OGH 7Ob5/85

OGH7Ob5/8521.2.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden sowie durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.‑Prof. Dr. Petrasch und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*‑AG, *, vertreten durch Dr. Erwin Gstirner, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei F* Gesellschaft m.b.H., *, vertreten durch Dr. Gunter Griss, Rechtsanwalt in Graz, sowie die auf Seite der Beklagten beigetretenen Nebenintervenienten 1. F* und 2. B*, beide vertreten durch Dr. Andreas Puletz, Rechtsanwalt in Wien, wegen 352.104,67 S s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 2. Oktober 1984, GZ 7 R 117/84‑50, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 19. Jänner 1984, GZ 8 Cg 153/83‑42, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1985:0070OB00005.85.0221.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit 11.305,50 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 960,‑‑ S Barauslagen und 940,50 S USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Firma L*, kaufte im März 1979 von der Beklagten zwei für den Transport von Mineralölprodukten bestimmte Tankanhänger. Diese wurden bei der Klägerin haftpflichtversichert. Nach Punkt 5. der dem Auftragsbestätigungsschreiben beigeschlossenen Liefer‑ und Verkaufsbedingungen der Beklagten wird Ersatz eines mittelbaren oder unmittelbaren Schadens nicht gewährt. Der Firma L* waren die Liefer‑ und Verkaufsbedingungen der Beklagten spätestens mit Erhalt der Auftragsbestätigung vom 28. 3. 1979 bekannt. Sie hat diese Bedingungen zustimmend zur Kenntnis genommen.

Nach Inbetriebnahme traten bei einem der Tankanhänger Mängel an der Bremsanlage auf. Nach Rücksprache mit der Lieferfirma nahm die Beklagte einen Austausch von Bremszylindern und eine Veränderung der Bremskraft vor. Die ursprünglich gelieferten Alu‑Bremsbacken wurden durch Stahlbremsbacken ersetzt.

Da durch die vorgenommenen Arbeiten die aufgezeigten Mängel des Blockierens der Bremsanlage nicht endgültig behoben werden konnten und die seinerzeit reklamierten Mängel nach kurzer Zeit wieder auftraten, schickte die Beklagte den in ihren Diensten stehenden ausgebildeten Bremsenfachmann H* zu der Firma L*, um die geeigneten Maßnahmen zu treffen. Der für den Tankwagenzug von der Firma L* eingeteilte Kraftfahrer L* schilderte H* die von ihm festgestellten Anomalien bei der Bremsung. Tatsächlich bemerkte H* bei der Überstellung des Tankanhängers aus dem Betriebsgelände der Firma L* ein Blockieren der Bremse. Auf seine Rückfrage erhielt er von der Lieferfirma, der Zweitnebenintervenientin, den Rat, an den vorderen Rädern statt der seinerzeit gelieferten 20er Zylinder sogenannte 16er Zylinder einzubauen und die Hebellänge zu verlängern. Diese Arbeiten führte H* durch. Er maß auch den Bremsdruck beim Zugfahrzeug und beim Anhängerfahrzeug mittels eines Manometers und stellte fest, daß die Bremsdrücke der beiden Fahrzeuge übereinstimmten.

Nach Beendigung der von H* vorgenommenen Arbeiten war vorgesehen, daß der Motorwagen und das dazugehörige Anhängerfahrzeug auf einen Rollenprüfstand gefahren werden, um dort die Funktionswirkung der Bremsen zu überprüfen. L* erhielt den Auftrag die Bremsprüfung in Vollast, Halblast und im leeren Zustand des Anhängerfahrzeuges durchzuführen. Bevor er jedoch auf den Rollenprüfstand fuhr, schlug H* vor, eine Probefahrt zu machen. Er sagte, er habe alles gemacht und falls noch etwas nachzustellen sei, könne er dies auf der Straße besser durchführen als auf dem Rollenprüfstand. L* leistete dem Vorschlag H* Folge und fuhr aus dem Firmengelände auf die vorbeiführende Landesstraße. H* und L* kamen überein, daß der erstere bestimmen werde, zu welchem Zeitpunkt der LKW‑Zug abgebremst werden soll. Er sagte dem Kraftfahrer auch, daß er das Verhalten des Anhängerfahrzeuges während der Fahrt und während des Bremsvorganges kontrollieren wolle. Über die Bremsintensität wurde nicht gesprochen.

