OGH 7Ob560/94

OGH7Ob560/9412.10.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Marktgemeinde St.G*****, vertreten durch Dr.Roger Haarmann und Dr.Bärbel Haarmann, Rechtsanwälte in Liezen, wider die beklagten Parteien 1. Christa W*****, und 2. Rainer W*****, beide vertreten durch Dr.Alois Nußbaumer und Dr.Stefan Hoffmann, Rechtsanwälte in Vöcklabruck, wegen Feststellung, Wiederherstellung und Unterlassung (Gesamtstreitwert S 60.000,-- s.A.), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Berufungsgericht vom 17.März 1994, GZ R 1257/93-28, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Liezen vom 25.Oktober 1993, GZ 2 C 110/93b-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit S 5.358,14 (darin S 893,02 USt.) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagten kauften mit Vertrag vom 30.5.1990 vom Land S***** (Landesforste) die Liegenschaft EZ ***** der KG O*****, die aus einem sanierungsbedürftigen alten Haus (Parzelle 20/2), einem dieses umschließenden Garten (Parzelle 73) sowie einem Weg (Parzelle 66/2) besteht. Das zuletzt genannte Grundstück ging aus der gleichzeitig vorgenommenen Teilung des Grundstückes 66 hervor. Die Erstbeklagte lebt seit 1965 in St.G*****, der Zweitbeklagte seit 1986.

Im Norden des Grundstückes 73 verläuft über etwa 2/3 seiner Länge die dem öffentlichen Gut zugehörende Wegparzelle 528, die von der B***** Bundesstraße ausgeht und beim Beklagtengrundstück endet. Im Süden des Beklagtengrundstückes und im Anschluß an das Grundstück 66/2 und das benachbarte Grundstück 66/1 grenzt wiederum eine öffentliche Verkehrsfläche mit der Wegparzelle 529/1 an, die noch ein Stück nach Nordosten weiterläuft; die Fortsetzung nach Südwesten stellt eine Verbindung zur B***** Bundesstraße dar.

Das damals dem Land S***** gehörende Grundstück der Beklagten wurde seit mehr als 40 Jahren zwischen dem Ende der Wegparzelle 528 in Verbindung der Gemeindestraße 529/1 von der Allgemeinheit zunächst noch mit Fuhrwerken, später nur mehr von Fußgängern, Rad- und Mopedfahrern ungehindert benützt. Der Verlauf dieses Weges über das Grundstück der Beklagten war stets und ist auch heute noch in der Natur optisch teilweise durch die Reste der Beschotterung, teilweise durch Veränderungen der Grasnarbe erkennbar. Die Wegparzelle 528 ist in einer für Fußgänger und einspurige Fahrzeuge erforderlichen Breite beschottert; dieser Schotterweg geht auf dem Beklagtengrundstück in ein grasbewachsenes Wegerl über. Der das Grundstück der Beklagten umgrenzende Holzbretterzaun wurde im Bereich des Endes der Parzelle 528 durch Herausnehmen eines Segments von ca. 1 m Länge unterbrochen. Die Benützung der Wegparzelle 528 von der B***** Bundesstraße und in der Folge des beschriebenen Wegerls über das Grundstück der Beklagten zur Gemeindestraße auf der Wegparzelle 529/1 stellt für die Bewohner des Ortsteiles O***** eine Abkürzung auf dem Weg in den Markt St.G***** dar. Dieser Weg wurde daher stets auch von den Schulkindern des Ortes zu diesem Zweck benützt. Dies war "jedermann" in der Gemeinde bekannt. Früher diente der beschriebene Weg auch der Zufahrt von Fuhrwerken zur Bewirtschaftung der im Graben gelegenen Objekte, so insbesondere der damals noch im Betrieb befindlichen Mühle.

