OGH 7Ob62/69

OGH7Ob62/6930.4.1969

SZ 42/71

Normen

StVO §15
VersVG §23
StVO §15
VersVG §23

 

Spruch:

Keine Gefahrenerhöhung durch Verwendung eines hiefür nicht besonders ausgerüsteten PKW zu Übungszwecken.

Zur Frage, wann die Aufforderung an einen Fahrschüler, bei einer Übungsfahrt zu überholen, grob fahrlässig ist.

Entscheidung vom 30. April 1969, 7 Ob 62/69.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Das Erstgericht stellte im Sinne des Klagebegehrens fest, daß die beklagte Partei dem Kläger aus dem Versicherungsfall vom 27. November 1965 Versicherungsschutz zu gewähren habe. Es traf folgende Tatsachenfeststellungen: Christian S. hatte in einer Fahrschule bereits siebzehn bis zwanzig Fahrstunden sowie den gesamten theoretischen Unterricht zurückgelegt, um die Führerscheinprüfung abzulegen, als er im Herbst 1965 den Kläger bat, mit ihm eine Übungsfahrt mit dem bei der beklagten Partei kaskoversicherten PKW des Klägers durchzuführen. Der Kläger besorgte sich eine Anlerngenehmigung nach § 101 KFG. und machte mit S. eine Übungsfahrt auf trockener Fahrbahn. Am 27. November 1965 machten die beiden die zweite Übungsfahrt. Damals war die Fahrbahn naß. Der Kläger stellte fest, daß S. ein sehr zaghafter Fahrer war. Er ließ ihn aber Fahrzeuge, die mit etwa 30 km/h fuhren, überholen und die im Stadtgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit fahren. Auf der F.- Brücke war die Fahrbahn bereits abgetrocknet und nur noch an den Rändern feucht. S. fuhr hinter einem Kombibus, der mit etwa 30 bis 40 km/h fuhr. Der Kläger gab ihm die Weisung, den Kombibus zu überholen, was dieser auch tat. Gleichzeitig erhöhte aber auch der Fahrer des Kombibusses seine Geschwindigkeit auf 40 bis 50 km/h. S. war daher gezwungen seine Geschwindigkeit noch mehr zu erhöhen und befand sich nur wenig schneller als der Kombibus fahrend neben diesem, als er zu schleudern begann und gegen die Brückenkonstruktion prallte.

Die beklagte Partei lehnte einen Versicherungsschutz unter Hinweis auf ihre Leistungsfreiheit wegen Gefahrenerhöhung ab. Im Rechtsstreit machte sie überdies geltend, der Kläger habe den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, durch die Verwendung des Fahrzeuges als Übungsfahrzeug sei keine Gefahrenerhöhung herbeigeführt worden, weil der Gesetzgeber Fahrzeuge, die nicht wie Fahrschulwagen ausgerüstet seien, zu Übungsfahrten zulasse. Der Kläger habe den Unfall auch nicht grob fahrlässig herbeigeführt, denn er habe die Weisung zum Überholen in einem Zeitpunkt gegeben, zu dem er rechnen habe können, daß S. die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht überschreiten werde. Seine Verurteilung nach den §§ 335, 337 lit. a StG. besage noch nicht, daß er grob fahrlässig gehandelt habe.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Es übernahm die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes zur Gänze, bejahte aber sowohl eine grobe Fahrlässigkeit des Klägers als auch eine Gefahrenerhöhung. Es führte aus, auf Grund des Strafurteils stehe bindend fest, daß sich der Kläger vorher nicht ausreichend überzeugt habe, ob S. nach seinem Ausbildungsstand, seiner Fahrpraxis und der Straßenbeschaffenheit der Verkehrssituation gewachsen sei, obwohl er die Zaghaftigkeit des S. kannte. Es stehe auf Grund des Strafverfahrens auch fest, daß der Kläger vor der Aufforderung an S., den Kombiwagen zu überholen, die nassen und verschiedenen Beläge der Fahrbahn bemerkt hatte und ihm daher die Gefährlichkeit des Überholvorganges bekannt sein mußte. Wenn er trotzdem S. zum Überholen veranlaßte, liege darin eine grobe Fahrlässigkeit, dies umsomehr, als das Fahrzeug nicht fahrschulmäßig ausgestattet gewesen sei und der Kläger daher nicht korrigierend habe eingreifen können. Überdies sei der Kombiwagen im Unfallszeitpunkt mit etwa 50 km/h gefahren, der Kläger habe daher wissen müssen, daß der Wagen nur mit Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit überholt werden könne.

