OGH 7Ob611/95

OGH7Ob611/9517.7.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Peter P*****, vertreten durch Dr.Franz-Christian Sladek und Dr.Michael Meyenburg, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Dr.Johannes M*****, vertreten durch Dr.Erhard Hanslik, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 77.460,- s.A, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 15.Mai 1995, GZ 35 R 183/95-15, mit dem das Urteil des Bezirksgerichtes Döbling vom 16. Dezember 1994, GZ 6 C 1282/94g-7, abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Unstrittig ist, daß der Kläger vom Beklagten am 4.7.1991 Anteile des Hauses Wien 1., L*****straße 18, mit denen das Wohnungseigentum an der Wohnung top ***** verbunden ist, erworben hat. Bei der ersten Besichtigung dieser Wohnung hat der Beklagte dem Kläger einen Plan zur Verfügung gestellt, aus dem erkennbar ist, daß dieser mit den tatsächlichen Gegebenheiten im Bereich des Badezimmers/ WCs deshalb nicht übereinstimmt, weil die dort ausgewiesene Zwischenwand zwischen diesen beiden Räumen entfernt worden war. Dieser Umstand war beiden Parteien bei der Besichtigung und den Verkaufsgesprächen durchaus bewußt, die Tatsache, daß diese bauliche Änderung ohne entsprechende Baubewilligung durchgeführt worden war, aber nicht. Im übrigen wirkte sich dieser Umstand nicht weiter auf die Verhandlungen aus und es wurde auch deswegen kein besonderer Preisnachlaß vom Beklagten gewährt. Die Tatsache, daß die Zusammenlegung von Bad und WC ohne baupolizeiliche Genehmigung durchgeführt worden war, wurde dem Kläger erst ca. einen Monat nach Vertragsabschluß im Rahmen einer von ihm veranlaßten Renovierung und dem damit verbundenen Umbau der Wohnung bekannt, als um baupolizeiliche Genehmigung der neuerlichen Wohnungsumbauten bei der MA 37 angesucht wurde. Der Versuch einer nachfolgenden baupolizeilichen Genehmigung des Zustandes scheiterte, da die jetzt bestehende Einheit Bad/WC gemäß der derzeit geltenden Wiener Bauordnung unzulässig ist. Um einen konsensmäßigen Zustand herzustellen, mußte die Trennwand zwischen Bad und WC wieder errichtet, eine Tür verlegt und eine andere Tür neu eingebaut werden, wodurch dem Kläger Kosten derzeit noch ungewisser Höhe entstanden.

Punkt II Abs 1 des Kaufvertrages lautet:

"Der Verkäufer verkauft und übergibt an den Käufer und dieser kauft und übernimmt vom ersteren die in Punkt I.1 beschriebenen Liegenschaftsanteile, mit denen das Wohnungseigentum an der Wohnung ***** untrennbar verbunden ist, mit allem rechtlichen und faktischen Zubehör, so wie sie liegen und stehen, mit allen Rechten, Befugnissen und Pflichten, wie sie der Verkäufer bisher besessen und benützt hat oder zu besitzen und zu benützen berechtigt war (einschließlich eines Kellerabteiles im Ausmaß von 6 m2) zum vereinbarten und angemessenen Kaufpreis........... ."

Der Kläger begehrte den Betrag von S 77.460,- sA und brachte vor, daß er nach Abschluß des Kaufvertrages die Vornahme von Änderungen in der Wohnung ohne baubehördliche Bewilligung festgestellt habe. Zur Herstellung des konsensmäßigen Zustandes im Zuge der Renovierung seien ihm Kosten in der Höhe des genannten Betrages entstanden, für welche der Beklagte aus dem Titel der Gewährleistung und des Schadenersatzes hafte. Der Beklagte habe auch versucht, beim Kläger den Eindruck zu erwecken, daß der tatsächliche Zustand - insbesondere die Einbeziehung des WCs in das Bad - der konsensmäßigen Situation entspreche, sodaß der Klagsanspruch auch auf die Irrtumsanpassung gemäß § 872 letzter Satz ABGB gestützt werde.

