OGH 7Ob599/93

OGH7Ob599/9310.11.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** A.S., ***** Türkei, vertreten durch Dr. Hanspeter Egger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Margarete F*****, vertreten durch Dr.Gustav Teicht und Dr.Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 59.500 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 20.April 1993, GZ 12 R 30/93-27, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 4.November 1992, GZ 10 Cg 292/90-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.348,80 (darin enthalten S 724,80 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte hatte bei einem Reisebüro in Saalfelden für die Zeit vom 5.5.1990 bis 19.5.1990 eine Autobusreise durch die Türkei gebucht. In der ersten Woche dieses Urlaubs fand eine Rundreise statt, an die ein einwöchiger Badeaufenthalt anschloß. Die Betreuung der Reisegruppe in der Türkei erfolgte durch ein türkisches Reisebüro. Am letzten Tag der Rundreise, am 12.5.1990, wurde die Reisegruppe zu einer - im Reiseprogramm nicht besonders angegebenen - Besichtigung der Teppichfabrik der Klägerin gebracht. Die Reiseteilnehmer hatten die Möglichkeit, an dieser Besichtigung nicht teilzunehmen. Das Fabriksgelände liegt im Freilandgebiet. Zunächst wurden verschiedene Arbeitsgänge der Teppicherzeugung vorgeführt. Anschließend wurde den Reiseteilnehmern Tee serviert und die Möglichkeit geboten, Teppiche zu besichtigen. Der Beklagten gefiel ein an einer Wand aufgehängter Teppich; sie sagte zu ihrer Schwester, daß sie den Kaufpreis dieses Teppichs erfahren möchte. Darauf kam ein Verkäufer zur Beklagten und führte mit ihr in deutscher Sprache ein Verkaufsgespräch, in welchem er Art, Material und Größe des Teppichs sowie den Kaufpreis von S 69.000 bekanntgab. Da die Beklagte erklärte, daß sie sich einen derart teuren Teppich nicht leisten könne, reduzierte der Verkäufer den Kaufpreis auf S 60.000. Die Beklagte unterfertigte sodann ein von der Klägerin stammendes, in deutscher Sprache gehaltenes Kaufvertragsformular, in welchem ua die Beschreibung des Kaufgegenstandes, der Kaufpreis von S 60.000, die Zahlungsbedingungen (S 500 Anzahlung in bar, Überweisung der restlichen Anzahlung von S 9.500 bis 21.5.1990 und Zahlung des Restkaufpreises bei Lieferung) und die Lieferung des Teppichs an die Beklagte durch das Auslieferungslager der Klägerin in Österreich festgehalten wurden.

Weiters enthält der Kaufvertrag die Klausel: "Das Recht im Land des Kunden ist anwendbar". Um sicherzugehen, daß ihr auch der von ihr ausgewählte Teppich geliefert werde, markierte die Beklagte den Teppich auf seiner Unterseite mit dem Buchstaben "F".

Mit Schreiben vom 22.5.1990 erklärte die Beklagte der Klägerin unter Berufung auf das KSchG den Rücktritt vom Kaufvertrag. Die Klägerin lehnte diesen Rücktritt mit der Begründung ab, daß Rücktrittsvoraussetzungen nicht gegeben seien. Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 13.8.1990 mit, daß sie die Annahme des Teppichs verweigern werde.

Die Beklagte verdiente damals als Verkäuferin ca S 11.800 im Monat und bewohnte ein Zimmer im Hause ihres Bruders, wofür sie - einschließlich Verpflegung - S 3.500 zu zahlen hatte.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung des Restkaufpreises von S 59.500 sA. Mit der Erklärung, daß sie die Annahme des Teppichs verweigern werde, sei die Klägerin in Annahmeverzug geraten. Das Rücktrittsrecht stehe der Beklagten nicht zu, weil der Kauf des Teppichs aus Anlaß einer - im Rahmen einer Auslandsreise vorgenommenen - Besichtigung einer Teppichfabrik nicht im Rahmen einer "Werbefahrt, Ausflugsfahrt oder einer ähnlichen Veranstaltung" im Sinne des § 3 Abs 2 KSchG stattgefunden habe.

Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Die Besichtigung der Teppichfabrik der Klägerin sei in Zusammenwirken zwischen dem türkischen Reiseveranstalter und der Klägerin erfolgt. Die Beklagte habe sich beim Verkaufsgespräch nach der Besichtigung der Fabrik in der für Werbe- oder Ausflugsfahrten typischen Überrumpelungssituation befunden, in der sie sich zum Kauf eines Teppichs habe hinreißen lassen, den sie sich aufgrund ihres Einkommens gar nicht habe leisten können und den sie in ihrem kleinen Zimmer auch gar nicht auflegen könne. Das Vorhandensein eines Kaufvertragsformulars in deutscher Sprache bei der Klägerin zeige bereits, daß nicht die Besichtigung einer für das besuchte Land typischen Erzeugungsstätte, sondern der Verkauf von Waren im Vordergrund gestanden sei. Tatsächlich hätten die Verkäufer der Klägerin mit aller Überredungskunst versucht, Teppiche zu verkaufen. Die Beklagte habe keine Möglichkeit gehabt, sich dieser Situation zu entziehen.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Auf den vorliegenden Fall sei aufgrund der im Kaufvertrag schriftlich getroffenen Vereinbarung österreichisches Recht anzuwenden. Die Beklagte habe sich nur auf das Rücktrittsrecht des KSchG berufen; auf andere Vertragsaufhebungsgründe sei daher nicht einzugehen. Das Rücktrittsrecht gemäß § 3 Abs 2 KSchG fordere jedoch ua den Kauf im Zuge einer Werbefahrt oder sonst einer ähnlichen Veranstaltung. Mit dem Besuch einer Teppichfabrik mit anschließendem Teppichverkauf seien die für Werbe- oder Ausflugsfahrten typischen, psychischen Kaufzwang begründenden Elemente nicht verbunden. Im Vordergrund sei vielmehr der touristische Zweck gestanden, dem ausländischen Besucher eine für die besuchte Region typische Erzeugungsstätte zu zeigen. Den Reisenden sei es auch freigestanden, ob sie Teppiche erwerben wollen oder nicht; es habe auch die Möglichkeit bestanden, gar nicht an der Besichtigung der Fabrik der Klägerin teilzunehmen. Von einer Überrumpelung könne im vorliegenden Fall aber auch deshalb nicht die Rede sein, weil der Beklagten im Verkaufsgespräch die Herabsetzung des geforderten Kaufpreises gelungen sei.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Der Rücktrittstatbestand des § 3 KSchG stelle nicht auf das Merkmal tatsächlicher Überrumpelung ab. Zu prüfen sei vielmehr, ob im Rahmen der vorgenommenen Veranstaltung die mit Werbe- oder Ausflugsfahrten typische Überrumpelungssituation gegeben sei oder nicht. Mit Werbe- und Ausflugsfahrten habe der Gesetzgeber Veranstaltungen im Auge gehabt, bei denen eine - meist eintägige - Fahrt zu einer Sehenswürdigkeit zu einem außerordentlich günstigen Preis, der meist auch noch zusätzliche Leistungen, wie Verpflegung oder Werbegeschenke, umfasse, mit einer Werbeveranstaltung verbunden werde. Bei einer solchen Veranstaltung stehe der Verbraucher angesichts der ihm zu einem äußerst billigen Preis gebotenen Leistungen unter dem psychischen Druck, die angebotenen Waren zu erwerben. Eine zweiwöchige Urlaubsreise aber, bei der die Besichtigung von Sehenswürdigkeiten und ein Badeaufenthalt im Vordergrund gestanden seien, sei ihrer Art nach nicht eine solche Werbe- oder Ausflugsfahrt. Damit sei aber auch nicht die mit Werbe- oder Ausflugsfahrten typischerweise im Zusammenhang stehende Überrumpelungssituation verbunden gewesen. Von der Ausnützung einer situationsbedingten Unterlegenheit des Verbrauchers könne somit nicht die Rede sein. Tatsächlich habe aber auch die Möglichkeit bestanden, nicht an der Fabriksbesichtigung teilzunehmen. Die Beklagte sei auch nur deshalb in ein Verkaufsgespräch verwickelt worden, weil sie für einen konkreten Teppich Interesse gezeigt habe.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von der Beklagten erhobene Revision ist nicht berechtigt.

Die Anwendung österreichischen Rechts auf das mit einem türkischen Verkäufer geschlossene Geschäft ergibt sich im vorliegenden Fall schon aus der schriftlichen Vereinbarung der Streitteile im Kaufvertrag (§ 35 IPRG). Diese Rechtswahl ist auch nicht zum Nachteil der Beklagten im Sinne des § 41 Abs 2 IPRG getroffen worden. Ob sich die Anwendung österreichischen Rechts auch aus § 41 Abs 1 ergeben könnte, muß daher nicht beurteilt werden.