Das von den Beklagten gekaufte Haus war früher Jahrzehnte hindurch von mehreren Parteien bewohnt, einige Jahre vor dem Verkauf jedoch nicht mehr und wurde von den Bundesforsten zuletzt zur Herstellung von Holzschindeln benützt. Dabei verwahrloste das Grundstück; ein Teil davon, so auch teilweise der Verbindungsweg, war mit Lärchenholz, Holz- und Rindenabfällen bedeckt. Dennoch erfolgte stets eine ungehinderte Benützung durch Gemeindemitglieder. Der Zweitbeklagte hat sich vor dem Ankauf beim Gemeindesekretär der klagenden Partei über die Eigentumsverhältnisse rund um das ihm zum Verkauf angebotene Grundstück erkundigt. Dabei wurde ihm eine Katastermappe gezeigt, auf der die beiden öffentlichen Verkehrsflächen 528 und 529/1 bis zu den Grenzen des gegenständlichen Grundstückes braun eingezeichnet waren. Daß über das zu kaufende Grundstück ein von der Allgemeinheit seit Jahrzehnten benützter Verbindungsweg besteht, wurde dem Zweitbeklagten, der danach gar nicht fragte, nicht gesagt. Der Gemeindesekretär sah es als Selbstverständlichkeit an, daß dies dem ortsansässigen Zweitbeklagten bekannt war. In der Gemeinde St.G***** kommt es mehrfach vor, daß öffentliche Wege über private Hausdurchfahrten führen.

Die Beklagten haben sowohl beim Ende der Wegparzelle 528 als auch am korrespondierenden Ende des Durchgangsweges jeweils Tafeln mit der Aufschrift "Privatweg-Durchgang verboten" aufgestellt und haben letztlich den Durchgang durch das Schließen des Zaunes unmöglich gemacht.

Der Verbindungsweg ist im Grundbuch nicht als Wegerecht ersichtlich gemacht.

Die klagende Gemeinde begehrt gegenüber den Beklagten die Feststellung, daß ihr ein Wegerecht über deren Liegenschaft zustehe, weiters, daß die Beklagten die Zaunöffnung wiederherzustellen, die zwei Tafeln mit der Aufschrift "Privatweg-Durchgang verboten" zu entfernen, und in Zukunft sich jeder derartigen Beeinträchtigung zu enthalten haben. Der Verbindungsweg über das Grundstück der Beklagten sei vor unvordenklichen Zeiten stets durch Gemeindeangehörige benützt worden; diese Durchgangsmöglichkeit sei für Gemeindemitglieder auch notwendig. Den Beklagten hätte beim Ankauf dieses Grundstückes allein schon aufgrund des äußeren Anscheines bekannt sein müssen, daß über dieses Grundstück ein von der Allgemeinheit benützter Weg führe.

Die beklagten Parteien beantragen die Klagsabweisung. Sie wenden ein, die Wegparzelle 528 habe ausschließlich ihren Voreigentümern als Zugang zu den von ihnen bewirtschafteten Grundstücken gedient. Der Weg auf der Parzelle 528 sei für die Bewohner der klagenden Gemeinde nicht notwendig. Seine Benützung diene nicht einem allgemeinen Vorteil. Dieser Weg sei nur von einzelnen Spaziergängern und von den Voreigentümern benützt worden. Die Beklagten hätten die Liegenschaft gutgläubig und lastenfrei im Vertrauen auf das Grundbuch erworben. Der Zweitbeklagte habe sich vor dem Ankauf über Belastungen der zu kaufenden Liegenschaft erkundigt und habe dabei keine Auskunft über das behauptete Wegerecht erhalten. Der Weg sei in der Natur nicht erkennbar gewesen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Den Beklagten hätte bei gehöriger Aufmerksamkeit das Abweichen des Grundbuchsstandes von der wahren Sachlage auffallen müssen, insbesondere, daß alle Gemeindebewohner über diese Liegenschaft gehen. Die klagende Gemeinde habe ein Wegerecht über die Liegenschaft der Beklagten ersessen. Auch im Kaufvertrag sei den Beklagten von den Voreigentümern nur Geldlastenfreiheit zugesagt worden.

Das Berufungsgericht bestätigte mit dem angefochtenen Urteil diese Entscheidung. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand als mit S 50.000,-- übersteigend und erklärte die Revision für zulässig. Es folgerte rechtlich, daß an das Erfordernis der vorteilhafteren und bequemeren Benützung für den Dienstbarkeitsberechtigten kein strenger Maßstab anzulegen sei. Bei einer Ersitzung durch eine Gemeinde sei allerdings auf die Notwendigkeit der Benützung (für die Gemeindebewohner) abzustellen. Der Vorteil, der aus einer Wegabkürzung erworben werde, reiche dafür aber aus. Aufgrund der deutlichen Erkennbarkeit des Weges über das Grundstück der Beklagten sowie der Tatsache, daß diesen bekannt sein mußte, daß dieser Verbindungsweg von Gemeindeangehörigen stets benützt wird, fehle den Beklagten der gute Glaube für den Erwerb auf Grund des Grundbuchsstandes. Die Anfrage des Zweitbeklagten beim Gemeindesekretär nach den Eigentumsverhältnissen der umliegenden Grundstücke erfülle nicht die unter den gegebenen Umständen erforderliche Nachforschungspflicht.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision ist nicht berechtigt.

