OGH 7Ob63/11g

OGH7Ob63/11g18.5.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Markus S*****, vertreten durch Dr. Horst Brunner und andere Rechtsanwälte in Kitzbühel, gegen die beklagte Partei V***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Helmut Gruber, Rechtsanwalt in St. Jakob in Haus, wegen 30.000 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 17. Februar 2011, GZ 4 R 456/10b-16, womit die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Kitzbühel vom 6. Oktober 2010, GZ 3 C 445/09t-12, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Alle Versicherungsangelegenheiten des Klägers wurden und werden von der beklagten Versicherungsmaklerin abgewickelt.

Der Kläger wollte im November 2002 eine Unfallversicherung abschließen. Dazu wandte er sich an die Beklagte, die am 26. 11. 2002 einen entsprechenden Versicherungsantrag an einen Unfallversicherer übermittelte. Der Versicherungsantrag wurde von der Beklagten ausgefüllt. Es wurden drei Vorunfälle angemerkt, wobei die Beklagte weitere Angaben zum Unfallhergang oder zur Art der Verletzung nicht festhielt. Im Formular wurden keine Fragen gestellt, ob der Kläger allfällige Risikosportarten (wie beispielsweise Mountainbiken) betreibt. Das vorbereitete Antragsformular übermittelte die Beklagte dem Kläger, der es unterzeichnete und an die Beklagte zurückschickte. Diese leitete es über die F***** AG an den Unfallversicherer weiter.

Ende April 2003 wollte der Kläger an einem Mountainbike-Rennen teilnehmen. Am 25. 4. 2003 kam er bei der Besichtigung der Strecke zu Sturz. Dabei zog er sich eine Schulterverletzung zu, die eine 5%ige Invalidität des Armwerts zur Folge hatte. Im Unfallszeitpunkt war der Kläger beim Unfallversicherer versichert. Der Unfallversicherungsvertrag sah für eine 5%ige Dauerinvalidität des Armwerts eine Versicherungsleistung von 30.000 EUR vor.

In einem Vorverfahren begehrte der Kläger vom Unfallversicherer die Zahlung von 30.000 EUR. Die (nunmehrige) Beklagte trat dem Verfahren als Nebenintervenientin auf Seite des Klägers bei. Mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 2. 5. 2006 wurde das Klagebegehren abgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung des Klägers gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Urteil vom 6. 10. 2006 keine Folge. Es führte zusammengefasst aus, dass der Geschäftsführer der Beklagten das Antragsformular unvollständig ausgefüllt habe. Gegenüber der Unfallversicherung seien wichtige gefahrenerhöhende Umstände nicht angeführt worden. Insbesondere sei die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit (extremes und professionelles Ausüben des Mountainbike-Sports) und der Umstand, dass es im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit bereits Vorunfälle gegeben habe, verschwiegen worden. Diese Vorunfälle sowie die sportlichen Aktivitäten des Klägers hätten im Versicherungsvertrag angeführt werden müssen. Dies wäre durch Anfügung eines Beiblatts an das Formular möglich gewesen. Die außerordentliche Revision des Klägers wurde vom Obersten Gerichtshof zu 7 Ob 36/07f zurückgewiesen.

Der Kläger begehrte von der Beklagten die Zahlung von 30.000 EUR sA und brachte zusammengefasst vor, der Beklagten sei bekannt gewesen, dass er die Sportart Mountainbiken betreibe. Sie hätte diesen Umstand im Unfallversicherungsantrag anmerken müssen. Das Antragsformular sei somit unvollständig ausgefüllt worden. Aus diesem Grund sei für den Kläger infolge der entgangenen Versicherungsleistung ein Schaden in der Höhe des Klagebegehrens entstanden.

