OGH 7Ob560/85

OGH7Ob560/8513.6.1985

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach Hermine Josefine A, gestorben am 23.1.1983, infolge Revisionsrekurses des Martin A, Pensionist, derzeit Landeskrankenhaus Mauer bei Amstetten, vertreten durch seinen Beistand Dr. Walter Kossarz, Rechtsanwalt in Krems, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Krems/Donau als Rekursgerichtes vom 31. Jänner 1985, GZ 1 a R 399/84-35, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Krems/Donau vom 1.Oktober 1984, GZ A 76/83-31, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Hermine A starb am 23.1.1983 unter Hinterlassung eines Testamentes vom 16.11.1981, in dem sie ihren Neffen Meinhard B und ihre Nichte Ulrike C zu gleichen Teilen zu Erben einsetzte.

Der Rechtsmittelwerber war der Ehemann der Erblasserin. Er wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Krems a.d.Donau vom 30.8.1978 wegen Geisteskrankheit und Alkoholmißbrauches beschränkt entmündigt. Nach dem Inventar (ON 11) betragen die Nachlaßaktiven S 877.448,01 und die Nachlaßpassiven S 87.131,40, sodaß sich ein Reinnachlaß von S 790.316,61 ergibt. Die Nachlaßaktiven bestehen im wesentlichen aus einem halben Anteil an der Liegenschaft EZ 139 KG Stein im Werte von S 582.000 und einem Sparguthaben von rd. S 277.000. Der sich auf Grund des Inventars ergebende Pflichtteil des erblasserischen Witwers beträgt S 256.716,87 und wurde an dessen Sachwalter bereits bezahlt.

Der erblasserische Witwer beantragte die Nachlaßseparation mit der Begründung, daß ihm gemäß § 796 ABGB ein Unterhaltsanspruch gegen die Erben zustehe. Dieser Anspruch sei gefährdet, weil Meinhard B Student und Ulrike C Hausfrau sei, und beide über kein Einkommen verfügten. Da beide in Graz wohnhaft seien, hätten sie ein Interesse an der Verwertung der in den Nachlaß fallenden Liegenschaftshälfte. Es habe bereits eine Besichtigung mit Kaufinteressenten stattgefunden, sodaß Kaufanbote zu erwarten seien.

Die Erben bestreiten einen Unterhaltsanspruch des Antragstellers. Das Erstgericht gab dem Antrag statt. Es legte seiner Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrunde:

Der erblasserische Witwer bezieht von der PVA der Arbeiter eine Invaliditätspension von monatlich S 4.803,80. Er ist Eigentümer der Liegenschaften EZ 2099 KG Krems, EZ 6 und 142 KG Weinzierl sowie von 1/5-Anteilen an der Liegenschaft EZ 2166 KG Krems. Der Wert der Kremser Liegenschaften beträgt zusammen S 380.000. Bei der Liegenschaft EZ 142 KG Weinzierl handelt es sich um einen Acker. Ein Verkauf dieses Grundstückes ist unzweckmäßig, da die Kosten der Schätzung und die Durchführung eines Kaufvertrages den Wert des Grundstückes übersteigen würden. Auf der Liegenschaft EZ 6 KG Weinzierl befindet sich das Haus Hafenstraße 61, das vermietet ist. Aus den Einkünften dieses Bestandobjektes werden die Betriebskosten und die Tilgungsquoten für ein Darlehen von rund S 90.000 bei der Sparkasse Krems bestritten. Die tägliche Pflegegebühr für den erblasserischen Witwer im Niederösterreichischen Landeskrankenhaus Mauer beträgt S 626

zuzüglich 10 % Umsatzsteuer, sodaß ein jährlicher Aufwand von mindestens S 250.000 entsteht. Die Unterbringung in einem Pflegeheim, die noch nicht absehbar ist, würde bei einer Gebühr von ca. S 356 täglich einen jährlichen Aufwand von rund S 130.000 verursachen. Der Erbe Meinhard B ist Student, die Erbin Ulrike C Hausfrau. Beide haben kein Einkommen.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß bei Annahme einer durchschnittlichen Lebenserwartung des jetzt 53jährigen erblasserischen Witwers mit einem Unterhaltsanspruch nach § 796 ABGB zu rechnen sei. Da beide Erben in Graz wohnhaft seien, bestehe begründete Besorgnis, daß ihr Interesse auf die Verwertung der in den Nachlaß fallenden Liegenschaftshälfte gerichtet sei, sodaß ein allfälliger Unterhaltsanspruch des erblasserischen Witwers gefährdet werde.