Als H* L* ein Zeichen zum Einleiten des Bremsvorganges gab, bewegte sich das Kraftfahrzeug mit 55 km/h auf der 7 m breiten Landesstraße. Der Kraftfahrer sah, daß die Verkehrslage einen Bremsvorgang zuließ und bremste sein Fahrzeug abrupt so stark ab, daß die Bremsen quietschten. Der Motorwagen wurde im Zuge des Bremsmanövers quergestellt, doch konnte der Fahrer sein Umstürzen verhindern. Der Anhänger kippte jedoch auf einen angrenzenden Gemüseacker. Hiedurch öffneten sich die Tankverschlüsse und es traten 5000 l Heizöl leicht in das Erdreich aus. Durch den Unfall sind Schäden von insgesamt 52.657,‑‑ S entstanden, die die Klägerin als Haftpflichtversicherer der Firma L* ersetzen mußte.

Das Umkippen des Anhängers ist auf nachstehende Umstände zurückzuführen:

a) Verwendung von geschweißten Stahlblechbremsbacken mit Halbschalenabstützung,

b) ungünstige Abstimmung zwischen Bremsbelag und Trommel,

c) ungünstige Gewichtsverteilung (leerer Motorwagen),

d) Probebremsung auf der Freilandstraße vor der Prüfung am Bremsprüfstand,

e) Bremsprüfung beim Unfallsgeschehen bei relativ hoher Geschwindigkeit und mit zu großer Bremsintensität,

f) mechanischer oder dynamischer Mangel im Bremsenteil zwischen Bremshebel und Bremstrommel, bei den Bremsbacken oder in den Bremsbelägen, welche nicht von der Beklagten stammen.

Bei der Verwendung einer ordnungsgemäßen Originalbremsbacke in der ursprünglichen Ausführung aus Leichtmetall samt ordnungsgemäßen Bremsbelägen und entsprechender Abstimmung des Bremssystems mit dem Motorwagen wäre es nicht zum Auftreten von Mängeln an der Bremsanlage des Anhängers durch Blockieren von Rädern gekommen.

Der Lenker des Kraftwagenzuges hat vor Durchführung der das Unfallgeschehen einleitenden Bremsung keine Bremsprobe durchgeführt.

Hätte der Kraftfahrer seinerzeit die Fußbremse gering betätigt, wäre es zu dem Unfall in diesem Ausmaß nicht gekommen.

Die Vorinstanzen haben das auf Ersatz von 2/3 der von der Klägerin erbrachten Leistungen gerichtete Begehren (352.104,67 S s.A.) abgewiesen. Das Berufungsgericht vertrat hiebei den Standpunkt, die Klägerin könne von der Beklagten im Hinblick auf § 67 VersVG nicht mehr verlangen, als ihr Versicherungsnehmer, die Firma L*, aus dem Titel des Schadenersatzes hätte verlangen können. Schadenersatzforderungen seien jedoch im Verhältnis zwischen der Firma L* einerseits und der Beklagten andererseits auf Grund der dem Liefervertrag zugrundegelegenen Geschäftsbedingungen der Beklagten zur Gänze ausgeschlossen gewesen. Ein solcher Ausschluß von Schadenersatzforderungen wäre dann nichtig und unbeachtlich, wenn die Schäden auf Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zurückzuführen seien. Vorsatz scheide hier schon nach den Behauptungen der Klägerin aus. Auch eine grobe Fahrlässigkeit habe sie nicht behauptet. Eine solche sei auch nicht gegeben. Der Ausschluß der Haftung für Schadenersatz wegen leichter Fahrlässigkeit sei jedoch zulässig und wirksam. Aus diesem Grunde sei die Beklagte nicht ersatzpflichtig.

Die von der Klägerin gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist nicht gerechtfertigt.

