Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Das Verfahren wird eingestellt.
Text
Begründung
Gegen den Betroffenen brachte seine Ehefrau zu 2 C 94/90v des Erstgerichtes eine Klage auf Scheidung der Ehe ein. Der Familienrichter hatte Bedenken gegen die Prozeßfähigkeit des Betroffenen. Es habe sich der Verdacht einer epileptischen Erkrankung des Betroffenen ergeben, die allenfalls auch eine psychische Erkrankung oder geistige Behinderung zur Folge haben könnte.
Das Erstgericht bestellte nach Einleitung des Verfahrens über die Bestellung eines Sachwalters einen einstweiligen Sachwalter. Es lägen Anzeichen dafür vor, daß sich der Betroffene hinsichtlich der im Scheidungsverfahren zu setzenden Schritte nicht völlig im klaren sei.
Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig ist.
Nach der Auffassung des Rekursgerichtes ließen die vom Betroffenen im Scheidungsverfahren geäußerten Vermutungen der Ketzerei und Verschwörung gegen ihn das erforderliche Realitätsbewußtsein vermissen. In dem hinsichtlich der rechtlichen und vor allem der finanziellen Folgen mitunter besonders schwerwiegenden Ehescheidungsverfahren sei jedoch eine realitätsbezogene Verhaltensweise von besonderer Wichtigkeit. Die schon bei zwei Richtern entstandenen Zweifel, ob der Betroffene seine Angelegenheiten im Ehescheidungsverfahren ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen vermöge, rechtfertigten eine genauere Prüfung dieser Umstände, insbesondere auch durch Beiziehung eines Facharztes. Besonders schwerwiegende Anhaltspunkte hinsichtlich einer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung seien in diesem Verfahrensstadium im Hinblick auf die im Scheidungsverfahren konkret und unmittelbar drohenden Gefahren nicht erforderlich.
Der gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene ao Revisionsrekurs des Betroffenen ist zulässig, weil das Rekursgericht bei Beurteilung der Voraussetzungen für die Einleitung eines Verfahrens über die Bestellung eines Sachwalters von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (NRsp 1990/5) abweicht.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.
Nach § 236 AußStrG ist das Verfahren über die Bestellung eines Sachwalters für eine behinderte Person nach § 273 ABGB einzuleiten, wenn sie selbst die Bestellung eines Sachwalters beantragt oder, etwa aufgrund einer Mitteilung über die Schutzbedürftigkeit einer behinderten Person, begründete Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer solchen Bestellung vorliegen. Wie der Oberste Gerichtshof bereits klargestellt hat, müssen die Anhaltspunkte konkret und begründet sein und sich sowohl auf die psychische Krankheit oder geistige Behinderung als auch auf die Notwendigkeit der Sachwalterbestellung beziehen (NRsp 1990/5). Eine solche Notwendigkeit besteht dann, wenn die Person, die an einer psychischen Krankheit leidet oder geistig behindert ist, alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen vermag. Der Begriff Angelegenheiten ist hiebei umfassend zu verstehen, darunter fallen nicht nur Rechtsgeschäfte und Rechtshandlungen, sondern auch Prozesse und sonstige Behördenverfahren (Pichler in Rummel2 Rz 2 zu § 273). Eine Notwendigkeit zur Sachwalterbestellung besteht, wie sich aus § 273 Abs 2 ABGB ergibt, dann nicht, wenn sich der Betreffende in rechtlich einwandfreier Weise der Hilfe anderer zB durch Vollmachtserteilung udgl bedienen kann (vgl Pichler aaO Rz 3). Ist eine solche Hilfe anderer in ausreichendem Maße schon vor Einleitung des Verfahrens gewährleistet, fehlt die Notwendigkeit der Sachwalterbestellung zum Schutz der betroffenen Person und das Verfahren ist erst gar nicht einzuleiten.
Den Vorinstanzen ist darin beizupflichten, daß nach dem Inhalt der Eingaben des Betroffenen und seinen Äußerungen gewisse Anhaltspunkte für eine möglicherweise auch nur geringgradige psychische Erkrankung vorliegen. Es trifft auch zu, daß der Betroffene offensichtlich nicht in der Lage war, durch entsprechendes Sachvorbringen und durch zweckdienliche Anträge seine Interessen im Scheidungsverfahren wahrzunehmen. Insoweit war daher auch das Vorgehen des Familienrichters gerechtfertigt. Der Betroffene hat jedoch in der Folge die Verfahrenshilfe unter anderem durch Beigabe eines Rechtsanwaltes beantragt, die ihm im beantragten Umfang auch bewilligt wurde. Anhaltspunkte dafür, daß er nicht in der Lage wäre, die Tragweite der Vertretung durch einen frei gewählten oder durch einen zur Verfahrenshilfe bestellten Rechtsanwalt zu erfassen, liegen nicht vor. Desgleichen fehlt es an Anhaltspunkten, daß der Betroffene außerhalb des Bereiches des Scheidungsprozesses nicht in der Lage wäre, seine Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen. Auch das Rekursgericht geht davon aus, daß die Gefahr eines Nachteils nur in bezug auf das Scheidungsverfahren bestehe. Tatsächlich besteht diese Gefahr aber seit der Bestellung eines Verfahrenshelfers nicht mehr. Zutreffend ist in diesem Zusammenhang der Hinweis des Rechtsmittelwerbers, daß die Beigabe eines Rechtsanwaltes (nach der derzeitigen Sachlage) ausreicht, um die Gefahr eines Nachteils für ihn abzuwenden. Es fehlen demnach begründete Anhaltspunkte in bezug auf die Notwendigkeit der Sachwalterbestellung zum Schutz des Betroffenen. Fehlen solche Anhaltspunkte, ist das Verfahren einzustellen (NRsp 1990/5).
Demgemäß ist dem Revisionsrekurs Folge zu geben.
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