Die Beklagte wendete zusammengefasst ein, das Antragsformular sei ausreichend ausgefüllt worden. Sie habe zwar Kenntnis davon gehabt, dass der Kläger Mountainbike fahre, jedoch nicht gewusst, dass er diese Sportart rennmäßig ausübe. Diesen Umstand hätte der Kläger offenlegen müssen. Sollte sie ein Verschulden treffen, wäre dem Kläger zumindest ein erhebliches Mitverschulden anzulasten. Zudem wäre er gar nicht versicherbar gewesen, wenn er seine sportlichen Aktivitäten gegenüber diversen Unfallversicherern mitgeteilt hätte.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte noch folgenden Sachverhalt fest:

Bereits vor Abschluss der Unfallversicherung zog sich der Kläger bei Mountainbike-Unfällen mehrmals schwere Verletzungen zu. Alle Unfälle wurden über die Beklagte abgewickelt. Der Beklagten war im Zeitpunkt des Ausfüllens des Antragsformulars bekannt, dass der Kläger an Mountainbike-Rennen teilnimmt. Der Kläger begann im Jahr 1996/1997, an Hochgeschwindigkeitsrennen (Downhill-Rennen) teilzunehmen. Zwischen 1997 und 2007 fuhr er kein vergleichbares Rennen mehr. „Ansonsten“ nahm er wettkampfmäßig an diversen „normalen Mountainbike-Rennen“ teil.

Selbst wenn der Unfallversicherer den Abschluss des Vertrags mit dem Kläger abgelehnt hätte, weil dieser wett-(kampf-)mäßig an Mountainbike-Rennen teilnimmt, wäre es dem Kläger möglich gewesen, zu in etwa gleichen finanziellen Bedingungen bei anderen Versicherungsanstalten eine Unfallversicherung zu „lukrieren“.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, die Beklagte habe infolge ihrer Versäumnis, die Mountainbike-Tätigkeit anzuführen, für einen Sorgfaltsverstoß einzustehen. Ein Mitverschulden des Klägers liege nicht vor, weil der Beklagten bekannt gewesen sei, dass der Kläger wettbewerbsmäßig an Mountainbike-Rennen teilnehme. Zudem habe der Kläger bereits mehrere Jahre vor dem Abschluss des Unfallversicherungsvertrags an keinen Hochgeschwindigkeitsrennen mehr teilgenommen. Ihn habe daher auch keine Verpflichtung getroffen, seine Teilnahme an Hochgeschwindigkeitsrennen gegenüber der Beklagten offen zu legen. Wegen des im Vorverfahren aufgezeigten Sorgfaltsverstoßes der Beklagten sei diese verpflichtet, dem Kläger Ersatz für die ihm entgangene Versicherungsleistung zu zahlen.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Berufungsgericht die dagegen erhobene Berufung der Beklagten als unzulässig zurück. Die allein geltend gemachte Rechtsrüge sei nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sie nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgehe. Das Erstgericht habe nicht festgestellt, dass der Kläger Mountainbiken hobbymäßig betreibe, sondern dass er im Jahr 1996/1997 an Hochgeschwindigkeitsrennen und zwischen 1997 und 2007 wettkampfmäßig an diversen „normalen Mountainbike-Rennen“ teilgenommen habe. Unrichtig sei, dass das Erstgericht keine Feststellungen dazu getroffen habe, ob und gegebenenfalls welche Mountainbike-Rennen der Kläger seit dem Jahr 1997 bestritten habe. Die rechtliche Überlegung der Beklagten, wonach sie lediglich verpflichtet gewesen wäre, ihr bekannte oder erkennbare besondere Risiken bekanntzugeben und eine solche Verpflichtung im vorliegenden Fall nicht gegeben gewesen sei, weil solche Risiken im Zeitpunkt der Antragstellung nicht vorgelegen wären, gehe nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Die Beklagte habe im Zeitpunkt des Ausfüllens des Antragsformulars gewusst, dass der Kläger an Mountainbike-Rennen teilnehme. Darauf und auf die Tatsache, dass der Kläger wettkampfmäßig an Moutainbike-Rennen teilgenommen habe, habe das Erstgericht den Sorgfaltsverstoß der Beklagten gestützt und nicht auf die Tatsache, dass der Kläger Hochgeschwindigkeitsrennen (Extremsport) ausgeübt habe.

Gegen diesen Zurückweisungsbeschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss des Berufungsgerichts aufzuheben und diesem die Entscheidung über die Berufung in der Sache aufzutragen.

