OGH 7Ob639/94

OGH7Ob639/9421.12.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dkfm.Gerda K*****, vertreten durch DDDr.Franz Langmayr, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) S***** GmbH, ***** 2.) prot.Firma Hans B*****,

beide vertreten durch Dr.Christian Kuhn und Dr.Wolfgang Vanis, Rechtsanwälte in Wien, wegen Aufkündigung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 8.Juni 1993, GZ 48 R 529/92-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 9.April 1992, GZ 48 C 517/91-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

1.) Die Bezeichnung der erstbeklagten Partei wird von E***** GmbH auf S***** GmbH richtiggestellt.

2.) Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur Ergänzung der Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind als weitere Kosten des Verfahrens erster Instanz zu behandeln.

Text

Begründung

Am 22.5.1986 mieteten die E***** GmbH (im folgenden Text immer nur als Erstbeklagte bezeichnet) und die Zweitbeklagte von der Klägerin das Geschäftslokal Nr IV, im Haus W*****.

Mit Notariatsakt vom 24.10.1991 wurde die Erstbeklagte, deren alleiniger Gesellschafterin seit 22.11.1990 die S***** GmbH war, mit Wirkung 1.3.1991 mit ihrer Gesellschafterin als der übernehmenden Gesellschaft durch Übertragung ihres Vermögens als Ganzes mit allen Rechten und Pflichten unter Ausschluß der Liquidation verschmolzen. Der Verschmelzungsvertrag wurde am 29.11.1991 ins Firmenbuch eingetragen; gleichzeitig wurde eingetragen, daß die Firma der Erstbeklagten auf Grund dieser Verschmelzung erloschen ist.

Seit September 1991 betreibt die S***** GmbH in dem Bestandobjekt Süßwaren.

Die Klägerin kündigte den Beklagten mit der am 11.10.1991 beim Erstgericht eingelangten, den beiden Beklagten am 22.10.1991 zugestellten Aufkündigung das Bestandobjekt zum 31.3.1992 aus beiden Gründen des § 30 Abs 2 Z 4 MRG auf. Die Beklagten hätten das Geschäftslokal der S***** GmbH überlassen, welche darin nunmehr einen eigenen Gewerbebetrieb führe. Die Verschmelzung habe nur der Verschleierung des Kündigungstatbestandes gedient und könne den bereits davor eingetretenen Kündigungsgrund nicht mehr beseitigen.

Die Beklagten beantragten die Aufhebung der Aufkündigung. Die Verschmelzung der Erstbeklagten mit der S***** GmbH sei im Wege der Gesamtrechtsnachfolge erfolgt. Die Benützung des Bestandobjektes durch die übernehmende Gesellschaft stelle keinen Kündigungsgrund dar. Auch die Zweitbeklagte benütze als Mitmieterin nach wie vor teilweise das Bestandobjekt. Die Verschmelzung sei schon lang vor der Zustellung der Aufkündigung vorbereitet worden.

Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab. Werde ein Mietgegenstand an eine Gesellschaft verpachtet, dann berührten weder ein Wechsel der Gesellschafter noch eine Änderung in der Rechtsform die Identität des Mieters. Bei einer Verschmelzung zweier Gesellschaften mit beschränkter Haftung unter Ausschluß der Liquidation liege Gesamtrechtsnachfolge vor; das Vermögen der übertragenden Gesellschaft gehe ohne Abwicklung als Ganzes kraft Gesetzes auf den anderen Rechtsträger über. Diese Wirkung erstrecke sich auch auf Bestandverträge der übertragenden Gesellschaft. Eine Weitergabe im Sinne des § 30 Abs 2 Z 4 MRG werde dadurch nicht verwirklicht. § 12 Abs 3 MRG (alt) sei auf alle Arten der Gesamtrechtsnachfolge nicht anzuwenden. Die Verschmelzung habe auch nicht bloß der Umgehung eines Kündigungstatbestandes gedient; sie sei bereits lange vor der Zustellung der Aufkündigung vorbereitet worden.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Wohl verwirkliche die gänzliche Überlassung des Mietgegenstandes durch eine GmbH an ihren Gesellschafter den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG, wenn das bisherige Unternehmen nicht fortgeführt werde. Voraussetzung des Kündigungstatbestandes sei aber auch, daß der Mieter den Mietgegenstand offenbar in naher Zeit weder für sich noch für eintrittsberechtigte Personen benötige. Die S***** GmbH sei bereits seit November 1990 alleinige Gesellschafterin der Erstbeklagten gewesen; die geplante Verschmelzung sei nur zwei Tage nach der Zustellung der Aufkündigung erfolgt. Nach der Verschmelzung habe die Erstbeklagte die Bestandrechte "wieder selbst" ausgeübt, so daß es ohne Belang sei, in welcher Form die Bestandrechte früher ausgenützt worden seien. Eine in der Absicht des künftigen Erwerbes von Bestandrechten unter Vermeidung der Rechtsfolgen des § 12 Abs 3 MRG (alt) vorgenommene Verschmelzung müsse auch nicht immer ein unzulässiges Umgehungsgeschäft sein. Anhaltspunkte für eine solche Umgehungsabsicht lägen hier nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von der Klägerin erhobene, dem Obersten Gerichtshof vom Berufungsgericht erst am 30.11.1994 vorgelegte Revision ist berechtigt.

