Spruch:
Dem Revisionsrekurs gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 13. März 1985, GZ 4 R 14/85-16, und dem Rekurs gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 13. März 1985, GZ 4 R 15/85-16, wird Folge gegeben.
Die angefochtenen Entscheidungen werden dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes vom 10. Juli 1984, ON 11, und das Endurteil des Erstgerichtes vom 16. Oktober 1984, ON 12, mit der Maßgabe, daß die Aufrechnungseinrede hinsichtlich der Gegenforderung von 'mehr als einer Million Schilling' zurückgewiesen wird, wiederhergestellt werden.
Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin die mit 14.554,97 S (darin 1.250,45 S an Umsatzsteuer und 800 S an Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 19.887,24 S (darin 1.698,84 S an Umsatzsteuer und 1.200 S an Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin begehrte letztlich den Zuspruch von 989.198,38 S s. A. und brachte vor, sie habe den Beklagten über deren Ersuchen Kredite eingeräumt. Der zur Rückzahlung fällige Klagebetrag hafte trotz Mahnung aus.
Die Beklagten beantragten die Abweisung der Klage und machten unter anderem zunächst (Klagebeantwortung ON 3) eine Gegenforderung 'bis zur Hähe des Klagebetrages' geltend. In der Tagsatzung vom 10. Juli 1984, ON 11 (in der die Verhandlung für geschlossen erklärt wurde), erhoben die Beklagten gegen die Klageforderung den Aufrechnungseinwand mit einer neuen Schadenersatzgegenforderung von 'mehr als S 1 Mio.'. Die Ingeborg C Gesellschaft mbH habe von der Klägerin das in deren Haus in Wien 14., Kendlergasse 22, befindliche Hotel gemietet. Die Klägerin habe die ihr als Vermieterin obliegenden, dringend notwendigen Reparaturen am Haus schuldhaft unterlassen, so daß der Hotelbetrieb durch Wassereintritt beeinträchtigt worden und dadurch ein entsprechender Einnahmeausfall der Ingeborg C Gesellschaft mbH eingetreten sei. Die Zweitbeklagte als Geschäftsführerin der Gesellschaft habe die Ersatzforderungen der Gesellschaft im Dezember 1983 mündlich an die beiden Beklagten zediert.
Die Klägerin beantragte die Zurückweisung dieses neuen Vorbringens der Beklagten wegen offenbarer Verschleppungsabsicht. Das Erstgericht erklärte mit Beschluß vom 10. Juli 1984, ON 11, das neue Vorbringen im Zusammenhang mit den aufrechnungsweise erhobenen Schadenersatzforderungen und die damit verbundenen Beweisanbote der Beklagten wegen offenbarer Verschleppungsabsicht für unstatthaft und nahm von der Durchführung der diesbezüglich angebotenen Beweise Abstand. Es erkannte mit Endurteil vom 16. Oktober 1984, ON 12, daß die Klageforderung mit 947.996,28 S s. A. zu Recht, mit 41.202,10 S s.A. dagegen nicht zu Recht bestehe (Abs. 1); daß die Gegenforderung der Beklagten von 1,877.741 S bis zur Hähe des zu Recht bestehenden Klagebetrages nicht zu Recht bestehe (Abs. 2) und wies die Gegenforderung der Beklagten von 'mehr als 1 Mio. S' zurück (Abs. 3). Das Erstgericht sprach daher die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin 947.396,28 S s. A. zu bezahlen und die Prozeßkosten zu ersetzen (Abs. 4), und wies das Mehrbegehren auf Zahlung von weiteren 41.202,10 S s.A. ab (Abs. 5). Zur Gegenforderung von 'mehr als 1 Mio. Schilling' führte das Erstgericht aus, sie sei verspätet und damit in offenbarer Verschleppungsabsicht der Klageforderung entgegengehalten worden, so daß das Vorbringen samt den dazu gestellten Beweisanträgen zurückzuweisen gewesen sei.
