OGH 7Ob641/95

OGH7Ob641/9510.1.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** regGenmbH, ***** vertreten durch Dr.Peter Fichtenbauer und andere Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Diana W***** vertreten durch Frieders, Tassul und Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 2,897.010 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 30.Dezember 1994, GZ 11 R 10/94-30, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 30.September 1993, GZ 28 Cg 88/93d-25, abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind als weitere Kosten des Verfahrens erster Instanz zu behandeln.

Text

Begründung

Die Klägerin gewährte dem Getreidehändler Erich V***** in der Zeit vom 14.9.1987 bis 8.8.1988 fünf Lombarddarlehen über insgesamt S 2,897.010. Erich V***** verpfändete der Klägerin zur Besicherung ihrer Darlehensforderungen die im Betrieb der Beklagten gekauften und dort auch eingelagerten Getreidemengen. Erich V***** teilte der Beklagten (jeweils) schriftlich mit, daß die bei ihr eingelagerten Getreidemengen zugunsten der Klägerin verpfändet sind, wies die Beklagte an, diese Mengen in Hinkunft für die Klägerin innezuhaben und ersuchte sie um Kenntnisnahme, daß Verfügungen darüber nur mit Zustimmung der Klägerin getroffen werden können. Zum Zeichen der Kenntnisnahme nahm die Beklagte die jeweiligen Anweisungen an, unterschrieb sie und übermittelte sie der Klägerin. Aus diesen Einlagerungsbestätigungen hatte die Beklagte auch Kenntnis davon, daß die Klägerin dem Getreidehändler Erich V***** Kredit gewährt hatte.

Der Prokurist des Getreidehändlers Erich V***** Wolfgang Sch***** hatte bei der Abwicklung der Darlehensverträge der Klägerin mitgeteilt, daß das bei der Beklagten eingelagerte Getreide Eigentum des Erich V***** sei. Das genügte dem Direktor der Klägerin Franz A***** als Sicherheit. Der Eigentumserwerb wurde nicht überprüft; es wurde auch nicht erhoben, ob die verpfändeten Getreidemengen separiert gelagert werden, was tatsächlich nicht der Fall war.

Erich V***** verfügte bei der Klägerin auch über einen Rahmenkredit.

Sofern (der) freizugebende "Kreditmengenbetrag" (gemeint: Getreidemengen wertmäßig) im Kreditrahmen Deckung fanden, hat die Klägerin - in anderen Geschäftsfällen - Freigabeerklärungen abgegeben.

Im Juli 1989 wurde über das Vermögen des Erich V***** der Konkurs eröffnet. Die eingangs erwähnten Darlehen waren zu diesem Zeitpunkt zur Gänze nicht zurückgezahlt. Im Zeitpunkt der Konkurseröffnung waren sämtliche bei der Beklagten eingelagerten Getreidemengen, die Erich V***** der Klägerin verpfändet hatte, nicht mehr vorhanden. Der Verwalter der Beklagten Sepp G***** hatte - ohne bei der Klägerin auch nur rückzufragen - immer, wenn Erich V***** darüber verfügt hatte, Auslagerungen vorgenommen. Erich V*****war von der Klägerin nicht ermächtigt worden, über die genannten Getreidemengen zu verfügen. Der Beklagten war - aus anderen Geschäftsfällen - bekannt, daß die Klägerin Freigaben immer nur schriftlich erklärt.