Gemäß § 3 Abs 2 KSchG besteht das für sogenannte "Haustürgeschäfte" durch § 3 Abs 1 KSchG eingeräumte Rücktrittsrecht des Verkäufers auch dann, wenn der Unternehmer oder ein mit ihm zusammenwirkender Dritter den Verbraucher im Rahmen einer Werbefahrt, einer Ausflugsfahrt oder einer ähnlichen Veranstaltung oder durch persönliches, individuelles Ansprechen auf der Straße in die vom Unternehmer für seine geschäftlichen Zwecke benützten Räume gebracht hat. Das Rücktrittsrecht nach § 3 KSchG bezweckt den Schutz des Verbrauchers vor Überrumpelung beim Vertragsabschluß, richtet sich also gegen Methoden der Geschäftsanbahnung, die darauf abzielen, am Vertragsabschluß Desinteressierte durch geschickte Ausnützung ihrer oft nur situationsbedingten Unterlegenheit zu unüberlegten Vertragsabschlüssen zu verleiten (Krejci in Rummel, ABGB2 Rz 1 zu § 3 KSchG; SZ 55/96). Der Rücktrittstatbestand stellt aber nicht auf das konkrete Merkmal der Überrumpelung im Einzelfall ab, sondern wurde - aus Gründen der Rechtssicherheit - formal konzipiert (Krejci aaO Rz 5 zu § 3 KSchG; Fischer-Czermak, Das KSchG und der Liegenschaftsverkehr, NZ 1991, 117). Dem Verbraucher wird das Rücktrittsrecht daher nicht in allen denkbaren Fällen einer Ungleichgewichtslage zugestanden; der Gesetzgeber hat es vielmehr auf Tatbestände beschränkt, die für unüberlegte, unter psychischem Druck zustandegekommene Geschäftsabschlüsse typisch sind (ImmZ 1993, 54; SZ 55/157); eine Ungleichgewichtslage allein rechtfertigt daher noch nicht die sinngemäße Anwendung des KSchG (SZ 55/157; SZ 57/152; 7 Ob 508/93).

Der typische Überrumpelungseffekt von Werbe- und Ausflugsfahrten liegt nicht darin, daß der Verbraucher vom Unternehmer überhaupt in dessen Geschäftsräume gebracht wird, sondern darin, daß ihm um relativ wenig Geld ein Ausflug, Verpflegung und zumeist auch noch ein Geschenk geboten werden, so daß es der Verbraucher dann als peinlich empfindet, von den ihm im Rahmen der anschließenden Werbeschau angebotenen Waren nichts zu erwerben (vgl Einem, Das Rücktrittsrecht nach § 3 KSchG 1979 - einige Erfahrungen mit Praxis und Judikatur, RZ 1983, 58). Eine solche Fahrt findet aber nicht statt, wenn im Rahmen einer - zu einem angemessenen Preis angebotenen - Urlaubsfahrt neben verschiedenen Fahrten zu Sehenswürdigkeiten auch eine Fahrt zur Besichtigung einer Produktionsstätte, bei der auch die dort erzeugten Waren gekauft werden können, geboten wird. Mangels einer mit Werbe- und Ausflugsfahrten typischerweise verbundenen Überrumpelungssituation kann die - im Rahmen einer Urlaubsreise vorgenommene - Besichtigung einer Erzeugungsstätte mit anschließendem Verkauf von Waren auch nicht als "ähnliche Veranstaltung" im Sinne des § 3 Abs 2 KSchG gewertet werden. Die Bewirtung der Reiseteilnehmer durch die Klägerin mit Tee allein kann den für Werbe- und Ausflugsfahrten typischen Kaufzwang nicht ersetzen. Die mit der Beförderung der Reiseteilnehmer zur Teppichfabrik verbundene Absicht, Waren zu verkaufen, kann ebenfalls keine Rolle spielen (vgl Krejci aaO Rz 16 zu § 3 KSchG). Soweit die Beklagte damit argumentiert, daß eine Überrumpelungssituation schon deshalb gegeben gewesen sei, weil sie - unter Berücksichtigung ihres niedrigen Einkommens und ihrer beengten Wohnverhältnisse - einen teuren und unpassenden Teppich gekauft habe, übersieht sie, daß es bei der vorzunehmenden Prüfung nur darauf ankommt, ob mit Veranstaltungen der konkret vorgenommenen Art typischerweise eine Überrumpelungssituation verbunden ist.

Da somit im vorliegenden Fall eine der im § 3 Abs 2 KSchG genannten Veranstaltung nicht vorliegt, kann sich die Beklagte auf dieses Rücktrittsrecht nicht berufen. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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