Die zweite Instanz gab als Rekursgericht dem Rekurs der Beklagten gegen den (Zurückweisungs-)Beschluß des Erstgerichtes vom 10. Juli 1984 (ON 11) Folge, hob diesen Beschluß auf und erkannte die Klägerin schuldig, den Beklagten die Rekurskosten zu ersetzen (Entscheidung 4 R 14/85-16 vom 13. März 1985). Als Berufungsgericht gab die zweite Instanz der Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Erstgerichtes vom 16. Oktober 1984 (ON 12) teilweise Folge. Es bestätigte die Absätze 1, 2, 4 (mit Ausnahme der in diesem Absatz enthaltenen Entscheidung über die Prozeßkosten) und 5 des Ersturteils als Teilurteil, hob aber den Ausspruch über die Zurückweisung der Gegenforderung von 'mehr als 1 Mio. Schilling' auf und trug dem Erstgericht insoweit die ergänzende Verhandlung und neue Entscheidung auf. Die zweite Instanz führte aus, Voraussetzung eines richterlichen Zurückweisungsrechtes nach § 179 Abs. 1 Satz 2 ZPO sei nicht nur, daß neue, bisher noch nicht vorgebrachte tatsächliche Behauptungen und Beweismittel verspätet vorgebracht worden seien, sondern daß dies darüber hinaus in offenbarer Verschleppungsabsicht nicht früher geschehen sei und daß deren Zulassung die Erledigung des Prozesses erheblich verzägern würde. Da den Beklagten die neue Gegenforderung nach ihrem eigenen Vorbringen bereits im Dezember 1983 abgetreten worden sei und eine Tagsatzung am 9. April 1984 stattgefunden habe, sei das Vorbringen der Beklagten in der Tagsatzung vom 10. Juli 1984 nicht zum frühestmäglichen Zeitpunkt erstattet worden und damit verspätet. Ob diese Verspätung ihren Grund in einer offenbaren Verschleppungsabsicht der Beklagten habe, känne dahingestellt bleiben, weil hier jedenfalls das Erfordernis einer erheblichen Verzägerung der Prozeßerledigung fehle. Eine verspätet geltend gemachte Aufrechnungseinrede känne nämlich dann nicht gemäß § 179 Abs. 1 Satz 2 ZPO zurückgewiesen werden, wenn die Mäglichkeit bestehe, eine erhebliche Verzägerung des Verfahrens durch Erlassung eines Teilurteiles zu verhindern, was immer dann der Fall sei, wenn die neue geltend gemachte Gegenforderung mit der Klageforderung nicht im rechtlichen Zusammenhang stehe. In diesem Falle känne nämlich gemäß § 391 Abs. 3 ZPO über die Klageforderung ein Teilurteil erlassen werden. Die von den Beklagten neu eingewendete Schadenersatzgegenforderung stehe mit der Klageforderung in keinem rechtlichen Zusammenhang. Es seien daher der Zurückweisungsbeschluß vom 10. Juli 1984 und die Zurückweisung der Gegenforderung im Urteil vom 16. Oktober 1984 zu Unrecht erfolgt. Es lägen Feststellungsmämgel vor, die eine verläßliche Beurteilung des Bestehens oder Nichtbestehens der Gegenforderung hindern. Die Klägerin bekämpft den Beschluß, den die zweite Instanz als Rekursgericht gefaßt, sowie jenen Beschluß, mit dem diese als Berufungsgericht den Ausspruch des Erstgerichtes über die Zurückweisung der Gegenforderung von 'mehr als 1 Mio. Schilling' aufgehoben hat, mit 'Rekurs' und 'Revision' (richtig: Rekurs) und stellt den Antrag, die Entscheidungen des Erstgerichtes in diesem Umfang wiederherzustellen und auszusprechen, daß den Beklagten ein Kostenzuspruch hinsichtlich des Rekurses gegen den (Zurückweisungs-)Beschluß des Erstgerichtes vom 10. Juli 1984 (ON 11) nicht zustehe, allenfalls auszusprechen, daß die Kostenentscheidung auch insoweit der Endentscheidung vorbehalten bleibe.