Gemäß § 96 GmbHG unterbleibt die Liquidation, wenn das Vermögen einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung als Ganzes einschließlich der Schulden ua an eine andere Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegen Gewährung von Geschäftsanteilen übertragen wird (Fusion) und beide Teile auf die Durchführung der Liquidation verzichten. Diese Bestimmung ist die gesetzliche Grundlage für die Fusion von Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Sie verweist auf die Vorschriften der §§ 219 bis 233 Akt G, welche sinngemäß Anwendung zu finden haben. Mit der Eintragung der Verschmelzung in das Firmenbuch der übertragenden Gesellschaft erlischt diese (§ 226 Abs 4 Akt G); im selben Zeitpunkt geht das Vermögen dieser Gesellschaft einschließlich der Verbindlichkeiten auf die übernehmende Gesellschaft über (§ 226 Abs 3 Akt G). Die übernehmende Gesellschaft tritt in jeder rechtlichen Hinsicht an die Stelle der übertragenden Gesellschaft (Koppensteiner, GmbH-G Komm 644, Rz 23 zu § 96 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Die einzelnen verschmolzenen selbständigen Gesellschaften werden zu einer einzigen Rechtsperson (Reich/Rohrwig, GmbH-Recht 731; Kastner, Grundriß des österreichischen Gesellschaftsrechts5, 325).

Das Vorliegen einer solchen Verschmelzung der Erstbeklagten (Mitmieterin) mit ihrer einzigen Gesellschafterin als Übernehmerin ist im vorliegenden Verfahren - mit Ausnahme eines Verschleierungseinwandes der Klägerin - nicht strittig. Sie wurde - unbeschadet der Vorverlegung des Stichtages für die Verschmelzungsbilanz im Verschmelzungsvertrag - mit Eintragung im Firmenbuch am 29.11.1991 wirksam (Koppensteiner aaO; Reich/Rohrwig aaO 743). Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, daß der Mietgegenstand ca drei Monate vor dem Wirksamwerden der Verschmelzung der übernehmenden Gesellschaft weitergegeben wurde. Wäre eine Übergabe des Bestandobjekts erst nach Wirksamwerden der Verschmelzung erfolgt, dann wäre auch keine Weitergabe im Sinne des § 30 Abs 2 Z 4 MRG erfolgt (vgl Ostheim, Unternehmensveräußerung und Mietzinserhöhung, JBl 1993, 77 ff [82]). Fraglich ist daher, ob die Erstbeklagte zum Zeitpunkt der Weitergabe einen dringenden Bedarf an dem Mietgegenstand im Sinne des § 30 Abs 2 Z 4 MRG gehabt hat. Ein solcher dringender Bedarf in der Person einer Kapitalgesellschaft als Mieterin liegt im Hinblick auf die Wirkung der Gesamtrechtsnachfolge bei der Verschmelzung von Kapitalgesellschaften auch dann vor, wenn in gesicherter Weise angenommen werden kann, daß Mieterin und Dritter in absehbarer Zeit nach den Bestimmungen für die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften miteinander verschmolzen werden, die ursprüngliche Mieterin sodann also in der übernehmenden Gesellschaft fortbesteht. Diese Zukunftsprognose ist - worauf die Revision zutreffend verweist - auf den Zeitpunkt der Weitergabe des Mietgegenstandes abzustellen, so daß auf spätere, damals nicht absehbare Änderungen nicht Bedacht zu nehmen ist; es kommt dabei nicht so sehr auf den Zeitraum als auf die gesicherte Zukunftsprognose an (Würth in Rummel, ABGB2 Rz 26 zu § 30 Abs 2 Z 4 MRG). Das Erstgericht hat hiezu keinerlei Feststellungen getroffen. Die für einen solchen Bedarf beweispflichtige Beklagte hat aber vorgetragen, daß die Verschmelzung bereits zum Zeitpunkt des Erwerbs sämtlicher Geschäftsanteile an der Erstbeklagten durch die S***** GmbH im Jahr 1990 beabsichtigt war und die Erstellung der Verschmelzungsverträge "bereits lange vor Zustellung der Kündigung" in Auftrag gegeben worden sei. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht daher die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben. Aus dem Umstand, daß der Verschmelzungsvertrag zwei Tage nach Zustellung der Aufkündigung (22.10.1991) geschlossen wurde, kann noch nicht auf das Bestehen oder Nichtbestehen einer Verschmelzungsabsicht im Zeitpunkt der Übernahme des Bestandobjektes geschlossen werden. Nur dann also, wenn die Verschmelzungsabsicht schon im Zeitpunkt der Weitergabe des Bestandobjektes bestanden hat, könnte der dringende Bedarf der Erstbeklagten bejaht werden.

