OGH 7Ob614/89

OGH7Ob614/896.7.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz, Dr.Warta, Dr.Egermann und Dr.Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*** Spedition Gesellschaft mbH, Mannheim, Güterhallenstraße 36, BRD, vertreten durch Dr.Wilhelm Grünauer, Dr.Wolfgang Putz und Dr.Wolfgang Boesch, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Paul H***, Transportunternehmer, Innsbruck, Goethestraße 12, vertreten durch Dr.Josef Klaunzer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Feststellung (Streitwert S 350.000 sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 8.März 1989, GZ 3 R 52/89-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 10.November 1988, GZ 9 Cg 397/87-15, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 12.977,40 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 2.162,90 an Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei, ein Speditionsunternehmen, wurde von der E*** S.R.L. in Mailand beauftragt, Waren im Wege einer Sammelladung von Italien nach Deutschland zu transportieren und zwar Keilriemen von Pirelli im Wert von DM 93.191,50 und Schrauben von Fontana im Wert von DM 99.797,35. Die klagende Partei beauftragte den Beklagten am 19.November 1986 mündlich als Frächter, wobei ihm die Ladung an diesem Tag von der E*** S.R.L. übergeben wurde. Am 20. November 1986 geriet der vom Beklagten gelenkte und mit den genannten Waren beladene LKW in der Nähe der Gemeinde Calcio in Italien unmittelbar nach einer Linkskurve über den Fahrbahnrand hinaus und kippte um, sodaß die Ladung auf dem an die Fahrbahn angrenzenden Feld verstreut wurde. Der Beklagte wurde schwer verletzt in das Krankenhaus von Bergamo eingeliefert, von dort aber am 21.November 1986 über eigenen Wunsch wieder entlassen. Daß der vom Beklagten gelenkte LKW durch einen überholenden LKW aus Fremdverschulden von der Fahrbahn abgedrängt worden sei, kann nicht festgestellt werden. Die Packstücke der Ladung wurden durch das Herausfallen aus dem LWK beschädigt, Schrauben und Keilriemen teilweise durcheinandergeworfen und auch teilweise verstreut. Die örtliche Polizei veranlaßte unmittelbar nach dem Unfall, daß die verstreute Ladung eingesammelt und in einem Hof in der Nähe der Unfallstelle verwahrt wurde. In welchem Umfang dabei Ladungsteile, die aus der Verpackung herausgefallen waren, nicht mehr eingesammelt oder noch vor dem Eintreffen der Polizei gestohlen wurden, kann nicht festgestellt werden. Am 24. oder 27.November 1986 wurde die Ladung abgeholt und bei der E*** S.R.L. eingelagert. Ob während der Zwischenlagerung weitere Waren verschwanden, kann nicht festgestellt werden. Ein Teil der Keilriemen im Gesamtgewicht von ca. 1.020 kg wurde am 20.Februar 1987 an Pirelli zurückgebracht; Fontana verweigerte die Rücknahme der Schrauben. Beide Unternehmen vertreten den Standpunkt, daß Totalschaden vorliege. Am 20.November 1987 verkaufte die E*** S.R.L. 7.210 kg Schrauben zu einem Kilopreis von Lit 90 als Schrott und erzielte einen Gesamtkaufpreis von Lit 649.900. Ob darüber hinaus noch Schrauben vorhanden sind und welchen Wert die noch vorhandenen Keilriemen und Schrauben haben, kann nicht festgestellt werden. Die E*** S.R.L. oder die Absender stellten an die klagende Partei Schadenersatzansprüche in der Höhe des vollen Warenwertes, Fontana darüber hinaus in der Höhe von DM 6.800,90. Die Schadenersatzansprüche wurden bisher nicht befriedigt.

Mit der am 4.Dezember 1987 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrt die klagende Partei die Feststellung der Haftung des Beklagten "für den Schaden an der Ladung laut Frachtbrief vom 19. November 1986 bzw für Aufwendungen im Zusammenhang damit" und brachte vor, der vom Beklagten gelenkte LKW sei aus unerklärlichen Gründen von der Fahrbahn abgekommen, dabei sei die Fracht fast völlig zerstört worden. Die klagende Partei habe ein Interesse an der Feststellung der Haftung des Beklagten, weil dieser den Anspruch der klagenden Partei mit Schreiben vom 9.April 1987 zurückgewiesen habe.

Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Er sei von einem überholenden PKW über den Fahrbahnrand gedrängt worden. Nicht die Ladung, sondern nur die Verpackung sei beschädigt worden. Ein Teil der Ladung sei während des Krankenhausaufenthaltes des Beklagten gestohlen worden; dafür sei der Beklagte nicht verantwortlich. Der Anspruch der klagenden Partei sei verjährt. Ein rechtliches Interesse an einem Feststellungsbegehren fehle, weil der klagenden Partei die Schadenshöhe bereits bekannt sei. Der geltend gemachte Schaden sei überhöht, weil die noch vorhandene Ware verwertet werden könne.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Die Streitteile hätten einen Vertrag über die entgeltliche grenzüberschreitende Beförderung von Gütern auf der Straße abgeschlossen, sodaß die CMR anzuwenden seien. Dem Beklagte sei der ihm nach Art.18 CMR obliegende Entlastungsbeweis nicht gelungen, sodaß ein Haftungsausschluß nach Art.17 CMR nicht vorliege. Die klagende Partei habe den Transport der Waren in der Form einer Sammelladung übernommen, sodaß sie nach § 413 Abs 2 HGB die Rechte und Pflichten eines Frachtführers habe. Sie hafte der E*** S.R.L. gegenüber somit im Rahmen der Bestimmungen der CMR. Der Beklagte sei ihr Erfüllungsgehilfe. Sie könne von ihm im Fall eines Schadens Rückersatz erst verlangen, wenn sie selbst den ihren Vertragspartnern entstandenen Schaden ersetzt habe. Da die klagende Partei ein rechtliches Interesse daran habe, zu klären, ob der beklagten Partei gegenüber ein Haftungsausschlußgrund vorliege, seien die Voraussetzungen für ein Feststellungsbegehren gegeben. Verjährung sei nicht eingetreten, weil die einjährige Verjährungsfrist des Art.32 CMR mit dem Ablauf einer Frist von drei Monaten nach dem Abschluß des Beförderungsvertrages zu laufen beginne.

Die zweite Instanz gab der Berufung des Beklagten teilweise Folge und stellte fest, daß die beklagte Partei der klagenden Partei für den Schaden an der Ladung laut Frachtbrief vom 19.November 1986 hinsichtlich des Transportes vom 19.November 1986 von Mailand-Vertuggio nach Woerthpfalz auf Grund des Unfalls bei Calcio, Bergamo, am 20.November 1987, ersatzpflichtig sei. Das uf Feststellung der Ersatzpflicht für Aufwendungen im Zusammenhang mit diesem Schaden gerichtete Mehrbegehren wies es - unbekämpft - ab. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, S 300.000 übersteigt, und daß der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstandes S 15.000 nicht übersteigt. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und teilte dessen rechtliche Beurteilung. Unter Ablieferung im Sinne des Art.32 Abs 1 lit a CMR sei die Übergabe nach Durchführung des vereinbarten Transports zu verstehen. Es sei der Ablieferung nicht gleichzusetzen, wenn sich der Auftraggeber eine nach einem Unfall in einem Feld verstreute Ladung abhole und sie zum Versendungsort zurückbringe. Der Beginn der Verjährungsfrist sei deshalb nach Art.32 Abs 1 lit b oder c CMR zu beurteilen, sodaß die am 4.Dezember 1987 eingelangte Klage jedenfalls vor Ablauf der Verjährungsfrist eingebracht worden sei. Den der Klage stattgebenden Teil der Berufungsentscheidung bekämpft der Beklagte mit Revision aus den Revisionsgründen der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, ihn im klageabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Als aktenwidrig bezeichnet es die Revision, daß das Berufungsgericht ohne nähere Feststellungen davon ausgehe, dem Beklagten sei der Beweis für das Vorliegen von Umständen im Sinne des Art.17 Abs 2 CMR nicht gelungen. Es schließe sich dabei offensichtlich den Ausführungen des Erstgerichtes an. Dieses stellte ausdrücklich fest, daß der Beklagte über den Fahrbahnrand geraten sei, woraufhin der LKW umkippte. Die dem Aktenvermerk der Carabinieri angeschlossene Unfallskizze zeige aber eindeutig, daß der LKW nicht neben die Fahrbahn geraten sei. In einem solchen Fall hätte er ja unmöglich zum größten Teil auf der Fahrbahn zum Liegen kommen können.

Die Aktenwidrigkeit ist aber nicht gegeben; die Revisionsausführungen sind vielmehr selbst aktenwidrig. Aus dem Bericht und der Unfallskizze der Carabinieri geht nämlich ganz unzweifelhaft und eindeutig hervor, daß der vom Beklagten gelenkte LKW - wie von den Vorinstanzen festgestellt wurde - unmittelbar nach einer Linkskurve von der Fahrbahn abgekommen, über den Fahrbahnrand geraten und außerhalb der Fahrbahn, auf einem Feld ("campo coltivato"), umgestützt ist. Es kann danach keine Rede davon sein, daß der LKW etwa "zum größten Teil auf der Fahrbahn zum Liegen" gekommen ist.

Unrichtig rechtlich beurteilt hat das Berufungsgericht die Sache nach Ansicht des Beklagten deswegen, weil es nicht zum Ergebnis gekommen sei, der Anspruch der klagenden Partei sei verjährt. Die klagende Partei habe nach dem Unfall über das Ladegut verfügt, und zwar durch Disposition über Verfrachtung und Einlagerung, sodaß der Beklagte gar nicht die Möglichkeit gehabt habe, es abzuliefern. Der Verjährungsbeginn sei deshalb nach Art.32 Abs 1 lit a CMR zu beurteilen.

Nach Art.32 Abs 1 CMR verjähren Ansprüche aus einer der CMR unterliegenden Beförderung - soferne nicht Vorsatz vorliegt - in einem Jahr. Die Verjährungsfrist beginnt

a) bei teilweisem Verlust, Beschädigung oder Überschreitung der Lieferfrist mit dem Tag der Ablieferung,

b) bei gänzlichem Verlust mit dem 30.Tag nach Ablauf der vereinbarten Lieferfrist oder, wenn eine Lieferfrist nicht vereinbart worden ist, mit dem 60.Tag nach der Übernahme des Gutes durch den Frachführer,

c) in allen anderen Fällen mit dem Ablauf einer Frist von drei Monaten nach dem Abschluß des Beförderungsvertrages. "Ablieferung" im Sinne des Art.32 Abs 1 lit a CMR ist der Vorgang, durch den der Frachtführer den Gewahrsam an dem beförderten Gut im Einvernehmen mit dem Empfänger aufgibt und diesen in den Stand setzt, die tatsächliche Gewalt über das Gut auszuüben. Der Ablieferungsvorgang ist also abgeschlossen, wenn ein Verhältnis hergestellt wird, das dem zur Entgegenahme bereiten Empfänger die Einwirkungsmöglichkeit auf das Gut einräumt. Wie die Übernahme ist auch die Ablieferung ein zweiseitiger Akt, sie bedarf der Mitwirkung des Empfängers (Heuer, Die Haftung des Frachtführers nach der CMR, 65).

Zu einer Ablieferung in diesem Sinn ist es nicht gekommen und konnte es nach dem Unfall des Beklagten auch nicht mehr kommen, weil ein zur Entgegennahme des beförderten Gutes bereiter Empfänger nicht mehr vorhanden war. Dem Beklagten wurde daher durch die Sicherung des noch vorhandenen Gutes durch die klagenden Partei keineswegs die Möglichkeit der Ablieferung genommen. Mit Recht haben deshalb die Vorinstanzen den Eintritt der Verjährung nach Art.32 Abs 1 lit b und c CMR geprüft. Daß danach aber Verjährung nicht angenommen werden kann, wird vom Beklagten nicht in Frage gestellt.

Der Revision war deshalb ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.

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