Die Beklagten beantragen in einer von ihnen erstatteten 'Rekurs-' und 'Revisionsbeantwortung', den Rekurs der Klägerin gegen den Kostenausspruch im Beschluß der zweiten Instanz 4 R 14/85-16 zurückzuweisen und ihrem Rechtsmittel im übrigen nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Beide Rechtsmittel sind berechtigt.
Die Klägerin macht geltend, es sei bereits in dem zwischen den gleichen Parteien und unter gleichen Prozeßvoraussetzungen durchgeführten Verfahren 15 Cg 8/80 des Handelsgerichtes Wien zu einer vollkommen gleichen Situation gekommen. Auch in jenem Verfahren hätten die Beklagten in der letzten Tagsatzung, in der die Verhandlung für geschlossen erklärt worden sei, ein neues Vorbringen erstattet, das die erste Instanz wegen Verschleppungsabsicht zurückgewiesen habe. Diese Zurückweisung sei vom Obersten Gerichtshof als berechtigt angesehen worden. Ungeachtet der Mäglichkeit der Erlassung eines Teilurteiles müsse es zu einer Verzägerung des Verfahrens kommen, wenn es zu einer ergänzenden Verhandlung über die von den Beklagten neu aufgestellten Behauptungen komme.
Es ist richtig, daß die Beklagten auch im Verfahren 15 Cg 8/80 des Handelsgerichtes Wien unmittelbar vor Schluß der Verhandlung neues Vorbringen erstattet sowie weitere Gegenforderungen aufrechnungsweise eingewendet haben, und daß das Erstgericht auch in jenem Verfahren das Vorbringen wegen offenbarer Verschleppungsabsicht zurückgewiesen hat, wobei die Entscheidung des Erstgerichtes durch die zweite Instanz bestätigt wurde (4 R 171/82 des Oberlandesgerichtes Wien). Der Oberste Gerichtshof hat in dem genannten Verfahren allerdings zu der von den Vorinstanzen vertretenen Rechtsansicht nicht Stellung genommen und konnte dies auch gar nicht. Wird nämlich der Zurückweisungsbeschluß des Erstgerichtes durch das Berufungsgericht bestätigt, ist die Frage abschließend beurteilt. Eine Anfechtung des Berufungsurteils (unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens) ist in diesem Fall ausgeschlossen, da Mängel des Verfahrens erster Instanz, deren Vorliegen vom Berufungsgericht verneint worden ist, im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden kännen (5 Ob 526/83). Im vorliegenden Fall dagegen hat die zweite Instanz den Beschluß des Erstgerichtes auf Zurückweisung neuen Parteivorbringens (§ 179 ZPO) aufgehoben. Dies bedeutet inhaltlich eine Abänderung des erstgerichtlichen Beschlusses, wodurch sich seine Anfechtbarkeit aus § 528 ZPO ergibt (SZ 31/61). Es trifft zweifellos zu, daß vom Zurückweisungsrecht wegen Verschleppungsabsicht mit verantwortungsbewußter Vorsicht Gebrauch zu machen ist (Fasching II 852). Der Ansicht dagegen, eine Aufrechnungseinrede sei kaum geeignet, eine erhebliche Verzägerung des Verfahrens herbeizuführen, wenn Forderung und Gegenforderung nicht in rechtlichem Zusammenhang stehen, sodaß ein Teilurteil mäglich ist (Fasching II 851, ZBl. 34/230), kann nicht beigepflichtet werden.