Die Bekämpfung der berufungsgerichtlichen Ausführungen bezüglich des Umstandes, daß die Geschäftsbedingungen der Beklagten deren Vertrag mit der Firma L* zugrunde zu legen seien, übergeht die Feststellung des Erstgerichtes, daß die Firma L* die Liefer‑ und Verkaufsbedingungen der Beklagten zustimmend zur Kenntnis genommen hat. Diese Feststellung wurde vom Berufungsgericht übernommen. Sohin handelt es sich bei den erwähnten Ausführungen der Revision um den unzulässigen Versuch einer Bekämpfung der untergerichtlichen Tatsachenfeststellungen.

Rechtliche Beurteilung

Nicht gefolgt kann dem Berufungsgericht allerdings dahin werden, daß von grober Fahrlässigkeit schon deshalb nicht ausgegangen werden könne, weil die Klägerin im erstgerichtlichen Verfahren eine derartige Qualifikation nicht behauptet habe. Die Klägerin hat einen Sachverhalt vorgetragen und aus diesem die Schadenersatzpflicht der Beklagten wegen Verschuldens abgeleitet. Damit macht sie aber grundsätzlich eine Haftung der Beklagten wegen einer fahrlässigen Herbeiführung des Schadens geltend. Die Qualifikation dieser Fahrlässigkeit obliegt dem Gericht. Es ist nicht erforderlich, daß der Kläger selbst eine Qualifikation in bestimmter Richtung vornimmt. Jedenfalls würde das Unterlassen einer solchen Qualifikation nicht die Prüfung in Richtung grober Fahrlässigkeit ausschließen.

Ob das für die Schadensherbeiführung kausale Verhalten des Mechanikers der Beklagten, für den diese gemäß § 1313a ABGB einzustehen hätte, tatsächlich als nur leicht fahrlässig zu beurteilen ist, kann hier dahingestellt bleiben. Der Oberste Gerichtshof hat nämlich bereits in einer Reihe von Entscheidungen, die auch zu der Lehre nicht in Widerspruch stehen, ausgesprochen, daß der Ausschluß der Haftung für grobe Fahrlässigkeit nicht schlechthin unzulässig ist. Als unzulässig ist ein solcher Ausschluß nur dann anzusehen, wenn er gegen die guten Sitten verstößt. Ein solcher Haftungsausschluß ist dann sittenwidrig und unwirksam, wenn die unterlaufende Fahrlässigkeit so kraß ist, daß mit einem derartigen Verhalten nach den Erfahrungen des täglichen Lebens und nach redlicher Verkehrsübung nicht gerechnet werden kann. Im allgemeinen ist demnach nur der Ausschluß für besonders krasse grobe Fahrlässigkeit unzulässig. Allerdings kann auch der Ausschluß einer Haftung für eine nicht besonders schwere grobe Fahrlässigkeit gegen die guten Sitten verstoßen und zwar dann, wenn eine Ungleichgewichtslage zwischen den Vertragspartnern vorliegt, die jener zwischen Unternehmern und Verbrauchern entspricht (insbesondere 7 Ob 666/84 mit ausführlicher Wiedergabe der Lehre und Judikatur, hiebei insbesondere JBl 1967, 369 MietSlg. 29.202 uva.). Der erkennende Senat sieht keinen Grund, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Demnach wäre also, falls eine Ungleichgewichtslage der aufgezeigten Art nicht gegeben ist, der Haftungsausschluß nur bei besonders krasser grober Fahrlässigkeit der geschilderten Art sittenwidrig und demnach unbeachtlich.

Von einer Ungleichgewichtslage kann im vorliegenden Fall schon nach den Behauptungen der Klägerin keine Rede sein. Bei der Firma L* handelt es sich um eine Handelsgesellschaft größeren Umfangs, die im Rahmen ihres Betriebes auch Transportfahrzeuge mit Tankanhängern einsetzt. Der Erwerb derartiger Fahrzeuge fällt in den normalen Betriebsablauf der genannten Firma. Was den Verkauf solcher Anhänger anlangt genießt die Beklagte keinerlei Monopolstellung, die es ihr ermöglichen würde, ihrem Vertragspartner für ihn nachteilige Bedingungen zu diktieren. Auch was die wirtschaftliche Stellung der beiderseitigen Vertragspartner anlangt ist kein Umstand hervorgekommen, der die Firma L* in einem solchen Umfang als schwächeren Partner erkennen lassen würde, daß man von einer Ungleichgewichtslage sprechen könnte.

Betrachtet man das Fehlverhalten des Mechanikers der Beklagten, so handelt es sich hiebei nicht um Verstöße, die für den Betrieb der Beklagen atypisch sind und mit denen ein Vertragspartner der Beklagten nach den Erfahrungen des täglichen Lebens und nach der redlichen Verkehrsübung keinesfalls rechnen konnte. Daß weder der Kraftfahrer noch der Mechaniker bei Vornahme der Probefahrt mit Sicherheit damit rechneten, die seinerzeit aufgezeigten Mängel seien nun vollständig behoben, ergibt sich schon daraus, daß andernfalls eine Probefahrt oder die Prüfung am Bremsprüfstand nicht in Aussicht genommen worden wäre. Schon aus diesem Grunde können allfällige Fehlleistungen bei vorangegangenen Reparaturversuchen keine entscheidende Rolle spielen, weil bei der Vornahme der Probefahrt das Vorliegen weiterer Mängel ins Kalkül gezogen worden ist. Die Anordnung der Probefahrt, die Art ihrer Durchführung sowie die zum Unfall führende Bremsung mögen in ihrer Gesamtheit dem Mechaniker der Beklagten als grobes Verschulden vorwerfbar sein. Hiebei handelte es sich jedoch keinesfalls um Fehlleistungen, die derart aus dem Rahmen fielen, daß sie als krasse grobe Fahrlässigkeit im oben aufgezeigten Sinn beurteilt werden müßten.

Zugegeben ist der Revision, daß es bei der Beurteilung des Grades einer Fahrlässigkeit sicher auch auf die Art des Betriebes ankommen wird, in dessen Rahmen die Fahrlässigkeit begangen worden ist. Entscheidendes Kriterium ist aber für sich allein nicht die Möglichkeit des Entstehens großer Schäden. Gerade wenn in einem Betrieb mit immanenten Gefahren auch für das Leben und die Gesundheit von Menschen zu rechnen ist, werden in der Regel auf solche Gefahren zurückgehende Schäden nicht als atypisch für den Betrieb anzusehen sein. Sicherlich wird man mit erhöhter Vorsicht des Personals eines solchen Betriebes rechnen können. Trotzdem schließt dies nicht absolut die Außerachtlassung einer derartigen Sorgfalt aus. Eine solche Außerachtlassung mag in größerem Umfang die Beurteilung einer Fahrlässigkeit als grobe zulassen wie dies bei anderen Betrieben der Fall ist. Als besonders kraß wird man eine solche Fahrlässigkeit aber immer nur dann beurteilen können, wenn sie geradezu atypisch ist und nach den Erfahrungen des täglichen Lebens und nach der redlichen Verkehrsübung mit ihr keinesfalls gerechnet werden kann. Daß ein Mechaniker einer Kraftfahrzeugwerkstätte bei der notwendigen Überprüfung des Funktionierens von Bremsen Fehlanordnungen gibt, kann nach den Erfahrungen des täglichen Lebens und nach der redlichen Verkehrsübung nicht ausgeschlossen werden, es sei denn, es würde sich um Fehlleistungen handeln, die geradezu als ins Auge springend absurd anzusehen sind. Andernfalls handelt es sich um für den Betrieb typische Fehlleistungen, die eine besonders krasse grobe Fahrlässigkeit nicht begründen können. Über den Umfang derartiger, für den Betrieb typischer Fehlleistungen gingen aber die Maßnahmen und Anordnungen des Mechanikers der Beklagten auch unter Außerachtlassung der vom Berufungsgericht nicht übernommenen erstrichterlichen Feststellungen nicht hinaus.

Mit Recht hat sohin das Berufungsgericht den dem Vertragsverhältnis zwischen dem Beklagten und der Firma L* zugrundegelegten Verkaufs‑ und Lieferbedingungen zu entnehmenden Haftungsausschluß als rechtswirksam erachtet.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO. Es war jedoch kein Streitgenossenzuschlag zuzuerkennen, weil der Beklagtenvertreter weder mehrere Parteien vertritt, noch einer Mehrheit von Parteien gegenübersteht.

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