Eine offenkundige Dienstbarkeit, die der Erwerber einer Liegenschaft gegen sich gelten lassen muß, auch wenn sie nicht verbüchert ist, liegt vor, wenn vom dienenden Grundstück aus bei einiger Aufmerksamkeit Einrichtungen oder Vorgänge wahrgenommen werden können, die das Bestehen einer Dienstbarkeit vermuten lassen (vgl. SZ 62/62 = NZ 1990, 64 mwN, zuletzt 8 Ob 622/91). Um den Liegenschaftserwerber des Schutzes des § 1500 ABGB teilhaftig werden zu lassen, ist erforderlich, daß diesem sowohl im Zeitpunkt des Erwerbs des Grundstücks als auch des Ansuchens um Einverleibung die etwa vom Grundbuchsstand abweichende wahre Sachlage unbekannt war. Der redliche Erwerber wird jedoch nicht geschützt, wenn seine irrige Vorstellung auf Fahrlässigkeit beruht (vgl. SZ 63/35, zuletzt 5 Ob 563/93). Eine allein auf die Eigentumsverhältnisse der umliegenden Grundstücke ausgerichtete Nachfrage beim Gemeindesekretär genügt der den Erwerber treffenden Nachforschungspflicht nicht, wenn er erkennen konnte, daß über das Grundstück, das er zu erwerben beabsichtigt, ein Fußweg verläuft, der von Gemeindeangehörigen als Verbindungsstück zwischen zwei Gemeindewegen benützt wird, weil hier eine gezielte Nachfrage, ob ein Wegerecht vorliegen könnte, notwendig gewesen wäre.

Eine unregelmäßige Servitut kann auch von einer Gemeinde erworben werden. Die ältere Judikatur (vgl. MGA ABGB33 § 479/7) hat zum Erwerb eines Wegerechtes durch eine Gemeinde gefordert, daß dieses für die Gemeindeangehörigen "notwendig" sei, wobei allerdings kein besonderer Grad der Notwendigkeit erforderlich sei; das Erfordernis der Notwendigkeit wurde von einem Teil der Lehre (vgl. Iro in JBl. 1983, 201, dagegen im Sinne der älteren Rechtsprechung Schubert in Rummel ABGB2 § 1460 Rz 5) und einer jüngeren Entscheidung (JBl. 1983, 199; vgl. auch EvBl 1993/175) für entbehrlich erachtet. Nach der Lehrmeinung Petrasch's in Rummel ABGB2 § 473 Rz 2 ist Bequemlichkeit der Nützlichkeit gleichzustellen, nur Zwecklosigkeit oder völlige Unwirtschaftlichkeit stehen dem Utilitätserfordernis entgegen. Selbst wenn man dem strengeren Standpunkt zustimmt, liegen die Voraussetzungen für die Ersitzung des Wegerechtes über das Grundstück der Beklagten durch die Klägerin vor. Zwar steht im vorliegenden Fall nicht fest, ob der strittige Weg über das Grundstück der Beklagten Teil eines Wanderwegenetzes der klagenden Partei ist; allein aber der festgestellte Umstand, daß stets Schulkinder und Spaziergänger diesen Weg als schnellere Zugangsmöglichkeit zum Markt St.G***** benützt haben, spricht für eine Erfüllung der Voraussetzungen des § 473 ABGB; sind doch die Schulkinder auf diesem Fußweg nicht den Gefahren des Autoverkehrs auf der Straße ausgesetzt und verfügen damit über ein Stück sicheren Schulweges. Was letztlich tatsächlich bequem, nützlich oder notwendig ist, stellt auch eine Tatfrage dar, die die Vorinstanzen bejaht haben.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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