Die Beklagten haben die - mit der Klageforderung nicht in rechtlichem Zusammenhang stehende - Gegenforderung von 'mehr als 1 Mio. Schilling' zu einem Zeitpunkt geltend gemacht, in dem das Verfahren über die Klageforderung und eine schon in der Klagebeantwortung eingewendete Gegenforderung spruchreif waren. In diesem Umfang liegt auch bereits eine rechtskräftige Entscheidung vor. Beide Vorinstanzen haben das neue Vorbringen über das Bestehen einer weiteren Gegenforderung mit Recht als verspätet angesehen, denn es wurde zu einem Zeitpunkt erstattet, in dem es längst hätte erstattet sein kännen, hätten die Beklagten das Vorbringen nicht sorglos oder gar absichtlich unterlassen (Fasching II 851). Den Ausführungen des Berufungsgerichtes ist insoweit nichts hinzuzufügen. Da das Verfahren zum Zeitpunkt der Erstattung des neuen Vorbringens in allen anderen Punkten bereits spruchreif war, die Durchführung der von den Beklagten für ihr Vorbringen angebotenen Beweise aber jedenfalls eine Erstreckung der Tagsatzung erforderlich gemacht hätte (Einholung von Sachverständigengutachten, Ladung von Zeugen, Vorlage von Urkunden), hätte die Zulassung des Vorbringens die Erledigung des Prozesses ungeachtet der Mäglichkeit, über die bereits zur Entscheidung reifen Ansprüche ein Teilurteil zu fällen, erheblich verzägert.
Schließlich lassen aber auch die Art der Gegenforderung sowie der Zeitpunkt und die Umstände ihrer Geltendmachung nur den Schluß zu, daß die neuen Behauptungen und Beweise offenbar in der Absicht, den Prozeß zu veschleppen, nicht früher vorgebracht worden sind. Die beiden Beklagten, die schon in dem im Rechtsmittel der Klägerin erwähnten Vorverfahren 15 Cg 8/80 des Handelsgerichtes Wien in einem wenige Tage vor jener Tagsatzung, in der die Verhandlung geschlossen wurde, überreichten Schriftsatz nach Überzeugung sowohl des Erst-, als auch des Berufungsgerichtes in offenbarer Verschleppungsabsicht eine Gegenforderung erhoben und hiezu umfangreiches Vorbringen und mehrere Beweisanträge erstattet haben, haben die ihnen von der Zweitbeklagten als der Geschäftsführerin der angeblich geschädigten Ingeborg C Gesellschaft mbH nach ihrem eigenen Vorbringen bereits im Dezember 1983 mündlich und doch wohl unzweifelhaft zum Zweck der Geltendmachung als Gegenforderung im gegenständlichen Verfahren zedierten Schadenersatzforderung erst zu einem Zeitpunkt geltend gemacht, in dem erkennbar war, daß die Verhandlung ohne diese Geltendmachung geschlossen werden würde, wobei die Beklagten - wie nach einem in der Tagsatzung vom 9. April 1984, ON 13, geschlossenen bedingten (von den Beklagten widerrufenen) Vergleich angenommen werden darf - über den voraussichtlichen Ausgang des Rechtsstreites augenscheinlich nicht im Unklaren waren. Keine Rede kann davon sein, daß die Beklagten durch die Anwendung des Zurückweisungsrechtes im Sinne des § 179 ZPO etwa einen unwiederbringlichen Schaden bei der Durchsetzung ihres materiellrechtlichen Anspruches erleiden kännten. Denn es ist den Beklagten unbenommen, die gegenständliche Forderung klageweise geltend zu machen.
Die beiden Rechtsmittel der Klägerin erweisen sich damit als berechtigt, sodaß die Entscheidungen des Erstgerichtes im Umfange der Aufhebung durch die zweite Instanz wiederherzustellen waren (§ 519 Abs. 2, letzter Satz, ZPO).
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO. Allerdings waren Kosten jeweils nur für den einen erstatteten Rechtsmittelschriftsatz zuzusprechen.
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