersuchen inländischer Gerichte zum Gegenstand habe, nicht enthalten. Darüber hinaus habe über die Frage der Zulässigkeit der Akteneinsicht durch dritte Personen der Gerichtsvorsteher und nicht das Oberlandesgericht zu entscheiden.

Der vom Beklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts erhobene Rekurs ist zulässig, obwohl es sich bei der Frage, ob eine Aktenübersendung an ein ersuchendes Gericht anzuordnen ist, um eine prozessleitende Verfügung handelt. § 186 Abs 2 ZPO schließt nämlich abgesonderte Rechtsmittel gegen prozessleitende Verfügungen nur insoweit aus, als es sich hiebei um Verfügungen des Prozessgerichts handelt. Die Ablehnung einer Entscheidung durch ein Gericht, das vom Prozessgericht zwecks Durchsetzung seiner prozessleitenden Verfügung angerufen wird, fällt daher nicht unter den Rechtsmittelausschluss des § 186 Abs 2 ZPO.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist auch gerechtfertigt.

Es ist zwar richtig, dass § 40 JN nur Rechtshilfeersuchen ausländischer Behörden zum Gegenstand hat und dass für derartige Ersuchen inländischer Gerichte im Gesetz kein bestimmtes Verfahren vorgesehen ist. Hiebei handelt es sich jedoch um eine Gesetzeslücke, die schon deshalb geschlossen werden muss, weil es untragbar wäre, dass zwar die Möglichkeit besteht, ausländischen Ersuchen mit Hilfe einer höheren Instanz Nachdruck zu verleihen, dagegen im Falle der Weigerung eines inländischen Gerichts, dem im Gesetz vorgesehenen Rechtshilfeersuchen eines anderen inländischen Gerichts zu entsprechen, keinerlei Durchsetzungsmöglichkeit bestünde. Demnach haben sowohl die Lehre ( Fasching I, 253, Fasching Zivilprozessrecht Rdz 316 f) als auch die Judikatur (RZ 1980/35; EvBl 1981/99; ua) diese Gesetzeslücke durch analoge Anwendung des § 47 JN geschlossen. Es hat daher das den beiden Gerichten, die bezüglich der Gewährung der Rechtshilfe verschiedene Auffassungen vertreten, übergeordnete Gericht, im vorliegenden Fall das Oberlandesgericht Wien, über die Rechtmäßigkeit der Weigerung des ersuchten Gerichts zu entscheiden. Aus diesem Grunde erweist sich die Zurückweisung des Antrags der Klägerin als ungerechtfertigt.

Der Hinweis des Oberlandesgerichts Wien auf § 170 Abs 2 Geo (§ 219 Abs 2 ZPO) übersieht, dass im vorliegenden Fall nicht die Frage der Akteneinsicht, sondern die Frage der Rechtshilfe zu entscheiden ist. Der Gerichtsvorsteher kann nur über das Recht der Akteineinsicht bei seinem Gericht entscheiden. Dies ist für den Fall der Akteneinsicht beim Bezirksgericht Döbling geschehen. Ob jedoch beim ersuchten Gericht, falls dem Rechtshilfeersuchen zu entsprechen ist, Akteneinsicht gewährt werden muss oder nicht, kann erst nach Übersendung der Akten an dieses Gericht von diesem und allenfalls von seinem Vorsteher entschieden werden. Die Zuständigkeit des den beiden Gerichten übergeordneten Gerichts zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung einem Rechtshilfeersuchen zu entsprechen, berührt die Frage des Rechts auf Akteneinsicht nicht.

Abschließend sei noch darauf verwiesen, dass es sich in der Regel bei der Einsicht in fremde Akten tatsächlich um einen Urkundenbeweis handelt, doch ist nicht ersichtlich, warum dies mit der Zuständigkeit des übergeordneten Gerichts zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung der Rechtshilfe etwas zu tun haben soll. Die Qualifikation eines Beweismittels als Urkundenbeweis hindert nicht die Einstufung der Beischaffung dieses Beweismittels als Rechtshilfe. Nach § 301 Abs 2 ZPO ist es nämlich Sache des Prozessgerichts, Urkunden, die sich bei öffentlichen Behörden befinden, beizuschaffen. Dies ist nur unter Mitwirkung derjenigen Behörde möglich, bei der sich die Urkunde befindet. Diese Mitwirkung erfolgt im Rahmen der Rechtshilfe. Sohin hat der Umstand, dass es sich bei einem bestimmten Akt um eine Urkunde handelt, keinerlei Einfluss auf die Entscheidung über ein Rechtshilfeersuchen.

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