Sollte sich im weiteren Verfahren herausstellen, daß die Erstbeklagte schon im Zeitpunkt der Weitergabe einen dringenden Bedarf an dem Bestandgegenstand im vorstehenden Sinn gehabt hat, dann bedarf es aber auch noch der Klärung, ob die Parteien des Verschmelzungsvertrages - wie die Klägerin behauptet hat - mit dem Verschmelzungsvertrag nur den Zweck verfolgt haben, den Kündigungstatbestand zu verschleiern. Zu prüfen ist daher, ob diese Parteien durch die Art der Gestaltung des Rechtsgeschäftes bloß die Anwendung des gesetzlichen Kündigungstatbestandes des § 30 Abs 2 Z 4 MRG vermeiden wollten. Die - auch mit einer Verschmelzung im Sinne des § 96 GmbHG verbundene - Veräußerung eines Unternehmens und die damit verwirklichte Überlassung der Benützung der Räumlichkeiten an einen Dritten kann den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 MRG herstellen, wenn die Veräußerung lediglich den Zweck verfolgt, dem Erwerber die Ausnützung der Bestandrechte zu ermöglichen (MietSlg 40.444; MietSlg 40.453). Steht die selbständige Verwertung des Bestandrechtes im Vordergrund einer Transaktion, dann unterliegt sie - als Umgehungsgeschäft - denjenigen Rechtsnormen, die auf das in Wahrheit beabsichtigte Rechtsgeschäft anzuwenden sind (Krejci in Rummel aaO Rz 37 zu § 879; Koziol/Welser I9, 145). Auf eine spezielle Umgehungsabsicht kommt es dabei nicht an (Krejci aaO Rz 40 zu § 879); es genügt vielmehr, daß im wesentlichen nur über die Bestandrechte verfügt wurde.

Im vorliegenden Fall kommt es daher auch noch darauf an, welche Vermögenswerte der Erstbeklagten durch den Verschmelzungsvertrag auf die übernehmende Gesellschaft übertragen wurden. Bildeten die Bestandrechte ausschließlich oder im wesentlichen das Vermögen der Erstbeklagten, dann wurde der Kündigungstatbestand verwirklicht.

Sollte die Erstbeklagte den Kündigungsgrund gemäß § 30 Abs 2 Z 4 MRG gesetzt haben, wäre aber auch noch zu prüfen, ob und wie weit die Zweitbeklagte das Bestandobjekt benützt. Allenfalls kommt es dann auch noch im Sinne des ebenfalls geltend gemachten Kündigungsgrundes des zweiten Falles des § 30 Abs 2 Z 4 MRG darauf an, ob der Mietgegenstand nur teilweise gegen eine unverhältnismäßig hohe Gegenleistung verwertet wurde.

In Stattgebung der Revision waren daher die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben. Die Rechtssache war aus Gründen der Zweckmäßigkeit an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, daß die ursprünglich als Erstbeklagte in das Verfahren gezogene Partei während des Verfahrens in der S***** GmbH aufgegangen ist, diese also die Gesamtrechtsnachfolgerin der ursprünglich erstbeklagten Partei geworden ist. Im Falle der Gesamtrechtsnachfolge tritt der Erwerber aber auch in einen bestehenden Prozeß seines Vorgängers ein, welcher im Fall der anwaltlichen Vertretung der davon betroffenen (untergehenden) Partei auch nicht unterbrochen wird (Gitschthaler in Rechberger, ZPO, Rz 5 zu § 157 ZPO; Koppensteiner aaO Rz 23 zu § 96 GmbHG; SZ 13/261; GesRZ 1988, 49). Aus diesem Grunde war die Parteienbezeichnung der Erstbeklagten richtigzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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