Der Klägerin war vor der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Erich V***** nicht bekannt geworden, daß über das ihr verpfändete Getreide verfügt worden war.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von S 2,897.010 sA. Die Beklagte habe die übernommene Verpflichtung, über die bei ihr eingelagerten Getreidemengen nur mit Zustimmung der Klägerin zu verfügen, verletzt und die zugunsten der Klägerin verpfändeten Getreidemengen über Wunsch des Erich V***** ausgelagert und damit der Verfügungsmacht der Klägerin entzogen. Die Klägerin habe dadurch die ihr gewährten Sicherheiten verloren. Der eingeklagte Betrag entspreche dem Wert des Getreides. Durch das vertragswidrige Verhalten der Beklagten habe die Klägerin einen Schaden in gleicher Höhe erlitten. Die Beklagte habe die Zustimmung zur Verpfändung der bei ihr gelagerten Getreidemengen erklärt und ihre Verwahrungspflicht (zugunsten der Klägerin) anerkannt. Daher hafte sie der Klägerin für die vertragswidrige Ausfolgung des Getreides. Freigabeerklärungen habe die Klägerin immer nur nach Eingang des entsprechenden Geldbetrages auf dem Verrechnungskonto der Lombarddarlehen abgegeben. Die Beklagte hafte aber unabhängig davon, ob die Getreidemengen wirksam zugunsten der Klägerin verpfändet worden seien, für den eingetretenen Schaden. Auch ohne wirksame Verpfändung sei die Beklagte an die Vinkulierungserklärungen gebunden gewesen.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Die behaupteten Getreidemengen seien weder bei ihr eingelagert noch der Klägerin verpfändet worden. Erich V***** sei nicht Eigentümer des Getreides der Beklagten geworden. Eine allfällige Verpfändung sei mangels Einhaltung der gesetzlichen Erfordernisse nicht wirksam geworden. Der Prokurist des Getreidehändlers Erich V***** habe immer über eingelagerte Getreidemengen verfügt, was auch auftrags der Klägerin jahrelang gehandhabt worden sei. Die von Erich V***** bei der Beklagten gekauften Getreidemengen seien nach der Ernte immer zunächst bei der Beklagten gelagert worden. Später habe sein Prokurist Wolfgang Sch***** darüber zugunsten der Kunden des Erich V***** verfügt. Mit den Zahlungen dieser Kunden seien etwaige Auslegungen der Klägerin getilgt worden. Das habe die Klägerin jahrelang geduldet. Außerdem sei der Klägerin bekannt gewesen, daß bei Einbringung der Ernte etwa noch vorhandene Lagerbestände ausgelagert werden müssen, damit diese nicht durch überlange Lagerung zu Futterweizen und somit entwertet würden. Zumindest diese Preisreduktion müsse sich die Klägerin zurechnen lassen. Außerdem habe die Klägerin ihre Rechte aus einem Verkauf von Getreide um S