Das Rekursgericht änderte den erstgerichtlichen Beschluß im Sinne einer Abweisung des Separationsantrages ab. Es vertrat die Auffassung, daß ein konkreter Unterhaltsanspruch des Antragstellers derzeit nicht bestehe, weil sich der Antragsteller den bereits erhaltenen Pflichtteil, seine Invaliditätspension und sein sonstiges Vermögen, das nicht nur aus Liegenschaften, sondern auch - wie sich aus dem Pflegschaftsakt ergebe - aus mehreren Sparguthaben bestehe, einrechnen lassen müsse. Zwar könnten auch bedingte und betagte Ansprüche Gegenstand eines Absonderungsantrages nach § 812 ABGB sein. Der Unterhaltsanspruch gegen die Erben nach § 796 ABGB sei jedoch kein bedingter, sondern ein subsidiärer, der erst dann konkret entstehe, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorlägen. Die Möglichkeit, daß in Zukunft ein Unterhaltsanspruch entstehen könnte, verschaffe dem erblasserischen Witwer nicht die Stellung eines Unterhaltsgläubigers.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs des erblasserischen Witwers ist berechtigt. Die Ausführungen des Rekursgerichtes über die Voraussetzungen einer Nachlaßabsonderung nach § 812 ABGB und die Zuerkennung der Gläubigerstellung an den Unterhaltsberechtigten entsprechen der Lehre und Rechtsprechung (vgl. Welser in Rummel, ABGB, Rdz 10 f. zu § 812 mwN auch aus der Rechtsprechung). Beizupflichten ist dem Rekursgericht insbesondere darin, daß für die Nachlaßabsonderung jede hinreichend motivierte Besorgnis des Antragstellers, daß der Erbe den Nachlaß und damit den Befriedigungsfonds für die Nachlaßforderung schmälern könnte, genügt. Einer Bescheinigung dieser Gefahr bedarf es nicht. Der Gläubiger muß nur jene Umstände anführen, die bei vernünftiger Auslegung eine subjektive Besorgnis rechtfertigen können (SZ 56/28 mwN). Im vorliegenden Fall gehen beide Erben keiner Erwerbstätigkeit nach und sind ohne Einkommen. Es wurde nicht in Abrede gestellt, daß sie bestrebt sind, die in den Nachlaß fallende Liegenschaftshälfte zu verkaufen. Diese Umstände rechtfertigen die Besorgnis einer Gefährdung der Forderung des erblasserischen Witwers (vgl. SZ 56/28).

Nach § 796 ABGB hat der Ehegatte, außer in den im vorliegenden Fall nicht in Betracht kommenden Fällen der §§ 759 und 795 ABGB, solange er sich nicht wiederverehelicht, an die Erben bis zum Wert der Verlassenschaft einen Anspruch auf den Unterhalt nach den sinngemäß anzuwendenden Grundsätzen des § 94 ABGB. Durch die Verweisung auf § 94 ABGB soll sichergestellt werden, daß der Unterhaltsanspruch des überlebenden Ehegatten den Lebensverhältnissen entspricht, in denen die früheren Ehegatten bis zum Tode des einen von ihnen gelebt haben (136 BlgNR 14. GP 19). Dem überlebenden Ehegatten gebührt daher der Unterhalt nur so weit, als dies im Falle des Fortlebens des verstorbenen Ehegatten nach der konkreten Situation der Eheleute im Rahmen des § 94 ABGB der Fall wäre (Ehrenzweig-Schwind, Familienrecht 99). Dies muß aber nicht zu einer Fixierung des zuletzt gegen den Erben bestandenen Anspruchs führen, weil immer die angemessenen Bedürfnisse des überlebenden Ehegatten zu berücksichtigen sind (Welser aaO Rdz 4 zu § 796). Der Anspruch des überlebenden Ehegatten ist jedoch nach der Einrechnungsbestimmung des § 796 zweiter Satz ABGB nur subsidiär.