Es liege aber auch eine Gefahrenerhöhung im Sinne des § 23 VersVG. vor, denn der Kläger habe, ohne vorher die Zustimmung der Beklagten einzuholen, seinen Wagen als Schulfahrzeug verwendet, was der Beklagten bei Anwendung sachgemäßer und vernünftiger Versicherungstechnik Anlaß gegeben hätte, die Versicherung aufzuheben oder die Prämie zu erhöhen. Die Beklagte sei daher leistungsfrei.

Der Kläger bekämpft das Berufungsurteil wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen oder das Berufungsurteil aufzuheben und die Rechtssache an eines der Untergerichte zurückzuverweisen.

Infolge Revision der klagenden Partei stellt der Oberste Gerichtshof das Urteil des Erstgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht stützt seine Entscheidung in erster Linie auf grobe Fahrlässigkeit des Klägers und dadurch begrundete Leitungsfreiheit der Beklagten nach § 61 VersVG. Der Kläger wendete in dieser Richtung zunächst ein, die Beklagte könne diesen Umstand nicht mehr geltend machen, weil sie sich in ihrem Ablehnungsschreiben nicht darauf, sondern nur auf Gefahrenerhöhung nach § 23 VersVG. berufen habe.

Gemäß § 12 (3) VersVG. beginnt die Frist von sechs Monaten zur Erhebung der Klage gegen den Versicherer mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Versicherer den erhobenen Anspruch abgelehnt hat. Als Ablehnung ist jede Erklärung zu verstehen, die erkennen läßt, daß der Versicherer nicht bereit ist zu leisten. Das Gesetz verlangt also nicht, daß der Versicherer schon im Ablehnungsschreiben alle Ablehnungsgrunde anführt, und knüpft an die Unterlassung keine Rechtsfolgen im Sinne eines Ausschlusses der späteren Geltendmachung. Die Beklagte konnte sich daher noch im Rechtsstreit zur Begründung ihrer Leistungsfreiheit auch auf § 61 VersVG. stützen. Danach ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeiführt.

Der Kläger wurde im Strafverfahren rechtskräftig nach den §§ 335, 337 lit. a StG. verurteilt, weil er sich als Lehrender nicht vorher ausreichend überzeugte, ob S. nach seinem Ausbildungsstand, der Fahrpraxis mit dem PKW und der Straßenbeschaffenheit der Verkehrssituation, in die sich S. über seine Aufforderung begab, gewachsen sei. Gemäß § 268 ZPO. ist der Zivilrichter an dieses Erkenntnis gebunden, an die Begründung des Straferkenntnisses allerdings nur insoweit, als diese die Tatbestandsmerkmale der strafbaren Handlung enthält, wegen deren die Verurteilung erfolgte (SZ. XXIII 385, SZ. XVIII 182 u. a.). Allerdings hat der Zivilrichter den Grad der Fahrlässigkeit selbst zu prüfen. Er muß sein Verhalten, das zu einer Verurteilung nach § 335 StG. geführt hat, nicht schon deshalb allein als grob fahrlässig werten. Aus der Begründung des Strafurteiles ergibt sich, daß als Sachverhalt, der den strafbaren Tatbestand bildet, folgendes festgestellt wurde: Der Kläger forderte S. zum Überholen auf, obwohl er sah, daß die Fahrbahn verschiedene Beläge hatte, naß war und Straßenbahngeleise vorhanden waren. Er wußte, daß S. ein zaghafter Fahrer war und hatte sich nicht vergewissert, ob S. schon auf nasser Fahrbahn gefahren war. Da der VW-Bus mit 40 bis 50 km/h fuhr, mußte dem Kläger klar sein, daß beim Überholen die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h überschritten werden müsse, was angesichts der Fahrkenntnisse S.', seiner geringen Vertrautheit mit dem Fahrzeug und der Fahrbahnbeschaffenheit jedenfalls weit überhöht war. Durch seine Aufforderung, den VW-Bus zu überholen, hat er S. in eine Verkehrssituation gebracht, der dieser nicht gewachsen war, obwohl er wußte, daß er keine Möglichkeit habe, in das Fahrmanöver S.'