540.231 an die Ankerbrot AG gegenüber dem Masseverwalter im Konkurs des Erich V***** nicht geltend gemacht. Den Gegenwert dieser Lieferung könne sie nunmehr nicht von der Beklagten ersetzt begehren.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit Ausnahme des die gesetzlichen Verzugszinsen übersteigenden Zinsenmehrbegehrens statt. Zwischen Erich V***** und der Klägerin sei zwar kein gültiger Pfandvertrag zustandegekommen. Ungeachtet der Unwirksamkeit der Verpfändung hafte die Beklagte der Klägerin aber aus der Verletzung der übernommenen Verpflichtung, das bei ihr eingelagerte Getreide nur mit Zustimmung der Klägerin auszufolgen, für den eingetretenen Schaden. Aus dieser zwischen Erich V***** und der Beklagten geschlossenen Vereinbarung könne die Klägerin gegen die Beklagte unmittelbar Rechte geltend machen. Die Beklagte habe aus dem Verhalten der Klägerin nicht ableiten dürfen, daß Erich V***** ungeachtet der getroffenen Abmachungen allein über das eingelagerte Getreide verfügen dürfe. Ohne Zustimmung der Klägerin hätte die Beklagte das Getreide daher nicht auslagern dürfen.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Die Verpfändung des Getreides zugunsten der Klägerin sei schon deshalb nicht wirksam zustande gekommen, weil Erich V***** gar nicht Eigentümer des Getreides geworden sei. Übergabe und Übernahme könnten sich immer nur auf eine konkrete, individuell bestimmte Sache, nicht aber auf einen nur ganz allgemein mengen- oder wertmäßig bestimmten Teil einer Sachgesamtheit beziehen. Die Veräußerung oder Verpfändung bloß eines Teils einer "Mengensache" erfordere die vorherige Ausscheidung und abgesonderte Verwahrung der betroffenen Teilmenge zugunsten des Käufers bzw Gläubigers. Aus diesem Grund habe Erich V***** an den für ihn nicht gesondert verwahrten Getreidemengen nicht Eigentum erwerben können. In einem wirksamen Pfandrecht an diesen Getreidemengen sei die Klägerin daher nicht geschädigt worden. Aber auch die sonstigen Verpflichtungen, die die Beklagte mit ihren Einlagerungsbestätigungen eingegangen sei, hingen von der Wirksamkeit des Pfandrechtserwerbs ab. Habe die Klägerin kein Pfandrecht an dem von der Beklagten verwahrten Getreide erlangt, dann könne dieses sachenrechtlich nicht der Sicherung einer Forderung der Klägerin gegen Erich V***** dienen. Die Klägerin hätte daher auch im Fall eines vertragskonformen Verhaltens, nämlich das Getreide nicht vor Freigabe durch sie auszuliefern, nicht auf das Getreide zur Befriedigung ihrer Forderung greifen können. Eine vom Pfandrecht losgelöste "Sperrverpflichtung" ergebe sich aus den Einlagerungsbestätigungen nicht. Selbst wenn aber die Klägerin einen obligatorischen Anspruch darauf gehabt hätte, daß die Beklagte nur mit ihrer Zustimmung Getreidemengen aus dem Lager ausfolgt, wäre der Klägerin nicht der Nachweis gelungen, daß die Verletzung dieser Verpflichtung zu einem Schaden geführt hätte. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin, daß sie ohne vorherigen vollen Geldeingang samt Zinsen auf dem Darlehenskonto Auslagerungen nicht gestattet hätte, stehe nämlich fest, daß Erich V***** bei der Klägerin über einen entsprechenden Kreditrahmen verfügt habe und die Klägerin die Freigabeerklärung erteilt hätte, sofern die freizugebende Getreidemenge (wertmäßig) im Kreditrahmen Deckung gefunden hätte. Das sei aber keine taugliche Sachverhaltsgrundlage für den Kausalitätsbeweis.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von der Klägerin erhobene Revision ist berechtigt.

Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, daß die Klägerin kein Pfandrecht an den bei der Beklagten eingelagerten Weizenmengen erworben hat. Der Schlußfolgerung des Berufungsgerichtes, daß der Klägerin aus den Einlagerungsbestätigungen mangels dinglicher Sicherung kein Recht auf vertragskonforme Verfügung über das Lagergut und damit auch kein Schadenersatzanspruch wegen Vertragsverletzung zustehen könnte, kann jedoch nicht beigepflichtet werden. Der Getreidehändler Erich V***** hatte der Beklagten nämlich nicht nur mitgeteilt, die bei ihr eingelagerten Getreidemengen der Klägerin verpfändet zu haben. Er wies die Beklagte vielmehr auch an, diese Getreidemengen in Hinkunft für die Klägerin innezuhaben und zur Kenntnis zu nehmen, daß Verfügungen über den eingelagerten Weizen nur mit Zustimmung der Klägerin getroffen werden können. Zum Zeichen ihrer Zustimmung übermittelte die Beklagte den von ihr unterfertigten Durchschlag dieser Anweisungen der Klägerin. Die zwischen Erich V***** und der Beklagten über die Getreidemengen geschlossenen Lagerverträge wurden damit als Vertrag zugunsten der Klägerin ausgestaltet: Sichert der Lagerhalter aufgrund einer Weisung des Einlagerers einem Dritten (Bank), mit welcher kein Vertragsverhältnis besteht, zu, daß er Lagerwaren nur mit Zustimmung dieses Dritten ausfolgt, stellt diese Verpflichtungserklärung (Sperrverpflichtung) einen Vertrag zugunsten Dritter (der Bank) dar. Einer Annahme der Verpflichtungserklärung durch den Begünstigten bedarf es nicht. Dieser erwirbt gemäß § 881 Abs 2 ABGB unmittelbar ein Recht auf Erfüllung des Versprechens. Der Begünstigte kann daher den Lagerhalter auf Ersatz des eigenen Schadens klagen, wenn dieser die Sperrverpflichtung nicht einhält (Schütz in Straube, HGB2 Rz 11 zu § 416 mwN; EvBl 1960/254; 2 Ob 528/95).