Er ist ausgeschlossen, wenn der überlebende Ehegatte durch vertragliche oder letztwillige Zuwendung, durch den gesetzlichen Erbteil, den Pflichtteil, durch öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Leistungen versorgt ist, eigenes Vermögen hat oder sich durch eine entsprechende zumutbare Erwerbstätigkeit selbst erhalten kann (136 BlgNR 14.GP 19; Welser aaO Rdz 11 zu § 796; Ehrenzweig-Schwind aaO; vgl. SZ 23/387; EFSlg.8345). Die Einrechnungsbestimmung des § 796 ABGB erfordert es, den den sinngemäß anzuwendenden Grundsätzen des § 94 ABGB entsprechenden Unterhaltsbetrag des überlebenden Ehegatten zu kapitalisieren, um gegenüber den in Kapitalbeträgen bestehenden Einrechnungsposten eine kommensurable Größe zu schaffen. Von einer Kapitalisierung wird nur dann abgesehen werden können, wenn der Unterhalt durch laufende eigene Einkünfte hinreichend gedeckt ist. Auf den kapitalisierten Unterhaltsbetrag sind dann die in § 796 ABGB angeführten Werte anzurechnen. Erreichen sie die Höhe des kapitalisierten Unterhaltsbetrages, steht dem überlebenden Ehegatten kein Unterhaltsanspruch gegen die Erben zu. Andernfalls haften aber die Erben für den durch die Einrechnungswerte nicht gedeckten Teil dem Unterhaltsberechtigten bis zum Wert des reinen Nachlasses wie ein Vorbehaltserbe (Ostheim, Schwerpunkte der Familienrechtsreform 70 f; Zemen, Unterhaltsschuld des Erben und Pflichtteilsansprüche in JBl.1984, 335 f.). Nach dem Zweck der Regelung des § 796 bildet der reine Nachlaß das Sondervermögen, auf dem die Unterhaltsschuld lastet und das zur Bestreitung auch des zukünftigen, erst später fällig werdenden Unterhaltes der Untehaltsberechtigten bestimmt ist. Der Regelungszweck erfordert es, daß dieses Sondervermögen im Rahmen des erbrechtlichen Sicherungsrechtes auch für noch nicht fällige Unterhaltsansprüche reserviert werden kann (vgl. Zemen aaO 346). Ergibt daher die nach den Grundsätzen des § 796 ABGB vorzunehmende Berechnung einen Unterhaltsanspruch des überlebenden Ehegatten, kann eine Nachlaßabsonderung auch für erst künftig fällig werdende Unterhaltsforderungen bewilligt werden.

Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht einen Unterhaltsanspruch des erblasserischen Witwers bejaht, ohne hiebei jedoch die wesentlichen Komponenten der Lebensverhältnisse der Ehegatten zu berücksichtigen. Insoweit handelt es sich auch um keine reine Bemessungsfrage (1 Ob 608/82). Schon in dieser Richtung erweist sich daher das Verfahren erster Instanz als ergänzungsbedürftig. Es wurde aber auch eine Kapitalisierung des Unterhaltsbetrages im Sinne der obigen Darlegungen nicht vorgenommen, außerdem wurden auf den kapitaliserten Unterhaltsbetrag nicht alle im § 796 ABGB genannten Werte, die, sofern es sich nicht um Kapitalbeträge handelt, gleichfalls zu kapitalisieren sind, angerechnet. Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren darauf Bedacht zu nehmen haben, daß nach den Feststellungen des Rekursgerichtes auch Sparguthaben des erblasserischen Witwers vorhanden sind, und daß der Kapitalisierung des Unterhaltes des überlebenden Ehegatten dessen mutmaßliche Lebensdauer, das sind bei einem Alter von 53 Jahren 20,02 Jahre (vgl. Kunst in ZVR 1978, 73) zugrundezulegen ist. Sollte sich nach der vorzunehmenden Berechnung ergeben, daß die einzurechnenden Werte den kapitalisierten Unterhaltsbetrag nicht erreichen und den Unterhaltsanspruch somit nicht zum Erlöschen bringen, wäre die Nachlaßabsonderung zu bewilligen. Bei der Prüfung des Anspruchs des überlebenden Ehegatten wird zu beachten sein, daß hier kein voller Beweis zu verlangen ist, sondern eine Bescheinigung der Forderung genügt (vgl. Welser aaO Rdz 13 zu § 812). Demgemäß ist dem Revisionsrekurs Folge zu geben.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte