European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00005.840.0322.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit 9.798,75 ATS bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.920 ATS Barauslagen und 716,25 ATS Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin hatte bezüglich des ihr gehörigen PKW Mercedes 280 SE, Baujahr 1979, mit dem Kennzeichen *****, bei der Beklagten eine sogenannte 3 S‑Autoversicherung abgeschlossen, die auch eine Kaskoversicherung beinhaltete. Sie begehrt Versicherungsschutz aus der Kaskoversicherung wegen eines angeblich in der Nacht vom 23. 9. auf den 24. 9. 1981 erfolgten Diebstahls des PKW.
Die Beklagte machte einerseits Obliegenheitsverletzungen der Klägerin geltend und bestritt andererseits den behaupteten Diebstahl.
Während das Erstgericht dem Klagebegehren stattgegeben hat und hiebei feststellte dass der Klägerin der Anscheinsbeweis für einen Diebstahl gelungen sei, was für eine erfolgreiche Geltendmachung eines Deckungsanspruchs ausreiche, wies das Berufungsgericht das Klagebegehren ab. Es verlas sämtliche Unterlagen für die Beweiswürdigung und stellte aufgrund dieser Verlesung fest, dass der Klägerin der Beweis für einen Diebstahl des PKW nicht gelungen ist. Im Übrigen reiche der Anscheinsbeweis dann nicht aus, wenn der Versicherer die Vortäuschung des Diebstahls einwendet und Tatsachen beweist, aus denen sich die naheliegende Möglichkeit einer solchen Täuschung ergibt. Derartige Umstände habe die Beklagte bewiesen.
Das Berufungsgericht hat ausgesprochen, dass der Wert des Streitgegenstands 15.000 ATS, nicht aber 300.000 ATS übersteigt und die Revision mit der Begründung zugelassen, bei der Frage der Beweislastverteilung und der Möglichkeit eines Anscheinsbeweises handle es sich um eine solche, deren Klärung zur Wahrung der Rechtsentwicklung von erheblicher Bedeutung sei.
Die von der Klägerin wegen § 503 Z 2 und 4 ZPO erhobene Revision ist zwar, entgegen den Ausführungen der Beklagten, zulässig, nicht jedoch gerechtfertigt.
Rechtliche Beurteilung
Richtig ist allerdings, dass aufgrund der Feststellungen des Berufungsgerichts der Frage der Beweislastverteilung und damit, ob für den Deckungsanspruch der Beweis eines ersten Anscheins ausreiche, keine entscheidende Bedeutung mehr zukommt, weil nach dem festgestellten Sachverhalt überhaupt kein Beweis für den behaupteten Diebstahl, demnach auch nicht der Beweis des ersten Anscheins, erbracht worden ist. Voraussetzung für die Beschäftigung des Obersten Gerichtshofs mit einer Rechtsfrage ist aber nach wie vor, dass diese Rechtsfrage für den konkreten Rechtsfall von Bedeutung ist. Geht man von den berufungsgerichtlichen Feststellungen aus, ist der Klägerin der für ihren behaupteten Versicherungsanspruch erforderliche Beweis überhaupt nicht gelungen. Demnach war nicht zu prüfen, welchen Grad der Wahrscheinlichkeit sie für die Richtigkeit ihrer Behauptung beweisen hätte müssen.
Wird jedoch die Revision gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO für zulässig erklärt, so ist der Oberste Gerichtshof bei seiner Prüfung nicht auf jene Rechtsfragen beschränkt, die das Berufungsgericht zur Begründung für seine Zulassungsentscheidung angeführt hat. Werden vom Revisionswerber andere Rechtsfragen, auf die die Voraussetzung der genannten Gesetzesstelle zutreffen, angeführt und behandelt, so ist die Prüfung, falls die Voraussetzungen des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO tatsächlich vorliegen, auch auf diese Rechtsfragen zu erstrecken.
Mit Recht verweist die Klägerin darauf, dass es sich bei der Frage, inwieweit das Berufungsgericht berechtigt ist, aufgrund der bloßen Verlesung von Beweisergebnissen eine Umwürdigung der Beweise vorzunehmen, um eine Rechtsfrage des Verfahrensrechts handelt, deren Lösung zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt (§ 502 Abs 4 Z 1 ZPO). Das Berufungsgericht ist bei seiner Vorgangsweise von der durch die Zivilverfahrens‑Novelle 1983 neu eingeführten Bestimmung des § 281a ZPO ausgegangen. Zu dieser neuen Bestimmung liegt noch keine Judikatur des Höchstgerichts vor. Es besteht daher ein Bedürfnis nach einer grundsätzlichen Klärung dieser Frage. Demnach ist die Revision mit Recht zugelassen worden, allerdings nicht zur Prüfung der vom Berufungsgericht angeführten Rechtsfrage, sondern zur Prüfung der Frage, ob das Berufungsgericht nach § 281a ZPO berechtigt ist, aufgrund bloßer Verlesung der erstgerichtlichen Beweisergebnisse die vom Erstgericht aufgenommenen Beweise umzuwürdigen.
Entgegen der in der Revision vertretenen Rechtsauffassung ist die Vorgangsweise des Berufungsgerichts durch das Gesetz gedeckt. Nach § 281a ZPO kann das Protokoll über einen Beweis einer streitigen Tatsache, das in einem gerichtlichen Verfahren, an dem die Parteien beteiligt waren, aufgenommen wurde, verlesen werden, wenn nicht eine der Parteien ausdrücklich das Gegenteil beantragt. Diese Bestimmung gilt infolge der Verweisung des § 463 Abs 1 ZPO auch für das Berufungsverfahren (XV. GP, Beil 69 S 53 f). Der Einwand der Klägerin bezüglich des fehlenden unmittelbaren Eindrucks des erkennenden Gerichts geht deshalb ins Leere, weil es die Partei schließlich in der Hand hat, sich gegen eine bloße Verlesung des Protokolls auszusprechen, in welchem Falle eine unmittelbare Beweisaufnahme durch das Berufungsgericht erfolgen muss. Schon vor der Einführung des § 281a ZPO war es zulässig, mit Zustimmung der Parteien Beweiswiederholungen durch die bloße Verlesung der erstgerichtlichen Beweisprotokolle durchzuführen. Die Einführung des § 281a ZPO hat lediglich dazu geführt, dass die früher geforderte ausdrückliche Zustimmung der Partei zur Verlesung eines unmittelbar aufgenommenen Beweisergebnisses durch eine beim Stillschweigen der Partei vermutete Zustimmung ersetzt wurde. Diese Vermutung kann die Partei durch Tätigwerden widerlegen. Eine solche Widerlegung ist im vorliegenden Fall, wie sich aus dem Protokoll über die mündliche Berufungsverhandlung vom 15. 11. 1983 ergibt, unterblieben. Das Berufungsgericht hat daher die von ihm vorgenommene Beweiswiederholung mit Recht lediglich durch die Verlesung der erstgerichtlichen Beweisunterlagen vorgenommen. Es war demnach auch berechtigt, die aufgenommenen Beweise selbständig zu würdigen.
Da sohin die Vorgangsweise des Berufungsgerichts durch das Gesetz gedeckt ist, handelt es sich bei seinen Feststellungen um einen Akt der Beweiswürdigung, der nach wie vor mit Revision nicht bekämpft werden kann. Die weiteren Ausführungen der Revision richten sich aber ausschließlich gegen die berufungsgerichtlichen Feststellungen oder gehen von anderen als diesen Feststellungen aus. Sie sind daher als nicht gesetzmäßige Ausführungen der Revision unbeachtlich.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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