einzugreifen. Der Wagen kam zum Schleudern, weil er beim Überholen auf die nasse Straßenbahnschiene geriet. Es ist daher zu prüfen, ob dieses vom Strafgericht festgestellte Verhalten des Klägers als grob fahrlässig im Sinne des § 61 VersVG. zu bezeichnen ist. Eine grobe Fahrlässigkeit ist eine solche Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, die sich aus der Menge der auch für den Sorgsamsten nie ganz vermeidbaren Fahrlässigkeitshandlungen des täglichen Lebens als auffallende Sorglosigkeit heraushebt (SZ. XXV 32, EvBl. 1966 Nr. 520 u. a.).

Nach den Feststellungen des Erstgerichts, die vom Berufungsgericht übernommen wurden, begann der Lenker des VW-Kombiwagens, der bis dahin mit 30 bis 40 km/h gefahren war, seine Geschwindigkeit erst in dem Augenblick auf 40 bis 50 km/h zu erhöhen, als S. bereits zum Überholen ansetzte. Der Kläger gab S. die Weisung zu überholen in einem Zeitpunkt, als der Kombiwagen seine Geschwindigkeit noch nicht erhöht hatte, also noch mit 30 bis 40 km/h fuhr. Er konnte daher annehmen, daß S. ohne Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h werde überholen können. Daß dies dann nicht möglich war, kann nicht dem Kläger zur Last gelegt werden, es kann ihm aber auch nicht als Verschulden angelastet werden, daß er, als er feststellen konnte, der VW-Bus erhöhe seine Geschwindigkeit, S. nicht den Auftrag gab, zurückzubleiben, denn der Vorfall muß sich dann so schnell abgespielt haben, daß zu einer solchen Anweisung keine Möglichkeit mehr bestand. Es ist daher nur die Frage zu erörtern, ob im Hinblick auf die Straßen- und Verkehrsverhältnisse die Aufforderung des Klägers, den VW-Bus zu überholen, von vornherein als grob fahrlässig bezeichnet werden muß. Das ist zu verneinen. Nach den Feststellungen der Untergerichte war die Fahrbahn am Unfallsort nahezu trocken und nur noch an den Rändern feucht. S. war vorher schon wiederholt mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h im Stadtgebiet gefahren, zweifellos hat er auch schon Straßenbahngeleise überquert. Wenn auch die Aufforderung des Klägers, den VW-Bus zu überholen, im Hinblick auf die zaghafte Fahrweise S.' fahrlässig gewesen sein mag, so kann doch nicht von einer groben Fahrlässigkeit im oben dargelegten Sinn gesprochen werden. Das Berufungsgericht hat daher zu Unrecht eine Leistungsfreiheit der Beklagten nach § 61 VersVG. bejaht.

Da der Gesetzgeber die Verwendung von Fahrzeugen zu Übungsfahrten zuläßt, ohne zu fordern, daß diese Fahrzeuge hiefür besonders ausgerüstet sind, ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber in der Verwendung eines solchen Fahrzeuges zu Übungszwecken mit behördlicher Genehmigung eine Gefahrenerhöhung sieht. Nach dem AKB. muß vom Versicherer nicht die Einwilligung zur Verwendung eines Kraftfahrzeugs als Übungsfahrzeug eingeholt werden. Es ist in einem solchen Fall im Tarif auch keine Erhöhung der Prämie vorgesehen. Die Beklagte hat nicht behauptet, daß in dem mit dem Kläger abgeschlossenen Versicherungsvertrag die Einholung einer Erlaubnis zu Übungsfahrten und allenfalls eine Prämienerhöhung vorgesehen ist. Ein durch die Verwendung eines hiefür nicht eingerichteten Fahrzeuges als Übungsfahrzeug gegebenes höheres Risiko ist daher vom Versicherer in Kauf zu nehmen. Vom Berufungsgericht wurde daher auch eine Leistungsfreiheit im Sinne des § 25 (1) VersVG. zu Unrecht bejaht.

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