Der Beklagte beantragte die Klagsabweisung. Er gestand zu, daß der tatsächliche Bauzustand der Wohnung nicht dem konsensmäßigen entsprochen habe. Dieser Umstand sei neben anderen Grund für einen Preisnachlaß von S 500.000,- gewesen. Im übrigen habe der Kläger den Kaufvertrag selbst verfaßt, so daß allfällige undeutliche Formulierungen zu seinen Lasten gehen mußten.

Mit Zwischenurteil hat das Erstgericht die Klagsforderung als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkannt. Es gelangte rechtlich zum Ergebnis, daß beide Parteien beim Vertragsabschluß vom konsensmäßigen Zustand der Wohnung ausgegangen seien und damit ein beiderseitiger wesentlicher Geschäftsirrtum vorliege. Ein solcher wesent- licher Geschäftsirrtum vermittle jedoch kein unbeschränktes Wahlrecht zwischen Anfechtung und Vertragsanpassung, sondern nur ein Gestaltungsrecht auf Anfechtung des Vertrages, die der Kläger jedoch nicht anstrebe. Ob ein verschuldensabhängiger Schadenersatzanspruch vorliege, müsse nicht geprüft werden, weil der Kläger zum Ersatz des geforderten Betrages aus dem Titel der Gewährleistung berechtigt sei. Ein relevanter Gewährleistungsverzicht liege nicht vor, da sich der Punkt II des Kaufvertrages höchstens auf einen allfälligen Gewährleistungsausschluß für Sachmängel, nicht aber auch für Rechtsmängel beziehe und ein Gewährleistungsverzicht in Form der Aufgabe von Rechten im Zweifel restriktiv zu interpretieren sei.

Das Berufungsgericht änderte mit der angefochtenen Entscheidung

dieses Urteil in eine Klags- abweisung ab. Es erklärte die Revision

für zulässig. Das Berufungsgericht teilte die Rechtsansicht des

Erstgerichtes, es liege ein beiderseitiger wesentlicher

Geschäftsirrtum vor, der nur zu einer Vertragsanfechtung im Sinne des

§ 871 Abs 1 ABGB, nicht aber zur vom Kläger begehrten

Vertragsanpassung nach § 872 ABGB führe. Der Kläger könne sich auch

nicht auf Schadenersatz berufen, weil er kein konkretes Vorbringen

erstattet habe, aus dem ein Verschulden des Beklagten abzuleiten

wäre. Der Kläger habe den Beklagten um einen Plan, nicht aber um

einen baubewilligten Plan ersucht. Die Klagsbehauptung, daß der

Beklagte den Eindruck erweckt habe, der tatsächliche Zustand

entspreche dem Baukonsens, reiche in dieser Allgemeinheit zur Annahme

eines Verschuldens nicht aus. Der Kläger könne sein Begehren aber

auch nicht auf Gewährleistung stützen, weil er mit der von ihm selbst

als Vertragsverfasser gewählten Formulierung "............ mit allem

rechtlichen und faktischen Zubehör, so wie sie liegen und stehen, mit

allen Rechten, Befugnissen und Pflichten, wie sie der Verkäufer

bisher besessen und benützt hat oder zu besitzen und zu benützen

berechtigt war ............." auch auf Gewährleistung für

Rechtsmängel verzichtet habe. Es möge sein, daß die Formulierung

".............. oder zu besitzen und zu benützen berechtigt war"

einen Widerspruch begründe oder undeutlich sei; eine solche Undeutlichkeit gehe aber gemäß § 915 ABGB zu Lasten des Klägers.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision des Klägers ist berechtigt.