Im vorliegenden Fall hat der Verwalter im Gutsbetrieb der Beklagten trotz der (von ihm namens der Beklagten) abgegebenen Sperrverpflichtung den gesamten gelagerten Weizen auf Aufforderung des Prokuristen des Einlagerers ausgefolgt, ohne die Sperrverpflichtung zu beachten und ohne bei der Klägerin die Zustimmung zu diesem Vorgehen einzuholen. Es lagen für ihn auch keinerlei Anzeichen vor, aus denen er annehmen hätte können, daß die Klägerin dieses Vorgehen gebilligt hätte. Wegen dieser schuldhaften, der Beklagten zurechenbaren (§ 1298 ABGB) Vertragsverletzung könnte die Beklagte daher schadenersatzpflichtig sein, wenn der Klägerin daraus tatsächlich ein Schaden ewachsen ist.

Der Schaden der Klägerin besteht jedoch nicht im Wert der (nicht erworbenen) Pfandsache. Die Klägerin trug allerdings auch vor, daß sie Freigabeerklärungen erst dann erteilt hätte, wenn der der freizugebenden Getreidemenge entsprechende Geldbetrag (Kaufpreis) auf dem Konto des Lombarddarlehens eingegangen wäre. Die Beklagte hat dagegen behauptet, daß Kunden des Erich V***** den Kaufpreis auf eines dessen Konten bei der Klägerin geleistet und damit etwaige Auslegungen der Klägerin an ihn getilgt hätten. Feststeht in diesem Zusammenhang aber nur, daß Erich V***** bei der Klägerin (auch) über einen Kreditrahmen verfügte und die Klägerin die Freigabeerklärungen erteilt hätte, sofern die freizugebenden Getreidemengen wertmäßig im Kreditrahmen Deckung gefunden hätten. Die Frage, ob der in der Nichtrückführung des Obligos auf den Lombarddarlehenskonten im Ausmaß des für die freizugebenden Mengen erzielten Kaufpreises liegende Schaden auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten der Beklagten eingetreten wäre oder nicht, ob daher die schuldhafte Vertragsverletzung der Beklagten auch ursächlich für den geltend gemachten Schadenersatzanspruch war, kann damit noch nicht beantwortet werden. Das Erstgericht wird daher noch präzise Feststellungen zu treffen haben, unter welchen Umständen die Klägerin Freigaben erklärt hätte und ob dadurch gewährleistet gewesen wäre, daß ihr der den freigegebenen Getreidemengen entsprechende Wert auch tatsächlich zukommt.

Aber auch der Einwand der Beklagten kann noch nicht geprüft werden, ob die Klägerin die Geltendmachung von Rechten aus einem Verkauf von Getreide an die Ankerbrot AG um S 540.231 gegenüber dem Masseverwalter im Konkurs des Erich V***** unterlassen hat. Die Beklagte wird dieses Vorbringen allerdings erst durch Behauptungen, worin diese Rechte der Klägerin bestanden haben sollen (ein Pfandrecht scheidet ja aus), schlüssig zu machen haben.

Auf die von der Beklagten aufgeworfene weitere Frage, ob sich die Klägerin die Wertminderung des Lagergutes wegen überlanger Lagerung anrechnen lassen muß, würde es nur dann ankommen, wenn sich im weiteren Verfahren ergibt, daß die Klägerin die gegenständlichen Getreidemengen nicht freigegeben hätte und die Lagermengen wegen überlanger Lagerung dann tatsächlich entwertet worden wären. Denn nur dieser geminderte Wert könnte jetzt noch als Kaufpreis erzielt werden und der Klägerin gegen Abgabe einer Freigabeerklärung zufließen.

In Stattgebung der Revision waren daher die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben; die Sache war zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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