Der Kläger beantragt - im hier zweiseitigen Rekursverfahren vor dem Obersten Gerichtshof (RIS-Justiz RS0098745 [T21] = 3 Ob 45/10d; 8 ObA 44/10v; 7 Ob 41/11x) -, dem Rekurs keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig, weil gegen den Beschluss, mit dem das Berufungsgericht eine Berufung ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückweist, gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO der Rekurs ohne Rücksicht auf den Wert des Entscheidungsgegenstands zweiter Instanz und auf das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage erhoben werden kann (RIS-Justiz RS0043893; RS0098745); er ist auch berechtigt.

Die Beklagte hat in der Berufung argumentiert, dass sie als Versicherungsmaklerin verpflichtet sei, den Versicherer bei der Vertragsanbahnung über ihr bekannte oder erkennbare besondere Risiken zu informieren. Im Vorverfahren sei die Klage des Klägers gegen den Unfallversicherer im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen worden, dass der Kläger bewusst die Ausübung einer Extremsportart (Hochgeschwindigkeitsbiken) verschwiegen habe. Nach den erstgerichtlichen Feststellungen sei der Kläger zum Zeitpunkt der „Antragstellung“ keine Hochgeschwindigkeitsrennen mehr gefahren. Keine Feststellungen seien getroffen worden, ob und gegebenenfalls welche Mountainbike-Rennen der Kläger seit dem Jahr 1997 bestritten habe. Nach den allgemein gehaltenen Feststellungen des Erstgerichts habe der Kläger lediglich an „normalen“ Mountainbike-Rennen teilgenommen, welche noch „kein signifikant höheres Verletzungsrisiko“ aufweisen würden. Das Fahren von Mountainbike-Rennen sei an sich keine Extremsportart; da besondere Risiken im Zeitpunkt der „Antragstellung“ nicht vorgelegen seien, habe sie auch keine Angaben zur Sportart „Mountainbiken“ machen müssen.

Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts hat die Beklagte den Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung insofern gesetzmäßig ausgeführt, als sie die Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens bekämpft. Sie hat ausgehend vom festgestellten Sachverhalt, wonach der Kläger zwischen 1997 und 2007 wohl keine Hochgeschwindigkeitsrennen (Downhill-Rennen) mehr gefahren sei, „ansonsten“ aber wettkampfmäßig an diversen „normalen Moutainbike-Rennen“ teilgenommen habe, ihre Verpflichtung zur Mitteilung der Teilnahme des Klägers an Moutainbike-Rennen gegenüber dem Unfallversicherer in Abrede gestellt, weil damit „kein signifikant höheres Verletzungsrisiko“ verbunden sei. Das Berufungsgericht hat das Argument der fehlenden „besonderen Risiken“ bei „normalen Moutainbike-Rennen“, über welche die Beklagte - nach ihrer Ansicht - den Unfallversicherer nicht informieren hätte müssen, zu Unrecht nicht als Rechtsrüge gewertet. In diesem Zusammenhang hat die Beklagte auch das Fehlen von konkreten Feststellungen zur Teilnahme des Klägers an „normalen Mountainbike-Rennen“ (im Gegensatz zur Extremsportart Hochgeschwindigkeits-/Downhill-Rennen) gerügt. Die Beklagte hat damit behauptet, dass zur Beurteilung ihrer Informationspflichten, die sie mangels „besonderer Risiken“ verneint, rechtserhebliche Feststellungen fehlen, also sekundäre Feststellungsmängel dahin aufgezeigt, welcher konkreten Art die pauschal als „normal“ bezeichneten Rennen waren. Diese sind nach ständiger Rechtsprechung mit Rechtsrüge geltend zu machen (Kodek in Rechberger³ § 471 Rz 6 mwN).

Die Frage, ob die Rechtsrüge berechtigt ist, ist für die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht maßgeblich und auch in diesem Rekursverfahren nicht zu prüfen. Davon, dass die Rechtsrüge der Beklagten überhaupt zur gesetzmäßigen Behandlung ungeeignet ist, kann jedenfalls nicht gesprochen werden. Daraus folgt, dass das Berufungsgericht das Rechtsmittel der Beklagten zu Unrecht zurückgewiesen hat. Diese Fehlbeurteilung muss zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses führen. Das Berufungsgericht wird über die Berufung der Beklagten inhaltlich zu entscheiden haben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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