Mit einem Rechtsmangel ist eine Sache behaftet, wenn der Veräußerer nicht die geschuldete Rechtsposition verschafft, so zB durch das Fehlen der baubehördlichen Genehmigung für das gekaufte Gebäude. Rechtsmängel sind wie Sachmängel zu behandeln (vgl Reischauer in Rummel ABGB2 § 922, 923 Rz 8 mwN). Nach § 929 ABGB kann auf Gewährleistung allerdings nur wenn dies ausdrücklich geschieht, verzichtet werden. "Ausdrücklich" bedeutet wie in § 928 ABGB nichts anderes, als daß ohne Vorliegen besonderer Umstände nicht auf Verzicht zu schließen ist (vgl Reischauer aaO § 929 Rz 4). Ein Gewährleistungsverzicht ist als Aufgabe von Rechten im Zweifel restriktiv zu interpretieren (vgl JBl 1987, 383 = NZ 1987, 204).

Vertragsformulierungen wie die vorliegende "............... mit allem

rechtlichen und faktischen Zubehör, so wie sie liegen und stehen, mit

allen Rechten, Befugnissen und Pflichten, wie sie der Verkäufer

bisher besessen und und benützt hat oder zu besitzen und zu benützen

berechtigt war ..........." bedeuten nur den Verzicht auf die

Geltendmachung erkennbarer Mängel (vgl Reischauer aaO § 929 Rz 2 mwN). Da keine ins Auge fallende, das heißt für jedermann bei entsprechender Sorgfalt erkennbare Konsenswidrigkeit der Wohnung vorlag, wäre eine solche dem Kläger, auch wenn er Rechtsanwalt ist, nicht als erkennbar zuzurechnen. Welche Bauvorschriften zur Zeit der Erbauung des gegenständlichen Hauses, in dem sich die Eigentumswohnung befindet, in Geltung standen, hätte dem Kläger nur bei einer Akteneinsicht bei der Baupolizei erkennbar werden können. Eine derartige Maßnahme vom Käufer zu fordern, würde den Begriff der Augenfälligkeit überspannen (vgl Reischauer aaO § 928 Rz 1).

Entgegen der Rechtsansicht des Berufungs- gerichtes ist daher nicht von einem Verzicht des Klägers auf Rechtsmängel auszugehen.

Von beiden Vorinstanzen unberücksichtigt blieb aber die Frage, ob überhaupt ein ins Gewicht fallender Mangel bzw Irrtum vorliegt. Ob sich eine Wohnung in einem konsenswidrigen Zustand befindet oder nicht, ist eine quaestio mixta. Zur Tatfrage gehört die Feststellung der den Sachverhalt bildenden Tatsachen einschließlich aller Schlußfolgerungen; zur Rechtsfrage gehört die Anwendung jeder Rechtsnorm samt der für ihre Anwendung notwendiger- weise vorausgesetzten Erfahrungssätze (einschließlich der Denkgesetze) und allgemeinen Rechtsbegriffe sowie sämtliche rechtlichen Schlußfolgerungen aus dem festgestellten Sachverhalt, wie zB die Werturteile, daß ein Verschulden, ein Irrtum, ein erheblicher Mangel, ein wichtiger Grund udgl vorliegt. Hat der Gesetzgeber das konkrete tatsächliche Element so weit in die Rechtsnorm eingebaut, daß die Tatfrage nicht nur das Beurteilungsobjekt der Rechtsnorm ist, sondern in diese selbst eingeht und ihr erst Anwendbarkeit verleiht, dann liegt eine gemischte Frage vor (vgl Kodek in Rechberger ZPO § 498 Rz 2).

Bei der "Feststellung" des Erstgerichtes, daß die Einheit von Bad und WC, die zur Zeit des Vertragsabschlusses bestanden hat, nach der Wiener Bauordnung in der derzeit geltenden Fassung unzulässig ist, handelt es sich demnach auch um eine - möglicherweise unzutreffend gelöste - Frage der rechtlichen Beurteilung. Es wurde weder geprüft, ob zu jener Zeit, da die Trennmauer zwischen Bad und WC entfernt (oder gar nicht errichtet?) wurde, eine dem entgegenstehende Bauvorschrift bestanden hat oder doch eine entsprechende Genehmigung (in Form einer bloßen Anzeige? vgl hiezu die Ausführungen in der Berufung des Beklagten gegen die Entscheidung des Erstgerichtes) erfolgt ist, noch auch, ob die Unterbringung von Bad und WC in getrennten Räumen nach der derzeit geltenden Wiener Bauordnung eine zwingende Vorschrift darstellt. In § 90 Abs 2 BO werden bei den Nebenräumen, die eine Wohnung im Wohnungsverband enthalten muß, eine Badegelegenheit (Badezimmer) und ein Abort getrennt angeführt, ohne daß allerdings daraus geschlossen werden müßte, daß es sich hiebei um zwei Räume handeln müsse. Zu beachten ist nämlich auch die Bestimmung des § 68 Abs 7 BO, wonach zur Vergrößerung des Raums zur Unterbringung des Badezimmers oder des Aborts Scheidewände auch dann entfernt werden dürfen, wenn dadurch diese Räume zusammengelegt werden und dadurch die Benützbarkeit der Wohnung für einen körperbehinderten Menschen verbessert wird - wobei dies (Anm 10 in Geuder-Hauer, Wiener Bauvorschriften2) abstrakt und ohne Rücksicht auf den Umstand zu verstehen ist, ob ein körperbehinderter Mensch einzieht oder nicht. Sollte daher der Kläger zur (Wieder-) Errichtung einer Scheidemauer zwischen dem Badezimmer und dem WC gar nicht verpflichtet gewesen sein, wäre ihm der Nachweis eines Mangels der gekauften Sache bzw das Vorliegen eines relevanten Irrtums mißlungen.

Die fehlenden Tatsachengrundlagen hat der Beklagte in seiner Berufung als Mangelhaftigkeit erkennbar gerügt (vgl AS 44 in ON 8). Das Berufungsgericht hat jedoch auf Grund einer unzutreffenden Rechtsansicht diese Mängelrüge nicht sachlich behandelt. Das Erstgericht hätte den für den behaupteten Rechtsmangel beweispflichtigen Kläger gemäß § 182 ZPO aufzufordern gehabt, den in dieser Form untauglichen Beweisantrag auf Einvernahme eines informierten Vertreters der Baupolizei über die Notwendigkeit der Wiederherstellung des früheren Zustandes in ein taugliches Beweisanbot durch Angabe einer ladungsfähigen Person zu verbessern.

Sollten aber die Vorinstanzen zum Ergebnis kommen, daß die Entfernung der Scheidewand zwischen Badezimmer und Abort eine nicht genehmigungsfähige Maßnahme darstellt, wäre zu prüfen, ob, allenfalls in welchem Ausmaß, das Klagebegehren aus dem Grund des § 872 ABGB, letzter Satzteil, berechtigt ist. Im Gegensatz zur Ansicht der Vorinstanzen vertritt der erkennende Senat die Ansicht, daß es sich bei dem Irrtum des Klägers keinesfalls um einen wesentlichen im Sinne des § 871 Abs 1 ABGB gehandelt hat, wäre doch der Vertrag ohne jeden Zweifel dennoch, wenn auch möglicherweise nicht mit dem genau gleichen Inhalt (demselben Kaufpreis), geschlossen worden (vgl Rummel2 Rz 1 zu § 872 ABGB). Auch ein gemeinsamer Irrtum rechtfertigt einen Anspruch auf angemessene Vergütung im Sinne des § 872 ABGB (EvBl 1975/125; MietSlg 31.088; Apathy in Schwimann, ABGB, Rz 2 zu § 872; vgl auch Rummel aaO Rz 18 zu § 871 - im Rahmen der Lehre von der Geschäftsgrundlage?).

Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher aufzuheben und dem Erstgericht aufzutragen, die Parteien zu tauglichen Beweisanträgen im Sinne der obigen Ausführungen anzuleiten und das Beweisverfahren in der aufgezeigten Richtung zu ergänzen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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